24. Juli 2016 | Rosenow

Marias Magnifikat: Gottes Kraft empfangen im Ringen um Frieden und Gerechtigkeit

24. Juli 2016 von Andreas von Maltzahn

9. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst in der Kirche Rosenow anlässlich des Gemeinde-Kunst-Projektes "Artist in parish", Predigt zum Magnificat (Lk 1,46-55)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Haben Sie ausgemachte Lieblingslieder? Vielleicht „Atemlos durch die Nacht“? Oder lieber „Ein feste Burg“? Vielleicht ein altes Volkslied?

Als ich noch das Glück hatte, mit Konfirmanden zu arbeiten, sangen die am liebsten:

Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
alle Ängste, alle Sorgen
sagt man
blieben darunter verborgen
und dann
würde was uns groß und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und klein...

Die Ängste und Sorgen der Konfis schwangen darin mit und ihre Sehnsucht nach einem Ort, an dem all das leicht und gut zu bewältigen sein würde. Über den Wolken, etwas vom Himmel mitten im Leben ...

Ein solcher Himmel ist hier in der Rosenower Kirche in den letzten Wochen entstanden:

Leicht und luftig schweben die Bänder über uns,
leicht bewegt und doch so, dass man zur Ruhe kommen kann.
Jedes Band in sich geschlossen, ohne Anfang und Ende, wie die Ewigkeit.
Jedes Band mit seinen Wünschen und Hoffnungen – eine Welt für sich.
So wie jeder Mensch eine Welt für sich ist –
reich an Erfahrungen,
gezeichnet vom Leben,
doch nicht ohne Liebe, nicht ohne Hoffnung.
Jedes Band – eine Welt für sich, und doch nicht allein:
Miteinander erst ein Ganzes!
Sich nicht selbst genug,
sondern erst im Zusammenspiel das, was sie sein sollen.
So wie auch wir Menschen:
Darauf angelegt, füreinander da zu sein, werden wir im Miteinander.
Mit-Menschlich hat Gott uns geträumt.
Mit-Menschlich zu leben – dazu sind wir bestimmt.

Ausgerichtet sind auch die Bänder dieses Himmels.
Vorhin, beim Eintreten durch den Turm war es besonders deutlich:
Die Bänder weisen auf den Altar, auf das Banner dahinter.
Alles weist auf Maria.

Leichten Sinnes, jubelnden Herzens, völlig losgelöst auch ihr Gesang:

Meine Seele preist die Größe des Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan,
und sein Name ist heilig.

Man muss sich das einmal vorstellen: Maria, dem einfachen Mädchen aus Nazareth, eigentlich so gut wie verheiratet, wird angetragen, Gottes Kind auszutragen und zur Welt zu bringen! Wie verständlich wäre es gewesen, hätte sie diesen Antrag ängstlich oder empört zurückgewiesen. Maria aber vertraut dem Boten Gottes. Maria vertraut und lässt sich ein auf das, was offenbar ihre Bestimmung ist.

Sie wird schwanger. Sie ist erfüllt von Glück und Liebe. Sie erlebt, was wir alle erleben können – dass Liebe uns verwandelt! In einem Gedicht von Gabriela Mistral heißt es:

Wenn du mich anblickst, werd' ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.
...
Senk lange deinen Blick auf mich.
Umhüll mich zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird, wenn sie zum Fluss hinuntersteigt,
die du geküsst, von Schönheit strahlen.

Die Liebe bringt unsere Schönheit ans Licht – wie alt und unansehnlich wir uns sonst auch fühlen mögen. Die Liebe bringt unsere Schönheit ans Licht: Das können wir mit anderen Menschen erleben – und mit Gott. Die Zuneigung unserer Eltern oder unseres Partners, aber auch die Zuneigung Gottes lassen uns spüren:

Es ist gut, dass ich da bin.
Ich bin geliebt – so wie ich bin.
Ich muss mein Lebensrecht nicht erst mühsam erringen.
Nein, der Himmel hat gewollt, dass ich lebe.
Auch wenn ich viel zu oft hinter meinen Möglichkeiten zurückbleibe –
ich bin wertvoll und angesehen bei Gott.

Wenn du mich anblickst, werd' ich schön ...

Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.

Schwestern und Brüder, der Lobgesang der Maria enthüllt uns ein facettenreiches Gottesbild.
Gott schaut. Er sieht nicht weg.
Niedriges, Menschliches, auch Allzumenschliches macht ihn nicht irre.
Wo wir eher nach oben schauen,
hat Gott einen Blick für die kleinen Leute und ihre Sorgen.

Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind.
Er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.

Da wird es auf einmal politisch:
Die Machthaber sollen sich nicht zu sicher sein, singt Maria,
Hochmut kommt vor dem Fall.
Wie schnell kann das gehen, dass die Machtverhältnisse sich verkehren:
Wer eben noch oben auf war, ist im nächsten Moment unten durch.

Genau hier beginnen meine Fragen: Wie soll ich Marias Gesang zusammenkriegen mit den Wirren unserer Zeit?! Die Tyrannen unserer Tage – wie sehr wünschte ich mir, dass Gott sie hinwegfegte! Wie sehr sehnt sich der Nahe Osten nach Frieden, aber die Spirale von Gewalt und Unterdrückung dreht sich weiter. Wie bedrückend ist es, in welcher Weise Präsident Erdogan die Demokratie in seinem Land demontiert! Da wollen Egomanen wie Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden – und werden möglicherweise sogar gewählt! Da schüren Populisten Ängste und Vorurteile, versprechen einfache Lösungen, die es gar nicht geben kann – und die Leute, auch bei uns, fallen scharenweise auf sie herein! Und dann die fanatisierten Attentäter, die unschuldige Menschen mit in den Tod reißen!

Kann Gott das nicht mal in Ordnung bringen? Hat Maria in jugendlichem Leichtsinn den Mund zu voll genommen?

Ja, warum greift Gott nicht ein? Wie oft wünschte man sich das auch heute! Dass er dreinfährt und das Morden beendete! Dass er die Herzen und Hirne der Machthaber zum Frieden und auf den Weg der Gerechtigkeit lenkte! Dass er die Kugeln der Attentäter nicht ihr Ziel finden lässt!

Doch offenbar ist Gott anders – nicht der Eingreifer. Er ist nicht der große Marionettenspieler, der an den Fäden zieht, und wir Menschen tanzen nach seinem Willen. Nein, frei sind wir geschaffen – frei, so zu leben, wie es gut und lebensfördernd ist, aber eben auch frei, uns dagegen zu entscheiden. Man kann nicht beides haben wollen – wahre Freiheit und Gottes Fädenziehen! Nein, es ist schon unsere Verantwortung, wie wir in dieser Welt leben, wie wir die Krisen meistern, wie wir Frieden bewahren und für gerechtere Verhältnisse sorgen.

Das Gute ist: Gott steht uns dabei zur Seite. Er stärkt uns den Rücken. Von ihm können wir Kraft empfangen, wenn wir uns ihm öffnen. Sein Geist kann uns beflügeln und inspirieren, so dass wir Widerstände überwinden.

Und haben wir selbst dies nicht auch in besonderen Momenten erlebt? 1989 zum Beispiel: Ein Volk, das geübt und niedergehalten war in Anpassung – dieses Volk richtet sich auf und lebt den Traum der Befreiung. Die einen füllen westliche Botschaften, die anderen die Kirchen. In einem Land, in dem alles „seinen sozialistischen Gang ging“, in dem das geflügelte Wort galt „Lieber zehn Fehler mitmachen, als einen allein“ – in diesem Land nahmen Menschen ihr Herz in beide Hände, übernahmen Verantwortung und zeigten der allmächtigen Partei: „Wir wollen nicht mehr so weiter leben!“

Und dann fiel die Mauer. Ich entsinne den Morgen danach, im Radio die überglücklichen Menschen hüben wie drüben, Menschen, die sich zumindest für eine Nacht als Brüder und Schwestern erlebten. Meine Tränen flossen an diesem Morgen, denn mir war, als würde ein unsichtbares, bleiernes Kleid von mir genommen, eine Last, die ich wohl oft nicht bewusst wahrgenommen, aber ein Leben lang mitgeschleppt hatte. In der Erleichterung dieses Morgens spürte ich:

. Es würde vorbei sein damit, dass Lehrer Kinder in der 2.Klasse aufstehen ließen, um sie wegen ihres Glaubens an Gott von den Mitschülern auslachen zu lassen.

· Es würde ein Ende haben mit der gespaltenen Erziehung, dass Eltern ihren Kindern beibrachten: „Wir denken so, aber in der Schule musst du so und so sagen.“

· Niemand würde mehr Angst haben müssen, an der Grenze erschossen zu werden oder in jahrelanger Haft Schaden an Leib und Seele zu nehmen.

· Die Baudenkmäler würden nicht weiter verfallen, sondern für die Zukunft erhalten werden. Es ist doch eine wahre Freude, diese wunderbar restaurierte Rosenower Kirche zu sehen!

· Es würde vorbei sein mit der Bespitzelung eines ganzen Volkes und dem Verbiegen von Menschen.

Was für eine Erleichterung, das bleierne Kleid der Unfreiheit nicht mehr tragen zu müssen!

Ich weiß nur zu gut: Wir sind keineswegs in einer idealen Gesellschaft angekommen. Dass Menschen über Jahre hinweg keine Arbeit finden, dass es Kinder aus bildungsfernen Verhältnissen schwer haben, ihre Fähigkeiten voll zu entwickeln, dass sich ganze Regionen von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlen – all das darf uns nicht ruhen lassen. Aber wir haben die Chance, daran zu arbeiten, dass die Verhältnisse nicht bleiben wie sie sind! Gott stärkt uns dabei den Rücken.

Dass dieser Weg anstrengend und mit Kämpfen verbunden sein kann, hat auch Maria erlebt. Kaum hatte sie das Jesuskind geboren, mussten sie auf die Flucht, in die Fremde. Ablehnung und Spott erfährt ihr Sohn und endet am Galgen. So sehen wir eine andere Maria im Altar und vergrößert auf dem Banner dahinter. Sie erscheint gezeichnet vom Leben. Manche Flüchtlingsfrau mit ihren Kindern mag sich darin wiederfinden. Ich jedenfalls muss an die Familie meiner Mutter denken, die auf den Treck aus Ostpreußen heraus musste. Ich denke an syrische Familien, die heute auf lebensgefährlichen Wegen zu uns gelangen.

Maria: Der Himmel aus den verschiedenen Bändern in dieser Kirche ist auf sie ausgerichtet. Im Altar und auf dem Banner dahinter erscheint sie als apokalyptische Madonna, von der die Offenbarung des Johannes in mythischen Bildern erzählt:

Am Ende der Zeiten erscheint eine Frau am Himmel, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.

Ein Drache bedroht sie und ihr Kind.

Ein unbarmherziger Kampf beginnt – und es dauert lange, bis der Drache zur Strecke gebracht ist.

Nein, der christliche Glaube sieht nicht alles durch die rosarote Brille.
Er weiß um die Nöte und Kämpfe.
Doch genauso weiß er um die Hoffnung und ihren Grund.
Darum ist es gut, wenn wir unsere Hoffnungen teilen und stärken.
Darum ist es gut, sich zu erinnern, wozu wir bestimmt sind:
mit-menschlich zu leben, füreinander da zu sein.
Es ist gut, der Liebe zu trauen, wo sie uns geschenkt wird.
Es ist gut, unser Vertrauen auf Gott zu setzen. Wie Maria.
Gott führt seine Welt zu ihrem Ziel.

Amen.

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