2. Weihnachtsfeiertag, 26. Dezember 2018 | Dom St. Nikolai zu Greifswald

Gottes Sohn und Davids Spross

26. Dezember 2018 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Römer 1, 1-7

Liebe Gemeinde!

Nach den Gottesdiensten der vergangenen Tage, die in besonderer Weise das Gemüt angesprochen haben, sollen wir heute die intellektuelle Luft im Denken des Apostel Paulus atmen. Glaube ist etwas zum Fühlen und Begreifen. Jetzt ist eher das Begreifen an der Reihe. Der Predigttext nach der Ordnung der Predigttexte verdeutlicht, was Weihnachten geschehen ist. Was ist das Besondere an Jesus, dem Kind in der Krippe? Wir wissen, am Ende steht ein altkirchliches Dogma: Dieser Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott. Aber die Menschen haben eine Wegstrecke zurücklegen müssen, bis sie verstanden haben, was es mit Jesus auf sich hat. Heute werfen wir einen Blick in die Entstehung der Zwei-Naturen-Lehre Christi. Paulus greift ein älteres Christusbekenntnis auf, formt es um, interpretiert es neu und schreibt an die Gemeinde in Rom:

1Paulus,
Diener von ChristusJesus,
zum Apostel berufen
und dazu bestimmt,
Gottes Gute Nachricht zu verkünden.
2 Gott hat sie ja durch seine Propheten
in den heiligen Schriften schon im Voraus angekündigt.
3 Es ist das Evangelium von seinem Sohn.
Der war seiner irdischen Herkunft nach
ein Nachkomme Davids.
4 Der ist durch den Geist der Heiligkeit
in seine Vollmacht als Sohn Gottes eingesetzt.
So herrscht er seit seiner Auferstehung vom Tod.
Was ich verkünde,
ist also das Evangelium von JesusChristus,
unserem Herrn!
5 Durch ihn haben wir unsere Befähigung
und Beauftragung zum Apostel empfangen.
Wir sollen alle Völker dazu bringen,
ihm gehorsam zu sein und den Glauben anzunehmen –
zur Ehre seines Namens.
6 Auch ihr gehört zu diesen Völkern
und seid von JesusChristus berufen. –
7 An alle also,
die in Rom leben
und von Gott geliebt werden –
alle, die zu Heiligen berufen sind.
Ich wünsche euch Gnade und Frieden von Gott,
unserem Vater,
und von dem HerrnJesusChristus.
(nach der basisbibel)

So beginnt Paulus seinen berühmten Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Dieser Brief hat Geschichte und Kirchengeschichte gemacht. Vor 500 Jahren hat Martin Luther am Römerbrief seine reformatorische Erkenntnis gewonnen. Vor 100 Jahren hat ein Schweizer Pfarrer namens Karl Barth bei der Lektüre des Römerbriefes Gott ganz neu entdeckt und die evangelische Theologie damit revolutioniert. Dieser Gott ist anders als wir Menschen uns das ausdenken. Er ist wirklich und souverän und eine große Kraft. Er steht uns gegenüber. Er lässt sich nicht mit unseren nationalen Vorstellungen verrechnen. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine umstürzende Entdeckung. Denken Sie daran, dass der Erste Weltkrieg aus gekränktem Nationalstolz begonnen wurde! Auf beiden Seiten der Kriegsgegner zogen sie in den Krieg mit der festen Überzeugung, dass „Gott mit uns“ ist. So stand es dann auch auf den preußischen Koppelschlössern. Barth verstand: Gott will, dass wir seinen Willen tun. Nicht unseren Wünschen folgen, sondern dem zum Teil unbequemen Willen Gottes. Die Rede von Gott schließt jede Verklärung der eigenen Wünsche und auch der eigenen Vorstellungen von Gott aus.

Genauso hatte auch 1900 Jahre früher Paulus selbst Gott erfahren. Zuerst hatte er sich kompromisslos für Gott eingesetzt, so wie er ihn verstanden hatte, so wie er die heiligen Schriften gelesen hatte. Das Gesetz Gottes war heilig, gerecht und gut. Und darum musste für dieses Gesetz gekämpft werden. Es konnte nicht geduldet werden, dass irgendjemand dieses Gesetz in Frage stellte. Die Juden hofften darauf, dass der Messias kommt, wenn sie weiterhin treu das Gesetz einhalten würden. Gerade darin bestand auch der besondere Auftrag an sie als das auserwählte Volk Gottes. Sie sollten sich an das Gesetz halten. Das werde die Welt verändern.

Und dann traten die Christen auf und stellten alles auf den Kopf. Sie sagten, der Messias sei schon gekommen. Es hänge nicht alles am Gesetz. Wichtiger als es wortwörtlich zu befolgen sei es seinen Sinn zu erfüllen. Weiter sagen sie: Dieser Sinn des Gesetzes sei die Liebe.

Der Gesetzeslehrer Saulus sah nun förmlich rot. Eine solche Infragestellung des heiligen Gesetzes konnte nicht hingenommen werden. Und Saulus – so war sein hebräischer Name, während Griechen ihn Paulus nannten – war bereit, an der physischen Ausrottung der Christen, dieser schlimmen Verdreher des göttlichen Gesetzes, mitzuwirken. Stephanus hieß der erste Christ, der dieser Jagd zum Opfer fiel. Während Eiferer ihn steinigten, stand Paulus daneben und beobachtete die Bluttat. Es ist kein Zufall, dass ich heute an diesen friedlichen Märtyrer erinnere, denn heute ist sein Gedenktag.

Aber später geschah etwas Einschneidendes, das Paulus veränderte. Ihm trat der lebendige Christus persönlich in den Weg und brachte ihn von den bisherigen Irrwegen ab. Paulus war auf dem Weg nach Damaskus, um auch dort Christen zu verfolgen. Er sah ein helles Licht und hörte die Worte: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“

Damit kam eine Änderung in Gang. Es war der später sprichwörtlich gewordene Wandel vom Saulus zum Paulus. Der fromme Gelehrte hatte zwei weitgehende Erkenntnisse:

  1. Es geht nicht um unser frommes System (Gesetz), es geht um einen lebendigen Gott!
  2. Das Heil ist nicht auf die Juden als Gottes erwähltem Volk beschränkt, sondern gilt allen Menschen.

Es ist bemerkenswert: Paulus hatte eine „unzeitige“ Erscheinung des Auferstandenen[1]. Plötzlich hat er selbst die Macht des Auferstandenen erfahren! Die Botschaft von Jesus Christus verändert nicht nur die Menschen, die alles aus nächster Nähe miterlebt haben. Sie trifft auch später noch und verändert Leben. Gottes frohe Botschaft besagte: Wir kommen mit Gott nicht ins Reine durch unser frommes System (Gesetz), sondern durch den Christus, den Messias. Es hat alles dafür Notwendige getan.

Das ist wirklich eine frohe Botschaft, nichts anderes heißt das Wort Evangelium übersetzt: Nicht wir müssen das Entscheidende tun, sondern Christus („der Messias“) hat alles getan. Was ist das für eine Gnade! „Das“, sagt Paulus, „ist mein Auftrag. Ich bringe den Nichtjuden diese gute Botschaft. Das hat mir Gott selbst aufgetragen“.

Diese Nachricht machte auch vor Völkergrenzen nicht halt. Er schreibt: „Wir sollen alle Völker dazu bringen, ihm gehorsam zu sein und den Glauben anzunehmen – zur Ehre seines Namens.“ (V. 5b) Paulus wollte es der Welt mitteilen und dabei das gesamte römische Reich durchqueren. Sein Ziel war Spanien, Rom nur eine Zwischenstation. Aber warum meint Paulus, die Grenzen Israels überschreiten zu müssen? Weil es sich hier nicht um irgendeine gute Nachricht, sondern das „Evangelium von seinem Sohn“ handelt.

Gottes Sohn hat eine doppelte Herkunft (V. 3f). Nach seiner „irdischen Herkunft“ war er ein Nachkomme Davids. Die Linie seines leiblichen Vaters Josef ging auf den berühmtesten aller israelitischen Könige zurück. Gleich zwei Stammbäume Jesu sind sich darin einig.[2] Dadurch wird deutlich: Jesus steht in der Geschichte des jüdischen Volkes. Er ist der Messias aus dem Geschlecht Davids, auf den die Juden warten. Deswegen ist auch seine Geburt in Bethlehem so wichtig, denn Bethlehem ist Davids Stadt.

„Durch den Geist der Heiligkeit“ ist Jesus in seine Vollmacht als Sohn Gottes eingesetzt. Dies geschah durch die Auferstehung von den Toten. Jesus hat eine doppelte Herkunft: Er ist Mensch und Gott. Er ist zugleich Nachkomme Davids und Gottes Sohn.

Die irdische Herkunft führt ins Judentum. Er wird erzählt, dass er in Bethlehem geboren wurde und genau das erwarteten die Juden vom Messias. Gott wurde nicht nur Mensch, Gott knüpft an seine lange Geschichte mit dem Judentum an und wird Jude. Diese Hervorhebung des Judentums, weil Gott dieses Volk zu seinem Dienst auserwählt hat, war vielen Nichtjuden schon immer ärgerlich.

Der Antisemitismus bezieht sich auf eine Diskriminierung von jüdischen Menschen, weil sie Juden sind, in der Einheit von Volk und Religion. Es gibt leider Christen, die sich an der Verächtlichmachung von Juden beteiligt haben. Aber andere haben sich auch in schweren Zeiten für Juden eingesetzt: „Ein Jugendfreund Bonhoeffers erinnert sich noch an den gemeinsamen Konfirmandenunterricht. Als der Pastor fragte, was die jungen Herren sich denn unter der ‚Erbsünde‘ vorstellten, habe Dietrich wie aus der Pistole geschossen geantwortet: ‚Der Antisemitismus!‘“[3] Da hatte der junge Bonhoeffer etwas richtig erkannt. Antisemitismus verträgt sich grundsätzlich nicht mit dem christlichen Glauben.

Allerdings werden heute oft die Dinge nicht genügend differenziert. So muss man aus Glaubensgründen das biblische Judentum und das heutige Judentum auf der einen Seite und den Staat Israel als Teil der Staatengemeinschaft auf der anderen Seite auseinanderhalten. Deswegen ist Antisemitismus und Kritik am heutigen Staat Israel zweierlei und das eine hat mit dem anderen grundsätzlich nichts zu tun. Der Staat Israel muss sich am Maßstab der Menschenrechte messen lassen wie alle anderen Staaten auch. Eine Kritik am Verhalten der Organe des Staates Israel gegenüber den Palästinensern hat sich an Rechtstaatlichkeit, Demokratie und eben den Menschenrechten zu orientieren. Leider gibt es hier häufig berechtigt Kritik zu üben.

Trotzdem bleiben Juden und Christen als Glaubensgemeinschaften aufeinander bezogen. Dietrich Bonhoeffer hält fest: „Der Jude hält die Christusfrage offen.“[4] Jüdische Menschen fragen uns eben danach, was sich durch den Messias Jesus denn wirklich verändert hätte. Es ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit des von uns gelebten christlichen Glaubens.

Die geistliche Herkunft Jesu führt zur Gottessohnschaft. Es scheint auf den ersten Blick so, als ob Jesus erst durch die Auferstehung zum Gottessohn würde, so als hätte Gott ihn in diesem Moment adoptiert. Aber hier ist klar gesagt: „in seine Vollmacht eingesetzt“, das meint: Jesus war – nach Paulus – schon immer Sohn, aber er wird durch die Auferstehung von den Toten in seine Machtstellung als Herrscher über allem eingesetzt.

Die ersten Christen bekannten das Kind in der Krippe als den in der Linie Davids stehenden Messias. Das ist die Erfüllung aller Verheißungen. Zugleich war ihnen deutlich: Hier ist noch mehr, mehr als die Erfüllung. Der in Bethlehem Geborene vertritt nicht nur Gott unter uns Menschen, sondern er ist Gott in Person.

In der Unscheinbarkeit der Geburt in der Krippe kann das Wesen des Christus übersehen werden. Wie wir es jetzt in der dritten Strophe des alten Weihnachtsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“ gleich singen werden:

„Das Blümelein so kleine,
das duftet uns so süß;
mit seinem hellen Scheine
ertreibt’s die Finsternis.
Wahr‘ Mensch und wahrer Gott,
hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd und Tod.“

Wahrer Mensch und wahrer Gott – kleiner können wir das Geheimnis des Krippenkindes nicht machen.
Amen.

[1] Vgl. 1. Kor. 15, 8.

[2] Vgl. Lukas 3, 23-31; [geht aber bis Adam zurück, vgl. V. 38] und Matthäus1. Beide Stammbäume sind sich in der Nachkommenschaft Davids einig, wenn sie auch sonst zum Teil unterschiedliche Namen für die Vorfahren Jesu verwenden.

[3] Christian Feldmann: Dietrich Bonhoeffer – wir hätten schreien müssen, Freiburg 2015 (Seitenzahl unbekannt).

[4] D. Bonhoeffer, Ethik (DBW 6), München 1992, 95.

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