19. September 2021 | Dom zu Ratzeburg

Festgottesdienst 850 Jahre Dom zu Ratzeburg

19. September 2021 von Kirsten Fehrs

16. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu 1. Könige 8,22.23.27-30

Liebe Festgemeinde,

Geburtstagsbesuche gehören für mich zu den absoluten Höhepunkten. Und so bin ich von Herzen gern hierher in den Dom gekommen, um zum zweiten Mal den 850. Geburtstag des Ratzeburger Doms zu feiern. Davon kann man ja nie genug bekommen, allzumal das genaue Datum eh nicht bekannt ist und weil wir dieses Mal richtig feiern können, mit Trompeten, freiem Gesang und Mozart als Krönung. Anders als beim ersten 850., im vergangenen Jahr mussten wir uns ja coronabedingt mit den leisen Tönen zufriedengeben. Nur vorsorglich: Zum dritten 850. Geburtstag plus plus im nächsten Jahr würde ich dann mal eine kleine Pause einlegen …

Obwohl es ja Grund genug gäbe, jedes Jahr staunend und dankbar dieses eindrucksvolle Kirchgebäude an diesem paradiesischen Fleckchen Erde zu feiern. Gar nicht nur, weil der Dom einen mit seinen imposanten Ausmaßen ehrfürchtig auf die eigene, menschliche Winzigkeit schauen lässt. Sondern auch, weil er vor Augen führt, wie lange schon Gott mit uns Menschen auf dem Weg ist. So viel Segen über die Jahrhunderte! So viele Kinder und Erwachsene, denen die Taufe Gottes Nähe zugesprochen hat. Zugehörigkeit. Würdigung. Menschliche Größe. Diese alten, dicken Mauern samt Turm lassen keinen Zweifel daran: Das hier ist auch eine Trutzburg, ein Stein gewordenes „trotz allem“, was die Welt in Atem hält. Hier ist Gnade, Licht und Trost.

Und ich denke an die Friedenssehnsüchtigen aller Zeiten, die hier um ihre Liebsten gebetet. Denke an die Tränen, die hier in den achteinhalb Jahrhunderten schon geflossen sind und abgewischt wurden. An das vielfältige Glück, ein gesundes Kind im Arm zur Taufe zu tragen. Denke an Pest und Not und Pandemie. Das ist doch über alle Zeiten geblieben: diese Segenssehnsucht. Die Suche nach Schutz eines Größeren in tiefer Not oder großer Verantwortung.

„Und Salomo breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: Herr, Gott Israels, kein Gott ist wie du, selbst die unendliche Weite des Himmels kann dich, Gott, nicht fassen! Wie könnte es der Tempel, den ich gebaut habe? Und doch hast du gesagt: Es soll der Ort sein, an dem mein Name gegenwärtig ist.“

Und also schauen wir das Haus von des Gottes gnädiger Gegenwart. Es ist so viel Raum da! Für die Eiligen und Heiligen, die Suchenden und Betenden. Raum für die Endlichkeit und die Verletzlichkeit des Menschen. Ein Raum, in dem Kerzen erinnern an Schmerz und Verlust – aber eben auch an die Helligkeit der neuen Anfänge, an kleine Lebenswunder. Dieser Dom mit seinen 850 Jahren ist so kostbar, weil so viel Leben darin steckt. Ganz konkret gelebtes Leben mit den Festtagen und den Alltagen, mit Hohem und Tiefem. Er ist so kostbar, weil er dafür steht, dass das Leben von Menschen eben nicht egal ist. Ihres nicht und nicht das Leben all der Menschen in und um Ratzeburg, überhaupt in Ost und West, Nord und Süd. Nicht das Leben der jungen Menschen, die in eine so verwundete Welt hineinwachsen und nach Perspektive suchen, nach Zuversicht, nach Halt und Sicherheit, wie sie doch dieser Bau zu vermitteln weiß.

Kein Leben ist egal, und erst recht ist kein Leben illegal. Ausnahmslos jeder Mensch bleibt aufgehoben in diesem großen Ganzen, das noch viel größer und noch viel dauerhafter ist als ein Dom. Selbst wenn er 850 Jahre alt ist, zu den vier Löwendomen gehört und bis heute jede Menge Arbeit macht. Für jedes einzelne Leben ist Raum in Gottes Welt, jeder Mensch zählt, black, white, yellow, jedem Geschöpf gilt der Segen. Deshalb, denke ich mir so, ist er so groß. Und so sichtbar. Weil wir das nicht vergessen dürfen.

Und wie sehr brauchen wir diese Erinnerung! Schon wieder ein menschenfeindlicher Anschlag auf die Synagoge in Hagen, auch wenn er diesmal glücklicherweise verhindert werden konnte. Trotzdem müssen wir hinschauen. Und trotzdem müssen wir die immer gleiche Frage stellen: Warum hört es nicht auf? Warum halten sich so hartnäckig Feindbilder, nach denen Jüdinnen und Juden nicht als Geschwister gelten können? Als Menschen, die zu uns gehören, ganz selbstverständlich, wie alle anderen auch?

Wir haben da eine Aufgabe, liebe Gemeinde, eine Aufgabe als Kirche und als Gesellschaft, und das muss mehr sein als eine Predigt oder Sonntagsrede. Es gilt, schon unseren Kindern das Herz zu öffnen für die Vielfalt in der Gemeinschaft. Vorzuleben und zu zeigen, dass kein Mensch einem anderen sein Recht auf Leben nehmen darf. Dafür steht dieser Dom. Für Friedensbildung und Herzensweite. Hier wohnt, wie Salomo es ausdrückt, Gottes Name, hier verbindet sich Gott mit uns, mit Israel, mit diesen ganz bestimmten Menschen im Land, mit dir und mit mir. Und zugleich wohnt er überall, selbst der Himmel ist eigentlich nicht groß genug für ihn. Alles, wirklich alles und alle gehören zu ihm.

Und so „bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah. Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah, mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar, will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr.“ So werden wir es gleich singen in diesem wunderschönen Lied von Jochen Klepper, das der übrigens „Geburtstagslied“ genannt hat.

Sehr passend für das Fest heute. Dieser großgütige Gott kommt ganz nah. Jedem von uns. Und mag dich nicht missen. Es würde wehtun, wenn du nicht da wärest. Er „trägt nach dir Verlangen, lässt auch den Ärmsten nicht.“ Auch nicht die, auf die keiner mehr zählt. Unter den Brücken oder in den Flüchtlingslagern dieser Welt. Er lässt sie nicht. Deshalb wird er selbst Mensch. Weil er sich nach uns sehnt. Und so geht er an die Hecken und Zäune der Welt. Holt die Verstiegenen von den Bäumen herunter.

Im Dunkeln will Gott wohnen, sagt Salomo, und kommt hinein in die vielen viel zu kleinen Lebenshäuser, die ihn nicht fassen können. Er kommt da hinein, weil er es nicht fassen kann, dass Menschen vor Einsamkeit vergehen hinter ihren verschlossenen Türen. Weil sie alt sind oder zu jung, weil sie sich verrannt haben oder niemandem auffallen.

„Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein.“ Darum geht es. Um Zugehörigkeit und Geborgenheit in einer Welt, die manchmal so unwirtliche Seiten hat. Und von dieser grenzenlosen Treue Gottes erzählen auch die dicken Mauern dieser alten Kirche. Und davon, dass Gott hinhört, wenn Menschen zu ihm beten, wenn sie ihm von ihren Nöten erzählen und ihn um Rettung anflehen. Er hört das. Weil in den Corona- und Klimastürmen niemand egal ist und niemand untergehen darf. Das kann man doch gar nicht genug feiern, oder?

Und übrigens nicht nur feiern: Wenn am kommenden Sonntag gewählt wird, dann ist das nicht nur ein guter Grund, selbst Verantwortung zu übernehmen und wählen zu gehen, die Sehnsüchte unserer Kinder im Gepäck. Es ist auch ein guter Grund, dankbar zu sein dafür, dass eine solche demokratische Wahl das abzubilden versucht: Jeder und jede zählt. Jeder und jede kann mitbestimmen. Alle sind gefragt. Ich finde, das klingt hier in diesem Löwendom ganz besonders gut, stand er doch damals, vor 850 Jahren, auch für weltliche Macht, für Machtpolitik und Sicherung von Herrschaft.

Ich hoffe, wir sind weiter heute. Es geht nicht mehr nur um die Löwen, um die Großen und Starken. Es geht um ein geschwisterliches Zusammenleben aller Menschen auf dieser Erde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der schöne weite und zugleich bergende Raum dieser alten Kirche entlässt uns immer wieder – auch die nächsten und mit der herzlichen Zuversicht, dass er bleibt: Gottes Segen für alle Geschwister dieser Erde. Wie auch sein Friede, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
19.09.2021
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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