Prof. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts: „Wagnis um der Freiheit Willen“

Nordkirche und Unternehmer luden ein zum „Gottorfer Gespräch“

Dr. Philipp Murmann und Bischof Gothart Magaard mit dem Hauptreferenten des Abends, Prof. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Dr. Philipp Murmann und Bischof Gothart Magaard mit dem Hauptreferenten des Abends, Prof. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe© Antje Wendt, Nordkirche
Die Teilnehmende hören aufmerksam dem Vortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu
Die Teilnehmende hören aufmerksam dem Vortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu© Antje Wendt, Nordkirche

12. Oktober 2022 von Antje Wendt

Schleswig. Gemeinsam mit der Studien- und Fördergesellschaft der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft e. V. sowie dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche (KDA) lädt die Bischofskanzlei in Schleswig Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einmal jährlich zu den “Gottorfer Gesprächen” ein. In diesem Jahr war Prof. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, nach Schleswig auf die Schlossinsel gekommen. Sein Vortag zum Thema „Das Grundgesetz und der Zusammenhalt der Gesellschaft“ stand im Mittelpunkt der Veranstaltung.

Zusage an alle Menschen

Gothart Magaard, Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein, begrüßte die Anwesenden zum mittlerweile fünften „Gottorfer Gespräch“. Zur Einführung in das Thema erinnerte er an die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als Grundlage anerkennt und achtet – sie ist Angebot und stets auch Aufgabe. Doch Grundrechte und Menschenwürde,“ so Magaard,“ werden durch die Probleme unserer Zeit im hohen Maße berührt. Deshalb ist der Artikel 1 Absatz 1 im Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ mehr als oberste Rechtsnorm. Es ist eine Zusage an alle Menschen“. 

Grundrechte mit Leben füllen

Dr. Philipp Murmann, Vorsitzender der Studien- und Fördergesellschaft der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft, würdigte in seinen Eingangsworten die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts: „Das Bundesverfassungsgericht gestaltet und verfeinert unsere Verfassungswirklichkeit seit 1951 mit Leidenschaft und im Geiste des Grundgesetzes. Es ist damit ein entscheidender Faktor für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Die Grundrechte stehen nicht nur nebeneinander auf Papier, sondern sie müssen ständig in neue Balancen miteinander gebracht und mit Leben gefüllt werden. Diese Balance zwischen den Freiheiten des Einzelnen und den Bedürfnissen der Allgemeinheit leistet in maßgeblicher Weise Karlsruhe.“

Menschenwürde, Rechtsstaat und Sozialstaat an zentraler Stelle

In seinem Vortrag ging der Hauptreferent der Veranstaltung, Prof. Stephan Harbarth, auf die Grundlagen der Demokratie ein. Der Staat trage sich nicht selbst durch seine Institutionen, so Harbarth, sondern werde durch jene Bürgerinnen und Bürger getragen, die nicht nur für sich, sondern auch für die staatlich verfasste Gemeinschaft Verantwortung empfinden und wahrnehmen. Harbarth verwies vor diesem Hintergrund zum einen auf die Gefährdung der Demokratie durch einen wahrnehmbaren Verlust ihres Ansehens in Teilen der Gesellschaft. Zum anderen sprach er die aktuellen Krisen an, die uns unsere Verletzlichkeit vor Augen führten.

Demokratie, legte er dar, müsse eine immer komplexer werdende Welt in komplexen Verfahren ordnen und bewältigen. Die Sehnsucht nach Einfachheit und Eindeutigkeit kann durch den demokratischen Prozess häufig nicht gestillt werden. Hieraus erwächst Enttäuschung, die autokratische Entscheidungsstrukturen mit ihren einfachen vermeintlichen Antworten attraktiv erscheinen lässt”.

Als zentrale Begriffe für einen freiheitlichen Rechtstaat stellte Harbarth die unantastbare Menschenwürde, den Rechtstaat und den Sozialstaat dar. “Mit den grundlegenden Prinzipien unserer Staatsorganisation, mehr aber noch mit den Grundrechten sollte sich jeder identifizieren können. Jeder sollte dazu beitragen wollen, unsere Verfassungsordnung im Rahmen der ihr oder ihm gegebenen Möglichkeiten und Mittel zu verwirklichen. Und doch ist und bleibt es Wesensmerkmal des freiheitlichen Rechtsstaats, solche Grundidentifikation nicht hoheitlich einfordern zu können”, machte er deutlich. Dieses „Dilemma“, so Harbarth, sei das große Wagnis, dass der Staat um der Freiheit Willen eingehe“.

Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft

“Auch die beste Verfassungsordnung kann keinen Erfolg haben, wenn sie keine Menschen antrifft, die sich mit Mut, Entschlossenheit und Leidenschaft für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagieren. Sie bleibt darauf angewiesen, dass sie aus der Mitte der Gesellschaft heraus unterstützt wird”, schloss der Referent seinen Vortrag.

Wir brauchen eine Streitkultur 

Im Anschluss an den Vortrag kam es zur gemeinsamen Aussprache mit den Vertreterinnen und Vertretern aus der Zivilgesellschaft. Ein wesentliches Thema, das die Teilnehmenden bewegte, war die Demokratieverdrossenheit, die in Teilen der Gesellschaft zu beobachten sei. Außerdem ging es um die Verrohung in der Streitkultur, die viele der Anwesenden aus eigenem Erleben bestätigen konnten. Auf die Frage, wie eine gute Streitkultur wiederhergestellt werden könne, riet der Präsident des Bundesverfassungsgerichts zum persönlichen Gespräch, denn im Schutze der Anonymität werde vieles gesagt, was in der Begegnung nicht ausgesprochen würde. Dass eine funktionierende Demokratie eine Streitkultur brauche, stand dabei außer Frage: „Wir brauchen eine Demokratie, in der in der Sache hart gestritten werden darf, ohne persönlich zu werden,“ so Harbarth.

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