13. August 2017 | Münster Bad Doberan

Hören und Tun, Verstehen und Erkennen

13. August 2017 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu Mt 7,24-27

Gnade sei mir euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

die Fragen, die uns mit dem heutigen Predigttext entgegenkommen, haben es in sich: Wie steht es mit deinem Leben? Ist es gut gegründet? Bist du auf dem richtigen Weg? Oder verhält es sich mit deinem Leben wie bei dem Mann in der Bahn: Er sitzt in einem Bummelzug. Bei jeder Station schaut er intensiv aus dem Fenster, liest das Ortsschild – und stöhnt. Nach vier oder fünf Stationen fragt ihn besorgt sein Gegenüber: „Tut Ihnen etwas weh? Sie stöhnen ja so.“ Da antwortete er: „Eigentlich müsste ich ja aussteigen. Ich fahre dauernd in die falsche Richtung. Aber – hier drin ist es so schön warm.“

Grotesk – weiter in die verkehrte Richtung fahren, um nicht hinaus in die Kälte zu müssen! So grotesk es auch ist – als Lebenshaltung ist es vielleicht verbreiteter, als man denkt: Es gehört etwas dazu, sich einzugestehen, dass das eigene Leben einer Kurskorrektur bedarf. Es gehört Mut dazu, auszusteigen, sich dem Wind der Veränderung auszusetzen und etwas Neues zu wagen.

Aber vielleicht gleicht die Situation des Lebens in unserer Gesellschaft ja auch eher der Software eines Dieselmotors: Theoretisch wird die geltende Norm respektiert, aber praktisch wird sie immer wieder außer Kraft gesetzt. Im Zweifelsfall – Ermäßigung der Norm!

Jesu Worte dagegen sind unmissverständlich klar: „Wer meine Rede hört und tut, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. … Wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem Mann, der sein Haus auf Sand baute. … und sein Fall war groß.“

Wie steht es mit dem Haus unseres Lebens – ist es gut gegründet? Worin besteht denn die richtige Gründung? Was erwartet Jesus von den Menschen, die ihm folgen?

Jesu Rede steht ja am Ende der Bergpredigt, wie Matthäus sie uns überliefert hat. Da gibt es einen ganzen Strauß von Lebensmaximen, die Jesus seinen Zuhörer*innen anträgt:

Da ist die Goldene Regel, die in jeder Ethik der Menschheit gelten kann:„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ (Mt 7,12)
Da sind aber auch Antithesen, die die Forderungen der Tora noch einmal radikalisieren:

Wenn du nicht töten willst, dann zürne nicht einmal!

Wenn du die Ehe nicht brechen willst, dann schau nicht begehrlich auf andere Frauen!

Es genügt nicht, auf falsches Schwören zu verzichten – deine ganze Rede sei eindeutig: dein Ja – ein Ja, dein Nein – ein Nein!

Deinen Nächsten sollst du lieben – schön und gut! Aber auch deinen Feind! Denn Gott lässt seine Sonne über alle scheinen.


Goldene Regel und diese Forderungen betreffen ja in erster Linie den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Bergpredigt empfiehlt jedoch auch bestimmte Haltungen für unsere Beziehung zu Gott:
Vertrau auf Gott – sein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden!

Bitte, so wird dir gegeben! Suche, so wirst du finden – auch in der Beziehung zu Gott.

Und überhaupt: Sorge nicht – lebe! Mit all deinem Sorgen könntest du dein Leben doch keine einzige Minute verlängern. Darum „trachte zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles (andere) zufallen.“ (Mt 6,33)


Wer gedacht hat, dass sich das Fundament eines gelingenden Lebens für Jesus in moralischen Ansprüchen erschöpfe, der wird endgültig anderen Sinnes angesichts der Verheißungen der Seligpreisungen:

Glücklich, ja selig, die geistlich nichts vorzuweisen haben; denn keine eigene Vorstellung steht zwischen ihnen und dem Himmel.

Glücklich, ja selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn Einsatz für gerechtere Verhältnisse erfüllt ein Leben.

Glücklich, ja selig, die barmherzig leben;sie haben es leichter, mit sich selbst barmherzig zu sein.

Glücklich, ja selig, die reinen Herzens sind;denn nichts verstellt ihnen den Blick auf Gott.


Ich finde: Es hat etwas Verlockendes, so zu leben; es zumindest zu versuchen; sich nach einem solchen Leben auszustrecken. Dieselbe Sehnsucht nehme ich bei Paulus wahr, wenn er schreibt – wir haben es heute in der Brieflesung gehört:

„Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.“ (Phil 3,10f)

Christus erkennen, ihm gleichgestaltet werden, damit etwas neu lebendig wird in meinem Leben! Es ist dies eine verwegene Hoffnung, die das ganze Neue Testament durchzieht – dass wir, fehlbaren, sündigen Menschen nicht nur das Bild Christi in uns tragen, sondern auch die Sehnsucht und das Vermögen, diesem Bild so gut es irgend geht entsprechen zu wollen. Na klar: Wir sind nicht Jesus! Wir werden keine idealen Menschen. Aber wir können wachsen in der Liebe – zu den Menschen und zu Gott. Wachsen sogar in der Liebe zu uns selbst! Wir können wachsen im Vertrauen. Wir können wachsen im Erkennen – und das meint ja im biblischen Sinn ein Erkennen, das den ganzen Menschen betrifft, Leib, Seele und Geist…

Und damit sind wir wieder beim Tun. Hören genügt nicht – es will auch getan und gelebt sein. Gottes Wort will angenommen sein und Gestalt gewinnen in unserem Leben. Ja, manchmal ermöglicht das Tun erst die Erkenntnis, geht die Praxis dem wirklichen Verstehen des Gehörten voraus. Als Mose mit den zehn Geboten zum Volk Israel zurückkehrt, antwortet Israel, genau übersetzt:

„Wir wollen es tun und hören.“ (Ex 24,7)

In dieser Reihenfolge! Nicht etwa umgekehrt – erst hören und dann tun! Nein, „wir wollen es tun und hören“. Eine falsche Lebens-Praxis beschädigt auch das Denken – so wie die richtige Praxis Verstehen und Erkennen befördert.

Wie unverzichtbar das Tun ist, wird auch an einer rabbinischen Auslegung des Schilfmeerwunders deutlich: Auf der Flucht aus der Knechtschaft Ägyptens war Israel  ans Schilfmeer gekommen, die Verfolger im Nacken. Als schon alles verloren schien, teilt sich das Meer, so dass sie entkommen können. Nach der rabbinischen Auslegung teilt sich das Meer nicht, als Mose den Stab hob. Das Meer teilt sich, als das Volk Israel den ersten Schritt tat…

Darauf kommt es an – den ersten Schritt zu gehen; es zu wagen, das zu leben, was im Sinne Gottes ist; der Sehnsucht zu trauen, dass etwas neu lebendig werden kann in mir, in meinen Beziehungen zu anderen – im Vertrauen auf Gott. Mit anderen Worten: Danach zu trachten, Christus zu erkennen, ihm gleichgestaltet zu werden – das vermag das Haus unseres persönlichen Lebens gut zu gründen.

All das hat auch Bedeutung über das Persönliche hinaus. Denn auch für das Haus unserer Gesellschaft ist es von Belang, zu hören und zu tun, was Jesus uns ans Herz legt. Um nicht missverstanden zu werden: Ich träume nicht davon, dass wir wieder auf eine geschlossen christliche Gesellschaftsordnung zugehen, wie sie zu Zeiten Luthers für viele Leitbild war. Nein, weltanschauliche und religiöse Vielfalt ist heute Wirklichkeit, die wir nicht betrauern sollten. Aber unserer Gesellschaft wie auch die Europäische Union müssen mehr sein als ein mehr oder weniger funktionierendes Wirtschaftssystem. Die vielbeschworene Wertegemeinschaft – national wie europäisch – tut gut daran, sich von Orientierungen Jesu leiten zu lassen. Als er einmal gefragt wurde, was für ihn das wichtigste Gebot sei, antwortete Jesus: Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten. In den gesellschaftlichen Zusammenhang übersetzt heißt das für mich:

Arbeiten wir daran, eine Gesellschaft zu sein, in der Mitmenschlichkeit großgeschrieben wird und die sich im Eintreten für Unterdrückte, Arme und Schwache bewährt.

Halten wir fest daran, eine Gesellschaft zu sein, der die Beziehung zu Gott insofern wichtig ist, als dass die Freiheit jedes Menschen geschützt wird, nach Gott zu suchen und die Beziehung zu ihm auf je eigene Weise zu leben.

All dies sind nicht nur juristische Fragen – es kommt darauf an, wie wir über sie im Gespräch sind, wie wir sie praktisch leben. Hören und Tun: Wo das zusammen kommt, wird unser Leben gesegnet sein – im Kleinen wie im Großen.

Amen.

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