Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis zum Abschluss der Visitation im Kirchenkreis Ostholstein
31. Oktober 2011
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch! Liebe Gemeinde, „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ Diese Empfehlung ist häufig dann zu hören, wenn Neues und Aufbruchartiges diskutiert wird. Und in der Tat: Es ist ja durchaus nahe liegend, möglichst lange bei dem zu bleiben, was sich einmal bewährt hat. Bislang Erfolgreiches zu verlängern. Sicheres Terrain nicht vorschnell zu verlassen. Nicht anders erging es offenbar den Jüngern schon zu Jesu Zeiten. Wir habe es eben in der Lesung aus dem ersten Kapitel des Markusevangeliums gehört. Kaum, dass sie berufen sind, kaum, dass ihr Leben in der Nachfolge überhaupt beginnen konnte, kaum, dass die Verkündigung Jesu, seine Predigt und seine Heilungen ihren Anfang genommen haben, da wollen die Jünger Jesus am liebsten sofort nach Kapernaum zurückholen: „Jedermann sucht Dich!“
Keine Frage: Es ist schön, Erfolge zu feiern. Und es ist gut und es tut gut, wenn die Resonanz groß ist. Die Predigt in der Synagoge, die wundersamen Heilungen, die Beherrschung der bösen Geister – all dies hinterließ verständlicherweise großen Eindruck, es weckte Sehnsüchte und Erwartungen und schuf Bedarf nach mehr.
Kennen Sie das auch hier in Eutin und im Kirchenkreis Ostholstein, in der „Kirche am frischen Wasser“? Die ganze Woche habe ich Ihren Kirchenkreis besucht. Ich habe viele Menschen getroffen, die mit hohem Engagement kirchliches Leben mitgestalten an vielen Orten zwischen Fehmarn und Stockelsdorf. Und ich habe auch Menschen getroffen, die in den Gemeinden Heimat und Halt gefunden haben. Und es ist nachvollziehbar, dass man gerade dort, wo es gut läuft, wo es einem gut geht, am liebsten bleiben möchte.
Aber stellen wir uns für einen Moment vor, Jesus hätte dem Verlangen nach Rückkehr in das Heimatdorf des Petrus nachgegeben und wäre dem Hinweis der Jünger gefolgt: „Jedermann sucht dich!“ Eigentlich kann man sich das ja kaum vorstellen, wenn man sich den weiteren Verlauf des Lebens Jesu und die Ausbreitung des Evangeliums „bis an die Enden der Erde“ vor Augen führt.
Aber wenn wir es einmal versuchen: Vielleicht wäre damals das Evangelium nie über Kapernaum hinausgegangen. Und Jesus wäre vielleicht gar nicht mehr weggekommen von dort. Wer weiß.
Nachgefragt und anerkannt zu sein, ist schön. Und es hat seinen Preis.
Viele, die in kirchlichen Bereichen arbeiten – ob ehren- oder hauptamtlich – werden das kennen: Wieviel Freude es macht, etwas Sinnvolles zu tun! Welche Befriedigung es verschafft, in ein dankbares Gesicht zu blicken! Welche Wärme im Herzen aufsteigt, wenn ein stummer Händedruck am Krankenbett „Danke!“ sagt.
Beistand, Trost und Rat, Hilfe bei der Erziehung, ein erhellendes Wort, eine Begleitung auf einem ersten oder letzten Weg. Viele aus diesem Kirchenkreis können davon erzählen, wie tief verankert, wie hoch geschätzt die kirchliche Arbeit bei den Menschen ist, ein unverzichtbarer Bestandteil des sozialen und kulturellen Lebens.
Das habe ich im Gespräch mit verschiedenen Leitungsgremien, mit den Bürgermeistern oder ganz konkret z.B. beim Besuch des Abenteuerlandes in Neustadt und des Mittagstisches in dieser Gemeinde gespürt. Da sind viele Menschen mit ganzem Herzen bei der Sache und engagieren sich für andere – indem sie einen tolles Kinderprogramm vorbereiten oder zu einem nahrhaften Essen einladen, das Menschen stärkt und Gemeinschaft erfahren lässt und damit auch etwas von der Liebe Gottes erfahrbar macht.
Und diejenigen, die sich engagieren, wissen zugleich: Gerade wenn jedermann bei uns etwas sucht: Trost, Aufmerksamkeit und Liebe, Pflege und Verkündigung, Unterricht und Seelsorge, gerade wenn es so viele sind, die uns brauchen, sind es oft nur einige wenige, denen wir dienen können. Es bleiben immer auch Ungeheilte zurück. Bereits bei Jesus, bei uns umso mehr. Auch das gilt es auszuhalten. „Jedermann sucht dich“ – das kann einen ja auch auffressen oder erschlagen.
Eine der Herausforderungen, die der Strukturausschuss des Kirchenkreises benannt hat, lautet ja gerade „bei zunehmenden Ansprüchen und Aufgaben mit schwindenden Mitteln zurecht zu kommen “.
Jedermann sucht dich. Aber die Kräfte, die finanziellen Mittel und die Ressourcen wachsen nicht im gleichen Umfang mit; im Gegenteil sie werden langfristig sogar schwinden, wenn die Prognosen stimmen.
Was könnte da helfen?
Zwei Hinweise gibt uns die Erzählung aus dem Markusevangelium mit auf den Weg:
1) Die ersten, die in dieser Geschichte suchen, sind ja die Jünger. Sie bemerken Jesu Fehlen als erste, denn Jesus hatte sich, offenbar ohne jemandem etwas zu sagen, allein zurückgezogen. Nicht zu einer Strategiebesprechung, einem „think tank“ oder einer Strukturausschusssitzung – womit ich gegen all diese Formen des Zusammenkommens nichts sagen will. Sie haben ihren Ort und ihre Zeit.
Bemerkenswert hier ist gleichwohl: Jesus nimmt sich Zeit für sich selbst. Zeit für Gott. Jesus nimmt sich Zeit für´s Gebet. Inmitten des Trubels, nachdem am Vorabend noch „die ganze Stadt“ (V.33) vor seiner Tür versammelt gewesen ist, sucht er die Stille. Jesus konzentriert sich auf seine spirituelle Mitte, auf seine geistigen Quellen. Damit er nicht ausbrennt.
Jesus badet nicht im ersten großen Erfolg. Sondern betet. Und behält so Kontakt mit dem, was ihn antreibt, motiviert und Kraft gibt: seinem himmlischen Vater. Mitten im Trubel die Stille suchen. Mitten in aller Aufregung und in aller Aktivität, bei allen Vorhaben, kann es helfen, ruhig zu werden. Das Gebet üben, Gottesdienste wichtig nehmen. Die Andacht pflegen. So wie ich es hier erlebt habe bei jeder Begegnung und Sitzung, wenn zunächst das Wort Gottes gehört und ausgelegt wurde.
Einen Satz finden, den man mitnimmt und mit dessen Hilfe man sich herausziehen kann aus aller Hektik. Das kann die Losung aus Herrenhut sein oder der Wochenspruch:
„Heile du mich Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“ Oder die Erinnerung an den Konfirmations- oder Taufspruch. Oder eine Liedzeile vor sich hinsummen. Was auch immer einen stärkt und konzentriert.
Das Unspektakuläre, das nach außen hin Unscheinbare ist das, was Christen Kraft gibt, was Jesus damals in der Bahn gehalten hat und was – nach meinem Eindruck – bis heute eine der Energiequellen von Kirche ist. Das kann dann durchaus auch spektakuläre Wirkungen haben.
Und das gilt für einzelne Christenmenschen; das gilt auch für uns als Kirche insgesamt. Wo immer wir einen Ort haben - bei Jesus war es eine „einsame Stätte“ – für die Pflege des Gespräches mit Gott, einen Ort des Hörens auf seinen Willen, des Lauschens auf den eigenen Atem, da erwächst auch Orientierung und Energie.
Wie umgekehrt alles ideenreiche Agieren gefährdet wird, wenn wir es nicht schaffen, wie beim Ein- und Ausatmen einen vernünftigen Rhythmus zu finden…zwischen dem hinwendenden Zuhören und kreativen öffentlichkeits-wirksamen Aktionen. Wie auch in der Geschichte: Es gibt den Abend voller Leben und Aktionen – und den Morgen ganz in der Stille. In diesem Wechsel hat Jesus gelebt; auf dieses Wechselspiel kommt es auch heute an.
2) Ein zweiter Hinweis Jesu schein in der Aufforderung Jesu zu liegen: „Lasst uns anderswohin gehen!“ Eine echte Zumutung. Aber eine Zumutung, die zugleich befreiend ist. Wie so oft bei Jesus.
Die Zumutung scheint mir darin zu liegen, den vertrauten Ort zu verlassen, das Funktionierende, sogar gerade das sehr gut Funktionierende zurückzulassen und aufzubrechen. Aber wohin? „In ein Land, das ich dir zeigen werde“, – es hätte einen nicht gewundert, wenn Jesus das noch mit hinzugefügt hätte wie es einst Abraham gehört hatte. Denn es kostet immer Überwindung und es bedarf immer des Glaubensmutes, Vertrautes zu verlassen.
„Lasst uns anderswohin gehen!“ das weitet den Blick über das Absehbare hinaus. Das eröffnet Spielräume. Das verspricht Weite.
Das Unterwegssein – ob innerlich oder äußerlich – ist eine Form christlicher Existenz. „Wir haben hier keine bleibende Statt“, sagt der Hebräerbrief. Und in unserer Geschichte hatten die Jünger gerade erst am Vortag ihre Netze verlassen, um Jesus nachzufolgen. Und schon soll es weitergehen.
Um lebendig zu bleiben, um den Glauben lebendig zu halten, ist es für den Einzelnen, die Einzelne, wie für uns als Gemeinde, als Kirchenkreis, als Kirche insgesamt, unabdingbar, sich gegenseitig zum Aufbruch zu ermutigen so, wie dies in diesem Kirchenkreis mit großer Energie geschieht. Für mich gehört aber auch das Zusammenwachsen unserer Kirchen im Norden zur Nordkirche dazu. – Dass wir unsere Kräfte bündeln, von unseren Erfahrungen in Ost und West lernen und gemeinsam in die Zukunft gehen. Und schließlich gibt es auch einen Aufbruch auf Zeit, wenn wie heute drei Frauen einen Reisesegen bekommen für eine Reise in die Partnergemeinde in Ghana. Und ich konnte in dieser Woche erleben, wie eine 20-köpfige Gruppe von einem Besuch von Partnergemeinden aus Tansania erfüllt zurückgekommen war.
Was wir aber alle brauchen: Das ganze bunte Bild des christlichen Lebens, das schon im ersten Kap des Markusevangeliums gezeichnet wird, und das ich hier auch auf so unterschiedliche Weise kennenlernen durfte: Den Trubel am Abend, die Veranstaltungen mit vielen Menschen. Aber auch die kleinen unscheinbaren Kreise. Die Stille am Morgen. Die Sehnsucht nach den Quellen des Lebens, die einen heilen und ganz machen. Das kräftigende Wort der Predigt.
Körperliche und seelische Heilung. Leben in Gemeinschaft, mit anderen. Auch die Zweisamkeit mit Gott, Begegnung und Stille. Das alles gehört dazu. Für dass alles steht Kirche auch hier im Kirchenkreis Ostholstein. Und ich möchte allen danken, die mir in dieser Woche einen so vielfältigen Einblick in das reiche kirchliche Leben erlaubt haben!
Was damals in der Geschichte – wie heute – gleich bleibt: Jesus ist uns immer einen Schritt voraus. Sind die Jünger noch mit den Nachwirkungen des Trubels beschäftigt, ist Jesus schon an einem einsamen Ort und betet. Haben sie ihn dort endlich aufgespürt, mahnt er schon zum Aufbruch. Nimmt neue Ziele in den Blick. Es ist ein Bild für die Nachfolge an allen Orten dieser Erde. Christenmenschen sind gegenüber ihrem Herrn notorisch verspätet. Deshalb, liebe Gemeinde: Lasst uns aufbrechen und weiterziehen!
Christus erwartet uns schon.
Amen