16. Oktober 2019 | St.-Georgen-Kirche Waren

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit

16. Oktober 2019 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigtimpuls im Ökumenischen Gottesdienst im Rahmen der Festveranstaltung des Landes „30 Jahre friedliche Revolution in Mecklenburg-Vorpommern“ in Waren (Müritz) zu 2. Timotheus 1,7

Es gilt das gesprochene Wort.

„Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7)

Eine Kerze anzünden, das kann ein alltägliches Ritual sein. Beim Frühstück am noch dunklen Morgen. Oder am Abend, bei Gesprächen in trauter Runde: Musik, Brot und Wein, eine Tasse Tee. Und das Licht der Kerze spendet Wärme, Frieden, Geborgenheit.

Eine Kerze anzünden, das kann ein revolutionärer Akt sein. In einer friedlichen Revolution. Wie vor 30 Jahren, hier in Waren, bei der ersten friedlichen Demonstration im heutigen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

Eine Kerze anzünden, zuerst bei Treffen und Gesprächen in kleiner Runde. Im Pfarrhaus, in der Kirche, in Wohnungen. Offene Gesichter und klare Worte. Sich nicht mehr verbiegen lassen und endlich das Schweigen brechen. „Die Zeit des Schweigens ist vorbei...“ Und dann, endlich, mit Mut im Blick, mancher Angst im Herzen und Kerzen in den Händen, hinaus auf die Straße. Sich Würde und Freiheit erobern, gemeinsam mit all den anderen. „Für ein offenes Land mit freien Menschen…“

Der innere Prozess, den es brauchte, um 1989 mit Kerzen in den Händen loszugehen, begann schon Jahre und Jahrzehnte zuvor. Bei denen, die sich in Friedens- und Umweltgruppen trafen, in Kirchen und Gemeindehäusern, in privaten Wohnungen. Die diese offenen Räume nutzten, um eine noch unbekannte Freiheit zu erproben. Die im Frühjahr 1989 bei den Kommunalwahlen in der DDR als Wahlbeobachter Wahlfälschungen öffentlich gemacht haben. Die das widerspruchslose Einstimmen in staatliche Parolen durchbrochen und frei geredet haben – wohl wissend, das mitunter auch die mithörten, die sie im Auftrag von Staat und Partei bespitzeln und „zersetzen“ sollten.

Ich sehe mit Dankbarkeit und großem Respekt auf alle, die damals losgegangen sind. Die sich stark gemacht haben für das, was dem Leben und der Zukunft aller Menschen dient: Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung von Gottes Schöpfung. Die sich und anderen Freiheit und Menschenwürde unter hohem persönlichen Einsatz erkämpft und mit hohem persönlichen Risiko erobert haben. Eine Freundin hat mir erzählt: „Bevor wir zur Demonstration gegangen sind, haben wir immer zu Hause einen Zettel auf den Küchentisch gelegt. Darauf stand, wer sich der Kinder annehmen sollte, falls wir verhaftet werden würden.“

Was für eine Schilderung! Sie macht die Gefahr und das Risiko deutlich, aber auch: Ja, es ist möglich: Angst und Furcht hinter sich lassen, weil die Hoffnung vor einem liegt. Es ist möglich, darauf zu vertrauen, was in der Bibel so beschrieben wird: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“

Denn Gottes Geist weckt keinen Untertanengeist. Sondern Gottes Geist schenkt Freiheit. Nicht gedankenlose Freiheit von, sondern verantwortliche Freiheit für: für Gebundenheit an Gottes Liebe, seinen Frieden, seine Gerechtigkeit. Für Nächstenliebe, Barmherzigkeit. Für einen aufmerksamen und respektvollen Umgang miteinander. Dafür weckt Gottes Geist in jedem und jeder von uns ungeahnte Kräfte und Gaben – „die Gabe Gottes, die in dir ist,“ so heißt es in der Bibel. Die Gabe Gottes, die in dir ist, die dir mitgegeben und geschenkt ist: für dich selbst, für dein Leben – und für das Zusammenleben aller Menschen. Denn Gottes geliebte Geschöpfe – das sind wir alle auf dieser Erde.

II

Eine Kerze anzünden, das kann ein alltägliches Ritual sein. Oder ein revolutionärer Akt in einer friedlichen Revolution. Auch vor einer Woche wurden in unserem Land Kerzen entzündet. Vor der Synagoge in Halle. Vor den Synagogen in Rostock, in Lübeck und Potsdam, und an vielen Orten in unserem Land. Dieses Mal standen die Kerzen für das, was viele seitdem bewegt und beschäftigt: Trauer, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Mitgefühl mit den Angehörigen der Getöteten und mit den Verletzten. Solidarität und Verbundenheit mit den Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Glaubens, gegen die der rechtsextrem, antisemitisch und rassistisch motivierte Anschlag von Halle gerichtet war.

Vor 30 Jahren sind hier in Waren Menschen mit Kerzen in den Händen auf die Straße gegangen, weil sie in einer Diktatur einstanden für das, was ihnen verweigert wurde: Für Grundrechte, Menschenrechte und Freiheit. Gegen Unterdrückung und Angst. Für „ein offenes Land mit freien Menschen…“ Worte, die damals auf Transparenten standen und die künftig beim Erinnerungszeichen für die Friedliche Revolution hier in dieser Stadt zu lesen sein werden.

Heute erinnern wir uns an dieses historische Datum, an seine Bedeutung und Relevanz. Aber: Die Diktatur von damals ist überwunden. Wir leben in einer Demokratie. Heute geht es nicht darum, sich Freiheit und Menschenrechte erkämpfen zu müssen. Heute geht es darum, Freiheit und Menschenrechte in der Demokratie vor ihren Gegnern zu schützen. Es geht darum, sich einzusetzen für die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen, unabhängig davon, was sie glauben, unabhängig davon, woher sie kommen, unabhängig davon, ob sie viel oder wenig haben. Sich einzusetzen dafür, dass wir in Frieden zusammenleben – ohne dass Einzelne oder ganze Gruppen von Menschen Angst haben müssen, ohne dass sie verächtlich gemacht oder bedroht werden.

Wenn wir gleich den Kerzenweg von vor 30 Jahren gehen, dann trage ich meine Kerze mit Dankbarkeit, mit Respekt und Hochachtung für die, die damals ihre Angst hinter sich gelassen haben. Die das Kerzenlicht der Hoffnung aus der Kirche vor sich her auf die Straße getragen haben. Die sich und anderen Freiheit, Menschen- und Grundrechte erobert haben. In der Friedlichen Revolution.

Und ich trage sie dafür, dass wir nicht nur heute öffentlich zusammenstehen, deutlich und klar eintreten für Nächstenliebe und Barmherzigkeit, für Freiheit, für Menschenwürde und Menschenrechte aller Menschen. Dafür, dass wir die Straße, die Öffentlichkeit, die Politik, die sozialen Netzwerke nicht denen überlassen, die Hass und Hetze propagieren, die andere missachten und bedrohen, die vor Gewalt und Mord nicht zurückschrecken. Sondern dass wir einstehen für ein friedliches und vielfältiges Zusammenleben in unserem Land.

Eine Kerze anzünden und das Licht der Hoffnung vor sich her aus der Kirche auf die Straße tragen, das ist auch heute ein wichtiges Zeichen. Für eine Veränderung unserer Welt aus dem Geist der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit, des Friedens und der Liebe. Gotte möge uns stärken, all das unter uns groß werden zu lassen. Denn: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Amen.

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