Nordkirche führt gesetzliche Regelungen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt ein
01. März 2018
Lübeck-Travemünde. Zu Beginn ihrer Tagung hat die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) heute (1. März) in erster Lesung das Kirchengesetz zur Prävention und Intervention gegen sexualisierte Gewalt in der Nordkirche und ihrer Diakonie beschlossen. Die Nordkirche ist die erste Gliedkirche innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die rechtliche Standards gegen sexualisierte Gewalt in einem Präventionsgesetz verankert.
Damit schafft die Nordkirche eine kirchenrechtliche Grundlage, um auf allen Ebenen grenzachtende Kommunikation und Klarheit zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zu gewährleisten. Die darin enthaltenen Regelungen gelten für die landeskirchliche Ebene, für Kirchenkreise und Kirchengemeinden sowie für die Landesverbände der Diakonischen Werke. Diese sollen ihre selbständigen Mitglieder zur Beachtung des Kirchengesetzes verpflichten. Diese Form der Verpflichtung achtet die rechtliche Selbstständigkeit der Einrichtungen.
Im besonderen Fokus des Schutzes stehen Kinder und Jugendliche, aber auch alle anderen Schutzbefohlenen, haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle diejenigen, die kirchliche Angebote wahrnehmen.
Sexualisierte Gewalt nach diesem Kirchengesetz umfasst alle strafbaren sexualbezogenen Handlungen, aber auch sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen.
Ein Schwerpunkt des Gesetzes ist die Prävention, bei der es darum geht, die Ausnutzung von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen zu unterbinden und Übergriffen vorzubeugen. Die 2013 gegründete „Koordinierungsstelle Prävention“ der Nordkirche soll hierfür in eine „Fachstelle sexuelle Gewalt“ überführt werden und den Prozess der Umsetzung des Gesetzes begleiten.
Auch im Bereich der Intervention sieht das Gesetz die Einrichtung von Verfahren und Strukturen vor mit dem Ziel, Gefährdungen oder übergriffiges Verhalten schnellstmöglich zu beenden. Etabliert werden sollen geordnete und fachlich begründete Vorgehensweisen im Umgang mit Wahrnehmungen beziehungsweise Meldungen zu Vorfällen von sexualisierter Gewalt oder grenzverletzendem Fehlverhalten. Der Schutz von Betroffenen hat dabei oberste Priorität.
Die jetzt auch gesetzlich vorgesehene Struktur basiert auch auf Erkenntnissen und Erfahrungen aus Missbrauchsfällen im Gebiet der ehemaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und der heutigen Nordkirche.
Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, betonte heute vor der Landessynode: „Mit diesem Präventionsgesetz wird das übergeordnete Ziel des Zehn-Punkte-Plans der Nordkirche zum Grundsatz unserer Arbeit: eine Kultur der grenzachtenden Kommunikation, der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet sind. Entscheidend ist, sowohl die nachhaltige Präventionsarbeit in der Nordkirche zu gewährleisten, als auch Hinweisen auf sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen in sachgerechter Weise nachzugehen.“
Neben Präventionsbeauftragten soll es daher gesonderte Beauftragte in den Kirchenkreisen und Hauptbereichen der Nordkirche geben, die entsprechende Meldungen und Hinweise entgegennehmen. Auf diesem Weg soll ein geordnetes Verfahren geschaffen werden, das die Experten der Unabhängigen Kommission der Nordkirche 2014 empfohlen hatten.
Intervention ist stets auch verbunden mit der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt. Das Präventionsgesetz beinhaltet daher auch den Paragraphen „Hilfe für Betroffene“, der die Arbeit der 2012 von der Nordkirche ins Leben gerufenen Unterstützungsleistungskommission verstetigt.
Dr. Alke Arns, Leiterin der Präventionsstelle freut sich über die Zustimmung der Landessynode: „Im Fokus der Präventionsarbeit kann jetzt neben einer verstärkten Aus- und Fortbildungsarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch die Entwicklung und Umsetzung von einrichtungsspezifischen Schutzkonzepten stehen. Mit diesem Schritt setzt die Nordkirche unter anderem die Erfahrungen und Lehren aus der eigenen Aufarbeitungsgeschichte in die Präventionspraxis um. Sie nimmt hiermit zudem ihre Verantwortung wahr, die Vorgaben des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) zu erfüllen und individuelle Schutzkonzepte auf allen Ebenen kirchlichen Wirkens auf den Weg zu bringen.“
Das Gesetz soll sicherstellen, dass sich alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit den Inhalten des Präventionsgesetzes durch eine Selbstverpflichtungserklärung auseinandersetzen. Entsprechende Standards, beispielsweise in der Aus- und Fortbildung, werden ausgeweitet.
Dr. Henning von Wedel, Mitglied der Kirchenleitung und der „Arbeitsgruppe Prüfung und Umsetzung des Zehn-Punkte-Plans“ hatte das Gesetz heute gemeinsam mit Bischöfin Fehrs auf der Landessynoden-Tagung eingebracht und dabei hervorgehoben: „Mit diesem Gesetz machen wir deutlich, dass grenzüberschreitendes Verhalten in unserer Kirche nicht geduldet werden darf und stellen den fachlich richtigen Umgang mit solchen Fällen auf eine verlässliche gesetzliche Grundlage, die über den strafrechtlichen Rahmen hinaus Schutz gewährt.“