20. September 2019 | Lübeck-Travemünde, Brügmanngarten

Familienformen - Beziehungsweisen: Jesu Gemeinschaft in Bewegung und Veränderung

20. September 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt im Synodengottesdienst „Weil Du mich ansiehst, bin ich schön“ zur 3. Tagung der II. Landessynode am Thementag „Familienformen – Beziehungsweisen. Vielfalt sehen und fördern, Menschen stärken“

Gnade sei mit euch und Friede,
vom dem, der da war und der da ist und der da kommt.
Amen.

I.

Familienformen - Beziehungsweisen.
Ein Thema, zu dem jede und jeder etwas beitragen kann.
Ein Thema, mit dem jede und jeder eigene Erfahrungen verbindet.
Ein Thema, das berührt.
Weil es um unsere engsten,
unsere persönlichsten Beziehungen geht.
Um Intimität und Nähe.
Um Berührbarkeit und Verletzlichkeit.

Familienformen - Beziehungsweisen.

Ein Thema,
bei dem es viel zu erzählen gibt.
Von glücklichen und engen Beziehungen, aber auch:
von Zerwürfnissen und dauerhaftem Streit.
Von engen Geschwisterbanden, aber auch:
von niemals endender Eifersucht,
wer das liebste, das schönste, das klügste Kind ist.
Von Eltern, die alt und einsam sterben, aber auch:
von liebevoller Fürsorge bis in die letzten Atemzüge.
Von Familien, die in allen Schönheiten und Widrigkeiten
des Lebens liebevoll zusammenstehen, aber auch:
von Kindern, die niemals erfahren,
was die Liebe eines Vaters, einer Mutter bedeutet.

Familienformen - Beziehungsweisen.

Vielfältig sind sie geworden.
Bunt wie ein Regenbogen.
Denn zusammen ist man weniger allein.
Nicht nur junge Leute
suchen deshalb heute nach neuen Formen,
um Verbindlichkeit, Liebe, Verlässlichkeit und Vertrauen
in guter Weise leben und erfahren zu können.
Suchen nach Formen, wie es sich allein,
und dennoch verbunden mit anderen leben lässt.

Viele fragen sich heute,
wie ein Leben mit und ohne Kinder gut gestaltet werden kann.
Organisieren kreativ Familienleben und Beziehungen
in den unterschiedlichsten Formen.

Sie alle geben der Liebe ein Zuhause:
Als Väter, als Mütter, als Kinder.
Als Frauen und Männer.
Als Ehepaare mit und ohne Kinder.
Als Alleinerziehende.
Als Patchworkfamilien.
Als Verwitwete, Geschiedene, getrennt Lebende.
Als Singles.
Als gleichgeschlechtlich Liebende.
In Ehen und Partnerschaften:
Heterosexuell, homosexuell, transgender, queer.

Und dabei immer:
Auf der Suche danach,
Liebe, Verantwortung, Vertrauen und Verlässlichkeit
zu spüren und zu geben.
Innerhalb einer Generation wie über Generationen hinweg.

Denn all das brauchen wir,
um unseren Weg durch das Leben gehen zu können.
Denn genau danach sehnen wir uns:
geliebt werden.
So, wie wir sind.
Und andere lieben.
So, wie sie sind.

II

Ich staune immer wieder darüber,
wie erfinderisch, wie schöpferisch Menschen sind,
wenn es darum geht,
verantwortlich und in Liebe
die Wege des Lebens zu beschreiten.
Ich bin noch ganz bewegt
von unserem Austausch dazu
heute auf unserer Landessynode.
Von den offenen und respektvollen Gesprächen.
Von der achtsamen Atmosphäre.
Auch von manchem bohrenden Fragen – und geduldigem Antworten.
Von dem, was es zu lernen, zu entdecken und zu verstehen gab.
Ich bin dankbar für die Offenheit und Freundlichkeit,
für die Gelassenheit und das Interesse und zuweilen auch den Humor,
die unsere Gespräche geprägt haben.

Und diese Dankbarkeit ist umso größer,
weil gerade von Christenmenschen
über Jahrhunderte hinweg sehr klare Vorstellungen vertreten wurden,
welche Formen von Beziehungen und Familienleben
ausschließlich möglich seien und welche nicht.
Vorstellungen, die allein die Ehe zwischen Frau und Mann
gelten lassen wollten.
Und damit viele andere Formen
verantwortlichen und liebevollen Zusammenlebens,
die es über die Jahrhunderte hindurch immer auch gegeben hat,
diskriminiert haben.
Vorstellungen, die Einzelne oder ganze Gruppen von Menschen
verdächtigt, beschämt und bedrückt haben.
Die es ihnen schwer oder unmöglich gemacht haben,
sich als Teil der Familie Gottes auf dieser Erde
empfinden zu können.

Möge Gott vergeben,
was dabei an Leid und Unrecht geschehen ist -
und mögen wir heute andere und neue Wege finden,
einander mit Liebe und Respekt zu begegnen.
Denn wer Teil der Familie Gottes auf dieser Erde ist,
wer zu Gottes Verwandten gehört,
das richtet sich nach Kriterien,
die Jesus selbst einmal so formuliert hat:

Wer den Willen Gottes tut,
der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.


Mit diesem Satz verblüfft Jesus seine Zuhörer.
Er will sie zum Nachdenken bringen.
Denn „eigentlich“ ist ja klar,
wer die eigenen Verwandten sind:
Frauen und Männer und Kinder,
mit denen es Zusammenhänge gibt,
die sich auf Geburt und Zeugung stützen.

Aber genau diese Logik setzt Jesus außer Kraft:
Nein, nicht Herkunft, Geburt und Zeugung entscheiden,
wer zu Jesus gehört.
Für ihn ist allein entscheidend,
dass sich jemand am Willen Gottes orientiert.

Mit seiner Antwort überschreitet Jesus
die üblichen Kategorien und Grenzziehungen:
Herkunft, Alter, Geschlecht, körperliche Verfassung,
Geburtsort, sozialer Status - egal.
Egal, ob du das erste Mal hier vorbeischaust oder immer da bist.
Egal, ob du alle anderen kennst oder noch niemanden.
Egal, ob du viel hast oder wenig.
Egal, ob du nun Frauen oder Männer liebst.
Egal, ob du allein lebst oder in Familie.
Egal, ob du hier geboren bist oder deine Eltern und Großeltern.
Egal, aus welchem Land du zugezogen bist.

Für Jesus ist etwas ganz anderes entscheidend.

„Alle, die den Willen Gottes tun,
sind mein Bruder, meine Schwester und Mutter.“

Mit diesen Worten trifft er selbst
gar keine Entscheidung,
wer zu ihm gehört und wer nicht.
Sondern er stellt es in die Entscheidung
jeder und jedes Einzelnen.
Jede und jeder soll sich entscheiden,
wie sie, wie er sich zu Gott verhält.
Ob sie sich an Gottes Willen orientieren oder nicht.
Und damit zu den wahren Verwandten Jesu gehören  -
oder eben nicht.

„Alle, die den Willen Gottes tun,
sind mein Bruder, meine Schwester und Mutter.“

Dieser Satz heißt auch:
Es gibt für Jesus keinen ein für allemal
festgesetzten Verwandtheitsstatus.
Und damit auch keine ein für allemal
fest umrissene Gemeinschaft.
Sondern eine Gemeinschaft, die
Christus an seinen Tisch einlädt.
Eine Tischgemeinschaft.

Seine Einladung an seinen Tisch
ermöglicht eine Gemeinschaft
in Bewegung und Veränderung:
Manche sind schon lange dabei.
Andere kommen dazu.
Manche gehen vielleicht auch wieder.
Und andere, von denen man es gar nicht ahnt,
gehören schon längst dazu.

III

Was aber bedeutet die Orientierung am Willen Gottes?

Jesus hat das einmal auf den Punkt gebracht.
Als er gefragt wurde,
was denn von allem, das wichtigste,
was das Essential des Glaubens sei.
Er hat diese Frage so beantwortet:

Du sollst den Herrn, deinen Gott,
lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.
und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Das ist das Essentiell des Glaubens -
das höchste Gebot.

Es gilt für Menschen jüdischen Glaubens -
denn es stammt aus der Heiligen Schrift des Judentums,
dem Tenach.

Genau daraus zitiert Jesus -
aus seinem jüdischen Glauben.
Durch ihn, weil er sich darauf beruft,
gilt dieses höchste Gebot auch für Christen -
und steht in den Schriften der Evangelisten,
die von Jesus erzählen.

Dieses Gebot fasst zusammen,
worum es im Glauben geht.
Im Leben jedes und jeder Einzelnen.
In unserem Leben als Gemeinschaft.
In unserem Leben in der Gemeinschaft der Völker.

Du sollst den Herrn, deinen Gott,
lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüt
und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Entscheidend für die Gestaltung dieser doppelten Beziehung
ist dabei Gottes Liebe zu uns.
Sich an dieser Liebe zu orientieren
und ihr entsprechend zu lieben und zu leben, das meint:
Die Treue, Verlässlichkeit, Hingabe, Gerechtigkeit,
Vergebung, Verantwortung und Sorge,
die Gottes Beziehung zu uns bestimmen,
sind wegweisend für unsere Beziehungsgestaltung untereinander.

Darum wird immer wieder zu fragen sein,
ob und in welcher Weise
die Ausrichtung an Gottes Liebe zu uns
die Grundlage für unsere Formen menschlichen Zusammenlebens ist.

Es wird immer wieder zu fragen sein,
wie wir als Kirche Menschen dabei unterstützen und stärken können,
ihr Zusammenleben in der Orientierung an Gottes Liebe
verantwortungsvoll zu gestalten.

In Ehe, Familie, Partnerschaft,
in verantwortungsvollen Beziehungen, als Alleinlebende.
Und wie wir einander dabei mit Respekt und Achtsamkeit begegnen können:
als Menschen, die einander als Menschen anerkennen,
die von anderen Menschen geliebt werden
und die andere Menschen lieben –
als Nächste, die füreinander Nächste sind,
weil Gott uns alle zu seinen Nächsten macht.

IV

„Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.“

Ein Liebesgedicht
der chilenischen Dichterin Gabriela Mistral
beginnt mit diesen Worten.
Schön, berührend, poetisch, zärtlich.
Und weiter:

„Senk lange deinen Blick auf mich.
Umhüll mich zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird,
die du geküsst,
vor Schönheit strahlen.“

„Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau."

Man könnte diese Worte auch lesen
als eine moderne Beschreibung dessen,
was Rechtfertigung bedeutet.
Dann erinnern sie uns:
Nicht weil wir so oder so sind,
auf diese oder eine andere Weise leben und lieben,
nicht weil wir schön sind
oder schön und gut leben,
liebt Gott uns und macht uns gerecht.

Sondern weil er uns liebt und uns gerecht macht,
werden wir ihm lieb und gut und schön.
Weil Gott uns anblickt,
weil Gott uns liebt,
und indem wir auf seine Liebe und Gnade vertrauen,
werden wir schön.

Auf vielfältige Weise.
Bunt wie ein Regenbogen.

V

Familienformen - Beziehungsweisen.
Vielfältig und bunt.
Bunt wie ein Regenbogen.

Mich berührt und bewegt dazu
ein Text aus dem Buch der Offenbarung.
Dort heißt es in einer Beschreibung des Thrones Gottes:

Und siehe, ein Thron stand im Himmel
und auf dem Thron saß einer.
Und der da saß,
war anzusehen wie der Stein Jaspis und der Sarder;
und ein Regenbogen war um den Thron,
anzusehen wie ein Smaragd.

Der Regenbogen ist hier Teil der Beschreibung Gottes.
Gehört zu Gott selbst dazu.
Und zu Gott,
auf dem Thron sitzend,
umgeben von einem Regenbogen,
beten Engel und Glaubende gemeinsam:

Unser Gott, du bist würdig,
zu nehmen Preis und Ehre und Kraft;
denn du hast alle Dinge geschaffen,
und durch deinen Willen waren sie
und wurden sie geschaffen.

Gott sei Lob und Dank.
Amen.

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