Gottes Haus aus lebendigen Steinen
29. Juni 2014
Festgottesdienst „50 Jahre Bugenhagenhaus Preetz-Süd“, Predigt zu 1. Petrus 2, 1-5
Liebe Festgemeinde hier heute im Bugenhagenhaus!
I
"Kirchengemeinde Preetz-Süd" stand auf dem kleinen Zettel, den eine Vikarin und drei Vikare im September 1979 für ihre Erkundung mitbekommen hatten. Kontakt: Pastor Hans Sommer, Lerchenweg 58.
Da saßen wir denn auf der Couch im Wohnzimmer der Familie Sommer - vier Berufsanfänger am Beginn des Vikariats auf der Suche nach einem Anleiter. Für manche aus der Gruppe war dies keine Option; man hatte uns gesagt, die haben dort keine Kirche. Nur ein Zentrum.
Schon in diesem ersten Gespräch mit Pastor Hans Sommer wurde klar, worum es in dieser Gemeinde, die recht eigentlich nur ein Bezirk der großen Gemeinde Preetz war, ging: es ging um die lebendigen Steine; darum, die Menschen einzubauen in das eine Haus Gottes. Für Hans Sommer war dieses Wort aus dem Petrusbrief ein pastorales Leitwort. Und nicht zufällig war er von der großen, geschichtsbeladenen Hildesheimer Andreaskirche hierher gewechselt. Hierher, in dieses Gemeindehaus. Wo nicht alte Steine sich aufeinander türmen, sondern wo die Menschen, die sich versammeln, sich auferbauen zu „einem geistlichen Hause“.
Ich habe hier als Vikar vor fast 35 Jahren begonnen. Habe hier, an einer beweglichen Kanzel, meine ersten Predigten gehalten, auch meine Examenspredigt am Ostermontag 1981. Ich habe mich immer wieder mit der Kanzel auf die Gemeinde zubewegt: das verkündigte Wort sucht die Nähe zu den Menschen! Und an dem runden Tisch, dem Altar, habe ich die Liturgie feiern gelernt, begleitet von Frau Hass an der Truhenorgel. Und immer noch derselbe Teppich! – Wie gut, denke ich, dass hier eine Gemeinde sich versammelt, die auf dem Teppich geblieben ist, die nicht abhebt, sich nicht aufschwingt.
Wenn ich mich hier umschaue, in Eure und Ihre Gesichter sehe: es ist, als schnurrte mein Leben zusammen, und ich bin wieder der Vikar. So viele vertraute Gesichter, so viel Wiedererkennen: wir leben davon, dass unsere Lebensgeschichte sich immer wieder in ihrem Bogen zeigt! Dass Vergangenes und Gegenwärtiges einander begegnen.
Dieser Raum, dieses Haus, wurde mir ein geistliches Haus, ein Heiliger Ort durch die Menschen, die sich hier versammelten, die Gemeinde bauen wollten: da war der Bezirksausschuss mit seinen sehr selbstbewussten Mitgliedern, die hier in Süd ihre ganz eigenen Vorstellungen hatten von lebendiger Gemeinde, die ein sehr genaues Auge hatten auf den Kontext der hier wohnenden Menschen. Ich werde sie nicht vergessen, Frau Weiser-Torp, Frau Eulenberger, Frau Münchmeyer, Frau und Herrn v. Hennigs, Herrn Ramm, Herr Devulder, Herr Raethjen und manche mehr, deren Namen ich nicht erinnere, wohl aber deren klare und offene Weise, für Gemeinde an diesem Ort zu streiten - wenn es sein musste, auch gegen die Stadtkirche und gegen die ebenso streitbare Vorsitzende des Kirchenvorstands, Dora Schneider. Ja, nicht zuletzt von ihr habe ich viel gelernt über Gemeindeleitung! Streitbare, fromme, einsatzbereite Gemeinde-Steine, die mein Gemeindebild bis heute prägen.
„Kommt zu Christus als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.“ (1. Petrus 2, 4-5).
II
Liebe Gemeinde, gewiss, eine sonderbare Sprache ist das, nicht sogleich verständlich. Aber: das Bild, das Petrus hier verwendet, ist klar und deutlich: Alle Menschen sollen kommen zu Christus, der ein lebendiger Stein ist, auf dem Gott aufbaut sein geistliches Haus, seine Gemeinde. Und wir, die Christinnen und Christen sind von Christus lebendig gemacht worden, damit wir selbst lebendige Steine sind, die weitererzählen die gute Botschaft von Gottes Frieden und Gerechtigkeit. Wir sollen also nicht schwer wie ein Stein und tot irgendwo in der Gegend herumliegen, sondern wir sollen vom Heiligen Geist befeuert und glühend für Gottes Sache mitbauen an dem Haus, das den Namen „Reich Gottes“ trägt. Unser Glaube ist also ein lebendiges Feuer, eine tiefe Sehnsucht nach Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen. Dafür sind wir in Gottes Mission mit am Start! Überall auf der Welt - und auch hier in Preetz-Süd!
Hier, hinter mir an der Wand, wird sichtbar, wie die Geschichte dieses Hauses, dieses Bezirkes sich verbindet mit Jesus, dem Haupt. Die Plakate habt Ihr so angebracht, dass sie auf Jesus zuläuft, die abgebildete Menschengeschichte, und dass sie sozusagen umarmt, gesegnet, umfangen wird von diesem Christus, der das Haupt ist des einen Leibes!
Dieses Haus hier, dieser Kirchraum ist eben nicht nur Wohnung für uns, sondern es ist zuerst und vor allem Gottes Haus, in dem er sich uns zuwendet in Wort und Sakrament, im Wort der Bibel und in Taufe und Abendmahl; in allem was Gottesdienst ausmacht.
Der Raum als solcher ist kein heiliger Ort – aber er wird immer wieder neu von Gott selbst zu einem Heiligen Ort gemacht dadurch, dass er in ihn hineinkommt. So, sagt Martin Luther, wird ein Heiliger Raum, indem dort das Wort Gottes verkündigt wird.
III
Liebe Schwestern und Brüder, Leben und Glauben fangen nicht mit uns
selbst an. Sie kommen von weit her, sind gegeben, geschenkt. An Tagen wie heute wird uns das eindrucksvoll bewusst, und Lob und Dank erfüllen das Herz. Keiner von uns hat sich selbst ins Dasein gerufen. Ein anderer ist es, der uns rief, dem wir uns verdanken. Seine Treue behütet unseren Weg durch die Zeit, sicheres Geleit in finsteren Tälern und auf lichten Höhen.
Wir danken Gott, weil hier von Generation zu Generation Menschen auf sein Wort gehört haben, von seinem Geist berührt wurden, zu Gottes Mitbewohnern, zu Gottes Hausgenossen geworden sind, wie der Apostel Paulus es so großartig im Brief an die Epheser (im zweiten Kapitel) sagt.
Dass um dieses Gotteshaus herum eine lebendige, starke Gemeinde entstanden ist, ist ein Grund, Gott zu danken. Ein Organismus aus lebendigen Steinen - gesegnet mit vielen Talenten, vielen kreativen Köpfen und mit vielen engagierten Herzen!
Als ich hierher kam, gab es gerade heiße Diskussionen um einen Besuch der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz aus der ehemaligen DDR. Man fragte, ob die mit ihren östlichen Anteilen nicht irgendwie kommunistisch sei. So, wie die sich einsetzte für Menschenrechte in der Bundesrepublik und für Amnesty International. Die Lesung hier schlug Wellen.
Ebenso heiß wurde gestritten um diesen Christuskorpus von Fritz Fleer. Man stritt darüber, ob der Korpus ein Kreuz brauche oder nicht. Man stritt mit Fritz Fleer und sorgte schließlich dafür, dass ein Kreuz hinzu kam. Denn das Kreuz ist für unser lutherisches Bekenntnis das Zentrum!
Und wenn ich hier stehe, denke ich an die vielen Abende des Gesprächskreises, der sich hier versammelte und für den oft die Stühle nicht reichten.
Und dann gab es Tage, da wurde der Altar an die Wand geschoben, Verstärker und Boxen ersetzten die Leuchter: es gab die Jugend-Disco hier.
Hier haben Menschen Heimat gefunden. Mit ihren Fragen, mit ihren Sehnsüchten. Und sie haben das Leben gefeiert. Damit sie im Alltag stark sein konnten. Ich war immer erstaunt und dankbar, wie viel man hier voneinander wusste, wie viele der Menschen, die hier lebten, sich einbinden ließen in die Verkündigung in Wort und Tat: Besuchsdienste, Gesprächskreise, Reisen mit Vorliebe nach Frankreich. Gottesdienst und beieinander wohnen, Hausgenossenschaft pflegen: das war hier immer ein Konzept. Nicht Kirchturmdenken! Ich bin mir sicher, dass diese Gemeinde um den großen Schatz ihrer Gemeindezentren weiß! Diese Häuser in Süd, aber auch in Nord, tragen dazu bei, dass Gemeinde zu den Menschen kommt, dass es Orte gibt, die die ganz verschiedenen Strukturen und Kulturen, Geschichten und Lebensbögen, die eine Stadt wie Preetz kennzeichnen, zusammen gebunden werden, dass es die Einheit in aller Verschiedenheit gibt, eine Vielfalt, die nicht Schwäche, sondern Stärke ist: Versöhnte Verschiedenheit in Christus!
Viele, viele Lebensgeschichten verbinden sich mit diesem Ort: Freude und Leid; Anfang und Ende; Begrüßung und Abschied. Alles hat hier Platz. Und auch die Brüche, die in so vielen Lebensgeschichten zu beklagen und zu bearbeiten sind; auch die Lücken, die gerissen sind, weil Gott Menschen abberufen hat aus diesem Leben und aus dieser sichtbaren Gemeinschaft: sie finden hier Brücken und Trost. Erfahren hier etwas von der Heilung, die in Christus und seinem Frieden liegt.
Liebe Gemeinde: In einer Zeit, in der alles im Fluss, auf nichts Verlass ist; in der morgen vieles nicht mehr so aussieht wie es heute uns vertraut ist; in der das einzig Beständige der Wandel ist: da wächst die Sehnsucht nach Beheimatung, nach den Dingen, die bleiben, die standhalten allem Wandel. E-Mails fliegen um den Globus, aber die Seele geht weiter zu Fuß. Gerade heute, wo Mobilität und Kommunikation Länder, Kontinente, Kulturen zusammenrücken, wo fast alles zur Disposition steht, fast nichts mehr selbstverständlich ist - gerade heute müssen wir unsere Wurzeln kennen, wissen, woher wir kommen, wohin wir gehören. Gerade dann brauchen wir Boden unter den Füßen, ein Fundament, das trägt. Je weiter der Horizont, desto wichtiger Standort und Halt. Das gilt nicht nur für uns Ältere - es gilt vielleicht noch stärker für die jüngere Generation, die unendlich beweglich sein soll, flexibel in ihrem Lebensentwurf, dauermobil – wie soll das denn gehen?
Gotteshäuser wie das Bugenhagenhaus sind da ein Schatz. Sie sind eine – Schikane, denn sie laden ein und zwingen uns, das Tempo zu reduzieren: Sie sind Wegmarken des Lebens, und die stillen Prediger, die im Drang des Alltags stumm und beharrlich an die andere Dimension des Lebens erinnern. An das Außer-Alltägliche, Größere, das Geheimnis im Herzen aller Dinge – an Gott. Und wird nicht an so einem Zentrum, das von außen aussieht wie andere Häuser auch aussehen, sichtbar und erkennbar das Geheimnis, dass Gott Mensch geworden ist, dass er unter uns Wohnung nimmt? Dass er uns bei sich haben und dass er bei uns sein will?
Immer wieder ist es darum gegangen, diesem Raum etwas Verbindliches zu geben, etwas von einer Kirche. Die Sehnsucht der Menschen nach dem Besonderen, nach dem Verlässlichen muss Ausdruck bekommen und etwas Sichtbares muss da sein. Ich habe immer gedacht: Das alles hat dieses Haus doch, weil es in der Mitte steht und jeder weiß, worum es hier geht. Und das Wort ist ohnehin größer als alle menschlichen Bauten. Aber ich habe es gut verstanden, als nach meiner Zeit der Glockenstapel hierher kam, gebraucht gekauft. So weiß jeder Mensch: hier geschieht Besonderes, hier ist Gott selbst zu Hause, hier kannst du dich niederlassen, bist nicht allein.
IV
Aber es geht ja nicht nur um das Bugenhagenhaus. Es steht ja für das Haus Gottes, das erbaut ist aus lebendigen Steinen: die Gemeinde, die Menschen, die sich sammeln um Gottes Gebot und Verheißung. Es geht um die Gemeinde als lebendige Architektur, wie wir es bei Paulus im Epheserbrief lernen:
„Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“
Um Frieden, Schalom, geht es. Um Segen, Gerechtigkeit, Fülle des Lebens. Gott hat die Welt im Frieden und zum Frieden geschaffen. Christus ist unser Frieden. Das Gesicht, das Gott uns zuwendet.
Diesem Frieden Raum zu schaffen, war Zivilisations-Aufgabe der Kirche in Zeiten, als das Faustrecht herrschte. Die Kirche war der Raum des Gottesfriedens, dort wurden die Waffen abgelegt. Sind wir so viel weiter? Einsatz für Frieden und Fairness, gegen Ellenbogenmentalität und Faustrecht ist eine dauernde Aufgabe – auch heute und jetzt. Dazu will der Glaube uns befeuern: dass wir nicht geduldig, sondern ungeduldig werden als Menschen, die glauben, dass mit Gottes Wort Hügel weichen und Gebirge des Hasses und des Unfriedens abgetragen werden können. Die Welt braucht die Friedensboten, die hinaustragen das Wort des Schalom. Die aufstehen gegen allen Hass, gegen Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit. Die die Fremden willkommen heißen.
Und: Keine Gäste, keine Fremdlinge, sondern „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ sind wir vor Gott. Es gibt keine Fremden in dem Haus aus lebendigen Steinen. Wir sind eins in Christus. Durch die Taufe gehören wir alle dazu, sind Hausgenossen Gottes, und Mitbürger in seinem Reich.
Davon ist hier etwas sehr lebendig geworden, als wir mit Bezirksausschuss, Konfirmanden, Kindergottesdienstkindern, Eltern, Kirchenvorstand hier in Preetz-Süd anfingen, die Kinder zum Abendmahl einzuladen. Das war wunderbar und ein wichtiges Zeichen, das von hier aus nicht nur in die ganze Gemeinde, sondern in die ganze Kirche ging. Ich bin stolz auf alle, die sich darauf eingelassen haben, auf diesen Kern des Glaubens und der Verkündigung, die gestritten haben darum, dass alle Menschen an Gottes Tisch geladen sind. Und als wir hier den großen Familiengottesdienst gefeiert haben und zum ersten Mal alle Kinder teilnahmen, haben wir alle etwas gespürt von der Fülle des verheißenen Lebens, von der Freiheit: "Unser Leben sei ein Fest", haben wir gesungen. Und am Ende hatte ein kleiner Junge zu seinem Vater gesagt: "nächstes Mal nehmen wir Mama aber mit, sonst versäumt sie wieder etwas!"
Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof oder Papst geweiht sei, hat Martin Luther drastisch formuliert. Wir alle sind die Kirche Jesu Christi. Sein Leib auf dieser Erde, seine Hände, seine Füße. Wir sind die lebendigen Bausteine, in denen die eine Kirche lebt und wächst. Gemeinsam seid ihr Kirche in Preetz-Süd, Schwestern und Brüder, ein Ortsverein der weltweiten christlichen Gemeinschaft, die Kontinente umfasst und alle Generationen der Menschheitsgeschichte.
Jede und jeder von uns baut mit: Gib „der Kirche“ ein Gesicht - dein Gesicht, deine Augen, deinen Verstand. Stell Dein Licht nicht unter den Scheffel, vergrab dein Talent nicht unter der Erde. Bring Dich ein, mit dem, was du – und nur du – kannst. Lass dein Licht leuchten, dann erhellt es das Haus und erfreut alle Hausgenossen. Kirche mitten im Stadtteil. Viele Talente haben sich zusammengetan: Es ist Leben hier in der Bude – ein Glück! Das soll und möge so bleiben. Ich bin da ganz sicher: Gott freut sich über ein Haus aus lebendigen Steinen – zum Wohl der Menschen und zum Lobe Gottes.
Zuletzt: Die Statik muss stimmen, damit das Haus nicht eines Tages zusammenfällt.
Wir haben uns nicht selbst lebendig gemacht, sind nicht von uns aus zu lebendigen Steinen geworden. Christus ist es, der uns lebendig macht immer wieder neu mit seiner power. Nicht unser Machen und Tun hat und wird die Kirche Jesu Christi durch die Jahrhunderte hindurch erhalten. Deshalb ist es auch gut, dass wir diesen Festgottesdienst hier feiern. Wenn christliche Gemeinde lebt und wächst, dann ist das immer ein Geschenk, Schwestern und Brüder. Geschenk des Geistes, der Wohnung nimmt in unserem Geist – und unser Denken inspiriert, Funken der Kreativität entzündet. Etwas, das an uns geschieht, durch unsere Köpfe und Herzen hindurch geht und hinaus wirkt in die Welt. Es ist an uns als den lebendigen Steinen, uns dafür immer wieder zu öffnen. Den Ursprung suchen, zur Quelle gehen, Gottes Wort hören und seinen Frieden in uns wohnen lassen. So werden wir miterbaut zu einer Wohnung Gottes.
Mindestens 50 Jahre lang war der Gottesdienst in Bugenhagen für unzählige Menschen diese Quelle des Friedens, des Geistes und der Kraft – so Gott will, wird er es bleiben, in all den Jahren, die noch kommen werden.
Amen