27. Februar 2020 | Kirche St. Lorenz, Lübeck-Travemünde

Nüchtern, wach, aufmerksam - im Vertrauen auf Gottes Liebe und seine Verheißung

27. Februar 2020 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Andacht von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zum Auftakt der 5. Tagung der II. Landessynode. Thema: Die bundesweite Aktion "7 Wochen ohne Pessimismus"

Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,

und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.

            Wasche mich rein von meiner Missetat,

            und reinige mich von meiner Sünde;

denn ich erkenne meine Missetat,

und meine Sünde ist immer vor mir.

            An dir allein habe ich gesündigt

            und übel vor dir getan, auf dass du recht behaltest in                              
deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest.

Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden,

und tilge alle meine Missetat.

            Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz

            und gib mir einen neuen, beständigen Geist.

Verwirf mich nicht von deinem Angesicht,

und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.

            Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,

            und mit einem willigen Geist rüste mich aus.

7 Wochen ohne  -  7 Wochen ohne Pessimismus,  so das Motto der diesjährigen Fastenaktion. 19 Wochen nach dem antisemitisch und rassistisch motivierten Attentat in Halle, eine Woche nach den rassistisch und rechtsextrem motivierten Morden in Hanau, beide, wie wir heute wissen,  auch verbunden mit der Abwertung von Frauen, eine halbe Woche nach den so vielen  Kindern und Erwachsenen,  die an Leib und Seele verletzt und verwundet wurden als ein Mann offenbar gezielt sein Auto in eine Menschenmenge steuerte - nach all dem fällt es manchem schwer, diesem Motto einfach so zu folgen.

Denn sieben Wochen ohne Pessimismus, das könnte leicht missverstanden werden: Als gespielte Zuversicht - trotz aller Trauer, aller Ohnmacht, aller Fragen ohne Antwort, die einen in diesen Tagen und Wochen ergreifen können. Oder es könnte verstanden werden als falscher Idealismus, der die existentielle Bedrohung nicht ernst nimmt,  der Menschen in unserem Land ausgesetzt sind,  wenn sie von populistischer und rechtsextremer Hetze  als angeblich zu hassende „Andere“ deklariert werden.

Natürlich - sieben Wochen ohne Pessimismus  ist so sicher nicht gemeint. Sieben Wochen ohne Pessimismus - das kann nur heißen: Einstehen für eine Zuversicht,  die sich auf Gottes Zusagen statt auf die Heilsversprechen von Menschen verlässt.  Eine Zuversicht,  die sich in Nächstenliebe und Barmherzigkeit zeigt, und uns deshalb gut begründet und belastbar  füreinander einstehen und einander zur Seite stehen lässt  -  unabhängig von Nationalität, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung, und auch von Besitzstand und Vermögen. Einfach, weil wir Menschen sind, geliebte Geschöpfe Gottes und einander als eben solche anerkennen und würdigen.

Als Menschen, die einander als Mitmenschen begegnen - auch und gerade dann,  wenn Menschenleben gefährdet und bedroht sind. Auch und gerade dann, wenn Menschen von Krankheit und Leid, seelischem wie körperlichem, gezeichnet sind. Auch und gerade dann, wenn menschliches Leben zu Ende geht oder wenn Menschen sich wünschen, dass ihr Leben zu Ende gehen möge. Gerade dann geht es darum, sich einem, einer anderen mit Barmherzigkeit, Respekt und Menschenliebe zuzuwenden. Es geht darum, eigenständig Verantwortung für sich selbst  wahrnehmen zu können - ja. Aber es geht auch darum, sich dabei nicht aus der Verantwortung füreinander zu entlassen. Auch nicht aus der Verantwortung für diejenigen, die eine erbetene Assistenz in der Suizidhilfe übernehmen - und danach vielleicht von Zweifeln und Fragen  überwältigt werden.

Es geht darum, dass Menschen nicht unter Druck geraten dürfen, ihr Recht auf Leben und ihre Würde rechtfertigen zu müssen, schon gar nicht dann, wenn andere der Ansicht sind, dass sie ihr Leben beenden sollten - weil ihr Leid als zu groß, oder die Kosten einer langen Pflege  als zu hoch empfunden werden.

Nach dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wird die Politik, wird der Gesetzgeber die Suizdhillfe nun zeitnah regulieren müssen. Eine kommerzielle, und deshalb von ihrer Grundausrichtung auf Gewinn und Profit hin ausgerichtete Sterbehilfe kann aus christlicher Sicht dabei nicht Antwort auf die Fragen sein, die sich am Ende eines menschlichen Lebens stellen können.

Denn im Leben und im Sterben stehen aus christlicher Sicht Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit  an erster Stelle - und nicht Kommerz und Profit. In dem Diskurs zu einer gesetzlichen Regelung, der dem gestrigen Urteil nun folgen muss, werden wir als Kirche diese Position deutlich eintragen. Und ebenso fordern wir, dass die bestmögliche Hilfe und Versorgung von todkranken Menschen, wie sie z.B. in Hospizen in diakonischer und kirchlicher Trägerschaft geschieht, eine deutliche Unterstützung und Stärkung aus der Politik brauchen.

Sieben Wochen ohne Pessimismus, aber auch ohne naive Zuversicht nach dem Motto: wird schon…, für mich heißt das, auf Nüchternheit zu setzen. Und das nicht im alkoholischen Sinn. Denn ja, ich mag die protestantische Nüchternheit, und ein wenig norddeutsch ist sie ja auch. Sei sie nun hanseatisch, pommersch, holsteinisch oder mecklenburgisch konnotiert.

Nüchternheit - nicht als Absage an Emotionen und Gefühle, aber verbunden mit der Frage: verstehst du auch, was du fühlst und warum du so fühlst? Nüchtern sein -  aufmerksam und wach wahrnehmen, was geschieht: In unserer Gesellschaft, in unserer Kirche. Sich hoch emotionalen Polarisierungen verweigern - und besonnen und klar nach Lösungen suchen. Auch in den nächsten Tagen hier auf der Landessynode: Nüchtern, wach und aufmerksam.

Diese Haltung spielt eine wichtige Rolle in einem Brief, der vor Jahrhunderten an eine christliche Gemeinde  geschrieben wurde, die in einer nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft lebte. Im 1. Petrusbrief heißt es: Seid nüchtern und wacht. Und einen Vers zuvor: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.

Um genau diese Spannung geht es - nüchtern, wach und aufmerksam zu sein und zugleich in dem Vertrauen auf Gottes Liebe  und seine Verheißung zu leben. Eine Spannung,  die sich nicht nach einer Seite hin auflösen lässt. Wach und nüchtern sehen wir,  was ist und was geschieht - und richten zugleich unsere Aufmerksamkeit auf das, was noch verborgen, aber im Kommen ist. Was noch im Werden ist,  aber in Fülle da sein wird - Gottes Wirklichkeit, sein Frieden, seine Gerechtigkeit, sein Reich.

Das schließt heilsame Grenzen und Begrenzungen ein: Gegenüber allen Versuchen, das Heil für einzelne oder gar für die ganze Welt  selbst herstellen und durchsetzen zu wollen, erinnert unser Glaube daran: Das Heil der Welt kommt allein von und durch Gott.

Gegen alle Machbarkeitsphantasien, wie wir Menschen  die Grenzen des Lebens  aushebeln und neu definieren könnten, hält unser Glaube daran fest: Wir Menschen sind Beauftragte, sind Geschöpfe, nicht Schöpfer.

Gegen alle Versuche,  die Welt allein aus ihr selbst heraus zu erklären und sie damit letztlich auch sich selbst zu überlassen, hält unser Glaube das Wissen wach: Das Sichtbare und Vorfindliche hat seine Grenzen. Das Gegenwärtige ist das Vorläufige. Und alles, was ist,  ist schon jetzt von Gottes Zukunft umfangen.

Gegen Hoffnungslosigkeit wie Selbstüberhebung verweist unser Glaube auf den Gott aller Hoffnung, der war, der ist und der kommt - überraschend, unerwartet, ganz anders.

Sieben Wochen ohne Pessimismus - nüchtern, wach und achtsam sein. Das griechische Wort,  das die Bibel für „wachen“ gebraucht - gregoreo - dieses griechische Wort ist ursprünglich ein Plusquamperfekt. Es kommt her vom griechischen Verb egeiro -  aufwecken, auferwecken. Ich bin wach, aufmerksam, wachsam - das heißt also eigentlich: Ich war aufgeweckt worden -  deshalb bin ich wach. Wir sind wach, aufmerksam, wachsam, weil Christus uns aufgeweckt hat - beim Namen gerufen in ein neues Leben. Und wir werden wach sein, weil Christus uns auferweckt - beim Namen ruft, wenn einst der Himmel kommt, der jetzt schon die Erde grüßt. Amen.

 

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