Glanz – Hoffnung – Freiheit
25. Oktober 2015
21. Sonntag nach Trinitatis, Predigt über Röm 8,18-25 anlässlich des Endes der bischöflichen Besuchswoche in der Region Gartz/Penkun
Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom im 8. Kapitel, Verse 18 – 25:
„18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“
Liebe Gemeinde!
Eine ganze Woche lang bin ich nun mit einem Team von Begleitern durch Ihre Region gefahren, habe mit den Menschen gesprochen, Kirchengemeinden besucht, Bauernhöfe und Einrichtungen besichtigt, den Nationalpark aufgesucht und ausführlich mit jedem Kirchengemeinderat beraten. Was ist aus der christlichen Botschaft geworden, die vor beinahe 900 Jahren hier zum ersten Mal verkündigt worden ist?
Viele Kriege, Zerstörungen und Auseinandersetzungen sind über die Region gegangen. Ich habe gemerkt: Auch heute wird manchmal von einigen hier gestritten und man macht es sich gegenseitig nicht immer leicht. Aber besonders die Zeit des sog. III. Reiches, der II. Weltkrieg und die Zeit der DDR haben bis heute die Region geprägt. Durch die deutsche Vereinigung 1990 ist Manches in Bewegung gekommen. Neue Betriebe entstanden, alte gingen ein. Der Schengenbeitritt Polens im Dezember 2007 war wohl das letzte wichtige Ereignis, das das Leben in der Region nachhaltig veränderte. Seitdem übt die Metropole Stettin wieder eine große Wirkung auf die Städte und Dörfer dieser Region aus. Polnische Mitbürger ziehen zu und beleben das Land. Und die Kirche?
Die evangelische Kirche hat sich stark umstellen müssen. Früher gehörte fast die gesamte Bevölkerung dazu. Heute sind 37 Kirchengebäude geblieben, aber nur wenige Gemeindeglieder. Wie soll das weitergehen? Schaut man auf die Zahlen, kann es einem Angst und Bange werden. In einem Aufruf der Initiative „Zeit zum Aufstehen“ heißt es: „Wir stehen auf für ein Leben in Hoffnung und gegen jede Form der Resignation, denn unser Glaube erschöpft sich nicht im Diesseits.“
Da sind wir ganz bei dem Apostel Paulus. Wer an Jesus Christus glaubt und getauft wird, bindet sein Leben an das Leben Jesu Christi. Er oder sie bekommt Anteil an Gott, bekommt Gottes Geist geschenkt. Dadurch verändert sich langsam und stetig, aber unaufhaltsam das vergängliche Leben. Ewigkeit, Gottes nicht zu bändigende Kraft, kommt in unser Leben und verwandelt es. Von außen kann man es vielleicht gar nicht wahrnehmen, doch es macht alles anders. Genau das brauchen wir in unserer Welt, in der wir uns fragen, wie es denn in Zukunft werden mag – mit unserer Kirche, mit unserem Land, in das immer mehr Menschen in Not strömen. Unsere Kraft ist doch zu klein. Kann uns der Glaube nicht helfen?
Doch sagt Paulus der Glaube kann helfen. Habt keine Angst. Es geht nicht zu Ende. Am Ende steht in einer armseligen Welt Glanz, in einer schwierigen Lage Hoffnung und angesichts wachsender Abhängigkeiten Freiheit. Glanz, Hoffnung und Freiheit sind die Stichworte, die uns Paulus vorgibt.
I Glanz
Es gibt eine Sehnsucht nach Glanz, vielleicht heute mehr als früher. Man versucht bei öffentlichen Veranstaltungen und im alltäglichen Leben etwas Glanz zu entfalten. Alles soll möglichst schön, ja wenn es geht, prunkvoll gestaltet sein. Show, Glitter und Beleuchtung gehören heute beinahe zu jedem nicht ganz alltäglichen Ereignis. Doch wenn alles glanzvoll und herrlich sein soll, dann ist es schnell unecht und billig, oberflächlich und kitschig. Glanz zeichnet dann nicht nur die besonderen Spitzen aus. Wer hinter die Fassade guckt, der sieht, wie es vielen Menschen ums Herz ist. Häufig ist es dort dunkel, weil Krankheiten unser Leben belasten. Wir sind betrübt, weil Spannungen in unseren Beziehungen eine Unsicherheit in unser Leben bringen. Wir sind ängstlich, weil wir merken, wie die Grundvoraussetzungen des Lebens, die Natur, durch menschliches Handeln infrage gestellt wird.
Die dunkle Seite des Lebens gehört zum Leben hinzu. In dieser Welt wird gelitten. In meinem Beruf als Pastor habe ich es häufig mit leidenden Menschen zu tun. Der Besuch am Sterbebett, der Versuch, Konflikte zu schlichten und Verletzungen zu heilen und der Blick auf Gottes Schöpfung, alles das zeigt mir, wie in dieser Welt gelitten wird, wie Menschen sich Leiden zufügen und wie sie die ganze Welt in dieses Leid mit hinein ziehen.
Da sagt der Apostel Paulus, dass er davon felsenfest überzeugt ist, „dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber dem kommenden Glanz“. Wo Luther Herrlichkeit übersetzt, ist eine Ausstrahlung, ein Glanz gemeint, der unbeschreiblich ist. Wo Gott ist, da geht ein Glanz aus, den diese Welt sonst nicht kennt.
„Ja“, sagt der Apostel Paulus, „wenn ich von etwas überzeugt bin, dann davon, dass alles Leiden jetzt nichts ist angesichts der zukünftigen Herrlichkeit. Gottes zukünftige Welt wird erfüllt sein von einem Glanz, den wir jetzt noch nicht haben, auf den hin wir aber angelegt sind. Wir sind mit der ganzen Schöpfung so geschaffen, dass wir Erlösung brauchen.“
Zum Leiden der Schöpfung tritt als beeinträchtigende Bestimmung die Vergänglichkeit hinzu. Alles vergeht! Die Menschen, die wir lieben; das Land, das uns Heimat gibt; die Zeit, die uns so kostbar scheint; die Arbeit, aus der wir unsere Selbstbestätigung ziehen; die Kirche, wie wir sie geliebt haben. Alles vergeht! Leben heißt Vergänglichkeit, heißt Sterblichkeit, heißt Tod. Nichts können wir festhalten. Alles wird uns einmal genommen werden. Wir haben eine Sehnsucht nach Glanz, aber wir leiden unter der Vergänglichkeit. Und auch in der Kirche ist so vieles vergangen.
II Hoffnung
Aber die Vergänglichkeit ist nicht das Letzte. Indem wir an der Vergänglichkeit leiden, keimt die Hoffnung. Indem wir uns nach Ewigkeit sehnen, wächst die Zuversicht, dass die Ewigkeit kommen möge.
Natürlich kennen wir die Religionskritik, die diese Sehnsucht als ein Wunschdenken entlarven will. 40 Jahre lang ist diese Religionskritik Groß und Klein eingehämmert worden. Sie sagt: Religion ist eine Projektion unserer Sehnsüchte in den Himmel (Ludwig Feuerbach und Karl Marx). Das was ihr euch wünscht, das erklärt ihr zu den Inhalten des Glaubens. Das ist doch alles bloß erfunden. Das ist doch gar nicht wahr! – Ich habe meine Gesprächspartner, auch die nichtkirchlichen, für heute in diesen Gottesdienst eingeladen. Und viele, sehr viele – wie man sieht – sind ja auch gekommen. Aber manchmal kam auch heftige Abwehr: „Nein, in eine Kirche gehe ich nicht!“ Es gibt nicht wenige in dieser Region Gartz – Penkun, bei denen bis heute die Ablehnung des Glaubens ganz tief sitzt. Einmal in der DDR gelernt und bis heute beibehalten. Aber die andere Haltung habe ich auch reichlich getroffen: Menschen, die von Gott etwas erwarten, die seit Jahrzehnten sich nach Kräften für die Menschen ihrer Region und für die Kirche einsetzen.
Die Sehnsucht nach Ewigkeit ist da, weil sie uns für Gott offen hält. Sehnsucht ist die Form, in der wir den Geschmack auf Ewigkeit spüren können. So hat Gott uns geschaffen, damit wir seine Mitteilung an uns, seine Offenbarung aufnehmen können. Um Gott und die Ewigkeit zu schmecken, hat Gott uns diese Sehnsucht ins Herz gelegt. In Prediger 3, 11 heißt es: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er den Menschen die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“ Gott hat uns so geschaffen, damit wir seine Mitteilung an uns, seine Offenbarung, aufnehmen können.
In Jesus Christus erschließt sich Gott dem Menschen. Hier sehen wir Gott, wie er wirklich ist. Ja, diese Sehnsucht könnte ein Versuch der Selbstvertröstung sein, wenn nicht Jesus Christus in uns diesen kräftigen Grund der Hoffnung gelegt hätte. Gerade angesichts des Todes erinnern wir uns daran, dass Jesus Christus zwar auch gestorben ist, ihn der Vater, Gott, aber wieder von den Toten auferweckt hat. Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist der Kern unserer Hoffnung. Wir glauben nicht an die Ewigkeit, weil Energie nie vergeht, sondern weil Christus nach dem Tod wiedergekommen ist. Daraus wächst Hoffnung auf eine Aufhebung der Vergänglichkeit. Es gibt ein Leben nach dem Tod. Glaube heißt, diesem Leben trotz des Todes zu vertrauen. Glaube heißt, wegen Christus nicht zu verzweifeln. Wir haben eine Hoffnung auf ewiges Leben. Aber in dieser Welt wird noch gelitten und gestorben.
Durch den Glauben kommt die Kraft Jesu in unser Leben hinein. Der Glaube verwandelt uns. Hoffnung bedeutet, mit der Wandlungsfähigkeit unseres Lebens zu rechnen. Wie Menschen durch die Liebe Gottes verwandelt werden, habe ich bei manchen Gesprächen während der Besuchswoche wahrgenommen. Nehmen wir z.B. das alle bewegende Thema Flüchtlinge. Ja, da wird manchmal ängstlich die Frage gestellt, was denn mit den Dörfern und Städten passiert, wenn jetzt vielleicht viele Muslime kommen. Und nach dem Krieg, da hätten zwar auch Tausende Flüchtlinge hier eine neue Heimat gefunden, aber das seien doch auch alles Deutsche gewesen. Aber in unseren Gemeinden herrscht trotzdem die Meinung vor, mit Gottvertrauen und Nächstenliebe sei eine Zuwanderung zu schaffen. „30 000 könnten wir wohl aufnehmen“, sagte mir ein älterer Mann. (Das scheint selbst mir, der ich optimistisch bin, etwas viel!) „Bei den polnischen Mitbürgern hatten wir auch zunächst Bedenken, ob das gut geht“, sagten andere. Aber am Ende sind sie eine Bereicherung für unsere Dörfer geworden. Die evangelischen Gemeinden sind Brutstätten der Hoffnung. Da sammeln sich viele, die weder die Region aufgeben noch vor den Herausforderungen verzweifeln. Als Christen leben wir aus der Hoffnung des Glaubens.
III Freiheit
Wer durch Glaube und Taufe mit Christus verbunden ist, hat den Menschen gegenüber eine wunderbare Freiheit. In der Bindung an Jesus Christus haben wir unzerstörbares Leben in Ewigkeit. Was können uns da noch Menschen tun? Paulus spricht von der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (V. 21).
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir Zeiten des Leidens und des Sterbens aushalten müssen. Aber Zerbrechen und Sterben sind nicht das Letzte. Am Ende steht die Ganzheit. Ganz am Ende wartet ein liebender Jesus Christus auf uns. Der Glaube an Jesus Christus befreit von der Versklavung an vermeintlichen Notwendigkeiten. Die Knechtschaft der Vergänglichkeit wird zur glanzvollen Freiheit der Kinder Gottes. Gott schenkt uns eine ganz neue Freiheit. Das dürfen wir auch auf die Kirche beziehen. Wir können in aller Freiheit unsere Kirche zu dem machen, zu dem Gott sie haben will, auch wenn es nicht immer einfach ist. Wir müssen gewiss durch viele Veränderungen, aber am Ende steht eine erneuerte Kirche. Anfänge dieser neuen Kirche habe ich in diesen Tagen hier in der Region Gartz – Penkun gesehen. Und es wird weiter gehen. Im gemeinsamen Leben mit Jesus Christus warten Glanz, Hoffnung und Freiheit auf uns. Suchen Sie in der Arbeit unserer Kirche diesen Jesus. Es ist nie zu spät, Zeichen dieser Freiheit, die nur Gott schenkt, unter uns aufzurichten. Es ist nie zu spät, unser vergängliches Leben aus der Gemeinschaft mit Christus zu erneuern. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.