ST. NIKOLAI-DOM ZU GREIFSWALD

Festgottesdienst im Rahmen der 64. Greifswalder Bachwoche

06. Juni 2010 von Gerhard Ulrich

Liebe Festgemeinde! Und wieder, wenn ich diese wunderbare Musik höre, denke ich an jenen Satz von Johann Sebastian Bach: „In jeder andächtigen Musike ist Gott in seiner Gnaden Gegenwart“, so hat er in seiner Lutherbibel notiert, die er zum Komponieren benutzte.

So ist es: Gott ist nicht nur gegenwärtig in der Musik, er ist Gegenwart, füllt aus, alles, was wir denken und fühlen in dem Moment. Die Musik singt und spielt eine Spur der Ewigkeit in das vergängliche Leben hinein. Und alle Sinne müssen mit, alle Glieder müssen mitschwingen, können nicht stil halten – vor Freude nicht über die Fülle der Lebenskraft, die aus- und einströmt: Darum ist Musik nichts anderes als Verkündigung, Predigt des auferstandenen Herrn.
„Lachen und Scherzen begleiten die Herzen, denn unser Heil ist auferweckt.“ Diese Wahrheit am Beginn von Johann Sebastian Bachs Oster-Oratorium trägt alles, was uns als Christenmenschen angeht. Ostern ist nicht nur, wenn der Kalender es sagt, sondern Ostern ist jeden Morgen neu, vor allem am Sonntag, dem Tag des Herrn!
Also: „Kommt, eilet und laufet, ihr flüchtigen Füße!“
Auf die Beine bringen die Müden, aufrichten die Geknickten – darum geht es Johann Sebastian Bach mit seiner Musik, geht es dem Wort Gottes, der Verheißung des Heils. Das ist auch heute hier zu hören – so wie während der gesamten Greifswalder Bachwoche auch in diesem Jahr – Gott sei Dank! Und den Menschen sei Dank, die da singen und spielen, tanzen und reden; ihnen allen sei gedankt für diesen Dienst der Verkündigung.

Und Johannes Bugenhagen sei Dank, dem pommerschen Reformator, der die Ordnung der Bibelstellen durcheinander wirbelt und ineinander komponiert die Passion- und Ostergeschichten der verschiedenen Evangelien! Das ist die Grundlage für Bachs Oster-Oratorium, Bugenhagens eigentlich plattdeutsche Passionsharmonie, ab 1531 eine Art Volksbuch der Reformationszeit, abgedruckt in einer Fülle von Gesangbuchausgaben und so von einer gar nicht zu überschätzenden frömmigkeitsgeschichtlichen Wirkung bis weit hinauf nach Finnland – und gar Grönland!
Kreativ chaotisch – oder beseelt vom Pfingstgeist - hatte er eine Harmonie höherer Ordnung geschaffen, in der nun zusammen zu hören ist beides: Das Entsetzen und die Freude der Frauen am Grab des Ostermorgens, und der Wettlauf von Johannes und Petrus hin zum Grab. Und wohl kein Medium kann diese Spannung besser beschreiben, als die Musik, die Spannung, in der Leben sich ausstreckt: Furcht und Freude; Sehen und Glauben!
Nichts wie hin also! – und zugleich: zitternd, zagend, zögernd: Einer, Petrus, geht in´s Grab hinein, sieht, dass Jesus nicht da ist. Und dann auch Johannes. Der hatte den kleinen Wettlauf eigentlich gewonnen. Aber dann, am Grab, zögert er ängstlich, misstrauisch. Dann kam er hinein, „…und sah und glaubte“, so heißt es im Evangelium!
Dieses Sehen, dieses Glauben nach dem Augenschein: es ist die Quelle auch unseres Sehens und Glaubens. Ohne jene zögernden, entsetzten Menschen am Ostermorgen; ohne jene mutigen Frauen, die loslaufen und weitererzählen; ohne jene neugierigen und skeptischen Jünger, die sich auf die Beine machen: ohne dies alles gäbe es uns als Gemeinschaft der Glaubenden nicht. Gäbe es nicht die bewegende Kraft des Hoffens und Sehnens, des Glaubens. Jawohl, und das ist das einzig wichtige Strukturmerkmal unserer Kirchen: dass sie hören, wie die Menschen sich auf die Beine machten auf Jesu Wort in, auf das Wort der Engel am Grab, auf das Wort der Frauen hin, die voller Furcht und Entsetzen vom leeren Grab weggelaufen waren. Alle anderen berechnenden oder haltenden Kräfte sind zweitrangig angesichts dieser Bewegung zum Grab am Ostermorgen und von dort in die Welt: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ – das haben wir zu verkündigen von Greifswald über Schwerin nach Hamburg; von Usedom bis zur Hallig Hooge. Und dabei sind wir ja ganz oft noch wie die Jünger bei Johannes. Sie sahen und wunderten sich. „Denn sie verstanden die Schrift nicht und gingen wieder heim!“

„Lachen und Scherzen begleiten die Herzen!“ Ja, so geht er, der Lauf dieser Oster-Dinge, so wunderbar nacherzählt und in Töne gesetzt von Johann Sebastian Bach:
Die Nachricht vom Ostermorgen bezeugt die Wende der Welt; sie beschwingt und bringt in Gang immer wieder neu, was sich fest gelaufen hat im Lauf der Welten-Dinge. Eine Auferweckungs- und Auferstehungsgeschichte: Steine kommen in´s Rollen, Menschen kommen in´s Laufen, es muss nichts bleiben wie es ist!
Es sind die Frauen, die sich dem Schmerz des Abschieds hingegeben haben. Während die Männer sich verstecken, voller Angst und Unsicherheit. Es sind die Frauen an Jesu Seite, die die Männer an Jesu Seite erinnern: „Wo ist die Liebe hin, die ihr dem Heiland schuldig seid?“ Die Männer sind es, immer noch gehalten, ja gefangen im Verstehen wollen dessen, was todsicher ist im Leben: der Tod selbst. Sie sehen nur die Gruft, den Stein – das, was handfest greifbar und vor Augen ist, wenn man fixiert ist und bleibt auf Tatsachen.
Die Frauen aber haben Sinn und Geschmack für´s Unendliche – für das, was über oder hinter den Tatsachen ist, für das, was darin verborgen steckt, spürbar und zu sehen nur für die Augen des Glaubens. 
Liebe Gemeinde, Liebe macht blind, sagt man. Aber für den Glauben gilt: Liebe öffnet die Augen. Liebe macht sehend! Denn, so heißt es in der Lesung des heutigen Gottesdienstes: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Die Frauen sind Jesus nicht schuldig geblieben die Liebe, die dem Heiland zukommt. Sie haben ihr Vertrauen zu ihm nicht weg geworfen – trotz allem, was auch dafür gesprochen hätte.
Sie sind sensibel geblieben für noch eine ganz andere Realität, nämlich für die Realität der Gegenwart Gottes mitten im Diesseits. Sie sehen sicher auch Gruft und Stein – aber darüber hinaus hatten sie ihre Augen offen gehalten für den Engel, für den Boten Gottes, mit seiner die Realitäten durcheinander wirbelnden Nachricht von der Auferweckung Jesu von den Toten.
Dann, nach dem Weckruf der Frauen wacht neu auf das Vertrauen der Männer in den Heiland, der auch ihrer ist und bleiben will. Erst jetzt können auch sie wahrnehmen und ausrufen das Wunder: „Hier seh ich mit Vergnügen das Schweißtuch abgewickelt liegen.“ So wie sie nun einmal gestrickt sind, mag es den Männern helfen, dass auch dieses Schweißtuch etwas ist zum Anfassen – ein Tuch fast wie eine Trophäe, über die sie sich freuen können, obwohl sie verloren haben den Wettlauf gegen die Frauen hin zum Grab. Denn: So stelle ich es mir vor – das Schweißtuch ist auch für die Männer so etwas wie eine Trophäe geworden, weil sie zugleich im Hinterherlaufen gewonnen haben den Wettlauf gegen ihre eigene Angst und Unsicherheit, die da in ihnen steckte und behinderte ihren Lebenslauf. Er ist wunderbar beschrieben, dieser Lauf: voller Schwung und Begeisterung – und dann doch wieder gehalten von Ungewissheit und Angst – auch vor der Entdeckung der Wahrheit, der unglaublichen. Wenn das Grab leer ist – dann kann das nach rein menschlichem Ermessen nur Schreckliches bedeuten, Ungemach, Ärger. So ist dieser Lauf der Jünger ein Bild für unseren Lebenslauf mit seinen Schwellen und Kurven. Da gibt es vieles, was uns antreibt und auf die Beine bringt. Und da ist vieles, das uns verzagt und mutlos macht. Und wenn dann ein Loch gähnt, wo unsere Hoffnung begraben war: dann verstehen wir erst einmal nicht. Und dann dürfen wir uns hingeben dieser Verheißung: er ist nicht hier beiden Toten, er ist bei den Lebenden, euer Herr, eure Hoffnung hat Kraft und lebt und überdauert: Lauft, seht zu, dass ihr Land gewinnt, verheißenes, gutes Lebensland!
Die Jünger sind angekommen. Spät, aber nicht zu spät. Hier, beim Lauf zum Grab, der ein Lauf wird zum wahren Leben, ja zum Ewigen Leben gar, gibt es nicht die Unbarmherzigkeit des Lebens, die die zu spät Gekommenen festnagelt auf ihre Position als Verlierer! Sondern: Die Barmherzigkeit Gottes ist Liebe, weil sie Anteil gibt am Ewigen Leben in der Gegenwart Gottes – weil sie Anteil gibt allen – den Schnellen und den Langsamen, den Mutigen und den Zögernden. Niemand wird festgenagelt auf die Geschwindigkeit seiner Gottesliebe und auf die Festigkeit seines Gottvertrauens, die er im Leben an den Tag gelegt hat. Gottes Augen werden ansehen alle mit Liebe und Barmherzigkeit.Und weil das der Kern der Osterbotschaft ist, darum haben nun auch die Männer in der Geschichte die Kraft, zu glauben. Mit Sinn für´s Praktische kann das Schweißtuch nun auch für sie zu einem Tuch praktischer Lebenshilfe werden: „Ja, das wird mich dort erfrischen und die Zähren meiner Pein von den Wangen tröstlich wischen.“

„Indessen seufzen wir mit brennenden Begier: Ach, könnt es doch nur bald geschehen, den Heiland selbst zu sehen!“
Die Begierde, die Sehnsucht bleibt wach – es muss doch mehr als alles geben, was auf dieser Welt so zu haben und zu gebrauchen ist. Es muss doch noch mehr und anderes geben als alles, was vor Augen ist. 
Den Frauen wird von dem Engel eine Verheißung auf den Weg gegeben, der zugleich ein Auftrag ist: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern, dass Christus vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
 Auch dieses ist ein Weckruf: Bleibt nicht hier! Brecht wieder auf – hin nach Galiläa, zurück in Eure Heimat. Nicht hier, aber dort – da, wo ihr lebt und arbeitet – da wird Christus bei euch sein bis ans Ende der Welt. Christus hat sich nicht festnageln lassen am Kreuz, Christus hat sich nicht eingraben lassen im Grab. Sondern dort – bei Euch Zuhause, in Eurem Dorf, in Eurer Stadt, in Eurem Land – mitten im Leben, da ist er und da werdet ihr ihn finden.
Die Frauen und Männer, die gesehen haben das Ostergeschehen und die in sich aufgenommen haben die große Wende vom Tod zum Leben, geben sich nicht zufrieden mit dem, was immer schon so war. Sie rücken ins rechte Licht alle Schuld und geben den Opfern Raum und hindern Täter daran, sich aus dem Staub zu machen. Sie stehen auf gegen alles, was dem Leben im Wege steht: Hass, Missbrauch, Ungerechtigkeit. Sie treten ein für das Leben und für das Zusammenleben der Kulturen. Diejenigen, für die das Schweißtuch Jesu transparent geworden ist für die Liebe Gottes zum Leben, die bleiben in Gott, bleiben in der Spur dessen, der die Sünder besucht, der die Fremden aufnimmt; der anfängt, aufzuhören mit dem Wegsehen und Vertuschen von Gewalttaten an Mensch und Tier und Pflanzen. Der uns hinsehen heißt auf die Opfer schlimmen Missbrauchs an Leib und Seele und an der Schöpfung Gottes. Das Öl etwa im Meer – seit Wochen nun im Golf von Mexico – es stinkt zum Himmel, es tötet Leben, millionenfach! Und das Unglück ist nicht hereingebrochen über uns als Naturkatastrophe, etwa aus der Hölle – nein: höchstens aus der, die wir selbst uns schaffen, teuflisch zerstörerisch, egoistisch, machtvoll, unbedacht herrschend: wir Öl-Junkies, die wir Jahrzehnte lang sorglos uns abhängig vom Öl gemacht haben und offensichtlich bereit sind, alle Risiken verantwortungslos über Bord unserer Ölplattformen zu werfen. Es ist zu hoffen und zu beten, dass das Entsetzen Energie frei setzt zur Umkehr!Wir müssen auch in dieser Überlebensfrage, über alle Betroffenheit hinaus und durch alles Entsetzen hindurch immer wieder neu fragen, was der Natur und mit ihr dem Frieden und dem Leben dient – und alles Handeln und Reden daran ausrichten. Die Gottesliebhaber und Gottesliebhaberinnen sind nicht erblindet von ihrer Liebe zu Gott. Im Gegenteil, die Gottesliebe hat sie sehend gemacht! Sie sehen die Realität der Welt. Und sie glauben die Realität Gottes in ihr, der Neues schaffen will, der dem Tod nicht die Macht überlässt. 
Die Suchenden werden dabei immer auch getröstet und ermutigt von der Musik, die sie selbst machen oder an der sie Anteil nehmen hörend und fühlend. Die Musik, wie wir sie heute hier und sicher auch während der gesamten Greifswalder Bachwoche erleben, sie ist eine Gnade, ein Gottesgeschenk, ein lebendiges Wehen des Geistes Gottes. So verstanden ist sie selbst unmittelbar Folge des Pfingstgeistes – inspirierend, lebendig machend und voller Energie und power.
Diese Musik lebt von der Wende vom Tod zum Leben und setzt sie immer wieder frei. Darum sagen wir in ihren Tönen und mit ihren Worten: „Wir sind erfreut, dass unser Jesus wieder lebt. Und unser Herz vergisst den Schmerz … und sinnt auf Freudenlieder“! Amen.

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