7. Juni 2014 | Kappeln

Musik als Atem des Glaubens

07. Juni 2014 von Gerhard Ulrich

Predigt zur Orgelweihe, Acta 2 und Psalm 150

Liebe Gemeinde,

 

alle warten auf ein Pfingstwunder. Irgendwie muss was passieren. Was Großes. Etwas, das aufreißt das Schweigen und die lähmende Angst wegnimmt.

Da sitzen sie in Jerusalem beieinander, die Jünger. Zurückgezogen hatten sie sich nach Jesu Tod. Zusammengefallen waren ihre Hoffnungen. Angst regiert sie. Die Stimme hatte es ihnen verschlagen. Da waren nur noch sie selbst und ihre Trauer, ihr Selbstmitleid auch. Und raus wagten sie sich sowieso nicht mehr. Was sollte werden?

„Türen sind verriegelt, Augen blicken bang. Menschen fürchten Menschen, keiner wird mehr froh!“ – So drückt ein Kinderlied zum Pfingstfest aus, was die Jünger empfunden haben.

„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.

Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.

Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen…“

So erzählt die Apostelgeschichte das Pfingstwunder. Wie ein Brausen vom Himmel: neue Kraft. Alles wird durchgeweht, durcheinander gewirbelt. Und Feuer und Flammen waren da, die die Menschen entzündeten.

Das haben ja die Jünger damals erlebt in Jerusalem, nachdem sie sich zurückgezogen hatten in Angst und Trauer nach Jesu Tod. Als sie nicht wussten, wie es weitergehen sollte mit Ihnen. Als alles verstummte, Worte fehlten. Als nichts mehr ging. Als sie einander nicht mehr verstanden und von allen guten Geistern verlassen schienen. Da war es plötzlich, an dem Fest, zu dem Menschen aus aller Welt nach Jerusalem gekommen waren, als hörten sie ein Brausen. Und es war, als setzten sich Flammen auf die Häupter der Menschen. Und da geschah das Pfingstwunder, dass alle Menschen aus allen Teilen der Welt einander plötzlich verstehen konnten. Dass die Verschiedenen plötzlich vereint waren. Das ist die Vision einer Welt, da alle Grenzen und Trennungen überwunden sind. Eine Vision, die nicht fern im Jenseits auf uns wartet, sondern hier und jetzt befeuert werden will von Gott, der sich zeigt mit seiner Kraft, der uns befeuert, den Mund aufzutun, damit nichts bleiben muss, wie es immer war und ist.

Die Jünger damals spürten plötzlich – keiner weiß, wieso –  wie sie Feuer und Flamme waren und wussten: Jesus, den wir tot glaubten, lebt und ist hier. Sein Geist ist da, belebt uns wieder. Und Petrus und die anderen, so erzählt die Apostelgeschichte, tun den Mund auf, finden ihre Sprache wieder und erzählen von Gott und seinen Verheißungen. Die Angst ist wie verflogen, weggeweht vom Wind des Geistes. Und sie wussten: Gott selbst befeuert uns neu, lässt durch alle Trauer hindurch Leben neu entstehen, weist gute Wege für uns und die Unseren. Und alles, was mühselig und belastend erschien, wurde leicht.

„Am hellen Tag kam Jesu Geist; alle wissen jetzt, was Freude heißt…“ – So singt es das Kinderlied weiter.

Und ist es nicht heute irgendwie so, liebe Gemeinde hier in Kappeln, als eben die neue Orgel erklungen ist: da habe ich das zu spüren geglaubt, dass da nun endlich der lang ersehnte, lang erkämpfte neue Wind weht?! Dass da eine Gemeinde eine wichtige Stimme wiedergewonnen hat!? Und die Stimme der Musik: ist sie nicht wie die Kraft zu Pfingsten, die eine gemeinsame Sprache finden lässt, die wildfremde Menschen einander verstehen macht, die überwindet die Zertrennung?! Die Kulturen und Konfessionen überwindet?!

Das ist für mich etwas von der Kraft, der österlichen, die Steine von den Gräbern wälzen kann, die Steine von beschwerten Seelen wälzen kann und die Sinne frei bekommen kann von Angst und Hoffnungslosigkeit. Musik ist der Atem des Glaubens. Und nirgends wird dieser Atem so hörbar, so verstehbar wie an dieser Orgel. Ein Meisterwerk der Instrumenten-Baukunst.

Ich schaue mit Dankbarkeit und Hochachtung auf alle, die hier am Ort und an vielen anderen Stellen unserer Nordkirche für diese neue Orgel gekämpft und sich eingesetzt haben, die Geld gegeben und ganz viel Zeit und Phantasie investiert haben, damit dieses neue Instrument verwirklicht werden konnte.

Ich erinnere mich noch sehr genau, lieber Herr Euler, als Sie zaghaft zunächst, dann immer energischer, aufmerksam gemacht haben auf die Mängel der alten Orgel, der irgendwie die Luft ausging. Und wie sie argumentieren mussten auch gegen solche Stimmen, die sagten: „wieso, klingt doch noch gut, die geht doch noch!“ Und in der Tat war es erstaunlich, wie Sie aus dem alten Instrument herausgeholt haben, was gar nicht mehr drin war - trotz hängender Töne, ausgefallener Register und schlapper Züge.

Und dann sind es immer mehr geworden, die gearbeitet haben an der Idee, eine neue Orgel nicht nur für St. Nikolai zu bauen, sondern für die ganze Stadt! Kirchengemeinderat, Kirchenkreis, Orgelsachverständige der Nordkirche, vor allem der Orgelbauverein, der sich um Dich, lieber Thies Kölln, gegründet hatte, der Förderkreis für die Kirchenmusik, Vereine und verbände der Stadt und der Region: eine ganze Region ist in Bewegung geraten, hat sich anstecken lassen von der Idee der neuen Orgel!

Und dann kamen Sie ins Spiel, lieber Herr Klein. Ihr Entwurf hat die Menschen hier in der Gemeinde überzeugt. Sie haben sich an die Umsetzung gemacht. Als Sie mir vor ein paar Wochen das Instrument vorführten, wurde mir sehr klar, welch ein gewaltiges Werk Ihnen hier gelungen ist! Das Alte aufnehmend und doch ein Instrument zu bauen, das seinen ganz eigenen Charakter, seine ganz eigene musikalische Sprache sprechen würde; komplex und detailgetreu. Mutig mussten Sie sein, besessen von der Idee dieses Instruments. Und was so leicht klingen mag, wenn einer die Manuale und Pedale bewegt: es ist das Ergebnis eines hoch komplexen Zusammenspiels von Pfeifen, Registern, Zügen und Laden.

Die ganze Stadt hat den Bau verfolgen können und alle Besucher der Stadt auch: im Schaukasten konnte man verfolgen den Fortschritt des Baus. Und als die großen Blasebälge kamen, die Lunge des Instruments sozusagen, da haben viele gestanden und bewundert, wie die großen teile durch die Schall-Luken im Turm mit Flaschenzügen unter das Gewölbe gebracht worden sind, von wo sie dem Instrument Wind einblasen.

Und hier auf der Orgelempore haben Sie und Ihre Mitarbeiter monatelang das Instrument nach Ihrem Plan zusammengebaut. Jede einzelne Pfeife ein eigener Charakter, eine eigene, unverwechselbare Stimme. Und Gruppen zusammengefasst zu Registern und Klangfarben. Fasziniert habe ich vor dem großen Plan gestanden, auf dem die einzelnen Pfeifen eingezeichnet sind und auf dem beschrieben ist, wie sie zusammen spielen. Und wie auf engstem Raum ein riesiges Orchester installiert scheint. Alles muss aufeinander eingespielt sein, nichts ist zufällig angeordnet. Und wie jede einzelne Pfeife liebevoll eingesetzt ist so, dass sie Luft bekommt, wenn es sein soll, so dass sie ihren Ton loswerden kann.

Die Atemwege sind das Entscheidende: dass die Luft, die oben angesaugt wird, zu den Pfeifen geleitet wird.

Sie haben ein wunderbares Werk geschaffen, lieber Herr Klein. Und ich weiß, dass Sie 40 Jahre Ihrer Erfahrung in dieses Instrument gesteckt haben, mehr noch: Ihre Seele, sagen Sie. Mit Leidenschaft und handwerklicher Präzision haben Sie gearbeitet und sich dabei in mehrfacher Hinsicht und Bedeutung auch hier und da verausgabt. Und Sie haben hier vor Ort Hilfe erhalten, haben sich getragen fühlen können von der Vorfreude auf Ihr Instrument, das Sie heute der Gemeinde übergeben. Mit Recht sind Sie stolz auf das, was Sie geschaffen und geschafft haben. Und zurück treten für diesen Moment all die Sorgen und Komplikationen, die es bei so einem großen Projekt eben auch gibt. Hier in St. Nikolai steht nun ein Stück von Ihnen, Ihrer Seele. Und es wird auf immer mit Ihnen verbunden bleiben.

Sie selber, lieber Herr Klein, wissen: die Orgel ist mehr als ein Instrument. Soli deo gloria – allein Gott zur Ehre wird sie erklingen. Sie ist eine wichtige und gewichtige Stimme der Verkündigung, des Lobens und Preisens unseres Gottes, der alles so wunderbar regiert. Mit ihr wird laut der Glaube, der sich ausstreckt über diese Welt hinaus; der sich nicht zufrieden gibt mit dem, was war und ist. Ihr Klang wird aufrichten Geknickte und trösten die Traurigen. Ihr Klang wird hinaustragen die Freude des Lebens derer, die hier ihren Weg miteinander beginnen.

„Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.

Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?“

Das ist natürlich erst einmal zum Entsetzen, dann aber Grund großen Staunens und großer Freude: der Geist, den Jesus ihnen versprochen hatte, er entfaltete seine Friedenskraft. Er führt zusammen, was getrennt ist. Er überwindet und findet Sprache, die alle verstehen. Er versöhnt die Verschiedenen.

„Der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe!“

Ja, Jesus war lebendig! Er war mitten unter ihnen.

Und genau das, liebe Gemeinde, ist hier erfahrbar, ist hörbar. Das ist ein Pfingstwunder, das sich abbildet in so einer Orgel: da sind die verschiedenen Töne, von denen jeder für sich erklingt. Aber wenn sie zusammen erklingen, dann ist es, als würde mit einer Stimme gesungen, gespielt, gelobt!

„Lobet ihn mit Posaunen,

lobet ihn mit Psalter und Harfen!

Lobet ihn mit Pauken und Reigen,

lobet ihn mit Saiten und Pfeifen!

Lobet ihn mit hellen Zimbeln,

lobet ihn mit klingenden Zimbeln!

Alles, was Odem hat, lobe den HERRN!“

Das ist das Wunder des Glaubens, der zu Pfingsten seinen Lauf nimmt in die Welt, der Petrus zuerst und dann den anderen den Mund öffnen lässt und mutig verkündigen den Frieden und die Gnade unseres Gottes.

Und dieser Glaube, liebe Gemeinde, zeigt sich in großer Vielfalt. Er hat viele Stimmen. Jede Stimme ist wichtig und unverzichtbar. Wie in dieser Orgel. Die Vielfalt ist keine Schwäche, die man überwinden muss, sondern eine Kraft, eine Stärke des Glaubens! Wichtig ist dies, wovon die Orgel klingt: es ist ein Wind, ein Atem, der die Töne erzeugt! Es ist der eine Gott, sein Wort, das braust und tönt und die Herzen erreicht und aufrichtet die Seelen. Es ist der eine Herr, der Schöpfer allen Lebens, der uns seine Kraft eingibt, der uns beschenkt mit seiner Kraft, so dass wir einstimmen in das Lob der ganzen Kreatur.

Mit dieser Orgel wird neu bekräftigt die Stimme der Gemeinde hier am Ort. Und sie wird klingen weit über die Grenzen von Stadt und Land hinaus. Und sie wird erreichen die herzen vieler Menschen. So, dass sie Feuer und Flamme sein mögen für den, der uns nicht lässt, der uns begleitet und ständig neuen Atem gibt.

Dass diese Orgel zum Lob Gottes erklingt und zum Segen der Menschen in Stadt und Land: dazu segne uns Gott!

Amen.

Datum
07.06.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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