Ostern ist Aufbruch
16. April 2017
Predigt zu Matthäus 28, 1-10, Evangelische Messe am Tag der Auferstehung des Herrn - Ostersonntag
Liebe Ostergemeinde!
Zu Beginn des Reformationsjubiläums gab es eine internationale Bischofskonferenz. In Wittenberg, versteht sich. Stellen Sie sich vor, ein ganzes Hotel voller Lutheraner! Fröhliche, große schwarze Bischöfe aus Tansania, etwas kleinere aus Indien und noch kleinere aus China, Böhmische Brüder aus Prag, Bischöfe aus dem Baltikum, Ungarn, Schweden, Finnland, Dänemark. Ach ja – zwei Frauen waren wir. Immerhin. An den Abenden dieser Konferenz erzählen wir uns immer, was aktuell los ist in der Lutheraner-Familie. Bedrückendes, besonders von unseren Geschwistern im Nahen Osten. Aber auch Heiteres. Viel Hoffnungsfrohes. Ich mag diese Erzählrunden sehr. Sie verbinden uns als Weltgemeinschaft und deuten das Weltgeschehen. Und manchmal ist es tatsächlich wie in unserer Kantate heute ein Dialog zwischen der Furcht und der Hoffnung. Wenn letztere singt: „Mein Auge sieht den Heiland auferweckt, es hält ihn nicht der Tod in Banden.“ Und die Furcht entgegnet: „Kein Auge sieht den Heiland auferweckt…hilf mir, besiege meinen Zweifelmut…“ (was für ein Wort!).
Dass auch heute mancher schwankt zwischen Glaube und Zweifelmut, wusste aktuell der Bischofskollege aus Dänemark zu berichten. Mit diesem unnachahmlichen dänischen Akzent, der ja jeder Katastrophe irgendwie schon ein bisschen die Schwere nimmt. Er erzählte, dass es doch tatsächlich, wir glauben es nicht!, einen Pastor in seinem Bezirk gegeben habe, der habe die Auferstehung angezweifelt! Der habe tatsächlich gesagt, dass er das mit dem leeren Grab nicht mehr glauben möchte. Unfassbar! Auf unsere Frage, was er daraufhin mit dem Pastor getan habe, führte er aus: Tja nun, er habe ihm einen alten, sssehr alten, erfahrenen Bischof hingeschickt und der hat mit ihm geredet, SEHR LANGE geredet, sehr ernst und nachdrücklich, und – was soll er sagen – jetzt glaubt der Pastor wieder! Der Bischof lächelt. Gloria Victoria!
Bei aller ungewollter Komik – welcher Lutheraner folgt, mal ehrlich, irgendeiner bischöflichen Autorität?! -, dem Kollegen war es bitter ernst damit. Bei der Auferstehung hört der Spaß auf!
Ach nein, denke ich.
Bei der Auferstehung fängt er doch erst an. Oder um es dem Ernst der Sache angemessen mit dem Evangelium zu sagen: Die große Freude beginnt! Zugegeben - erst einmal klein und zart, mit der Stimme der Furcht im Hintergrund. Denn das leere Grab, das die zwei Frauen entdecken, lässt sie erschrecken. Wo ist der Leichnam hin? Etwa gestohlen? - Nein, fürchtet euch nicht; er ist auferstanden! - Doch die Frauen sind zutiefst verunsichert. So unerbittlich real war Jesu Tod. Und nun soll genau ihre Sehnsucht erfüllt worden sein, dass der Geliebte wieder bei ihnen ist? - Ja doch, er ist auferstanden! Es ist wahr, schaut das leere Grab! - Und auf einmal weicht die Unerbittlichkeit des Todes – weg ihr Trauergeister! – und lässt einer leisen Zärtlichkeit ihr Recht.
Diese Zartheit hat ihren Sinn. Sie steht für das Wahrhaftige an Ostern. Und die liegt gerade nicht in gloriosen pastoralen Beweisketten, wie und wann Christus denn nun tatsächlich auferstanden ist. Nein, die Wahrheit liegt viel tiefer. So tief, dass sie uns glücklich machen kann. Wunderbar erleichternd. Als würde ein riesiger Stein von der Seele gewälzt.
Ich bin sicher, solch ein befreiendes Gefühl haben wir alle schon einmal erlebt. Nach einer bedrückenden Sorge, endlich, die gute Nachricht. Nach großer Schwäche, endlich, wieder gewonnene Kraft. Nach schwelendem Streit, endlich, das klärende Wort. Nach großem Verlust, endlich, das erste Lachen. Weggewälzt der Stein von der Seele – ich glaube, Ostern ist schon für viele Menschen wahr geworden. Vielleicht nennen sie es anders. Und ziemlich sicher erleben sie es anders, als Matthäus es in seinem Evangelium beschreibt.
Denn da wird der Stein mit Macht gewälzt. Gott selbst greift ein: Zunächst mit einem Erdbeben, bei Matthäus ist es schon das dritte. Allerdings haben wir es hier nicht mit einem Beben der Zerstörung zu tun. Nein, hier wird – umgekehrt! – die Zerstörung erschüttert. Es bebt das Grab, es zittert der Tod. Und schon sieht man einen blitzgewitzten Engel, der – welch ironische Finesse! – den weggewälzten Grabstein zu seinem Thron umfunktioniert. Die Soldaten fallen ob dieser Frechheit in Ohnmacht und sind dem Tode näher als dem Leben. All diese Dramatik, liebe Gemeinde, soll das Gelächter Gottes veranschaulichen, das er dem Tod entgegen schleudert. So laut, dass die Frauen sich erschrecken. Wer rechnet auch schon so überraschend mit dem Leben! Schnell, um die Frauen zu beruhigen, wiederholt der Auferstandene das Engelwort: Fürchte dich nicht.
Da setzt sie dann ein, die große Freude. Als die Angst vor dem Leben vergeht. Trotz all der Dramatik kommt es Matthäus letztlich auf diesen kleinen leisen Moment mit dem Auferstandenen an. Auf ihn – und auf die Frauen. Nicht allerdings in dem Sinne, wie ein Schüler die Ostergeschichte nacherzählt: „Als Jesus auferstand, erschien er zuerst einigen Frauen, damit die Sache schneller bekannt würde.“ Scherz beiseite: Ja, auf die Frauen kommt‘s an, weil sie – ehrlich! – nichts mehr glaubten. Sie glaubten nicht mehr, dass sie diesen Verlust jemals überstehen würden. Drei Tage lang war es für sie die Hölle. Innerlich herabgestiegen in das Reich des Todes. Wie er. Drei lange Tage war die Welt gottlos. Verloren.
Verlorenheit erleben viele Menschen in diesen Tagen, Ostern 2017. So viel Gewalt, Terror, auch hier bei uns. Ich denke an die Trauernden und Verwundeten in Berlin, London, Stockholm, St. Petersburg. Dortmund. Man könnte meinen, der Karfreitag wolle kein Ende nehmen. Gerade eine Woche ist es her, da wurden am Palmsonntag 45 koptische Christen bei islamistischen Anschlägen getötet! Mir ist das sehr nahe gegangen, zumal ich dem koptischen Bischof Anba Damian ökumenisch verbunden bin. Morgen predigen wir gemeinsam. Zu meiner Einführung als Bischöfin hat er mir damals dieses wunderschöne Kreuz geschenkt. Es sollte mich, die Schwester, schützen und segnen.
Kürzlich wurde er gefragt, ob er denn angesichts all der Gewalt überhaupt noch Ostern feiern könne. „Aber ja!“, erwiderte er. „Ostern ist das Fest des Sieges über den Tod!“ Und fügte hinzu: „Im Leiden Jesu verkraften wir unser Leid. …Wir freuen uns an Ostern, mit ihm aufzuerstehen. Damit gibt er uns die Hoffnung, mit ihm in alle Ewigkeit leben zu dürfen.“
Ähnliches habe ich schon oft von orientalischen Christen gehört. Sie bewahren tiefe Hoffnung auch im tiefsten Leid. Natürlich lösen solch brutale Anschläge auch bei ihnen Schmerz, Trauer und Traumata aus. Doch bemerkenswert finde ich: Daraus folgen keine Hassparolen, da ist kein Drang nach Vergeltung. Sie lassen sich nicht hineinziehen in die Gewaltspirale. Sie deuten stattdessen die Welt vom Kreuz her. Allein Jesu Tod und seine Auferstehung erschließen ihnen die Wirklichkeit. Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass das koptische Kreuz an einen Schlüssel erinnert.
Die Haltung hinter dieser Weltsicht ist ja: Das Leben selbst ist ein so hohes Gut, dass jeder Hass und jeder Vergeltungsgedanke mich stärker vom Leben trennen als ein Terrorist es je könnte. Daraus erwächst eine unglaubliche Stärke, die diese Kirche seit fast 2000 Jahren überleben lässt. Vom Kreuz her die Welt erschließen, das ist nicht zu verwechseln mit stiller Passivität. Die Kopten protestieren sehr wohl gegen die Gewalt der Terroristen. Sie fordern ihr Recht und erheben ihre Stimme gegen die Diskriminierung als religiöse Minderheit.
Vom Kreuz und der Auferstehung her die Welt erschließen – das heißt für mich: Mit ihnen protestieren, erfüllt von dieser Hoffnung, die die Zerstörung erschüttert. Den Schlüssel des Todes und der Hölle, den halten wir mit Jesu Kreuz und Auferstehung in Händen! Das ist der Kern der Osterbotschaft: Dass man all die Destruktivität, die Gewalt und die Furcht, dass man all dies überstehen kann. Und mehr noch: Dass man wie die Frauen bewegt werden soll, Botschafterinnen der Freude zu sein.
Er ist wahrhaftig auferstanden! Das ist zu erinnern, zu bekennen, zu erlieben! und zwar im Angesicht all dessen, was uns Angst macht. Er ist auferstanden – im Angesicht der niedergeschlagenen Opfer. Aufgestanden! - im Angesicht der Kinder, die in Syrien durch Giftgas getötet wurden, mein Gott! Und aufgestanden! - im Angesicht der Flüchtlinge, die jüngst wieder zu Hunderten im Mittelmeer ertranken, buchstäblich dürstend nach Gerechtigkeit.
Ostern, liebe Gemeinde, ist der Mut zu glauben, was (noch) nicht zu sehen ist: Die bessere Welt. Und das heißt eben gerade nicht, den Verstand an der Garderobe abzugeben. Sondern es heißt, Position zu beziehen, damit sich Verhältnisse ändern. In österlicher tiefer Freude, die etwas weiß von tiefem Leid.
Es heißt, einzustimmen in den Dialog der Kantate und mit der Hoffnung etwas der Furcht entgegen zu setzen. Als gäbe es nichts zu hoffen, zu glauben, zu lieben! Im Gegenteil! Dass jedes Leben eine unendliche Würde besitzt, von keinem ist dies anzutasten – darin macht mich doch unser Glaube gewiss. Dass uns der Himmel immer wieder neu aufgeschlossen wird wie ein Wertezelt für unsere Gedanken, das glaube ich, gewiss. Auch dass das Leben nach dem Tode weitergeht, wer weiß schon so genau wie. Dass wir getragen werden von der einen zur anderen Welt, schließlich ganz leicht wie eine Feder, das glaube ich gewiss. Und dass wir hier auf der Erde sind, um eines wirklich zu verstehen: nämlich, dass Ostern nicht zu haben ist, ohne aufgeweckt zu sein. Haltung zu zeigen. Jetzt. Es sind so viele, die es brauchen, dass wir sie sehen, aufrichten, trösten - hingebungsvoll friedliebend und energisch. Eben: vom Leben gezeichnet!
Das ist dran. Jetzt. Ostern ist Aufbruch. Auch des ordentlich Konventionellen. Einfach einmal herzensnah zeigen, dass man glaubt, was man glaubt. Jemandem, den man noch nicht kennt, sagen: Christus ist auferstanden. Und hören: Er ist wahrhaftig auferstanden. (ausprobieren) …. Geht doch schon ganz gut. So viele von Ihnen, die lächeln. Bewegung der Herzen aufeinander zu. Darum geht es. Aufstehen und die Auferstehung erhoffen, mit großer Freude, das möge uns verändern und die Welt auch!
Ich wünsche Ihnen wahrhaft fröhliche Ostern.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen.
Amen.