Leben im Kraftstrom des Heiligen Geistes
16. Mai 2016
Predigt am Pfingstmontag zu 1. Korinther 12, 4-11
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus; die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Pfingstmontag steht im ersten Brief des Apostels Paulus im 12. Kapitel:
„Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller;
dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist;
einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist;
einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.“
Liebe Gemeinde,
I.
in Korinth war einiges los. Paulus fiel es nicht leicht, die Geister zu unterscheiden, die sich Bahn brachen in der jungen Gemeinde, die Heil versprachen und Rettung; die in Wettstreit gerieten, wer der beste Mensch sei und somit autorisiert, zu sagen, wo es langgeht. Und woran erkennt man Gottes Geist, den Geist der Liebe und der Freiheit? Gar nicht so einfach – damals nicht und heute auch nicht.
Uns fällt es nicht so leicht, nachzuvollziehen, was der Heilige Geist dort bewirkte. Das liegt aber nicht an den Geschehnissen damals. Das liegt an uns und daran, wie wir Leib Christi sind: Wir geben dem Heiligen Geist einfach wenig Raum. Zwischen Aktendeckeln und Sparbeschlüssen eingeklemmt, hat er es bisweilen schwer, zu werden, was er ist: Kein lahmes Säuseln, kein trockenes Hüsteln – sondern: der Windbraus Gottes. Der uns vorantreiben, der Wind unter den Schwingen unserer Herzen sein will.
II.
Die Korinther sprühten vor Begeisterung. Geistesgaben werden von Paulus aufgezählt - noch und noch. Einer konnte mitreißend Gottes Wort auslegen. Ein anderer war Vorbild im Glauben. Geprüft durch Leid und Anfeindung. Ein dritter heilte. Ein Vierter empfing prophetische Worte, die gänzlich die Situation trafen. Ein Fünfter konnte enthusiastisch in einer unbekannten Sprache beten. Ein Sechster konnte das deuten.
Und der Siebte? Der saß frustriert in der Ecke und fragte sich: ja, und wie bekomme ich jetzt solch eine Begabung – aber bitte verfassungskonform und gemeindekompatibel? Wir möchten immer so gerne, aber trauen uns oft so wenig. Feuer und Flamme sein für den Herrn Jesus: stört das nicht? Ist das nicht peinlich? Wenn das jeder und jede täte? Wir wollen als Gemeinde wachsen, wollen begeistern – und bleiben doch unter uns. Haben wenig Mut dorthin zu gehen, wo die anderen sind. Wir tun so manches, damit der Geist eben nicht weht, wie und wo er will. Berechenbar wie alles im Leben soll auch der Geist sein – alles zu seiner Zeit.
Das ist das Entscheidende, was Paulus mit seiner Gaben-Theologie nahelegt: jeder Mensch ist von Gott begabt. Jeder Mensch hat etwas, was andere nicht haben, können, verstehen. Egal, welcher Herkunft, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Kultur er angehört, egal wie er oder sie glaubt. Die Unantastbarkeit der Würde liegt darin! Und nur wenn jede einzelne Stimme ihren Platz bekommt, wird ein Chor daraus. Nur, wenn wir neugierig aufeinander bleiben, können wir entdecken, was der oder die andere hat, was mich weiterbringt, ergänzt, bereichert. Vielfalt ist nicht Störung, Schwäche oder Systemfehler, sondern gottgewollter Reichtum, Fülle, aus der wir schöpfen! „In jedem offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“, sagt Paulus. Niemand lebt für sich allein.
Die Bewegung der christlichen Gemeinde geht von drinnen nach draußen: Hier im Dom bitten wir um den Geist. Heute und jeden Tag. Und dann hinaus zu den Leuten. An die Hecken und die Zäune. Gemeinde bleibt nicht unter sich. Sie wird entgrenzt. Lernt draußen in neuen Sprachen zu sprechen. Wenn sie hinhört, was gefragt ist. Das ist Pfingsten!
Vor 27 Jahren, in der Bewegung hin zur friedlichen Revolution, haben viele so etwas erlebt: wie man in einem Geist einander stärkte, auf die Beine brachte und die Macht brach. Nicht mit Heer und Kraft, sondern mit der Power des Geistes!
Als Gemeinde können wir erleben, wie Gottes Geist Miteinander und Verständigung stärkt. Dieser Geist beflügelt Menschen dazu, einander zu achten. Er weckt Glauben, der nicht als Waffe gegen Andersdenkende missbraucht wird. Er begeistert Menschen dafür, ihre Stärken für Schwächere einzusetzen.
Gottes Geist lehrt, aufeinander zu hören. Auf die Erfahrungen derer, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen. Auf die Fragen derer, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt und verunsichert sind. Auf diejenigen, die anderer Meinung sind, als ich selbst. Gottes Geist hilft, Spaltung, Abgrenzung und Ausgrenzung zu überwinden. Nicht in diesem Geist handelt, wer Menschen pauschal verdächtigt und ausgrenzt, wer Ängste und Spaltungstendenzen weckt und fördert, wer einen ‚Kampf der Kulturen‘ herbeiruft.
Gottes Geist ermutigt uns als Kirche, nicht unter uns zu bleiben, sondern dort hinzugehen, wo andere Menschen sind: mit einem Fest auf dem Marktplatz, einem Gottesdienst in der Werkhalle, der Predigt auf der Theaterbühne, dem Zwiegespräch im Bahnabteil.
III.
Über 23.000 Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr in Mecklenburg-Vorpommern registriert. In vielen Kirchengemeinden finden Begegnungen mit ihnen statt: Willkommensfeste, Deutschkurse, Kleiderkammern, Teestuben, Frauentreffs, gemeinsame Gottesdienste. Unterstützung im Alltag: Fahrdienste, individuelle Patenschaften, Begleitung zu Behörden und Ärzten. Gleichzeitig entdecken wir: Flüchtlingsarbeit macht unsere Kirchengemeinden lebendiger, geistvoller. Und dann sind wir wie die sechs in Korinth und nicht wie der Siebte. Und da kommen viele, die sich engagiere wollen, die haben mit Kirche bislang gar nichts „am Hut“. Aber sie spüren: mit meinen Gaben, meinem Organisationstalent, mit meinen Beziehungen, mit meiner Sprachkenntnis zum Beispiel kann ich hilfreich sein und – dazugehören!
Und wir lernen, dass auch jene, die nach unseren Kriterien nicht Glieder am Leib Christi sind, begabte Leute sind, beschenkte Menschen, dass auch sie zu der Fülle gehören, aus der wir schöpfen Kraft und Ideen. Und wir lernen, sie zu integrieren in unsere Gemeinschaft – ohne uns dabei aufzugeben, Erkennbarkeit zu verlieren.
Im letzten Jahr haben wir hier in Schwerin und überall in Mecklenburg immer wieder Mut machende Bilder von Willkommenskultur gesehen: Europäische Werte sind das, gelebt als Kultur der Offenheit, nicht als Ideologie der Abschottung. Zeichen sind das auch: gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Ich bin dankbar für alle, die teilen mit denen, die verzweifelt sind und nicht wissen wohin. Die verstehen die Not dieser Menschen, die schon Furchtbares erlebt haben. Die zu Millionen ihre Heimatländer verlassen, die fliehen vor Angst und Schrecken, vor Hass und Gewalt, vor Völkermord und Bürgerkrieg. Und ich bin dankbar jenen, die nahe sind auch denen, die Angst haben angesichts der Vielen, die zu uns kommen, Angst um ihre eigene Zukunft, Angst vor Veränderungen des Vertrauten. Die hinhören auch hier – nicht ausgrenzen. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. Aber auch: „Siehe, ich habe die Welt überwunden!“
Wir haben: die verschiedenen Gaben; aber den einen Geist. Die verschiedenen Ämter; aber den einen Herrn. Die verschiedenen Kräfte; aber den einen Gott, der da wirkt alles in allen. Weil wir leben in diesem Kraftstrom.
Wir jammern oft und klagen über den Verlust an Bedeutung unserer Kirche in der Gesellschaft: wir werden weniger und wir werden älter. Viele kennen uns nicht und wollen mit uns nichts zu tun haben. Unsere Botschaft ist nicht gefragt, sagen wir oft.
Irrtum: wir sind gefragt. Da ist Sehnsucht und da ist Neugier: was glaubst du, was hält dich, woran hältst du dich? Die Bedeutung dessen, was wir glauben und für wahr befinden, entscheidet sich nicht zuerst an Zahlen, Erfolgskurven. Der Geist entscheidet selbst darüber, wie er weht. Aber: öffnen müssen wir uns seiner Kraft, uns überraschen lassen von seiner Vielfalt. Pfingsten bekommt die Botschaft Jesu für die Jünger eine neue Bedeutung, nachdem sie sich aus Angst verkrochen hatten.
IV.
Pfingsten: Das ist der Geist Gottes, der zu uns kommt - heute. Jetzt. Das ist der Geist, der in Korinth wirkte. Das ist diese wunderbare Erfahrung, die die Jünger machten damals in Jerusalem. Nachdem Jesus vor ihren Augen erhöht wurde zur Rechten Gottes. Das ist die Gewissheit: Er ist nicht fort! Nein. Er ist mitten unter uns. Sie wissen nicht wie – aber es ist so. Nachdem sie ihn gesehen haben, den Auferstandenen, nicht erkannt an seinem Äußeren, sondern an dem, wie er sprach und mit ihnen teilte Brot und Wein auf dem Weg nach Emmaus. Der gute Freund, der alles in ihnen und um sie herum verändert hatte: er ist doch ganz nah und vertraut. Darum schreibt der Apostel in seinem zweiten Brief an die Korinther im 5. Kapitel: „… die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für uns gestorben ist, so sind wir alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit die da leben, nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch so jetzt nicht mehr!“ (2.Kor.5, 12ff).
Da ist aber jetzt das Feuer des Geistes. Der Mensch gewordene Gott ist mehr als Fleisch und Blut. Der Erhöhte ist bei ihnen. Ist bei uns. Das ist wunderbar. Das ist auch verwirrend. Das hat die Jünger damals verwirrt und erst durch diese Verwirrung, diese Unsicherheit hindurch dann sicher gemacht. Und das verwirrt natürlich bis heute die Menschen – auch mal einen Bischof wie mich. Dass man sich vergaloppiert und verstrickt in den eigenen Worten auf der Suche nach Begriffen, nach Bildern, die das letztlich Unfassbare, dann doch irgendwie zu fassen suchen. Manche halten das für unverzeihlich. Der Geist der Barmherzigkeit und der Gnade aber führt auch über verworrene und verwirrende Wege zu Gott selbst und über alle Trennung hinweg.
Pfingsten: Das ist die Verheißung: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Welt.“
Pfingsten: Das ist die Geburtsstunde der weltweiten Kirche, Geburtsstunde der Ökumene, des Dialoges der Kulturen und Religionen – und damit auch Vorbild und Abbild der europäischen Friedensidee! Wir sind reich beschenkt mit Partnerkirchen in aller Welt. Und wenn wir einander besuchen, dann erleben wir, was Pfingsten meint: wir leben in unterschiedlichen Kulturen, kommen aus unterschiedlichen Geschichten, sprechen unterschiedliche Sprachen. Aber wenn wir miteinander feiern, beten, singen: dann wissen und spüren wir: wir sind eins in Christus und – wir verstehen einander, lernen voneinander, hören aufeinander. Sehen die Welt mit den Augen der anderen.
Pfingsten ist auch der Geburtstag der Nordkirche. Vier Jahre werden wir jetzt alt – wir kommen jetzt in den Kindergarten... Und jedes Jahr bekommen wir dieses Geburtstags-Geschenk – den Geist, der uns zu braust: Werdet Erdlinge mit mir im Rücken. Erdenmenschen, die angesichts des offenen Himmels über uns gegen die verschlossenen Herzen und Türen in der Welt anstürmen.
V.
Gott will begeisterte Leute. Will uns als solche, denen man abspürt an ihrer Art zu leben, dass sie besetzt, besessen sind von der Liebe, die wir bei Jesus sehen. Dass wir uns treiben lassen und gehen lassen, uns überkommen lassen von seinem Geist. Gott selbst will uns stark machen, uns zu öffnen für neues Leben.
Das ist nicht irgendein Hype. Das ist der Traum vom guten Leben, wie Jesus ihn nicht nur geträumt, sondern auch gelebt hat. Das ist ein Traum, der den Schlaf überdauert. Der Traum von der Liebe, der Gerechtigkeit und dem Frieden für alle Menschen. Der Traum, dass das Leben gelingen kann – und zwar für alle.
Diesem traumhaften Geist möchte ich trauen: Ich habe den Traum, dass eines Tages diese Welt den Frieden Gottes lebt; ich habe den Traum, dass alle Menschen einander achten; ich habe den Traum, dass der Glaube nicht mehr als Waffe gegen Andersdenkende missbraucht wird; ich habe den Traum, dass eines Tages die geschundene Schöpfung sich erhebt und wieder wird, wie Gott sie als gut befunden hat. Und solcher Traum wächst und will heraus. Will stark machen, für ihn einzutreten.
„Du bist der Geist der Liebe, ein Freund der Freundlichkeit, willst nicht dass uns betrübe Zorn, Zank, Hass, Neid und Streit.“ – Dazu treffe uns der Geist Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft.
Amen.