Gott ins Gebet nehmen – in Moll und Dur
11. Dezember 2015
Predigt im Festgottesdienst zur Orgelweihe in Süderlügum
„Du sollst anbeten vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat.“
(5. Mose 26,10+11)
Liebe Festgemeinde,
„Du sollst anbeten vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat.“
– einmal mehr passt das biblische Leitwort aus dem 5. Buch Mose, das dem heutigen Tag zugelost worden ist, wunderbar zu dem Anlass, der uns heute zusammenführt. Wir haben Grund fröhlich zu sein! Wir freuen uns über den frischen Klang der Marcussen-Orgel und sind Ihnen, liebes Ehepaar Hansen, dankbar, dass Sie diesen Orgelneubau möglich gemacht haben. Sie haben Ihrer Verbundenheit mit diesem Gotteshaus und dem darin beheimateten Leben Ausdruck verliehen – und mit dem neuen Instrument ist ja ein wesentlicher Grundstein dafür gelegt, dass die Freude an der Musik in dieser Gemeinde lebendig bleibt. Und neben dieser Freude natürlich auch all das, was die Musik in unseren Gottesdiensten und Konzerten darüber hinaus vermag: sie tröstet, sie richtet Menschen auf, sie versetzt uns in Bewegung, und sie macht uns nachdenklich. Und vor allem: sie lässt uns singen.
„Du sollst anbeten …“ – unsere Lieder sind nichts anderes als gesungene Gebete. Wir haben gerade erlebt, wie sehr unser Gesang an Halt gewinnt, wenn er von der Orgel begleitet und getragen wird. Es ist kaum ein Zufall, dass der Gesang in unseren Kirchen von einem atmenden Instrument begleitet wird. Die Orgel lebt ja davon, dass die Luft den Klang in den einzelnen Pfeifen erzeugt, die sich dann zu Chören zusammenschließen. Ihre Klangvielfalt ist so reich wie ein ganzes Orchester. Das macht ihre Faszination aus und hat ihr zu Recht den Titel „Königin der Instrumente“ eingebracht. Gerade als Instrument, das in unserer Zeit etwas fremd daher kommt und schon einige Jahrhunderte hinter sich hat, trägt die Orgel dazu bei, dass unsere Kirche bei ihrer Sache bleibt. Und zugleich wissen und hören wir, dass auch moderne Klänge eine Heimat an der Orgel haben. Sie ist ein Instrument, das in unserer Kirche Zukunft hat, und ohne das ich mir eine kirchliche Zukunft nicht vorstellen mag. Man kann Lieder auch mit anderen Instrumenten begleiten oder a capella singen, keine Frage. Doch es gehört nicht nur für mich eben auch der Orgelklang unbedingt dazu.
Die Musik ist ein wesentlicher Teil unserer Gottesdienste. Sie nimmt uns hinein in das große Geschehen der Begegnung von Gott und Mensch, in dem beide zu Wort kommen. Wir hören, was Gott zu sagen hat – und wir sprechen aus, was uns bewegt. Die Musik trägt Gottes Worte bis in unser Innerstes hinein. Sie bringt die biblische Überlieferung und die unterschiedlichsten Sprachschöpfungen der Kirchengeschichte zum Klingen. Sie verleiht ihnen Nachdruck. Und auch des Menschen Antwort ist musikalisch: in manchen Momenten werden nachdenkliche oder klagende Töne angestimmt, in anderen das fröhliche, unbeschwerte Gotteslob. Von der Taufe bis zur Trauerfeier, vom 1. Advent über den Heiligen Abend bis hin zum Ewigkeitssonntag kommen Menschen zusammen und finden in der Musik Ausdrucksformen für das, was ihnen auf dem Herzen liegt. Nicht selten ist es gerade die Musik, die Menschen in unsere Kirchen führt – und die eine Heimat für sie darstellt.
In den vergangenen Tagen habe ich in Paris an kirchlichen Veranstaltungen zur Weltklimakonferenz teilgenommen. Im Mittelpunkt stand ein großer ökumenischer Gottesdienst in Notre Dame unter Beteiligung aller christlicher Kirchen, in dem es um Ermutigung und Fürbitte für die Verantwortlichen der Klimakonferenz ging. Und auch dort wurden durch ganz unterschiedliche Worte, durch die Orgel und verschiedene Chöre und Gemeindegesang das Staunen über die Schönheit der Schöpfung und ihren Reichtum, die Ermutigung zu Umkehr und mehr Klimagerechtigkeit und auch die Trauer über die Opfer der Anschläge von Paris zum Ausdruck gebracht. Und da ich aus dieser Gemeinde immer wieder Jugendliche getroffen habe, die sich an dem Projekt Klimasail beteiligen, sollt Ihr wissen, dass unser gemeinsames Anliegen auch aus christlicher Perspektive in Paris in Wort und Musik artikuliert und in Diskussionen eingebracht wird.
Liebe Gemeinde, eine unmusikalische Kirche kann und will ich mir nicht vorstellen – „Du sollst anbeten“ – du sollst Gott klingend ins Gebet nehmen, in Moll und Dur, offen und ehrlich heraus. Du sollst ihm entgegensingen, wie es um dich steht, und manchmal, wenn dir die Worte fehlen, wirst du dich in der Sprache der Musik doch aufgehoben wissen.
„Du sollst anbeten vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat.“
Diese Worte passen einfach zu dem heutigen Festtag. Doch es ist auf den zweiten Blick auch hilfreich, einen Blick in den Zusammenhang zu werfen, in dem diese Gedanken zu finden sind. Sie stammen aus dem 5. Buch Mose. Noch ehe das Volk Israel das gelobte Land erreicht, werden seine Frauen und Männer von Mose ins Gebet genommen. Er verkündet eine Ordnung, die unter ihnen gelten soll. Und es ist bis heute immer wieder bemerkenswert, welche Sensibilität sich damals besonders auf das soziale Miteinander richtet.
„Du sollst anbeten vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat, du und der Levit und der Fremdling, der bei dir lebt.“ So heißt es vollständig. Wenn heute viel von Integration als Aufgabe und Herausforderung gesprochen wird, dann hören wir hier, dass genau das auch schon damals Thema war. Das Volk der befreiten Sklaven wird eindringlich an seine eigenen Erfahrungen erinnert. Denkt daran, auch später, wenn es euch gut geht, dass ihr einst selbst in der Fremde gelebt habt! Vergesst nicht, wie es sich anfühlt, wenn die neue Heimat schon die Heimat der anderen ist. Wenn ihr nur Bruchstücke versteht. Wenn euch Bräuche und Gewohnheiten fremd sind! Vergesst das nicht, um der Fremden in eurer Mitte und um euer selbst willen.
Wenn ich das biblische Leitwort daher in diesen Tagen lese, kann ich nicht darüber hinweggehen, dass uns als Gesellschaft gemeinsam mit den Menschen, die zu uns kommen, eine besondere Herausforderung gestellt ist. Unter diesen Menschen sind nicht wenige Christinnen und Christen. Natürlich gilt die Nothilfe jetzt allen Menschen, ganz gleich welcher Herkunft und Religionszugehörigkeit. Doch es gibt auch noch einmal jene besondere Verbundenheit mit den Menschen, die oft in ihrer Heimat wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt wurden. Das Bibelwort ermutigt uns, hier die geistliche Gemeinschaft zu suchen – in der Hinwendung zu Gott, im Gebet, in den Gruppen und Kreisen – und nicht zuletzt: in der Musik. Davor steht ein zunächst ein Erklären, auch ein Zuhören, welche Traditionen, welche Festkulturen und Frömmigkeitsformen nun mitten unter uns zu finden sind. Welche Infragestellungen unseren Horizont erweitern und was uns unsere eigene Tradition vielleicht im gemeinsamen Nachdenken darüber sogar besser verstehen lässt. Aber daraus soll das gemeinsame Feiern, die Verbundenheit in Lob und Klage folgen. Die Musik als Kraft, die Menschen zusammenführt und jene pfingstliche Erfahrung unter ihnen lebendig werden lässt, nämlich dass Menschen sich im Geiste verstehen, auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen – sie ist ein Schatz unseres Glaubens, und sie gilt es in diesen Tagen zu entdecken.
„Du sollst anbeten vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat, du und der Levit und der Fremdling, der bei dir lebt.“ Ja, liebe Gemeinde, Gott hat gegeben. Wir nehmen dankbar aus seiner Hand, was uns anvertraut ist, unsere Gaben und Güter, und wir können sie einsetzen. Sie, liebes Ehepaar Hansen, haben das für die Kirchenmusik hier in Süderlügum getan. Und im Grunde haben Sie das gleich doppelt getan: denn in Norderstedt freut sich wiederum eine Gemeinde über die ehemalige Orgel dieser Kirche, und ich bin gewiss, dass sie auch dort das Gemeindeleben bereichern wird.
Wir feiern diesen Gottesdienst mitten in der Adventszeit, in der Zeit, in der wir uns auf die Feier der Geburt des Sohnes Gottes vorbereiten. Die Adventschoräle und Adventslieder werden hier in Süderlügum in diesem Jahr in neuem Glanz erklingen, und mit ihnen die eindringliche Botschaft von der leisen und doch bezwingenden Ankunft Gottes im Unfrieden dieser Welt, der uns in diesen Tagen vielleicht noch bewusster vor Augen steht und unsere Herzen bedrängt.
Liebe Gemeinde, Gott setzt auf die kleinen Anfänge. Er setzt Herzen in Bewegung. Er verbindet uns über alle Grenzen und Unterschiede hinweg. Er setzt mit uns auf eine Zukunft des Friedens – Grund zur Hoffnung schon heute.
Dass der Friede dieses Gottes unsere Herzen und Sinne regiere, darum bitten wir. Er lasse es hell werden in dieser Welt und in unseren Herzen und mache uns bereit für seine Ankunft.
Amen.