„Kirchen verstehen und zugänglich machen“
20. Januar 2013
Gottesdienst mit Zertifikatsvergabe an die Absolvent/innen des Ausbildungskurses
Liebe Schwestern und Brüder!
Nach eineinhalbjähriger Ausbildung werden heute die Absolventinnen und Absolventen des Ausbildungskurses für Kirchenpädagoginnen und -pädagogen offiziell in ihren Dienst in unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland entsendet. Unsere Kirche freut sich auf Sie und Euch alle! Ich danke Frau Inge Hansen und allen beteiligten Ausbilderinnen und Ausbildern von Herzen für Ihr Engagement, die Sie mit Einfühlungsvermögen und pädagogischer Kompetenz diesen Dienst für unsere Kirche getan haben und tun!
Und auch ganz persönlich will ich gerne „Danke“ sagen, für die außerplanmäßigen Fortbildungseinheiten, die ich bei uns zu Hause von meiner Frau Cornelia erteilt bekommen habe. Was habe ich da nicht alles gelernt! Nicht nur über diesen Dom hier, sondern auch noch andere kirchenpädagogische Sachen, die gut und nützlich zu wissen sind! Natürlich hatte sich ja da auch bei mir zuvor schon das eine oder andere Bruchstück an Wissen oder Halbwissen angesammelt – aber: ich fühle mich jetzt doch in mancher Hinsicht auf etwas sichererem Boden. Und ich habe großen Respekt gewonnen für die Aufgabe, die Sie zukünftig übernehmen werden: das schüttelt niemand von Ihnen „aus dem Ärmel“, das ist Predigtarbeit vom Feisten!
Wer weiß, vielleicht haben Sie, liebe Frau Hansen, und all´ die anderen Beteiligten, auf diese Weise noch viel mehr Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer ausgebildet als diese hier, die heute völlig zu Recht ein Zertifikat erhalten. Also: Man muss auch hier mit einer hohen Dunkelziffer rechnen – allerdings mit einer, die durchweg und ausschließlich positiv zu werten ist!
Ich habe hohen Respekt vor dem großen Einsatz, den Sie alle während der Ausbildung gebracht haben – für sich selbst und für Ihre Kirche: ganze Wochenenden, Studientage, Regionaltreffen; schließlich den Druck von Prüfungen, schriftlich und mündlich! Und ich weiß: diese Ausbildung hat Sie gefordert, aber auch reich gemacht, hat Sie in Bewegung gebracht. Sie sehen jetzt Kirchenräume nicht nur im Norden mit ganz anderen Augen. Aber, auch das muss gesagt sein: Sie werden nie wieder einen Kirchenraum, wo immer auf dieser Welt er steht, – „einfach so“ betreten: Sie werden ihn immer entdecken wollen, erforschen, verstehen. Denken Sie daran: das kann anstrengend werden für Sie und die, die mit Ihnen sind…
Dass Sie davon abgeben wollen in Zukunft – Nahen und Fernen: dafür danke ich Ihnen! Damit nehmen Sie teil an dem einen Amt der Kirche, dem der Verkündigung nämlich. Denn dies ist kein Museum. Dies ist ein Raum des Lebens, ein Lebensraum!
Wir wissen es doch, Kirchenräume in Stadt und Land werden häufig nicht nur sonntags, sondern auch im Alltag aufgesucht. Menschen genießen die besondere Atmosphäre dieser so andersartigen, oft fremden Räume und suchen die Stille, um zur Ruhe zu kommen. Auf dieses Bedürfnis reagieren unsere Kirchengemeinden zunehmend, indem sie ihre Kirchräume auch unter der Woche offen halten. Geöffnete Kirchen werben oft mit dem Schild „Tritt ein - die Kirche ist offen“…
Ich finde, das ist ein gutes und richtiges Signal! Nicht nur für Touristen, sondern vor allem auch für die Menschen, die wohnen um eine Kirche herum. Kirche soll sein mitten in der Stadt, mitten im Dorf – und zwar eine offene und schon damit einladende Kirche!
Viele Besucherinnen und Besucher sind darüber hinaus neugierig auch auf die hinter den Bildern und der Architektur stehenden geistlichen Inhalte. Diese sind heute nicht mehr von selbst verständlich. Es braucht Erklärungen. Und es gibt die große Chance, gerade das, was sich eben nicht mehr von selbst versteht, neu zu entdecken.
Es gibt bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach dem, das über diese Welt hinausweist: Es muss doch mehr als alles das geben, was wir sehen und hören können. In diesem Sinne sind Kirchen notwendiger denn je. In einer Welt, in der das Machbare das Maß aller Dinge zu sein scheint, und in der die Grenzen des von uns Menschen Machbaren und Verantwortbaren sichtbar werden, ist es wichtig zu wissen: Diese Welt geht – zum Glück! – nicht auf in dem, was wir sehen und verstehen! Leucht- und Mahnzeichen zugleich sind Kirchen also – wie gut!
Kirchenführungen sind in diesem Sinne Bildungs- und Verkündigungsunternehmen erster Güte. Ich weiß, auch weil Cornelia viel erzählt über ihre eigenen Entdeckungen, welch einen Schatz wir mit unseren Kirchen bergen – nicht nur Architektur- und also Kulturgeschichte. Sondern: Kirchen erzählen fundamental von Gott und von der Geschichte, die Menschen mit diesem Gott haben und hatten. Sie erzählen von Leid und Hoffnung; Freude und Klage: von Lebensbögen eben der Menschen und der Gesellschaft. Und ich weiß neu – auch durch diesen Ausbildungsgang – welch eine Welt sich auftut, wenn wir lernen, genau hinzusehen, hinzuhören, hinzutasten. Wenn wir einen Raum nicht nur als eine geometrische Figur erleben, sondern als ein lebendiges Stück Geschichte und also als ein Stück Leben selbst, in dem sich fragmentarisch das Ganze dieser Welt abbildet.
Sie haben gelernt, selber gut hinzuschauen, es genau zu nehmen mit dem Raum, den Sie sich und anderen erschließen. Die richtig erzählenden Stücke finden sich nicht auf den ersten Blick, sie wollen erforscht, gesucht, erfragt, entdeckt werden – in den Seitenkapellen z. B., in die wir als Einzelne aus eigenem Antrieb nicht hinein gehen.
Jede Kirche predigt. Sie erzählt die Geschichte Gottes hier am Ort. Und sie lädt ein, diese Geschichte zu erobern, selbst Teil von ihr zu werden. Eine Zeit, der scheinbar nichts mehr heilig ist, braucht die Gegenwart des Heiligen, des ganz Anderen, den Hinweis auf die ganz andere Welt, damit wir nicht verloren gehen oder an unserer Hybris ersticken.
Sie, liebe Kirchenführerinnen und Kirchenführer, können nun noch gelehrter und anschaulicher architektonisch, kunst- oder stadtgeschichtlich interessante Gebäudeteile erklären, die Symbolik der Ausstattung wieder verständlich machen. Und sie können noch mehr: Sie können den spirituellen Raum hinter den Dingen – den Bildern, der Architektur – spürbar machen, ein Fenster zum Himmel öffnen. Und, vielleicht wichtiger noch: Sie werden selber reich, wenn Sie spüren und sehen, wie diese Räume sprechen zu denen, denen Sie sie erschließen: da versteht ein Mensch plötzlich etwas von der Geschichte und von dem Geheimnis des Lebens. Da spürt einer plötzlich etwas von der Geborgenheit, die er lange gesucht und außerhalb der Kirchräume nie gefunden hat. Da begegnet einer plötzlich dem Ort seiner Sehnsucht. Wir wissen: Kirchen sind weit mehr als Häuser aus Steinen. Sie sind lebendige Zeugnisse von der Gegenwart Gottes. Sie künden also von Gott als dem Schöpfer und Herrn aller Dinge. Sie geben Zeugnis ab davon, dass Christus der Herr und Heiland dieser Welt ist. Sie mahnen, nicht zu vergessen, dass wir uns nicht uns selbst verdanken und dass wir uns auch nicht selbst erlösen können. In Stadt und Land geben Kirchen so Orientierung.
Kirchen erzählen ganz „weltlich“ Geschichte und Geschichten zwischen Menschen – und sie erzählen ganz „göttlich“ Geschichte und Geschichten zwischen Gott und den Menschen. Sie binden Zeit und Ewigkeit zusammen. Sie sind bergende Orte der Beheimatung. Es ist darum nicht verwunderlich, dass so viele Emotionen wach gerüttelt werden und Protest sich erhebt, wenn ein Kirchengebäude aufgegeben werden muss. Dann spüren viele Menschen, die vielleicht sehr lange gar nicht mehr drin waren, die besonderen Kräfte der Bindung zwischen sich selbst und diesem Haus aus lebendigen Steinen: Da wurde ich getauft und/oder konfirmiert; da wurde ich kirchlich getraut…
Der ach so mobile und flexible Mensch der schönen neuen Technik- und Arbeitswelt, hier spüren viele die Grenzen einer permanenten Selbstüberforderung. Also bleiben die gesucht und kostbar: Orte der Nähe in der Ferne!
Kirchen sind Teile des biographischen aber eben auch des kulturellen Gedächtnisses der Menschen: Jeder und jede kann das doch spüren, wenn er oder sie den Raum betritt. Das ist ein Raum, da ist Gott drin – das ist ein durchbeteter Raum!
Die Absolventinnen und Absolventen des Ausbildungskurses in Kirchenpädagogik haben sich auch dieser Herausforderung gestellt:
Sie haben sich intensiv mit den Glaubensaussagen und der Symbolsprache der Ausstattung und der Baustile von Kirchenräumen auseinandergesetzt und gelernt, eigene Kirchenführungen für ganz unterschiedliche Besuchergruppen zu entwickeln und dabei die im Kirchenraum enthaltenen Glaubenserfahrungen zu übersetzen. Sie haben sich auseinander gesetzt mit den zentralen Ritualen unserer Kirche: mit Taufe und Abendmahl, mit Beichte und Predigt.
Sie alle werden nun führen und geleiten in solch besondere Räume, werden helfen, die Begegnung mit dem Heiligen zu gestalten. Sie werden dabei spüren, was die Menschen suchen, werden ihnen Orte zeigen, wo ein Teil der eigenen Geschichte des Glücks zu finden ist – oder aber, wo ein Teil der eigenen Geschichte der Schuld eben auch seinen rechten Platz hat. Sie werden behüten und weiter geben die Geheimnisse Gottes, die das Leben reich machen, Vergessenes hervor holen und Zerrissenes verbinden. Kurz: Sie werden verkündigen das Wort unseres Gottes. Sie werden ausbreiten den Reichtum, der uns anvertraut ist. Und sie werden selbst dabei beschenkt werden!
Die „Nordkirche“ freut sich, und ist stolz, an der in den letzten Jahren stark gewachsenen Bewegung der „Kirchenpädagogik“ Anteil zu haben. Und ich bin persönlich sehr dankbar, dass Sie alle sich haben anstecken lassen zu diesem besonderen Verkündigungsdienst, in dem Sie nun auf Ihre je eigene Weise, Gastwirte in unseren evangelischen Gotteshäusern sein werden.
Gott segne Sie und alle Menschen, die kommen und sehen die Schätze des Glaubens! Amen.