5. Juli 2020 | Prerow

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis

05. Juli 2020 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zu Lk 6, 36-42

Erholsame Tage an der Ostsee.
Aufatmen können,
den Alltag hinter sich lassen.
Wie gut das tut
nach wochenlanger Anspannung wegen der Corona-Pandemie.
Wie gut das tut,
auch wenn noch längst nicht wieder alles gut ist.
Abstandsgebote und Mundschutz im Alltag,
und auch hier im Gottesdienst ist manches anders:
Abstandsgebote auch unter uns -
leider auch hier nötig.
Singen in eingeschränkter Form -
auch das muss leider noch sein.

Aber dennoch:
es tut gut, jetzt hier zu sein.
Eine Gemeinde aus Einheimischen und Urlaubern,
aus Gästen und Gastgebern.
Hier vor/in dieser so schönen Kirche
mit ihrer besonderen Geschichte.

Einer Kirche, die schon seit Jahrhunderten
eine Zeugin und eine Heimat ist.
Zeugin und Heimat
für Freud und Leid der Menschen.
Für die, die in dieser Kirche ein- und ausgehen.
Die hier ihre Spuren hinterlassen:
Sichtbare Spuren wie die Modellschiffe
oder der Messingkronleuchter,
in den die Namen aller damaligen Prerower Bauern eingraviert sind.
Und unsichtbare Spuren
wie geflüsterte Gebete oder laut heraus gesungene Lieder.

Das alles macht diese Kirche zu einer Heimat und einer Zeugin
mitten in den Veränderungen der Welt.
Zu einem Anlaufpunkt und einem Zufluchtsort
in allen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten des Lebens.
Vielleicht ist uns deshalb gerade in diesen Wochen,
in denen nach allen Unsicherheiten,
ob und wie Urlaub möglich sein könnte,
nun doch Urlaubszeit auf dem Darß möglich ist,
Gäste und Gastgeber einander begegnen können -
vielleicht ist uns gerade deshalb zurzeit besonders deutlich,
wie unverfügbar unser Leben
und alles, was es ausmacht, für uns ist.

Und wie gut ist es -
auch das haben viele in den vergangenen Wochen gespürt -
wie gut ist es, wenn man erlebt:
Wir haben Augen nicht nur für uns selbst,
sondern auch Augen für andere -
Große und Kleine, Alte und Junge,
Gesunde und Kranke.

Für Menschen in Nah und Fern,
die Gebet und tatkräftige Unterstützung brauchen.
Für Familien,
die jetzt ganz besonders neue Kraft schöpfen müssen.
Für Menschen, die in Sorge sind
um ihren Arbeitsplatz, ihre berufliche Zukunft.
Für Menschen, die in anderen Ländern dieser Erde
weit weniger abgesichert als wir,
mit gravierenden Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben.

Mich berühren in diesen Tagen sehr die Berichte
aus unseren Partnerkirchen in Indien, in Brasilien, in den USA.
Wie gut, dass wir uns hier vor dieser Kirche/ in dieser Kirche daran erinnern:
Dass wir von eigenen Sorgen und Nöten absehen,
um hinzusehen auf andere.
Bei aller berechtigten Sorge um das Eigene die Anderen nicht vergessen -
das bedeutet, aus dem Glauben heraus zu leben.
Das bedeutet, Christus nachzufolgen.
Dieser Blick auf die anderen macht uns relevant, bedeutsam und wichtig - für andere.

II
Leben in der Nachfolge Christi -
was das auch bedeuten kann,
dazu haben wir heute die Worte
des Evangeliums gehört:

Um das Sehen von Splittern im Auge der anderen geht es darin,
und um den Balken im eigenen Auge,
und um Barmherzigkeit.
Damit wird eine bestimmte Lebenshaltung beschrieben.
Eine bestimmte Art, die Welt zu sehen.
Eine, die sich selbst und dem eigenen Denken,
den eigenen Überzeugungen, dem eigenen Verhalten
sozusagen gegenübertreten kann,
um sich und sein Handeln mit den Augen eines anderen zu sehen.
Um sich mit den Augen Gottes zu sehen.
Die sich aus dem Glauben heraus anfragen lässt.
Auch von Sätzen und Fragen wie diesen:

„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken im eigenen Auge bemerkst du nicht?"

Eine provokante Frage.

Und man versteht sofort, was Jesus meint:
Bevor du anderen sagst, was Sache ist,
beobachte erst einmal dich selbst.
Denn während du andere kritisierst,
ist dir der Blick auf dich selbst verstellt.
Mit einem Balken im Auge siehst du nicht,
welche Folgen dein eigenes Handeln
für das Leben Anderer hat:

Günstiges Fleisch, täglich vielfältig und reichlich im Supermarkt -
aber die Schattenseite davon,
die katastrophalen Arbeitsbedingungen,
die sehen wir oft nicht.

Unser selbst in der Pandemie noch relativ komfortables Leben
in der nördlichen und westlichen Welt,
aber auf die Schattenseite davon sehen wir nur selten:
Die Lebensbedingungen in anderen Ländern der Erde,
das Leid der Menschen dort,
auch, weil Lieferketten zusammenbrechen und Absatzmärkte einbrechen.
Für die Folgen unseres Wohlstands,
unserer Art zu leben und zu wirtschaften:
Hunger und Flucht -
sehen wir dafür auch unsere Mitverantwortung?

III
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken im eigenen Auge bemerkst du nicht?"

Jesus kritisiert nicht den Balken in unseren Augen.
Der ist ja menschlich.

Niemand von uns kann sich jederzeit richtig verhalten.
Unsere Sicht auf das Leben,
unser Blick auf andere Menschen
ist ja immer persönlich.
Immer eingeschränkt.
Aber wenn das so ist,
was ist es dann, was Jesus kritisiert?

Jesus spricht an,
dass wir trotz unseres Wissens
um unseren immer nur eingeschränkten Durchblick meinen,
wir würden alles richtig sehen können.
Jesus beobachtet,
dass wir mit dieser Haltung so vieles und so viele übersehen:
Der Balken der eigenen Selbstgerechtigkeit ist uns oft im Weg,
wenn es um Gerechtigkeit für andere geht.
Der Balken der eigenen Unsicherheit ist uns im Weg,
wenn es um andere Lebens- und Liebesentwürfe geht.
Der Balken der eigenen Bedürftigkeit ist uns im Weg,
wenn es um die Nöte und Bedürfnisse anderer geht.

Deshalb ruft er uns dazu auf,
den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen.
Ich verstehe diese Aufforderung so:
Gestehen wir uns ein,
dass wir die Welt nur so eingeschränkt wahrnehmen,
wie wir sie sehen können - und wollen.
Gestehen wir uns ein,
dass wir unsere eigenen Sorgen und Nöte
im Vergleich mit anderen
oft größer sehen, als sie in Wahrheit sind.
Dass wir uns Freiheiten herausnehmen und für uns einfordern,
die wir anderen nicht so zugestehen mögen.
Dass wir das Verhalten anderer kritisieren,
während wir uns selbst nicht so gern kritisieren lassen.

Deshalb gibt Jesus uns einen guten Rat.
Er besteht aus zwei Worten:
„Seid barmherzig".
Seid barmherzig immer dann, wenn ihr im Begriff seid,
vorschnell zu entscheiden oder gar zu verurteilen.
Wenn Menschen z.B. meinen,
nur sie allein würden genau wissen,
was richtig für unser Land ist.
Wenn Einzelne meinen,
sie würden besser als die Expert*innen verschiedener Fachgebiete wissen,
wie es jetzt am besten aus der Pandemie heraus weitergehen soll.

Jedes Mal, wenn wir im Begriff sind,
unsere Sicht der Dinge absolut zu setzen,
immer dann sollen wir uns an
die zwei Jesu Worte erinnern:
„Seid barmherzig.“
„Seid barmherzig,
wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Jesus erinnert uns an Gottes Haltung zu uns Menschen.
Denn Gott hat keinen Balken im Auge.

Gott sieht, wie wir wirklich sind.
Gott sieht,
wer wir in seinen Augen sein könnten.
Gott sieht unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten
Gott sieht, was wir an Gutem tun könnten.
Und sieht barmherzig auf das,
was wir zustande bringen -
und was wir so oft versäumen.
Gott billigt unsere Lieblosigkeit nicht.
Aber er lässt sie nicht alles sein,
was es über uns zu sagen gibt.

Jesus rät uns deshalb:
Seht euch, die Menschen, die Welt,
mit Gottes Augen an.
Mit Liebe, mit Barmherzigkeit.
So, wie ihr selbst angesehen werden wollt.
Das ist nicht einfach.

Diese neue Sicht auf uns und die anderen
beseitigt nicht alle Probleme.
Aber wenn wir uns eingestehen,
immer nur einen Teil der ganzen Wahrheit
sehen und verstehen zu können,
dann wird auch die Sicht anderer wichtig.
Das Gespräch und die Verständigung miteinander.
Denn erst im Hören auf das, was andere zu sagen haben,
und im Hinsehen darauf, wie es anderen geht,
wird unser Bild der Welt vollständig.

V
„Jesus spricht:
Seid barmherzig
wie auch euer Vater barmherzig ist."

An den, der diese Worte sagt,
erinnert diese Kirche, wie alle Kirchen.
Im Namen dessen, der diese Worte sagt,
kommen Menschen zusammen
so wie wir heute Morgen.

An dem, der diese Worte sagt,
orientieren sich Menschen seit Jahrtausenden.
Lassen sich von seinen Worten und seinem Leben bewegen,
barmherzig zu sein.
Unbeeindruckt davon, was andere dazu sagen.
Und unbeeindruckt auch davon, wie viele sie sind.
Deshalb:
„Seid barmherzig
wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Amen.

 

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