3. Februar 2020 | Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg

"Gemeinsam das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen verkündigen“

03. Februar 2020 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt von Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt zur 56. Ökumenischen Vesper St. Ansgar der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Schwestern und Brüder,

den auf seiner Lebensreise weit gereisten Bischof Ansgar als Prototyp eines modernen Europäers zu bezeichnen, ginge wohl etwas zu weit. Dazu ist uns dieser, heute vor 1155 Jahren gestorbene, erste Bischof dieser Stadt dann doch zu fern. Fern zum Beispiel in seinem sehnlichen, aber unerfüllt gebliebenen Wunsch, in der Nachfolge Christi als Märtyrer zu sterben. Zugleich aber ist uns Ansgar offenbar doch so nah, dass Christenmenschen verschiedener Konfessionen heute seiner gedenken und wir unter seinem Namen gemeinsam unsere ökumenische Vesper feiern.

Was aber macht Ansgar zu einem solch ökumenischen Heiligen? Ist es sein internationaler Lebensweg, der ihn, geboren und aufgewachsen in Frankreich, und von dort aus weiter, immer weiter führte nach Deutschland, nach Dänemark, Schweden, schließlich hierher nach Hamburg und endlich nach Bremen? Manch heutiger europäischer Lebensweg liest sich ähnlich – selbstverständlich unterwegs über Ländergrenzen hinweg. Mutig aufbrechend in neue Lebenswelten. Und unterschiedliche kulturelle Kontexte in sich aufnehmend und verbindend.

Wer dem gegenüber heutzutage stets im eigenen Kontext verbleibt, vielleicht nicht einmal den Schritt über die eigene Heimatstadt oder das Heimatbundesland hinaus wagt, steht nicht nur an Mut und Neugier weit hinter dem ersten Bischof dieser Stadt zurück.

Aber auch die Lebenswege derer, die alles andere als freiwillig ihre Geburtsorte verlassen und sich auf risikoreichen Wegen außer Landes begeben, hinweg über Grenzen, um unmenschlichen Diktaturen und widrigen Lebensumständen zu entkommen, auf der Flucht vor Hunger und Krieg, und auf der Suche nach einer für dieses Leben bleibenden Stadt, nach einer friedlichen Zukunft für Kinder und Kindeskinder, mögen sich verbunden fühlen mit Hamburgs ersten Bischof.

Die Menschen, die Teil der gegenwärtigen weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen sind, haben zwar andere Gründe für ihren Aufbruch als der Heilige Ansgar, aber gemeinsam sind ihnen wie ihm die davor nötigen Grundhaltungen: Der Mut, über Grenzen hinaus zu gehen und Neues im Unbekannten zu wagen. Die Fähigkeit, sich am neuen Ort nicht schrecken und abschrecken zu lassen von denen, die schon immer dort waren und ihnen mit Skepsis und Argwohn begegnen. Die Ahnung, dass es jenseits bekannter und vertrauter Bereiche ein gutes Leben geben kann. Das Vertrauen darauf, dass Aufbrüche gute Perspektiven schenken können – und auch das Wissen, dass es zuweilen besser ist zu gehen, als zu lange zu bleiben. Wie sehr es auch schmerzen mag und wie sehr aller Mut zum Aufbruch auch den Mut der Verzweiflung in sich tragen mag.

Sich in verschiedenen Lebenswelten und kulturellen Kontexten beheimaten, immer wieder neu – vielleicht verbindet viele von uns Heutigen mehr mit dem Heiligen Ansgar als uns auf den ersten Blick bewusst sein mag. Und gerade in diesen Tagen, in denen Großbritannien die europäischen Union verlassen hat, mag uns sein Lebenslauf daran erinnern, dass sich Menschen schon im frühen Mittelalter ganz selbstverständlich in einem europäischen Kontext verstanden und bewegt haben. Bis in die Zeiten, in denen aus- und abgrenzende Nationalismen die politische Bühne erobert und in zerstörerischer Weise beherrscht haben.

Als Christenmenschen werden wir uns mit Ansgar aber wohl insbesondere über den Auftrag verbunden fühlen, den wir mit ihm teilen: „gemeinsam das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen zu verkündigen“, wie es die Charta Oecumenica formuliert. Und das sowohl in Predigt, Unterricht und Seelsorge wie in aktiv wahrgenommener gesellschaftlicher und politischer Verantwortung und in konkreter Hilfe für Menschen in Not. Die Verbundenheit in diesem Auftrag gilt nicht nur hinweg über die Grenzen von Raum und Zeit bis zurück zum Heiligen Ansgar – sie gilt vor allem auch jetzt und hier, sie gilt vor allem für uns.

Denn dieser Auftrag verbindet unsere Kirchen, verbindet uns als Christenmenschen über alle Unterschiede und alles Trennende hinweg. So, wie es Christus im Johannesevangelium erbittet: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich.“

Alle sollen eins sein – was ist mit dieser Einheit gemeint? Sicher nicht, dass alle in gleicher Weise und auf die gleiche Art glauben, ihren Glauben womöglich noch in identischen Liturgien, Formen und Worten ausdrücken. Das wäre Einheitlichkeit, Konformität, aber mit Sicherheit keine Einheit. Die Einheit, um die es im Glauben an Christus geht, meint aber auch kein bloßes Nebeneinander, kein unverbundenes Pluriversum.

Sie sollen eins sein, wie wir eins sind die Einheit, um die es im Glauben geht, soll dem Eins-Sein von Gott und Christus entsprechen. Sie soll also auch ihren angemessenen Ausdruck finden, soll sichtbar werden, erfahrbar sein. Auch in gelebter Mahlgemeinschaft am Tisch des Herrn. Denn in seinem Mahl feiern wir die Versöhnung, die Christus uns durch seine Gegenwart schenkt. Weil sein Mahl ein Mahl der Gemeinschaft mit ihm und deshalb auch ein Mahl der Gemeinschaft untereinander ist, darf es kein Mahl der Trennung sein. Und wo es das dennoch ist, darf es das nicht bleiben. Denn sein Mahl ist das Mahl einer Gemeinschaft, zu der nicht wir einladen und deren Gastgeber nicht wir sind, sondern zu der Christus uns alle einlädt - als unser Versöhner und Gastgeber. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ ( 2. Kor. 5, 20)

Alle sollen eins sein die Einheit der Kirche Jesu Christi verwirklicht sich in gestalteter Vielfalt. In ihr erweist und zeigt sich Christus als Herr seiner Kirche und als wirksamer Grund ihrer Einheit. Oder andersherum gesagt: Die eine Kirche Jesu Christi findet ihren Ausdruck in gestalteter Vielfalt - überall dort, wo wir, noch einmal gesagt mit Worten der Charta Oecumenica „im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort in der Heiligen Schrift und herausgefordert zum Bekenntnis unseres gemeinsamen Glaubens sowie im gemeinsamen Handeln gemäß der erkannten Wahrheit Zeugnis geben von der Liebe und Hoffnung für alle Menschen“ durch Wort und Tat.

„So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich.“ Leib Christi, Verkörperung Christi in dieser Welt, das sind wir immer nur gemeinsam, zusammen, in gestalteter Vielfalt, im schönen und vom Heiligen Geist erfüllten Zusammenspiel. Keine Einzelperson für sich allein und auch keine Konfession, keine Kirche für sich allein verkörpert die Einheit, die die Sendung Christi in diese Welt und seine Liebe zu uns Menschen erkennbar macht. Um es mit Worten des französischen Jesuiten Michel de Certeau zu sagen: „Kein Mensch ist Christ ganz allein, für sich selbst, immer ist man es in Beziehung und in Verbindung mit dem Anderen, in der Offenheit für eine erwünschte und großmütig akzeptierte Differenz.“[1]

Wie gut und wie verbindend, wie entlastend das ist!  Und zugleich: wie viel Aufmerksamkeit und Verantwortung füreinander und für andere erfordert das! Alles ökumenische Miteinander, jedes ökumenische Gespräch, jede theologische Arbeit in ökumenischen Kontext ist auch deshalb untrennbar mit den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verbunden.

Alle sollen eins sein wie Bischof Ansgar auf seiner Lebensreise mit immer neuen Aufbrüchen sind auch wir unterwegs. Gemeinsam unterwegs, unterwegs auf unterschiedlichen Wegen und auf verschiedene Weise, aber aus demselben Grund und mit dem einen Ziel: Der Einheit in Christus – gegründet auf Christus, gerufen durch Christus, eingeladen von Christus an seinen Tisch, zu seinem Mahl, beschenkt mit seinem Heiligen Geist, umhüllt von seiner Liebe.

Alle sollen eins sein vor allen noch zu erfüllenden Aufgaben auf dem Weg zu einer Einheit in gestalteter Vielfalt lasst uns unsere Gemeinschaft als ein Geschenk empfangen. Ein Geschenk Christi, das es zu feiern gilt. Auch heute und hier.

Amen.

 

[1] Michel de Certeau, übersetzt und zitiert von Hadwig Müller, Croire bei Michel de Certeau oder die „Schwachheit zu glauben“. Notizen von der Reise in ein Land, in dem es sich atmen lässt, in: Christian Bauer/ Marco A. Sorace (Hg.), Gott, anderswo? Theologie im Gespräch mit Michel de Certeau, Ostfildern 2019, 107-129, 110.

 

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