14. Mai 2015 | Christuskirche zu Rom, Italien

Lasst uns den Himmel wiedererobern!

14. Mai 2015 von Kirsten Fehrs

Die Original-Predigt zu Himmelfahrt in der deutschen Christuskirchen-Gemeinde in Rom hielt Bischöfin Fehrs auf Italinisch. Hier die deutsche Übersetzung:

    Original-Predigt
  • <link file:3596>Bischöfin Kirsten Fehrs feiert die deutsch-italienische und ökumenische Gemeinschaft auf Italienisch

Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen

Liebe ökumenische Gemeinde zu Rom,

ich danke Ihnen sehr für die Einladung zu Ihrem ungefähr 200. Jubiläum dieser wunderbaren lutherischen Kirche. Es ist mir eine große Freude, heute hier predigen zu dürfen – und ich gestehe Ihnen am besten gleich: Ich spreche kein Wort italienisch.

Gar keins.

Aber ich habe einen wunderbaren Referenten, der kann"s. Einschließlich der Aussprache, die ich mir mühsam aneignen musste. Ich stehe bewundernd davor und versuche nun, ihm keinen Ärger zu machen… Vorsichtshalber ist er mit dabei, ebenso wie unsere Partner und Geschwister. Mit Freude sind wir alle miteinander nach Rom gereist, um in dieser deutsch-italienischen und ökumenischen Gemeinschaft zu feiern – und zu beten.

…Damit unsere Hoffnung lebendig bleibt! Und so bin ich schon mitten im Predigttext, der uns ermutigt, als Jüngerinnen und Jünger, Frauen und Männer stets beieinander und einmütig zu sein im Gebet! Und das nicht beschaulich untätig, mit den Gedanken mehr im Himmel als auf Erden. Nein, gerade darum geht es heute nicht an Christi Himmelfahrt. Im Gegenteil. Die zwei Engel im Text fragen vielmehr: "Ihr Männer da in Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel?" Himmel! Es gibt genug auf Erden zu tun. Hoffnung braucht Hand und Fuß! Es muss euch darum gehen, den Himmel zu erden!

Den Himmel erden. Die himmlische Weite hineindenken in Kleingeist und Herzensenge, das Reich der Himmel hinunterlieben in die Mächte und Gewalten irdischer Existenz – dafür ist Gott Mensch geworden in Jesus Christus. Und was für ein Mensch! Heilsam, licht und klar ist es um ihn. Immer der richtige Ort für die verletzte Seele und den suchenden Geist.

Da ist solch eine Kraft! Seine Jüngerinnen und Jünger wissen es genau – und der Evangelist Lukas lässt uns schauen, wie sie da neben Jesus stehen. So erfüllt und dankbar. Während der letzten 40 Tage, als der Auferstandene sie begleitet hat, haben sie sich an so viel Glück erinnert! Aufmerksam hören sie nun sein letztes Wort. "Und als er das gesagt hatte", so fährt Lukas fort, "wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und vor ihren Augen weg."

Aufgehoben und weg von uns – hinein in den Himmel.

Ich finde diesen Gedanken tröstlich. Und denke an meine alte Mutter, als sie von dieser in jene Welt ging. Sie ging hinein in einen Frühlingshimmel mit einem wunderschönen rötlichen Abendlicht. Dazu hat sie immer gesagt: Die Engel im Himmel backen Brot. Wir, die wir in diesem letzten Moment bei ihr sein durften, waren angerührt von diesem Frieden. Und es überkam uns der Gedanke, dass das Sterben nicht nur ein Weggehen ist, sondern auch ein Heimkommen.

Vielleicht ging es den Jüngern damals ähnlich? Dass Schmerz und Glück irgendwie ganz nah beieinander lagen? Im Himmel aufgehoben – ein Abschied mit Trost. Und – so erzählt es die Geschichte weiter: ein Abschied auch mit Neubeginn.

Sicher, da war die Trauer, Christus nicht mehr bei sich zu haben. Vorbei das Privileg, zu ihm gehen zu können, mit ihm Freude zu teilen und das Brot. Ihn körperlich zu berühren und selbst von ihm berührt zu werden. Diese ganze unmittelbare Nähe endet mit Himmelfahrt. Doch es beginnt eine neue Form der Beziehung. Es geht eben gerade nicht darum, Jesus festhalten zu wollen, ihn zu konservieren, ihn einzumauern in noch so prächtige Heiligtümer. Stattdessen werden die, die ihm nachfolgen wollen, herausgerufen. Sie sollen weitersagen, was sie gehört und gesehen haben, wovon ihr Herz voll ist: Gerettet zu sein aus den Fängen des Todes und der Hoffnungslosigkeit. Bestimmt zu sein für den Himmel, für ein Leben, das so viel Schönheit bereit hält und offene Horizonte und Gottesnähe in Unendlichkeit.

Und ich halte inne. Zögere. Denn ist uns dieser Himmel nicht längst sehr nahe gerückt? Oder vielmehr: wir dem Himmel? Die Menschen jagen doch täglich Flugzeuge, Raketen, Satelliten durch die blaue Weite – da scheint nur noch wenig Platz zu sein für Gott.

Davon scheinbar unbeeindruckt halten viele heutzutage fest an der Rede vom Himmel. Obwohl wir in einer Zeit leben, in denen religiöse Sprache und Begriffe längst nicht mehr selbstverständlich sind, ist er in Redewendungen lebendig. "Er ist im siebten Himmel" oder "der Himmel auf Erden".

Der Himmel steht dabei für einen Ort des Lichts, der Weite, der Erfüllung. Und wir sollten ihn wiederentdecken, denn der Himmel in seiner scheinbar grenzenlosen Weite steht eben genau für jene Hoffnung auf eine andere Welt. Und zwar für die unbegrenzte Hoffnung. Mir wurde das deutlich, als ich kürzlich einen Nachruf auf den deutschen Künstler Otto Piene las, der im vergangenen Jahr gestorben ist. Berühmt wurde er durch seine spektakulären Lichtinstallationen. Er ließ riesige aufblasbare Skulpturen in den Himmel aufsteigen, weiße Sterne oder bunte Blumen, einen riesigen Plastikregenbogen gar bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Er malte mit Licht in die Wolken. In dem Nachruf habe ich gelesen, was ihn antrieb: Otto Piene hatte als Junge den Zweiten Weltkrieg erlebt. Er sagte einmal: "Für uns war der Himmel immer besetzt mit Bomben. Wir wollten ihn einfach zurückerobern."

Das hat mich sehr berührt, und ich dachte sofort an die vielen Länder, in denen der scheue Blick zum Himmel gleichbedeutend geworden ist mit der Angst vor Bomben und Tod. Statt vom Himmel Licht, Sonne und Leben zu erwarten, regnet es Granaten, fliegen unbemannte Drohnen über das Land und feuern auf alles, was sich bewegt. Ein furchtbares Szenario, und zugleich ein Bild der absoluten Hoffnungslosigkeit. Lasst uns etwas dagegen setzen, liebe Schwestern und Brüder, lasst uns den Himmel wiedererobern!

Denn es gilt der Satz der Engel, den sie auch uns zurufen: "Frauen und Männer in Rom, was steht ihr da und seht zum Himmel?" Gott hat uns zunächst hineingestellt in unser Leben hier auf der Erde, hier in der Zeit. Ja. Zugleich aber ist es unsere Aufgabe, immer wieder Ausschau nach Christus zu halten, ihn zu suchen. Weil er eben nicht einfach mehr da ist.

Wir müssen dabei Zweifel aushalten und Wüstenzeiten überleben, auch Trauer und Angst vor lauter Verlorenheit. Und trotzdem sollen wir den Mut und die Kraft aufbringen, uns zu ihm und seinem Wort zu bekennen. Das ist das Paradoxon von Himmelfahrt: Vom Himmel her gedacht dennoch ganz auf der Erde leben. Und dies nicht evangelisch hier und katholisch dort und orthodox im Osten. Sondern zutiefst ökumenisch für die ganze Welt. Mit gemeinsamer Hoffnung und im gemeinsamem Friedensgebet, das uns gemeinsam ins Handeln bringt.

Es gibt wahrlich genug zu tun in dieser tobenden Welt. Gerade jetzt, wo so viel Gewalt herrscht und Menschen einander Grausames antun. Wo so viele Christen verfolgt werden, Zustände wie im alten Rom. Und Abertausende von Menschen, darunter so viele Kinder, mein Gott, die auf der Flucht sind. Es gibt so viel Grund, unsere gemeinsame Hoffnung in die Welt zu tragen und es getrost mit Bischof Desmond Tutu zu halten, der uns herausfordert und sagt: „Riskiert, euch so zu verhalten, als wäret ihr vereint, und lasst die Theologen die notwendigen Aufräumarbeiten machen.“

Nun also: Riskieren wir uns.

Riskieren wir die Einheit inmitten der Spaltungen, die unsere Religionen und Gesellschaften zu zerreißen drohen.

Riskieren wir die Liebe inmitten des Hasses, den verirrte Fanatisten im Namen Gottes schüren.

Riskieren wir zu glauben, was man gerade nicht sehen kann.

Riskieren wir also den Glauben an einen Himmel, der sich erden will. Immer wieder. Den Realitäten zum Trotz. Dazu haben wir die Kraft des heiligen Geistes empfangen!

Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine Geschichte erzählen, in der für mich der Himmel für einen Moment wunderbar den Realitäten getrotzt hat: In einem kleinen Dorf in meinem Bischofssprengel sollten kurzfristig etwa 50 syrische Flüchtlinge untergebracht werden. Man ist zunächst sehr beunruhigt. Die Bürgermeisterin wendet sich an die Kirchengemeinde – und von dem Moment an verändert sich ein ganzes Dorf. "Zuerst haben wir miteinander einen Plan gemacht", erzählt mir einer, "und festgestellt, dass fast jede Familie im Dorf mühelos jeweils eine Flüchtlingsfamilie ausstatten kann – mit Bettwäsche, Besteck, Kleidung und Möbeln." "Ja, und dann haben wir das einfach gemacht"…

Dann erzählt die zweite, dass sie zwar vieles gegeben, viel mehr aber noch empfangen haben. Im Dorf gehen sie auf einmal herzlicher miteinander um, ja, lernen einander noch einmal ganz neu kennen. Zwei Nachbarn z.B., total zerstritten, hatten seit Jahrzehnten kein Wort mehr gewechselt. Dann wurden sie losgeschickt, um in der Wohnung der Syrer eine Lampe anzubringen. Über die Leiter hinweg, das ging wohl gar nicht anders, haben sie sich dann schließlich die Hand gereicht. Die alleinlebende Deutschlehrerin schließlich bedankt sich bei den Syrern: liebe Familie von Saida und Faris: Danke, dass ihr mich adoptiert habt." Am Schluss bedankt sich Faris. Auf Deutsch. Beim Pastor, Papa Frank. Und bei Hermann, Susanne, Hans und Martha. Für die Liebe, die sie empfangen haben. Und die Bettwäsche. Und die Lampe – sie sei die hellste der Welt.

Eine wahre Geschichte. In der für einen Moment deutlich geworden ist, was das heißt: Zum Himmel aufschauen und mit dieser Hoffnung unsere Erde verändern. Denn genauso erzählt es auch die Bibel weiter: Nach der Himmelfahrt Christi kehrt ein neuer Geist in der Gemeinde ein. Die Zeit der Angst und Unsicherheit ist zuende. Vom Himmel her scheint uns neues Leben, das ist die Botschaft; neues Leben, das uns verändern wird mit seinen Möglichkeiten. Mit nichts Geringerem sollten wir rechnen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen.

Amen

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