13. Juli 2017 | St. Marienkirche Sonderburg/Dänemark

Freiheit ist untrennbar auch mit Verantwortung verbunden

13. Juli 2017 von Gothart Magaard

Deutsch-Dänischer Gottesdienst gemeinsam mit Bischöfin Marianne Christiansen (Dänemark) aus Anlass des Besuchs des Nordkirchenschiffs

Liebe Schwester und Brüder,

Freiheit – für diesen zentralen Begriff in Martin Luthers Theologie habe ich mich mit Blick auf „meine“ Nordkirche entschieden. Das Gefühl von Freiheit – gerade angesichts der Weite des Meeres – spüre ich es immer besonders tief in mir.

„Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schreibt Martin Luther in einer seiner sogenannten reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520, also in der Frühzeit der Reformation. Eine Zeit, in der die Dinge noch nicht festgefügt sind. Eine Zeit, in der intensiv miteinander gerungen wird. Eine Zeit, in der Aufbruchsstimmung allerorts spürbar ist – und in der dieser Begriff der Freiheit ungeahnte Resonanz findet. Die Menschen hoffen auf eine Erneuerung der Kirche, aber auch eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, manche aus Not, andere aus politischem Kalkül, wieder andere aus religiöser Überzeugung.

Wir feiern dieses Reformationsjubiläum in unserer Nordkirche mit großer Freude, und zugleich auch besonnen und nachdenklich, im Wissen um die Ambivalenzen der Reformationsgeschichte und ihrer Folgegeschichte gerade in Deutschland, im Bewusstsein um Brüche und Irrwege, die auch unsere Kirche eingeschlagen hat. 

Martin Luther selbst hat später im Angesicht der Bauernaufstände den Begriff der Freiheit sehr viel zurückhaltender als zu Beginn der Reformation verwendet.

Und wir spüren, wenn wir seine Schriften lesen, im Hinblick auf die erst später erreichten Freiheitsrechte, die uns heute selbstverständlich geworden sind, eben auch den historischen Abstand zwischen seiner Welt und unserer Welt. Ein grundlegender Wandel der mittelalterlichen Ständegesellschaft, die Verwirklichung von Religionsfreiheit, all das war für Luther so nicht vorstellbar. Um des Evangeliums willen musste die Entwicklung hier mit Luther über Luther hinaus gehen.


Liebe Gemeinde,

Freiheit – für uns Deutsche ist das bis heute ein schillernder Begriff in unserer Geschichte. Gerade für viele Protestanten war es ein langer Weg hin zur Akzeptanz und zur Unterstützung der Demokratie. Es war ein langer Weg hin zu einer Kirche, die sich in einer theologisch gesunden Weise kritisch und konstruktiv zum Gemeinwesen ins Verhältnis setzt. Auch noch nach 1945.

Der Geschmack von Freiheit wollte zu vielen nicht schmecken – doch dies hat sich aus meiner Perspektive grundlegend geändert. Davon kann gerade unsere Nordkirche, eine Kirche, die die alten Grenzen von Ost und West überwunden hat, erzählen.

Sie kann davon erzählen, wie jener Schicksalstag der Deutschen, der 9. November, die Welt verändert hat. Er war Tag der Pogrome gegen jüdische Menschen im Jahr 1938. Er war der Tag, an dem im Jahr 1848 die letzten Worte des von Truppen der Gegenrevolution tödlich verwundeten Abgeordneten Robert Blums lauteten „Ich sterbe für die Freiheit"“. Er war der Tag der Novemberrevolution im Jahr 1918, die zuvor mit dem Aufstand Kieler Matrosen begonnen hatte. Und er war der Tag des Mauerfalls im Jahr 1989 – als Ergebnis des friedlichen Protestes, der gerade auch in den Kirchen der ehemaligen DDR begonnen hatte. Dieser Tag zeigt wie wohl kein anderer, wie nahe Unfreiheit und Freiheit beieinander liegen und was Freiheitswille bewirken kann.

Unsere Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, die zu Pfingsten 2012 durch die Fusion dreier Kirchen in Ost und West entstand, ist Folge eines Freiheitswillens, der sich friedlich durchsetzte. Und er eröffnete eine Zeit, in der wir allen Grund zur Hoffnung hatten, dass mehr Partner- und Nachbarschaft in Ost und West möglich werden und in der die Freiheit weltweit mehr als ein reiner Sehnsuchtsbegriff für viele Menschen sein könnte.

Liebe Gemeinde, wir feiern heute Gottesdienst in Sonderburg in zwei Sprachen und ich freue mich ganz besonders, hier den Gottesdienst mitfeiern zu können, denn ausgerechnet heute wurden wir an der Grenze kontrolliert – und ich hatte keinen Ausweis dabei. Aber ich hatte Glück! Ich habe einfach nicht das Gefühl, ins Ausland zu fahren.

So feiern wir Gottesdienst und erinnern uns der Geschichte des Grenzlandes. Ich erinnere mich an den Gottesdienst in dieser Kirche vor drei Jahren im Gedenken an die Schlachten um Dübbel vor 150 Jahren oder an die Volksabstimmung vor fast 100 Jahren. Wie dankbar können wir heute über das gute Miteinander von Minderheit und Mehrheit südlich und nördlich der Grenze sein und für die guten Partnerschaften über die Grenze hinweg! Dabei spielen unsere gemeinsamen lutherischen Wurzeln eine große Rolle.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ – lese ich im Galaterbrief des Apostel Paulus. Die biblische Überlieferung erzählt mehr als einmal, so auch in der Wüstenwanderung des Volkes Israel, von den menschlichen Widerständen gegen die von Gott verheißene und gewährte Freiheit. Und sie ist gerade damit ein scharfer Beobachter unseres Umgangs mit der Freiheit bis heute.

Freiheit – sie anzunehmen, auch wenn die Situation der Kirche in der Gesellschaft, die Situation des einzelnen Menschen in der Welt komplexer wird, ist eine Herausforderung, die auch als Last empfunden werden kann. Ohne Frage.

Denn die Freiheit, die uns geschenkt ist, ist untrennbar mit Verantwortung verbunden, wie der Protestant Joachim Gauck den Deutschen ins Stammbuch geschrieben hat. Freiheit gibt es nur in Verbindung mit einer Haltung, die sich in den Dienst an den Mitmenschen und dieser Welt genommen weiß. Einer Haltung, die auch die Last schwerer Gewissensentscheidungen nicht scheut. Und die in manchen weltgeschichtlichen Situationen, wie den Migrationsbewegungen unserer Zeit, die Einsicht aushält, dass die einfachen Lösungen wahrlich nicht auf der Hand liegen und wir mit unserem Lebensstil mitschuldig sind an dem, was in der Welt geschieht.

„Freiheit“. 

Liebe Schwestern und Brüder, ich habe mich für diesen Begriff entschieden, weil er für mich Inbegriff einer nachdenklichen und zugleich befreiten Auseinandersetzung mit der Reformation ist.

Gott befreit, noch heute. Er befreit zu neuem Anfangen, zu neuem Aufbruch. Er befreit aus Schuld, aus der Angst vor Veränderung und der Sorge davor, dass unsere Zukunft gottverlassen sein könnte. Denn er befreit uns durch Christus, der spricht: „Siehe ich bin bei euch“, in Not und Schuld, in Freude und Aufbruchsstimmung.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ – zu jenem verheißungsvollen Weg, auf dem uns Leben verheißen ist.
Amen.

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