10. September 2017 |

Jesu wahre Verwandte

10. September 2017 von Hans-Jürgen Abromeit

13. Sonntag nach Trinitatis, Predigt über Markus 3, 31 – 35 im Gottesdienst zum Unionsjubiläum und anlässlich 330 Jahre Französisch-Reformierte Gemeinde Bergholz

Liebe Festgemeinde,

ein wenig paradox ist es schon. Da feiern wir in diesem Gottesdienst 200 Jahre Union und gleichzeitig die Selbstständigkeit zweier landeskirchlicher evangelischer Gemeinden an einem Ort. Und die beiden Gemeinden gehören zu zwei verschiedenen Landeskirchen, die eine zum Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und die andere zum Reformierten Kirchenkreis der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Seit Jahrhunderten feiern sie Gottesdienst in der gleichen Kirche, aber in unterschiedenen Gottesdiensten. Schon immer war hier das Parochialprinzip durchbrochen, also der ansonsten in den evangelischen Landeskirchen eiserne Grundsatz, dass sich die Gemeindezugehörigkeit nach dem Wohnbezirk richtet. Erst in letzter Zeit, als Folge der Moderne, weil wir dort zugehören wollen, wo wir uns zu Hause fühlen, und nicht stur an der Gemeinde teilnehmen, in die wir hineingeboren sind, löst sich dieses starre Prinzip auf. Zunehmend lassen sich Christen umgemeinden, weil sie nicht zur Gemeinde ihres Wohnbezirkes gehören wollen, sondern dorthin, wo ihnen der Gottesdienst gefällt, wo sie sich haben taufen lassen, weil sie über Arbeitskollegen Kontakt zu diesem Pastor bekommen hatten oder was es sonst als weitere Gründe geben kann, eine besondere Verbindung zu einer bestimmten Gemeinde zu entwickeln.

Andererseits, wer aus Bergholz wegzog, schloss sich an einem anderen Ort der evangelischen Gemeinde dieses Ortes an. So treffen wir z. B. in Kasnevitz auf Rügen als höchst engagierte Gemeindeglieder der Nordkirche die Familie Hurtienne, die ursprünglich aus der Französisch-Reformierten Gemeinde in Bergholz stammt. Da stellt sich ja heute durchaus die Frage: Wie stehen denn Jesus und die Bibel zu der Frage der Gemeindezugehörigkeit? Gibt es da Antworten? Ist es in einer Zeit kleiner werdender christlicher Gemeinden überhaupt noch angemessen, Jahrhunderte alte Unterschiede so zu pflegen, dass auf Dauer verschiedene Gemeinden an einem Ort bleiben?

Aufgrund höherer Weisheit wird uns in der Predigttextordnung für den heutigen Sonntag dieser Predigttext vorgelegt – das ist spannend! Jesus ist aus seinem und seiner Familie Wohnort Nazareth nach Kapernaum, dem Fischerstädtchen am See Genezareth, gegangen. Dort predigt er, dort heilt er und löst eine Bewegung aus. Die Jesusbewegung hat einen enormen Zulauf. Zuletzt beruft Jesus 12 Jünger und etabliert damit erste Strukturen seiner neuen Gemeinschaft, einer Gruppe neben der Synagogengemeinde, zu der sich Jesus und seine Jünger aber auch weiter zugehörig fühlen. Alle scheinen über Jesus begeistert, nur nicht seine Familie. Diese kommt von Nazareth zum See Genezareth herab. So stehen auf einmal die Mutter Jesu, seine Brüder und Schwestern vor der Tür und verstehen die Welt und ihren Sohn und Bruder Jesus nicht mehr: „Er ist verrückt“, meinen sie (V. 20f). Der Vater wird nicht genannt, was einige Ausleger zu der Ansicht bringt, dass Joseph, der ja wohl viel älter als Maria gewesen ist, zu dieser Zeit bereits verstorben ist. Das bedeutet dann aber: Jesus wäre nach den Sitten seiner Zeit nun der verantwortliche Ernährer und das Familienoberhaupt. Mit seiner Tätigkeit als Wanderprediger hat sich seiner familiären Aufgabe entzogen. Das ist schlimm, denn nach Sitte und Gesetz standen diese Aufgaben und diese Rolle fest. Wer sich dem entzieht, der muss verrückt sein. Genau das sagen die Verwandten Jesu dann auch.

Nun ist Jesus in einem Haus. Er diskutiert und heilt. Die Familie bleibt draußen. Sie kommen nicht herein. Sie lassen ihn rufen. Das ist schon eine peinliche Situation. Alle kriegen das mit. „Das Volk saß um ihn“ (V. 32). Und nun sagt er das: „Wer ist meine Mutter und wer meine Brüder?“ Da muss es einer Mutter doch durch und durch gehen. Verleugnet mein Sohn mich jetzt? Will er mit mir nichts mehr zu tun haben? Und dann schaut Jesus auf seine Zuhörer um sich und sagt: „Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“ (V. 34b.35).

Die wahre Familie Jesu sind die, die sich ihm angeschlossen haben, die inmitten einer an Gott uninteressierten Umgebung seine Botschaft der radikalen Liebe hören und tun. Auf das Tun, liebe Gemeinde, legt Jesus den Akzent. Nicht die hauchfeinen Unterschiede im Bekenntnis sind entscheidend. Entscheidend ist, ob wir heute den Willen Gottes tun: Dazu gehört, jedem Menschen, Jesus sagt sogar, „euren Feinden und den Feinden eures Volkes“, mit Liebe zu begegnen, Versöhnung, Heilung und Frieden zu bringen, und zwar sowohl in den persönlichen Verhältnissen, in Nachbarschaften, Freundschaften und Familien, und in Europa, im Miteinander der verschiedenen kleineren und größeren Völker hier und im weltweiten Maßstab. Ehrlich, echt und liebevoll zugewandt sollen wir leben. Nicht den eigenen Vorteil suchen, sondern alle im Blick haben.

Und was bedeutet das nun für das Miteinander zweier evangelischer Gemeinden hier in Bergholz? Erst einmal ist es ein Grund zur Freude, dass in einem kleinen Ort und seiner Umgebung seit dem Mittelalter Gott gefeiert und Jesus Christus verehrt wird. Dann ging auch Bergholz durch die Reformation und seit 1534 gilt in Bergholz das evangelische Bekenntnis und wird evangelischer Gottesdienst gefeiert. Vor 330 Jahren ergab sich dann noch einmal eine wichtige Veränderung. Seit dieser Zeit ist hier auch Platz für wegen ihres Glaubens aus Frankreich vertriebenen evangelischen Christen einer anderen, der hugenottischen Tradition. Wie wunderbar, dass beide Gemeinden die gleiche Kirche genutzt haben und Menschen unterschiedlicher evangelischer Prägung Heimat gegeben haben. Das ist eine Bereicherung, wenn unterschiedliche evangelische Programme nebeneinander existieren und so verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und anfangs auch Sprachen eine Verwurzelung im Glauben geboten haben.

Ich halte das für zukunftsweisend und hoffe, dass wir auch heute als evangelische Kirche Formen finden, um Christen anderer Sprachen und Kulturen, etwa aus dem Iran oder verschiedenen afrikanischen Ländern in unserer Kirche ein Zuhause zu bieten. Allerdings kann man nach 330 Jahren auch fragen, ob nicht irgendwann der Zeitpunkt kommt, sich unter heutigen Bedingungen als Gemeinden auch eine gemeinsame Struktur zu geben. Wir sind dankbar für alles, was uns die Vergangenheit geschenkt hat, aber entscheidend bleibt Jesu Aussage: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“. Als Christinnen und Christen gehören wir zusammen. Die Frage der Organisation ist dann zweitrangig. Aber sie muss für jede Gegenwart auf Neue gestellt werden. Welche Gestalt der Kirche passt heute am besten?

Es stehen auch heute genügend vor unserer Tür, die – im besseren Fall – Christen für verrückt, im schlechteren Fall für gefährlich halten (so die Schriftgelehrten, wenn sie Jesus als „besessen“ erklären). Wichtig ist, dass wir uns nicht irre machen lassen und uns allein nach Gottes Willen ausrichten.

Was ist eigentlich aus dem Konflikt in der Familie Jesu geworden? Am Ende des Johannesevangeliums (19, 25-27) erfahren wir: Jesus versorgt seine Mutter. Er hat seine Aufgabe als „Ältester Sohn“ am Ende doch wahrgenommen. Er befiehlt sie seinem Lieblingsjünger Johannes an. Dieser hat sich dann wohl auch ihrer angenommen. Aus der Bibel wissen wir dann: Die Verwandten Jesu machten später bei der Urgemeinde mit. Auf Dauer haben sie ihre Ansicht, Jesus wäre verrückt geworden, nicht durchgehalten. Die Botschaft Jesu von der Liebe zu allen Menschen ist einfach überzeugend. Diese Botschaft auszurichten und zu leben, ist die Aufgabe jeder christlichen Gemeinde, egal in welcher Gestalt.
Amen.

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