28. Mai 2022 | St. Elisabeth-Kirche, Stuttgart

Gottesdienst im Rahmen des 102. Deutschen Katholikentags

28. Mai 2022 von Kirsten Fehrs

Feiern mit der weltweiten Ökumene - Auf dem Weg zur 11. Vollversammlung des ÖRK Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Lukas 19,1-10

Liebe Geschwister aus all den verschiedenen Kirchen,

wir feiern zusammen! Das ist die Botschaft, die der Deutsche Katholikentag mit diesem Gottesdienst hier in St. Elisabeth verbindet. Wir feiern zusammen. Danke für diese Botschaft und danke für die Einladung.

Ich freue mich von Herzen, mitfeiern zu dürfen und dabei auch diesen wunderbaren Chor und diese brasilianische Messe geschenkt zu bekommen. Ja, wir feiern, wir singen und wir halten zusammen Das ist es doch, was wir jetzt brauchen, und was so viele Menschen in dieser zerrissenen und bangenden Welt erhoffen: Zeichen der Zusammengehörigkeit. Klänge, die deutlich machen: Wir sind verschiedene Stimmen, verschiedene Männer, Frauen, Kinder und Interessengruppen, Glaubensgemeinschaften, verschiedene Völker.

Wir sind unterschiedlich und wir bleiben das auch – aber wir gehören zusammen als Weltfamilie. In Christus verliebt. In Christus verliebt leben und reden wir unbedingt friedlich miteinander und suchen das Beste für unsere Gesellschaften, ja, überhaupt für die Menschheit.

Ich merke es in Gesprächen mit Politiker:innen und jungen Menschen, merke es in all den Friedensgebeten der vergangenen Wochen: Die Menschen hungern und dürsten nach solchen Botschaften von Frieden und Verständigung inmitten der Krise der Globalisierung und der Spannungen und Brüche, die die Völkergemeinschaft durchziehen. Und, liebe Geschwister, wer wenn nicht wir haben den Auftrag, jetzt von Frieden zu reden und für ihn zu beten, gerade angesichts der zunehmenden Kriegsrhetorik? Wir, die wir verbunden sind durch das Credo des ÖRK von 1948: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!

So viele Menschen warten auf kraftvolle, wirksame Hoffnungszeichen: Die Schutzsuchenden in den Kellern von Sjewjerodonezk, die Verhungernden im Jemen, die politischen Gefangenen in belarussischen Gefängnissen oder in chinesischen Internierungslagern oder hier bei uns die Kinder und Jugendlichen, die sich noch immer mühsam von der Coronazeit erholen und sich fragen, ob der Klimawandel ihnen überhaupt noch eine Zukunft lässt, die Zigtausende, die nicht wissen, ob sie Mieten und Energie in Zukunft noch zahlen können.

Liebe Geschwister, wir werden gebraucht. Wir alle gemeinsam als glaubende, hoffende, liebende Christenmenschen, die auf die eine oder andere Weise von Gottes Liebe berührt worden sind, die in der einen oder in der anderen Kirche danach suchen, wie von Gottes Reich etwas Wirklichkeit werden kann. Jetzt und hier, nicht irgendwann. Wir werden gebraucht als große, tatkräftige Hoffnungsgemeinschaft, die immer auch Tischgemeinschaft war und ist.

Wir feiern zusammen. Weil wir in all der Sorge und in all dem Unfrieden nicht aufhören daran zu glauben, dass es etwas zu feiern gibt. Nämlich Gottes verändernde Kraft, mit der er Herzen und darin die Welt zum Guten wendet. Jeden Tag. Wann immer Streitende zueinander finden und Resignierte neu anfangen.

Wir feiern zusammen, weil Ostern kein Kalenderdatum ist, sondern Realität. Nach jedem dieser furchtbaren Karfreitage, die so viele Menschen täglich erleben. Nach jedem dieser Tode siegt trotzig die Hoffnung. Das glaube ich zutiefst. Auch wenn es mir vor lauter Sprach- und Fassungslosigkeit manchmal nur schwer über die Lippen kommt in diesen Tagen. Und dann denke ich an die Ukrainerin, die bei einem Bombenangriff ihren Mann und ihr ungeborenes Baby verloren hat. Schwerstverletzt kämpft sie sich mühevoll ins Leben zurück und ringt um jeden Schritt, den ihre kaputten Beine wieder gehen sollen. Sie lächelt ein wenig, wenn sie sehr ernsthaft sagt: Meinen Hass bekommen sie nicht. Ich werde weiterleben. Zuversichtlich bleiben. Mir meine Freundlichkeit nicht nehmen lassen.

Und ich stehe bewundernd davor, fühle den Schmerz, aber auch die enorme Kraft, die in dieser widerständigen Hoffnung liegt. In Zeiten des Hasses die Liebe lieben – das ist unser Auftrag, mehr denn je!

„Christi Liebe bewegt die Welt.“ Wie sehr trifft dieses Motto der nächsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Karlsruhe den Nerv der Zeit. Wir freuen uns so sehr auf euch, liebe Schwester Agnes Aboum! Und ja, wir wissen natürlich von unseren Unterschieden und wie schwierig es manchmal ist, zusammenzubleiben. Aber wir wissen zugleich: Wir dürfen nicht aufgeben. Die Suche nach dem richtigen Weg zum Frieden darf uns nicht trennen. Nicht, wenn es um die Ukraine geht, und ich wünsche mir so sehr, dass die Spitze der russisch-orthodoxen Kirche sich den Stimmen aus der weltweiten Ökumene endlich, endlich öffnet.

Wir dürfen nicht aufgeben, zusammen zu bleiben – auch wenn es um Israel und Palästina geht, dieses wunderschöne und zugleich so verwundete Heilige Land. Ich erinnere mich immer wieder mit bewegtem Herzen, lieber Bruder Feige, an unsere gemeinsame Pilgerreise mit Bischofskonferenz und EKD-Rat dorthin ins Heilige Land. Buchstäblich bewegt von Christi Liebe. Einander nah wie selten. Ökumene at it´s best. Und auch deshalb waren wir umso aufgewühlter von der Friedlosigkeit dort. Bitte, liebe Geschwister, die verschiedenen Sichtweisen auf diesen Konflikt dürfen uns nicht zerreißen! Wir dürfen nicht aufgeben, friedlich um den Frieden zu ringen. Geben wir ihn niemals verloren!

Dass dies gelingen kann, zeigt eine der schönsten Friedensgeschichten der Bibel; wir haben sie eben gehört. Ich liebe sie, sie ist eine Geschichte für die Kleinen. So anschaulich, diese Szene. Wie Zachäus da oben in seinem Baum sitzt, dieser kleine Mann, aber reiche Zöllner, was sag ich: dieser raffgierige Karrierist. Er, der es sich teuer bezahlen lässt, wenn die Leute in die Stadt hineinwollen. Ein mächtiger Gewinnertyp. Beliebt jedenfalls ist was anderes. Und nun sitzt er da auf dem Baum, weil die Leute ihn nicht zu diesem Jesus lassen wollen. Denn jetzt sind sie es, die sich Zachäus in den Weg stellen, die ihn ausgrenzen. Und so hockt er da, der große Gewinner in seiner ganzen Verlorenheit.

Und dann passiert‘s: Steig eilend herunter, sagt Jesus genau zu ihm. Und sofort ergreift Zachäus mit demütiger Sehnsucht diese ausgestreckte Hand Jesu. Sofort. Und er ergreift damit für sich das Recht, endlich ein anderer zu werden. Endlich! Er will das, eigentlich lange schon. Und nun kann es ihm gar nicht schnell genug gehen – „und er stieg eilend herunter von dem Baum“. Herunter von seiner skrupellosen Macht, herunter von seiner Verstiegenheit. Seiner Einsamkeit. Herunter von diesem Baum, auf dem er ja auch reichlich verschämt gehockt hat. Die Leute von Jericho, die sonst Ohnmächtigen haben ihn gehörig ihre Macht spüren lassen. Er hat sich so nackt gefühlt und entblößt. So ohne jede Größe. Die Fassade ist gebröckelt – auch in ihm selbst.

Dass sich in diesem erschütterten Zachäus gerade etwas wandelt und wandeln soll, das fühlt Jesus. Er schaut auf zu diesem kleinen, gedemütigten Mann in seiner peinlichen Situation – und allein mit diesem Blick macht er ihn zu einem Angesehenen. Das ist seine Verwandlungskunst: Würde geben, wo alles verloren scheint. „Ich muss heute dein Gast sein“, sagt Jesus. Kein Vorwurf. Keine Frage. Nur dieser eine Satz: Ich muss heute dein Gast sein.

Und so wird Zachäus ein anderer: ein sympathischer Gastgeber. Er wird nicht nur menschlich behandelt. Er darf sich auch selbst als Mensch zeigen. Als guter Mensch. Er darf sich zeigen als einer, der die Tür öffnet. Ohne Zoll. Im Gegenteil: Zachäus „nahm ihn auf mit Freuden“.

So verändert sich etwas in dieser Welt, liebe Geschwister. Wenn aus abweisenden Zöllnern freundliche Gastgeber werden. Wenn ängstliche Wohlstandsverteidiger lernen, keinen verloren zu geben. Wenn sie neu hinsehen, zu den Kleinen zuallererst, die sich versteckt haben, dort in den Luftschutzkellern und Flüchtlingslagern. Und wenn wir neu sehen, dass Asyl zu geben Christenpflicht ist und alles dafür getan werden muss, dass Millionen Menschen auf dieser Erde nicht fliehen müssen, sondern bleiben können, wo sie leben. Tausende in unserem Land haben sich ja anrühren lassen und teilen mit den Geflüchteten, nein: mit ihren Gästen Haus und Brot und Leben. Und wir spüren doch, wie gut es ist. Weil es auch uns verändert, wenn wir Menschen in Not aufnehmen. Auch wir verändern uns, indem wir runterkommen vom Baum und die Tür öffnen für Gäste, die uns zu Menschen machen. Es geht in all den beängstigenden Krisen nicht nur um die anderen, um die, die Hilfe brauchen. Es geht auch um uns, um unser Menschsein.

Das lernen wir von Zachäus. Es gibt nicht die einen auf der Gewinner- und die anderen auf der Verliererseite. Der reiche Mann auf dem Baum hat plötzlich gespürt, wie brüchig sein scheinbar so gelungenes, selbstbezogenes Leben war. Plötzlich sind Gewinner und Verlieren ganz nah beieinander. Jesus hat sich ja nicht bei dem erfolgreichen Zöllner eingeladen. Er ist auf den verbiesterten, den traurigen Menschen Zachäus zugegangen. Er ist der Tröster, der keinen, aber auch keinen Verlierer verloren gibt. Er sucht sie sogar, um die Verlorenen selig zu machen.

Und so verwandelt Gott etwas – in uns und zwischen uns. Gott verwandelt uns, indem er über unsere Schatten springt. Denn er hat so große Sehnsucht nach uns. Deshalb ist er gekommen, der Menschensohn. Deshalb geht er an die Hecken und Zäune und Grenzen der Welt: Er will unser Leben teilen. Unseren Schmerz. Und seine Liebe. Will uns erinnern, wie unendlich liebens-würdig wir sein können. Ja, er weiß, dass wir unsere Grenzen haben – aber eben auch viele, sehr viele Möglichkeiten, der Versöhnung die Hand zu reichen. Das feiern wir. Zusammen. Verbunden in der Sehnsucht nach dem Frieden Gottes, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
28.05.2022
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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