22. September 2018 | St.-Marien-Kirche zu Rostock

Feiern wir das Leben!

22. September 2018 von Andreas von Maltzahn

Ansprache zu Matthäus 10,5 ff, Interreligiöse Andacht

Schwestern und Brüder,

wir leben in unruhigen Zeiten. Angst vor einem neuen Chemnitz, Angst, auf die Straße zu gehen, Angst vor Übergriffen…
Auf der einen Seite ängstigen sich Menschen
vor dem Fremden,
vor der Gewalt, die angeblich oder tatsächlich von Geflüchteten ausgeht, davor, vielleicht wieder einmal zu verlieren, was man sich aufgebaut hat,
auf der anderen Seite gibt es Ängste
vor der Enthemmung und Radikalisierung gesellschaftlicher Gruppen,
vor dem Hass, der Menschen entgegenschlägt, nur weil sie anders glauben, anders aussehen, anders leben.
Eine Freundin – taffe Akademikerin, hochengagiert über ihren Beruf hinaus – sagte mir: „Ich überlege auszuwandern, wenn das so weitergeht. Aber wohin?“

Was kann helfen, dass Angst und Ohnmachtsgefühle uns nicht lähmen?

Ich weiß nicht, wie den zwölf Jüngern zumute war, als Jesus sie berief. Etwas mulmig könnte ihnen schon gewesen sein – hatte sein Auftrag doch nicht viel zu tun mit ihrem bisherigen Leben. Aber sie werden die Energie gespürt haben, als Jesus sie aussandte. Nicht überallhin sollten sie gehen, sondern zu den ‚Verlorenen‘ ihres Volkes:

„Geht aber und verkündet: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“

Das spricht zu mir auch in unserer Situation:
Vom Himmel zu reden um der Erde willen,
zu heilen, was im Argen liegt;
aufzuwecken und wachzurütteln, denn es ist Zeit, zu erkennen, was auf dem Spiel steht;
Menschen, die ausgegrenzt sind, in die Mitte zu holen;
Ungeist zu widerstehen, ja, ihn auszutreiben – egal in welcher Gestalt er sein Unwesen treibt: als Antijudaismus, Islamfeindschaft, Fremdenhass oder dumpfer Wut…

Dieser Auftrag gilt! Sich in diesem Sinne gesandt zu wissen, kann Kräfte freisetzen, vermag Lähmung und Verzagtheit zu überwinden. Denn Gott stärkt uns dazu den Rücken.

Es gehört zum verlässlichen Grund unseres Lebens, wissen zu dürfen:
dass Gott uns gewollt hat – in aller Verschiedenheit und doch verbunden als Kinder desselben Vaters, eben Schwestern und Brüder. Und gerade diese Verschiedenheit macht unser Leben bunt.

Gott hat uns begabt mit Würde, die nicht daran hängt, ob und was ich leiste, ob ich Einheimischer bin oder Zugezogener. Nebenbei gesagt, ich habe noch nie verstanden, warum man sich als ‚Eingeborener‘ stolz und anderen überlegen fühlen soll.

Wir brauchen nicht den Himmel auf Erden zu schaffen – aber ist es in Gottes Sinn, sich für eine Gesellschaft einzusetzen,
in der den Schwachen besondere Aufmerksamkeit gilt;
in der nicht schrille Lautsprecher das Sagen haben, sondern Argumente zählen;
eine Gesellschaft, in der Recht und Gerechtigkeit herrschen und nicht die Macht, sich durchzusetzen – ökonomisch oder demagogisch.

Ja, ‚Gerechtigkeit‘ ist einer der vornehmsten Namen Gottes. Darum tun wir gut daran, das Recht hochzuhalten und nichts auf den Rechtsstaat kommen zu lassen – selbst wenn uns manche Gerichtsentscheidung nicht einleuchtet. Menschen, die wie ich in der DDR aufgewachsen sind, haben es noch in den Knochen, was Willkür und Diktatur bedeuten. Lasst uns daher wach sein, wenn jemand vorgibt, die Demokratie stärken zu wollen, in Wahrheit aber Hand an ihre Grundpfeiler legt – indem er beispielsweise unabhängigen Journalismus verleumdet.

‚Wahrheit‘ ist ein anderer der heiligen Namen Gottes. Darum sind Lüge und Halbwahrheit nicht nur unlautere Mittel der Stimmungsmache, sondern auch ein Angriff auf Gott selbst. Wir tun gut daran, kritisch zu prüfen, was Fakt ist, Hysterien nicht auf den Leim zu gehen, bei der Wahrheit zu bleiben und für sie einzustehen unter den Menschen, mit denen wir leben. Es ist wichtiger denn je, in den Bezügen unseres Alltags Flagge zu zeigen und üblem Gerede zu widersprechen!

Vor allem aber, Schwestern und Brüder, feiern wir das Leben! Entmachten wir so die Kräfte des Todes! Lebendig zu sein, anderen Menschen mit Herzenswärme zu begegnen, Kindern Lebenschancen zu eröffnen, Musik, Literatur und gute Filme zu genießen, die Schönheiten der Natur mit allen Sinnen zu erleben, die Liebe zu wagen und ihr treu zu sein – all das stärkt uns, eine Gesellschaft zu gestalten, in der alle ihren Platz haben. Sogar jene, die uns heute noch dämonisieren und zu Feinden erklären! Denn das war ja einer der großen Impulse Jesu, Hoffnung zu hegen auch für den Feind – der einzige Weg, wie wir den Zwängen, siegen zu müssen, entkommen können!

Ich bin überzeugt: Gerade jetzt braucht es in unserem Land Menschen der Hoffnung,
die zuhören, wo man einander schon abgeschrieben hat,
die versachlichen und ermutigen, wo Verunsicherung geschürt wird,
die Unrecht beim Namen nennen, wo es verschleiert wird,
denn wir wissen: In Wahrhaftigkeit und Friedfertigkeit liegt befreiende Kraft.

Menschen der Hoffnung können wir sein,
die Verantwortung übernehmen, wo Menschen in Not sind,
die politisch Verantwortliche stärken, wo es keine einfachen Lösungen gibt,
die einstehen für ihre gute Sache, wo lauter Gefahren gemutmaßt  werden,
denn wir wissen: Hoffnung „ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht,
sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat
“ (Vaclav Havel).

Menschen der Hoffnung können wir sein,
die ihre Geschichte erinnern und darum die nationalistischen Fehler der Vergangenheit vermeiden,
die Selbstbewusstsein gewinnen nicht durch Abgrenzung, sondern aus Verbundenheit,
die sich in ihren Glauben vertiefen
und zugleich gespannt sind auf Gottes Spuren im Leben der Anderen,
denn wir wissen: Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes.

Dazu sind wir berufen. Wir lassen uns nicht verhärten noch verbittern, sondern sind berufen zu bezeugen: „Das Grün bricht aus den Zweigen.“ Der Gott des Lebens steht uns bei.
Amen.

 

 

 

 

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