Zukünftige Schleswiger Bischöfin im Interview

Nora Steen:"Kirche wird sich sehr verändern"

Pastorin Nora Steen wird Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein. Ihr Amt tritt sie am 1. November an.
Pastorin Nora Steen wird Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein. Ihr Amt tritt sie am 1. November an.© Tim Riediger, Nordkirche

31. August 2023 von Joachim Pohl

Die neue Bischöfin des Sprengels Schleswig und Holstein, Nora Steen, spricht im Interview mit sh:z-Redakteur Joachim Pohl über Privates, Mitglieder-Austritte und die Rezepte dagegen.

Ab 1. November ist Nora Steen, die seit 2018 das Christian-Jensen-Kolleg in Breklum leitet, Bischöfin für den Sprengel Schleswig und Holstein in der Nordkirche. Sie löst Bischof Gothart Magaard ab, der das Amt seit 2014 bekleidet und am 31. Oktober in den Ruhestand geht. Wir trafen die 46 Jahre alte Theologin in der Bischofskanzlei an der Plessenstraße in Schleswig.

sh:z: Frau Steen, wenn Sie hier beginnen, ist der St. Petri-Dom Ihre Predigtkirche. Bisher sind Sie in Breklum. Was liegt Ihnen mehr: eine Kathedrale wie der Dom oder eine Dorfkirche wie in Breklum?

Ich liebe beide, weil beide sehr unterschiedliche Atmosphären schaffen. Ich habe lange an der Michaeliskirche in Hildesheim gearbeitet und das ist schon etwas, das ich sehr schätze. Also Kirchen, die die ganze Geschichte in sich tragen. Und so ist es mit dem Dom hier auch. Doch auch eine Dorfkirche wie in Breklum hat einen großen Vorteil, weil man dort besser in eine persönliche Beziehung zu den Menschen gehen kann. Aber ich freue mich schon sehr darauf, wieder in einer großen Kirche Gottesdienste halten zu dürfen.

Der sanierte Turm des Schleswiger Doms.
Der sanierte Turm des Schleswiger Doms. © Tim Riediger / nordpool

Werden Sie dann regelmäßig auf der Kanzel stehen?

Ja. Wir sprechen uns dann sicher im Pfarrteam ab, welche Gottesdienste ich dann übernehmen kann. Ich bin ja ordinierte Pastorin, und so würde ich mich dann als Teil dieses Teams verstehen.

Welche Beziehung zur Stadt Schleswig hatten Sie vor Ihrer Wahl zur Bischöfin?

Ich lebe jetzt seit fünf Jahren in Schleswig-Holstein, und seitdem ist Schleswig für mich eine zentrale Größe. Zum einen dienstlich, weil ich hier viele berufliche Kontakte habe, aber auch privat haben wir relativ schnell die schöne Gegend entdeckt. Wir haben ein kleines Segelboot, das eine Zeitlang in der Flensburger Förde lag und jetzt in der Nordsee liegt. Da muss man ja immer die Gezeiten im Blick haben, und von daher freue ich mich, dass das Boot jetzt wieder in ruhige Gewässer kommt.

Sie sind dann ja ab 1. November eine Bischöfin der Nordkirche. Was bedeutet der Norden für Sie?

Der Norden, so wie ich ihn verstehe, bedeutet mir tatsächlich sehr viel, weil ich mich von meiner Mentalität her hier stark verorte. Ich stamme aus Niedersachsen, und als wir hierher zogen, spürte ich sofort: Das entspricht mir, das passt zu mir. Der schnörkellose Umgang miteinander, wenig Allüren, man kommt schnell auf den Punkt. Die Weite nicht zu vergessen und ständig Wasser vor der Nase zu haben: Das möchte ich tatsächlich nicht mehr missen.

Was ist für Sie derzeit die wichtigste Aufgabe der Kirche?

Wir erleben eine große gesellschaftliche Verunsicherung. Es gibt verschiedene Ängste. Da ist nicht nur der Klimawandel, da sind auch soziale Ängste, der Ukraine-Krieg, die Kriege in der Welt. Ich sehe unsere Hauptaufgabe darin, Räume zu schaffen, in denen Menschen für sich selber das Gefühl bekommen, dass es hier Halt gibt, dass es Menschen gibt, die mich auch sehen, die mich hören, denen meine Nöte nicht egal sind und die eine Form von Gemeinschaft ermöglichen. Und das jenseits aller gesellschaftlichen Spaltungen.

Was kann Kirche konkret für den Klimaschutz tun?

Wir haben noch sehr viele Gebäude, bei denen wir uns um die energetische Sanierung kümmern müssen. Wie können wir Flächen nutzen? Kirchliches Pachtland ist ein großes Thema. Unabhängig davon ist es eine Frage des persönlichen Lebensstils. Wir haben immer noch viele Mitglieder, wir erreichen mit unseren Veranstaltungen viele Menschen.

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Menschen in der Kirche Halt geben, ein wichtiges Ziel für die Theologin Nora Steen. © Tim Riediger, Nordkirche

Im Jahr 2022 haben 380.000 Menschen die Evangelische Kirche verlassen. Wenn es so weiter geht, sind bald keine mehr da. Was kann man gegen die Kirchenaustritte tun?

Ich glaube, dass wir das nicht in großem Stil aufhalten können. Das hat viel mit einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung zu tun, mit Säkularisierung. Insgesamt werden Institutionen mit Argwohn gesehen. Wir merken auch oft, dass viele dieser Menschen gar keine grundsätzliche Kritik an der inhaltlichen Arbeit der Kirche haben. Der Austritt wird nicht mehr verknüpft mit der Arbeit vor Ort. Deshalb müssen wir schauen, wie wir alternative Mitgliedsformen anbieten können. Denn es gibt schon die Bereitschaft sich zu beteiligen, aber anders als jetzt.

Aber es bleibt eine große Zahl derer, die der Kirche, wie sie jetzt ist, den Rücken kehren. Und wenn wir davon ausgehen, dass das nicht umkehrbar ist, wird sich Kirche sehr verändern. Das ist klar. Der Anspruch, dass Kirche überall vor Ort als Gemeinde da ist, wird nicht mehr zu halten sein. Ich glaube aber, dass es unterschiedliche Formen von kirchlicher gemeindlicher Arbeit geben kann.

Muss Kirche die soziale Komponente stärker betonen?

Wir haben die Diakonie als große kirchliche Trägerin, gerade in Schleswig-Holstein mit ganz vielen Kitas und weiteren Einrichtungen. Da passiert schon viel. Ich glaube aber, dass man das noch intensivieren kann, gerade auch, wenn es im ländlichen Raum darum geht, gemeinschaftlich Raum zu schaffen für Begegnungen, wenn möglich, zusammen mit sozialen Angeboten. Da kann es dann auch Kooperationen mit anderen Sozialträgern geben. Das ist ein ganz wichtiger Bereich. Denn: Woran zeigt sich Kirche? Sicherlich nicht allein daran, dass von den Kanzeln schöne Predigten gehalten werden, sondern daran, dass Menschen in ihrem Leben spüren können, dass es einen Unterschied macht, ob Kirche da ist oder nicht.

Stichwort Spiritualität. Viele Menschen wenden sich von der Kirche ab und fernöstlichen Religionen zu. Muss Kirche dagegenhalten?

Das Absurde ist eigentlich, dass wir in unserer christlichen Tradition ganz ähnliche Formen und Praktiken haben. Aber das ist komplett in Vergessenheit geraten. Kirche hat da ein sehr unattraktives Image. So als ob Kirche nur sonntags um 10 Uhr stattfindet. So haben wir leider das Thema Spiritualität aus den Händen gegeben. Das ist fatal, weil es eines unserer Kernthemen ist. Ich habe ein Haus der Stille in einem Kloster geleitet und da oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen erstaunt sind, dass Meditation eine genuin christliche Praxis ist.

Das Interview wurde vom sh:z geführt und erschien erstmals online am 29.8. 2023 sowie am 30.8.2023 in den Schleswiger Nachrichten.
Wir danken dem sh:z für die Einverständnis, dieses Interview auf nordkirche.de zu veröffentlichen.

www.shz.de

Datum
31.08.2023
Quelle
sh:z Verlag
Von
Joachim Pohl
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