Macht der Wahrheit oder Wahrheit der Macht?
20. November 2015
3. Theaterpredigt im Rahmen der Reihe "Dialog Kirche und Bühne": Landesbischof Gerhard Ulrich zu Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" (4. Akt, I – IV Anfang)
Liebe Theatergemeinde,
herzlich begrüße ich Sie zur dritten Theaterpredigt – diesmal im Großen Haus. Ich bin dem Mecklenburgischen Staatstheater hier in Schwerin sehr dankbar, dass es uns wieder sein Haus öffnet, damit der Dialog zwischen Kirche und Theater, Theologie und Dramatik weitergehen kann. Theater und Kirche: Räume, in denen die Welt ins Spiel gebracht wird, in denen das oft Unverstehbare gedeutet wird , das Unsagbare eine Sprache bekommt, in Szene gesetzt wird das Fragen und Suchen der Menschen.
Beide, Theater und Kirche, suchen nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, nach dem Grund allen Lebens. Und wo wir sonst gern den Vorhang schließen, damit niemand unnötig beunruhigt wird, da geht der Vorhang hier und in der Kirche auf! Nicht brutal, sondern hilfreich geführt öffnen wir den Blick auf die Welt, wie sie ist – und wie sie sein müsste. Denn nur wenn der Vorhang offen ist und bleibt, können wir mutig ins Leben schreiten. Angst überwinden. Uns nicht irre machen lassen.
Ich danke vor allem den Schauspielerinnen und Schauspielern und dem Musiker John R. Carlson, dass sie sich zur Verfügung stellen und eine Szene aus Ibsens “Der Volksfeind“ für uns spielen, bevor die Abendvorstellung mit dieser Inszenierung von Chefdramaturg und Regisseur Ralph Reichel startet. Ihm und der Dramaturgin Julia Korrek sowie Generalintendant Joachim Kümmritz danke ich für die wunderbare Zusammenarbeit.
Hinführung:
An einem Abend im Haus des Badearztes Tomas Stockmann: Hovstad, Redakteur der lokalen Zeitung "Volksbote" und sein Mitarbeiter Billing, sind anwesend. Ebenso Peter Stockmann, Bürgermeister des aufstrebenden kleinen Kurortes und Bruder des Badearztes. Der Bürgermeister hat ein Kurbad geschaffen, das jetzt den Investoren Gewinn bringen muss.
Sein Bruder: bisher Verfechter des Bades. Ein noch nicht gedruckter Artikel von ihm lobt die gesundheitlichen Vorzüge. Jetzt zieht er ihn zurück. Seine Bewertung hat sich geändert: Das Wasser ist verseucht. Wissenschaftlich bewiesen ist es!
Hovstad vom Volksboten und Aslaksen, Vertreter der Hauseigentümer, bieten dem Arzt ihre Unterstützung an. Der eine, um Karriere zu machen, der andere, um mit seinen Leuten weiter vom Bad profitieren zu können. Stockmann spürt nicht den Egoismus der falschen Freunde. Sie rufen ihn zum Volksfreund aus. Hinter vorgehaltener Hand machen sie klar: Der Arzt ist für uns nur nützlicher Idiot.
Der Bürgermeister will den Umweltskandal vertuschen: Ihn zu beheben, würde die Investoren Hunderttausende kosten. Seinen Bruder will er zurück ins System holen. Der spielt aber nicht mit. Seine wissenschaftliche Wahrheit ist ihm absolut. Der Bürgermeister setzt ihn unter Druck: Beugt er sich nicht, wird er entlassen – als: Feind der Gesellschaft. Der Streit um die Wahrheit wird zum Kampf um die Macht.
Die Mehrheit wird Stockmann am Ende zum Volksfeind erklären.
Die Macht der Wahrheit: ein urbiblisches Motiv und Thema. Wir Menschen sind geschaffen und begabt, zu erkennen, was ist. Und wir lernen, uns zur Wahrheit zu stellen – sie auszuhalten, mit ihr das Leben zu gestalten. Mit der bitteren Wahrheit und mit der süßen. Und wir sind begabt, die Wahrheit uns gefügig zu machen, sie zu verändern, uns anzupassen.
Was denen passiert, die der Wahrheit wirklich die Ehre geben – davon singt auch die Bibel ihre Lieder.
Wie im 56. Psalm:
Gott, sei mir gnädig, denn Menschen stellen mir nach;
täglich bekämpfen und bedrängen sie mich.
Meine Feinde stellen mir täglich nach;
denn viele kämpfen gegen mich voll Hochmut.
Wenn ich mich fürchte,
so hoffe ich auf dich.
Ich will Gottes Wort rühmen;
auf Gott will ich hoffen und mich nicht fürchten.
Was können mir Menschen tun?
Täglich fechten sie meine Sache an;
alle ihre Gedanken suchen mir Böses zu tun.
Sie rotten sich zusammen, sie lauern
und haben Acht auf meine Schritte,
wie sie mir nach dem Leben trachten.
Sollten sie mit ihrer Bosheit entrinnen?
Gott, stoß diese Leute ohne alle Gnade hinunter!
Zähle die Tage meiner Flucht,
sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie.
Dann werden meine Feinde zurückweichen, /
wenn ich dich anrufe.
Das weiß ich, dass du mein Gott bist.
Ich will rühmen Gottes Wort;
ich will rühmen des HERRN Wort.
Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht;
was können mir Menschen tun?
4. Akt wird gespielt bis Anfang Szene IV, dann eingefroren
Ich bin beeindruckt – und erschrocken: Leute, die aneinander vorbei reden. Jeder hat Recht, jeder weiß alles.
Was für ein schräges Duett haben wir da eben zum Schluss gehört!? Der Missklang schreit zum Himmel. Alles dreht sich, alles rotiert. Man wird schwindelig und schaut nicht mehr durch: wie im richtigen Leben. Keiner hört mehr hin. Jeder weiß alles – und nichts. Und keiner ist’s gewesen. Wenn einer mit der Wahrheit rausrückt, scheint es, werden alle verrückt. Dann wird der Freund zum Feind. Jede Figur hier auf der Bühne ein eigener Kosmos, eine eigene Wahrheit.
"Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen!" – so lese ich in meiner Bibel. Wahrheit und Freiheit gehören zusammen. Hier aber: Gefangene der Wahrheiten!
Wir nehmen dieses Stück heraus, lassen es so stehen. Und ich, der Theologe, sage etwas dazu:
Der Vorhang schließt sich. Die Schauspieler gehen ab
Liebe Theatergemeinde,
ich lass' die Katze aus dem Sack. Darum geht's im Stück: die Macht der Wahrheit. Oder: die Wahrheit der Macht. Tomas Stockmann, der betet die Wahrheit an. Sein Bruder – die Macht. Und beide werden Opfer ihrer Götzen. "Ihr werdet sein wie Gott", ruft lachend im Paradies die Schlange. Und hält hin Adam und Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis. Beißt rein! Dann wisst ihr alles. Wissen ist Macht: Wahrheit gleich Macht. Da kollabiert das Paradies. Die Bühne dreht sich und beide stehen draußen vor der Tür. Aber was ist die Wahrheit? Mehr als das, was wir wissen, sehen können, allemal. Und jede und jeder hier steht doch, für sich betrachtet, im Dienst der Wahrheit. Da ist niemand böswillig, niemand Täter nur oder Opfer.
Einer hat gesagt: "Die Wahrheit wird euch frei machen." – Die Wahrheit, dass ihr geliebte Leute seid; dass ihr nicht einander bloßstellen müsst, damit man euch sieht.
Doch wie? Schauen wir uns die Sache näher an.
Frei will er sein, der Tomas Stockmann, der Arzt: frei sein, anerkannt, Recht bekommen. Seine Wahrheit ruht auf Fakten. Das ist immer so. Aber hören wir Fakten? Und wenn ja: Wie hören wir sie? Und wessen Fakten hören wir?
Anerkennung! Recht! Große Worte spricht der Volksfreund. Wichtige Worte. Sie tönen durch die Jahrhunderte von den Propheten im alten Israel bis in die Erstaufnahmelager für die Flüchtlinge heute.
Stockmann: Ein Gepeinigter? Ein Wahrheitsfanatiker? Ein Rechthaber? Erwartet er wirklich, wenn er die Wahrheit so hinausbrüllt, dass alle Beifall klatschen?
Er erinnert mich an einige von Gottes tollen Typen, die die Bibel bevölkern. Der Prophet Jesaja zum Beispiel. Rausgeschrien hat er die Wahrheit, wie Stockmann: zurzeit und zur Unzeit. Einmal ist er drei Jahre nackt durch Jerusalem gezogen. Hat seinen Mitbürgern drastisch demonstriert, was vor ihnen liegt. Fakten. Nackt und als Sklaven werden Jerusalems Verbündete in die Verbannung getrieben. Die politische Macht Israels wird zerbrechen. Die gesellschaftliche Elite gestürzt. Warum? Weil die Stadt, weil das Land auf Lügen gebaut ist. Auf einer verlogenen Religion, die Weihrauch schwingt vor Götterbildern und zuschaut, wie die einfachen Leute ausgebeutet werden. Ein Land, das so krank ist wie das Kurbad hier. Stockmann sagt, wie es ist: Das gepriesene gesunde Bad, "die Pulsader der Stadt: eine Pesthöhle […], ein übertünchtes, vergiftetes Grab", und setzt noch einen obendrauf. Das mit dem Wasser ist nur der äußere Ausdruck der inneren Vergiftung. Die Gesellschaft steht "auf dem verpesteten Boden der Lüge"!
Niemand hat den Propheten damals oder jemals zugejubelt; die Profiteure des Systems sind nie begeistert, wenn man ihnen den Spiegel vorhält. Verprügelt haben sie Jesaja damals. Zum Verrückten erklärt. Zu einem, der nicht zurechnungsfähig ist. Später, die Jünger, als sie den Mund auftaten: Betrunken sind sie! Kann ja gar nicht anders sein!
Es gibt so viele Fakten. Es gibt die Macht der Wahrheit.
Und aber auch: die Wahrheit der Macht!
Und eben auch: Erbsensuppe für alle, die sich trauen und an den Fakten nicht stören, weil die Fakten stören. Wir fahren ja auch alle weiter unsere VW-Autos.
Jede Wahrheit hat drei Seiten – mindestens, sagt Horster. Meine, Deine und das, was tatsächlich geschieht.
Und der Bruder, Peter Stockmann, der Bürgermeister? Das Rezept für das Kurbad hat er von Margret Thatcher abgekupfert: Wir privatisieren den Staat und fangen mit dem Gesundheitssystem an. Anleger liefern das Kapital. Dafür kriegen sie Rendite und irgendwann das Geld zurück. Die Hausbesitzer können Fremdenzimmer an Gäste vermieten. Neue Jobs entstehen für Arbeitslose. Blühende Landschaften entstehen vor unseren verdutzten Augen. Wen stören schon die kleinen Tierchen im Wasser! Gibt es doch überall. Der Kurbetrieb muss weiterlaufen. Is too big to fail. The show must go on. Das kennen wir doch. Deutschland – das gekaufte Sommermärchen. Banken, die sich verzocken, werden systemrelevant gerettet.
Wir gehen um mit der Welt, als wenn sie uns gehörte, ein Spielball unser Kräfte?!
Der Bürgermeister ist verliebt in seine Stadt, in dieses System. Die Gesellschaft – eine große Maschine. Und wir alle Rädchen. Es dreht sich hier ja auch alles so schön. Die Bühne, die Welt. Nur der Bruder stört: einer, der nicht mitspielt. Wahrheit stört. Liegt quer zur Welt. Quer zur Macht. Macht alles nur noch komplizierter. Haben ja unsere eigene Wahrheit deswegen, wissen doch, wie das läuft.
Wie aber geht das mit der Wahrheit? Wie bekommt sie Macht?
Der Feind der Wahrheit ist die "kompakte Majorität" – sagen sie bei Ibsen: Wahr ist, was die Mehrheit sagt. Oder Recht hat, wer laut genug ruft und viele hinter sich lockt.
Wahrheit aber ist Dialog, ist Gespräch, ist Kommunikation. Wächst nicht aus der Hierarchie. Aber raus muss sie. Sichtbar werden muss sie.
Es braucht solche Leute wie Tomas Stockmann – damals wie heute. Dringend gesucht, die Mutigen, die der Wahrheit zur Macht verhelfen, die nicht schweigen, sich nicht wegducken. Es braucht Leute, die Feigheit aufdecken und Egoismus – Urquelle aller Angst und Unterdrückung. Es braucht Leute, die Finger in Wunden der Zeit legen. Denn nur, was uns schmerzt, kann auch heilen.
Aber: Stockmann prügelt mit der Wahrheit auf die Menschen ein wie andere mit Keulen. Will Veränderung, erreicht die Menschen aber nicht. Und am Ende der Hass: "Jawohl, so liebe ich meine Vaterstadt, dass ich sie eher zugrunde richten als mit ansehen möchte, wie sie auf einer Lüge gedeiht…" Edel, edel, nicht wahr? Und dann, ganz aggressiv, ohne jede Liebe: "Möge das ganze Land zugrunde gehen; möge das ganze Volk hier ausgerottet werden!"
"Die Wahrheit wird euch frei machen." So heißt es in meiner Bibel. Wir sind nicht Knechte der Wahrheit. Die Wahrheit will Dienerin des Lebens sein. Sie will euch frei machen zur Liebe. Nicht zum Hass. Wenn sie uns in Frage stellt, unsere Schwächen, unsere Widersprüche aufzeigt – und einen Weg, damit umzugehen. Und die Wahrheit heißt: Ihr seid nicht allein auf der Welt. Ihr habt euch nicht selbst hineingestellt.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Er, der die Menschen liebt trotz ihrer Schuld. Der zu denen geht, die sich verrannt haben und ihnen zuhört.
Jesus ist einer, der lässt die – angebliche – Realität nicht so, wie sie ist. Jesus verändert sie. Macht was mit ihr. Akzeptiert Außenseiter, richtet Gedemütigte auf, spricht Rechtlosen Würde und Rechte zu. Nimmt sie alle in die Gemeinschaft mit sich auf. Aber nicht so: Ich bin okay – Du bist okay – alles ist okay!
Jesus sieht die Macken, die Fehler, die Schuld, die wir mit uns rumschleppen. Benennt das. Spricht darauf an. Und liebt die Menschen. Liebt sie auch, wenn sie diese Wahrheit nicht ertragen können. Das löst, das öffnet. Liebe: diese Wahrheit, die dich liebevoll erkennt, aber nicht bloßstellt. Liebe räumt die Furcht beiseite, zu versagen. Liebe gibt Werte an die Hand, zu unterscheiden Gut und Böse.
Jesu Wahrheit zerstört nicht. Er richtet die Menschen auf, die an der Wahrheit verzweifeln. "Siehe!" sagt er wieder und wieder. Sieh hin. Da ist mehr, als du sehen kannst. Diese Welt geht nicht auf in dem, was ist. Du gehst nicht auf in dem, was du kannst, leistest, bringst.
Darum brauchen wir Jesus. Der so unbeirrbar, wie er die Wahrheit will, so unbeirrbar auch die Liebe, die Barmherzigkeit will.
Der uns anschaut und sagt: Aber deshalb seid Ihr noch lange nicht die Guten. Der sieht: Unsere Gesellschaft ist verrottet wie das Kurbad. Weil sie eine Wahrheit nicht wahrhaben will: Wir sind nicht unsere eigenen Herren auf dieser Welt. Wir sind Gäste. Es gibt Regeln, die wir nicht selber bestimmen. Es gibt Freiheit – aber nicht auf Kosten anderer. Es gibt Würde – unantastbar. Trotzdem wird er nicht müde, davon zu reden, hinzugehen. Zu konfrontieren. So geht er hin zu dem Zöllner Zachäus, der die Leute übers Ohr haut mit seinen Steuern. Er sitzt mit ihm, hört zu. Und erklärt ihm seine Schuld. Und sagt: Zahl zurück. Mach was draus. Vergebung nennt man das. Aber nicht: Schwamm drüber. Wahrheit will verändern. Herzen verändern.
"Man kann mit der Bergpredigt nicht die Welt regieren", hat der gerade verstorbene Helmut Schmidt gesagt, als er Kanzler war. Nein. Kann man nicht. Wollen wir auch gar nicht. Aber die Bergpredigt kann die Herzen regieren: Selig sind die Friedfertigen; selig sind die Barmherzigen; selig sind die, die nach Gerechtigkeit streben… – So sind doch viele 1989 auf die Straßen gegangen. Haben der Wahrheit ins Gesicht gesehen. Und ihr Macht verschafft. Und alles verändert. Friedlich revoltiert.
Ich glaube fest: So regierte Herzen regieren die Welt anderes – mit der Macht der Wahrheit. Mit Frieden. An der Seite derer, die im Finstern sitzen und nicht haben, was sie brauchen. Bittere Wahrheit für fast zwei Drittel der Welt.
Jesus ist auch ein Radikaler, auf seine Weise Wahrheitsfanatiker, der nicht verträgt den Kompromiss. Ist einer, den die Wut erfassen kann. Der Händler aus dem Tempel treibt, ihre Tische umstürzt. Aber er wird nicht sagen: Kommt besser alle um. Er weiß: Menschen wollen Menschen immer wieder ins Verderben stürzen – wir brauchen nur nach Paris zu gucken. Und sehen: wie der Mensch dem Menschen zum Wolf wird. Sehen, hören spüren fast körperlich das Unsagbare, Unbegreifbare dieses Hasses, dieser Gewalt: herumirrende Menschen, deren Welt aus den Fugen gebombt wird. Wir sollten uns von den schrecklichen Ereignissen nicht verleiten lassen, uns abzuschotten gegen alles Fremde, sondern auf die Kraft der Freiheit vertrauen. Wir sind gerade jetzt gerufen, mit den Kräften in allen Religionen zusammenzuarbeiten, die dem Frieden dienen und vertreten, was sie für wahr erkannt haben. Wir sollten, wo immer möglich, gemeinsam widerstehen Terror, Angst und Gewalt!
Ich bin der Weg und die Wahrheit: "Was ihr einem der Geringsten tut, das tut ihr mir", sagt Jesus. Gott in jedem Elenden. In den Schwachen zuerst. Christus ist heute an der Seite der Flüchtlinge, die zu Millionen ihre Heimatländer verlassen, die fliehen vor Angst und Schrecken vor Hass und Gewalt, vor Völkermord und Bürgerkrieg, vor wild gewordenen Diktatoren. Er ist an der Seite derer, die ihre Heimatländer verlassen müssen, weil dort die einzige Perspektive der sichere Tod scheint. Und: Er ist an der Seite der Menschen, die ihre Herzen und Häuser öffnen für die Flüchtlinge, die hierher kommen. Die heilen, wo Not ist! Die sehen in jedem Menschen das Antlitz Gottes selbst. In jedem Leidenden den gekreuzigten Herrn. Die Wahrheit des Glaubens. Ganz andere Fakten.
Die große Zahl der Flüchtlinge ist eine Realität unserer Welt. Auch das ist eine Wahrheit. Und diese Wahrheit hat Macht. Die Weltbühne dreht sich um dieses Stück Wahrheit. Und es kommt darauf an, wie wir diese Wahrheit leben! Wie Pegida? Mit radikalen Gesängen und Parolen? Mit Abwehr? Mit Brandsätzen?
"Ich bin so voller Hass – wenn ich was zur Hand hätte, ich würde mich vergessen", sagt eine Demonstrantin in Erfurt dieser Tage. Gefangene der eigenen Wahrheit. Selber vermissend die Liebe, den Schutz, die Heimat.
Andere sehen die, die fliehen, als Menschen in Not. Sehen die Verantwortung, die wir haben für diese eine Welt. Erinnern an die Wahrheit der Liebe, die im Nächsten entdeckt das eigene Leben – und Gott. Erinnern die Weisungen Gottes, der sein Volk liebt, es nicht ins Verderben rennen lässt: "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst..."
Der Glaube an den, der die Wahrheit ist, gibt sich nicht zufrieden mit dem, was unsere Augen sehen, und mit dem, was wir scheinbar nicht ändern können. Der hält nicht still angesichts der Millionen Flüchtlinge auf dieser Welt; der schweigt nicht zu Verfolgung und Terror. Aber die Liebe macht den Unterschied: Sie schafft Anerkennung und Recht. Darum müssen wir uns nicht fürchten. Nicht vor der Macht der Wahrheit. Und vor der Wahrheit der Macht schon gar nicht.