19. Oktober 2014 | Dom zu Lübeck

Glaube hat Konsequenzen

19. Oktober 2014 von Gerhard Ulrich

18. Sonntag, n. Trinitatis, Predigt zu 2. Mose 20, 1-17

Liebe Gemeinde!

I

„Das Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass

der auch seinen Bruder liebt!“ –

Dass der Glaube Konsequenzen hat, ist das Thema dieses Sonntags. Dass Gottesliebe und Nächstenliebe zusammengehören, davon redet Jesus eindringlich zu seinen Jüngern und zu denen, die ihn befragen und provozieren. Dass der Glaube nicht ins Hinterstübchen des Gewissens nur gehört, kein schmückendes, kulturelles Beiwerk ist, davon erzählt die Schrift.

Eine bemerkenswerte Debatte läuft, seit es um die Frage des Gottesbezuges in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein geht. Schon im Vorfeld der Landtagsentscheidung war die Diskussionslage  unübersichtlich: Kirche und Staat wurden thematisiert – als ginge es beim Gottesbezug um die Zukunft der Kirchen; Aufklärung und Gottesferne; Kirchensteuer und Freiheit, das alles spielt mit. Und natürlich durfte das christliche Abendland nicht fehlen, das für einige wieder einmal vor dem Untergang steht, für andere dagegen ein längst erledigter Irrtum der Geschichte ist.

Und immer wieder der Hinweis: „Glaube ist Privatsache“. Das ginge niemanden etwas an. Und viele von denen, die das sagen, sind dieselben, die nun aufschreien, weil wir als Evangelische Kirche nicht gleich mit Unterschriftenlisten gegen den ablehnenden Beschluss des Landtags vorgehen. Mischt euch ein, seid nicht feige! – schallt es uns entgegen.

„Die vier Buchstaben trage ich in meinem Herzen“, sprach eindrücklich eine Abgeordnete, eine überzeugte Christin, darum müsse Gott nicht in der Verfassung stehen.

Ja, sage ich, das stimmt: aber die müssen da doch irgendwie hinein gekommen sein, die vier Buchstaben: G-o-t-t. Es muss jemanden geben, der Gott in die Herzen bringt, der von ihm erzählt, singt und lehrt; der nach seinen Geboten lebt und Vorbild ist im Tun. Der sich nicht damit zufrieden gibt, in seinem Herzen zu tragen, was da ist an Glaube, Hoffnung, Liebe. Und irgendwann will es wieder heraus: will das Herz ausgeschüttet sein, damit die Welt Gott sieht.

Liebe Gemeinde, die Nordkirche hat sich deutlich  dafür eingesetzt, dass der Gottesbezug in die Verfassung des Landes geschrieben wird. Und wir haben gesagt: das ist nicht eine Angelegenheit der Kirchen allein; das ist ein Grundprinzip des menschlichen Handelns, dass der Mensch die Kraft seines Tuns und Lassens aus einer Macht bezieht, die höher ist als die menschliche Vernunft. Dass wir von Grundüberzeugungen leben, die wir nicht stets neu verabreden müssen. Es ist nicht gut, dass die Mehrheit nicht zustande gekommen ist.

Aber was die Debatte zeigt, ist ein Dilemma, das sehr viel tiefer sitzt, als dass man es mit einer Unterschriftenliste auflösen könnte. Es ist die Gott-Vergessenheit in weiten Teilen der Gesellschaft, es ist ein eklatantes Nichtwissen um die Grundlagen unseres Lebens, die wir uns nicht selber schaffen.

Es ist die Mission der Kirchen, dass sie Gott bekannt machen in der Welt, ihn in die Herzen bringt. Dass sie laut bezeugen, was uns ins Herz geschrieben ist. So geschieht es Sonntag für Sonntag. Und ich wünschte, dass alle Leserbriefschreiber ihr Engagement für den Gottesbezug dadurch bezeugen würden, dass sie sich eingliedern in die Schar derer, die da feiern ihren Gott und groß machen seinen Namen! Darin müssen wir uns kritisch befragen als große Volksbewegung, die täglich in Unterricht und Seelsorge, in Diakonie und Gemeinden, zumal in ihren Gottesdiensten davon spricht, was es heißt, wenn Gott in der Gesellschaft zu Hause ist und das Leben regiert: ob wir in der Bezeugung der frohen Botschaft zu mutlos sind und zu ängstlich.

Darin hat die Kirche ihre Mission wahrzunehmen: dass Jesus Christus bekannt gemacht wird.

Selbstverständlich: Glaube ist keine Privatsache. Er will das Handeln der Menschen bestimmen, will abzulesen sein in der Verfassung, in der sich diese Gesellschaft insgesamt befindet.

Die Gottvergessenheit ist nicht beseitigt, indem ein Satz in einer Verfassung erinnert an Gott, sondern indem das Tun und Lassen der Menschen Gott aktiv ins Spiel bringt. Wenn fromme Menschen aus ihren Herzen keine Mördergrube machen…

Darum erinnert uns einer der Texte dieses Sonntags an eine Grundlage menschlichen Zusammenlebens, an eine Verfassung, die innere Grundlage vieler Verfassungen ist von Staaten dieser Welt – von Gott gestiftet und eingesetzt:

II

„Gott redete alle diese Worte“: „Ich bin der Herr, dein Gott…du sollst keine anderen Götter haben neben mir …du sollst dir kein Bildnis machen…du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen…du sollst den Feiertag heiligen…du sollst Vater und Mutter ehren…du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsch Zeugnis reden; du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus und auch nicht deines Nächsten Weib, Knecht…und alles, was dein Nächster hat…“ – Die Zehn Gebote – Allgemeingut unserer jüdisch-christlich geprägten Kultur. Grundwerte, auf die man sich nicht immer neu einigen muss. So scheint es, denn die 10 Gebote unterscheiden ja Gut und Böse; sie bringen auf den Punkt, was dem Leben dient und was nicht.

Aber: um Himmels Willen, leider ist es nicht so, dass diese Grundregeln menschlichen Zusammenlebens immer und überall bekannt und eingehalten werden würden; weder im Kleinen noch im Großen. Bei Wir stecken immer wieder im Dilemma genau „zwischen“ den Geboten – in diesen Monaten und Wochen ganz besonders mit Blick auf die entsetzlichen Gräueltaten, die von den Todesschwadronen des so genannten „Islamischen Staates“ in Syrien und im Norden des Irak verübt werden. Unsere Hilflosigkeit und das Dilemma, in dem wir stecken, hat ein Symbol in diesen Tagen – es ist die schreckliche Lage der Menschen in und um die kurdische Grenzstadt Kobane: „Du sollst nicht töten!“ – sagt die Heilige Schrift! Schauen wir weg – oder greifen wir ein – und wenn, dann wie?; hören wir hin – oder verschließen die Ohren vor den Schreien der Verzweifelten; ist das nicht eine teuflische Szene, wenn da die Panzer der türkischen Armee aufgereiht still stehen, während die Schlinge immer enger um den Hals der Eingeschlossenen gezogen wird: Du sollst nicht töten – ja, das kann aber ebenso heißen: Du sollst nicht töten lassen, sondern helfen!

III

„Gott redete alle diese Worte: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir…du sollst dir kein Bildnis machen…du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen…“

Zu allererst redet Gott von sich selbst: „ich bin der Herr, dein Gott…“ – das ist die Überschrift über dem Ganzen, das ist sozusagen der Refrain zu jedem einzelnen Gebot.

Über allem: Gott selbst. Gott, der Befreier, der herausgeführt hat das Volk, ein eifernder Gott, dem nicht egal ist, was mit seinen Geschöpfen geschieht. Egal ist ihm nicht sein erwähltes Volk Israel – und egal ist diesem Gott nichts und niemand! Sondern: Jeder Mensch mit seiner unantastbaren Würde ist Gott unendlich wichtig!

Aus Ägypten hat er uns nicht herausgeführt, aber aus so mancher Knechtschaft und Gefangenschaft. Ich bin der Herr, dein Gott, der dir Frieden und Wohlstand schenkt. Den sollst du aber teilen! Ich bin der Herr, dein Gott, der die Mauer, die das Volk zerteilte, zerbrochen hat vor nun 25 Jahren. Diese Freiheit sollst du weiter tragen. Ich bin der Herr, dein Gott, der dich unzählige Male aus den Gefängnissen geholt hat deiner Angst und Sorge, wie auch immer sie geheißen haben – Schmerz, Krankheit, Einsamkeit, Schuld. Schau auf deinen Befreier und hör’ hin, was er sagt: ich bin der Herr, dein Gott, ich führe dich. Ich gehe vor dir her! Dazu hat sich der Befreier selbst in die Knechtschaft begeben, damit wir frei sein können! Von ihm ist zu lernen, was Freiheit ist: er war und ist so frei, sich mit allen möglichen und unmöglichen Leuten an einen Tisch zu setzen – auch mit denen, die nicht tun oder tun können wie sie sollen! Er will alle mitnehmen in das Land der Freiheit, wie fromm oder wie zweifelnd auch immer – tausendfach barmherzig! Er ist so frei, seine Liebe, ohne Wenn und Aber zu verschenken, fragt nicht nach Schuld und Versagen. Wo er ist, da werden Menschen frei von all den eigenen inneren Ordnungen und Überzeugungen, von all den Göttern, von kleinkarierten Gesetzen, so dass sie fragen: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ – so, liebe Gemeinde fragt der Schriftgelehrte im Evangeliumstext, den wir gehört haben eben.

IV

„Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Diese Lebens-Frage steht nicht im Widerspruch zur Freiheit, sondern ermöglicht und begründet sie, liebe Gemeinde! Denn Freiheit braucht Bindung. Um frei zu sein, müssen wir wissen, worauf wir uns beziehen können. Freiheit ist nicht zu haben ohne Verantwortung: für mich, für die Welt, für die Freiheit der Unfreien, für die, denen vorenthalten wird, was sie zum Leben brauchen; für die, die in ihrer Würde verletzt werden; gegen die, die Leben töten und zerstören! Nicht, weil wir Helden sind, sondern weil es um Gott geht, der in allen Menschen sein Ebenbild schafft und weil in jedem Menschen Gott selbst geliebt oder gehasst, verehrt oder erniedrigt wird.

Gott spricht jeden Menschen direkt an auf das Gute: „Du sollst“. Du sollst dem einen und einzigen Gott die Ehre geben. Du sollst Ehrfurcht haben vor dem Leben. Du sollst nicht stehlen und begehren. Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst! –Und indem Gott so spricht, sagt er: du kannst. Du kannst, was du sollst. Und plötzlich erscheinen die Gebote in einem anderen Licht. Nicht mehr „Du sollst“ steht da einklagend, sondern, richtig aus dem Hebräischen übersetzt: „Du wirst oder: Du wirst nicht“. Keine Festlegung auf das Böse, keine tragische Verstrickung, keine unüberwindliche Macht der Verhältnisse, keine genetische Bestimmung. Nichts kann uns die Freiheit zum Guten nehmen, wenn Gott uns direkt anspricht. Nicht nur eine Zumutung sind die Gebote Gottes, sondern zu allererst ein Zutrauen Gottes in uns. Das ist die frohe Botschaft: Gott hat in uns gelegt nicht nur die Möglichkeit des Bösen, sondern vor allem die Kraft zum Guten. Die Kraft und die Macht der Liebe.

Du, Mensch, kannst die Älteren achten, kannst treu sein in Partnerschaft und Ehe, kannst der Versuchung, Menschenleben auszulöschen, widerstehen. Du musst dir nicht mit Lüge und hinterhältiger Gemeinheit deinen Vorteil sichern und kannst dem anderen das Seine lassen, denn du hast ja selbst genug. Das ist eine Heraus-Forderung: Du sollst, was du kannst, wollen – dazu macht Gott frei, dazu tut er selbst, was er kann!

V

Darum ist der Glaube keine Privatsache. Darum wird, wer Gott in seinem Herzen trägt, den Mund auftun für Schwache und Elende, für Flüchtlinge wird er die Tür öffnen und die Fremden wird er einlassen. Er wird teilen, was er hat und wovon er leben darf: die Fülle. Er wird sich nicht zufriedengeben mit Hass und Gewalt, wird dem Morden und Töten nicht das letzte Wort überlassen.

Wenn wir das begriffen haben, aus dieser Quelle der Weisheit Kraft schöpfen – im Politischen wie im Privaten – dann haben wir Gott in unseren Herzen nicht nur, sondern in der Verfassung.  Dann sind wir eine Gesellschaft, die weiß, dass sie sich nicht sich selber verdankt. Dann ist Demut ihre Stärke. Etwas davon haben wir am Erntedank-Sonntag hier mitten in Lübeck auf dem Marktplatz erlebt. Da haben wir beim  Open-Air-Gottesdienst zur Eröffnung der Aktion „Konfis backen 5000 Brote für Brot für die Welt“ Gott angesagt und ihm Dank gesagt für die Fülle, die wir haben, andere aber nicht, mitten im Trubel an einem der verkaufsoffenen Sonntage in dieser Stadt: Ein öffentlicher Dank war das an Gott, den Schöpfer und Erhalter des Lebens – nicht nur für uns Christenmenschen, sondern für alle Menschen. Die Jugendlichen machen vor, was es heißt, Freude an dem Gebot zu haben, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder lieben soll. Der Glaube versteckt sich nicht, er igelt sich nicht ein – sondern der Glaube der Christenmenschen ist eine öffentliche und ansteckende Sache im besten Sinne. Darum feiern wir Gottesdienst am, damit unter die Leute kommt das Evangelium von Gott, dem Befreier! Das ist unsere Mission. Und das ist nicht feige, sondern frei – mutig!

“Und Gott redete alle diese Worte“. Hier in unseren Gottesdiensten ist die Rede von dem, der befreit hat und der uns geleitet, der mit uns ist auf unseren Wegen; der uns zutraut das Gute und der Barmherzigkeit übt mit denen, die ihm folgen.

Wenn wir wieder und wieder den sehen und hören, der befreit und der eifert, dann können wir miteinander einüben das gute Leben. Weil wir uns „Auf!“-machen für Gott, darum werden wir schätzen, was Gott uns zugedacht hat und dem Nächsten: Leben die Fülle! Du sollst – weil du kannst! Amen.

Lied nach der Predigt: EG 420

Datum
19.10.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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