Predigt am 6. Juni 2009 im Abschlussgottesdienst der Nordelbischen Synode im Dom zu Lübeck über 4. Mose 11, 11-17; 24-29
06. Juni 2009
Liebe Schwestern und Brüder! I Syn hodos der gemeinsame Weg, unser gemeinsamer Weg: er endet hier. Noch einmal halten wir inne, nach sechs vollen, erfüllten, bewegten und bewegenden Jahren. Halten inne, uns zu vergewissern, des gemeinsamen Ziels. Und um uns zu stärken. Denn zwar endet ein gemeinsamer Wegabschnitt. Aber nicht der Weg oder die Wege, auf denen wir unterwegs sind, enden hier.
Das ist wie bei einer Wander- oder Pilgergemeinschaft: viele kommen zusammen, beschließen, eine Zeit lang gemeinsam des Weges zu gehen, dem gemeinsamen Ziel entgegen. Und dann gibt es irgendwann Weggabelungen, Abzweigungen: hier trennen sich die Wege. Einige bleiben noch beisammen. Andere biegen ab. Und wir sagen einander: Gott behüte Euch auf unseren Wegen! Man bedankt sich beieinander für gute Weggemeinschaft, fürs Tragen und Ertragen, fürs Streiten und Vergeben; fürs Zuhören und Reden.
Sechs Jahre Synode – gemeinsamer Weg: das war eine Pilgerstrecke und natürlich auch ein Wirtschaftsweg; das war eine kurvenreiche Strecke und eine, auf der manches Geröll beiseite geräumt werden musste. Beieinander geblieben ist die Reisegruppe. Obwohl: sie ist ja höchst different, keineswegs homogen, die Reisegruppe: da sind Stürmer und Zweifler; da sind Bedenkenträger und Euphoriker; das sind Mutige und Zögernde. Alle aber: unterwegs mit dem gleichen Ziel, zugerüstet mit dem einen Geist. Und nun: seht zu, dass ihr Land gewinnt…
II
Unübertroffen ist für mich, wenn ich an Leitungsmodelle denke und an das Synodale Leitungsprinzip unserer Kirche, das Modell des Mose, das wir eben gehört haben. Eine wunderbare Geschichte, die ja beginnt mit einem Leitenden Geistlichen, der am Ende seiner Kräfte ist: „warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die ganze Last des Volkes auf meine Schultern legst? ...es ist mir zu schwer!“
Schon Mose ließ es sich gesagt sein: allein schaffst du das nicht. Leitung ist gemeinsame Aufgabe! Gut gecoacht ist Mose, würden wir vielleicht heute sagen, gut beraten: „Sammle siebzig von den Ältesten Israels,…so will ich hernieder kommen und mit dir reden und von dem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie die Last des Volkes tragen und du nicht allein tragen musst…“
So entsteht diese erste synodale Gemeinschaft – natürlich ganz in der Tradition der Zeit des Volkes Israel. Und diese Weggemeinschaft dort ist ein wenig anders entstanden als unsere Synode: nicht ein kompliziertes Wahlgesetz hat sie zusammengebracht, sondern eine subjektive Auswahl (und mancher mag heimlich denken: das war und wäre auch einfacher zu haben…). Aber damals wie heute: nicht irgend jemand wird berufen. Leute, die sich bewährt haben, die bekannt sind in Familien, Stämmen, Gemeinden und Werken. Menschen mit Gaben und Begabungen ganz unterschiedlicher Art. Charismen eben. Gemeinsam ist ihnen: dass sie begeisterungsfähig sind, sich hineinnehmen lassen in das Werk, sich herausrufen lassen aus dem murrenden, ewig zweifelnden Volk und sich einbinden lassen in Verantwortung. Empfangsbereite Leute also, offen für den Geist Gottes sollen sie sein und sich bewegen lassen. Begeisterung, Freude, Liebe und Lust an dem, was auferlegt ist: Lust am gemeinsamen Weg. Entscheidend aber ist ihre Ermächtigung: Gott nimmt von dem Geist, mit dem er Mose begabt hatte, und überträgt diesen selben unteilbaren Geist auf die Weggemeinschaft. Und das allein hilft, dass sie mittragen.
Und das ist für uns entscheidend, für unsere Synodengemeinschaft: wir sind begabt mit dem einen Geist. Wir sind nicht in eigener Sache oder aus eigener Berufung unterwegs. Gottes Geist ist es, der uns ruft, stärkt und den Weg weist; seine Verheißungen sind es, die die 70 damals und uns heutige locken; denen wir nachjagen. Für ihn, in seinem Namen, sind wir unterwegs. Das ist die eigentliche Zielsteuerung des wandernden Gottesvolkes, liebe Schwestern und Brüder! „Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf…“
III
Ich kann mich noch gut erinnern an den ersten Tag der gemeinsamen Wanderung. So ein bisschen hatte dieser Tag etwas vom ersten Schultag: da war ähnliche Spannung und Aufregung. Ich kann mich noch genau an meine Nachbarn erinnern, mit denen mich schon bald mehr verband als die Buchstabennachbarschaft im Alphabet. Manche von uns haben vielleicht damals nach dem ersten Tag gesagt, wie manch Erstklässler: da geh ich nicht wieder hin!
Denn der erste Tag unserer Wanderung hat klar gemacht: das ist hier kein Spaziergang, der syn hodos! Die Entscheidung über die Schließung der Ev. Akademie stand zu entscheiden auf der Tagesordnung: da war ein Geschmack von Abbruch, statt Aufbau: der Ernst des Lebens, dieser Ernst hat unsere Weggemeinschaft geprägt, glaube ich. Die Weggemeinschaft hat sich bewährt, wieder und wieder bewährt. Nicht immer war die Verzückung zu spüren, nicht immer das Prophetische an unserem Tun. Aber immer doch der eine Geist, der eine Glaube, das Band, das uns hält und wie ein Geländer wirkt wie es sich bei steilen Gebirgswegen in den Fels gehauen findet.
Ich habe mich erinnert an diese Photoseite der Nordelbischen: Photos der Wandernden, der gemeinsam Losgegangenen, entstanden während der ersten Tagung dieser Synode. Ich denke: eigentlich hätte man jetzt wieder so eine Photoseite machen müssen. Die Zeit hat uns verändert, würden wir sehen, wie wir es ja auch spüren. Wir sind andere jetzt als wir waren vor sechs Jahren, als wir losgingen, natürlich. Und mache sind nicht mehr dabei: weil sie unterwegs abgebogen sind, allein oder mit anderen weiterwandern. Vier Vizepräsidenten hatte diese Synode (nacheinander, nicht gleichzeitig). Und einer, Wulf Martens, ist nicht mehr dabei, weil Gott ihn mitten im Leben vom Weg genommen hat – auchTrauer umeinander hat uns verbunden im Geist.
Wir haben einander aufgeholfen. Wir haben einander tragen geholfen das ganz persönliche Leid und die ganz persönliche Trauer und die Last des Weges, die jeder und jede anders empfunden und anders getragen hat. Wir haben einander bergen können.
Begeisterte sind wir geblieben – was auch immer geschehen ist. Begeisterte des Wortes, der Verheißung. Der Reichtum der Gaben, der unterschiedlichen, durfte leben und sich entfalten.
IV
Natürlich sind nicht nur wir andere geworden. Auch unsre Kirche hat ihr Gesicht verändert. Dass wir am Ende elf neue Kirchenkreise haben; dass die Dienste und Werke in neue Struktur gebracht werden; dass gar eine neue Evangelische Kirche in Norddeutschland auf den Weg gebracht werden wird: das ist unterwegs geschehen! Wir haben die Verfassung verändert (wie oft eigentlich?); wir haben das Finanzgesetz neu gefasst, die Personalplanung angepackt. Wir haben den Missionarischen Prozeß neu gestaltet und Preise verliehen für Projekte, die Gerechtigkeit schaffen, Frieden und die Schöpfung bewahren. Wir haben gerungen und gefeiert. Uns geärgert und gefreut. Das alles gehört zum Amt der Prophetin und des Propheten: anzusagen den Gott, der uns nicht lässt, der verheißt und erfüllt; anzusagen den Weg, den er weist.
Wir haben die Schönheiten des Weges genossen (dazu gehörte zweifellos auch das Catering im Christophorushaus); wir haben aber auch die Gefahren des Weges kennen gelernt und gemeinsam zu bewältigen versucht. Es gab wenige Bänke zum Ausruhen nur am Rande des Weges. Aber es gab diese wunderbaren geistigen Rastplätze: die Gottesdienste, das gemeinsame Mahl auf dem Weg: die Vergewisserung des Geistes auf Schritt und Tritt. Denn es sind ja nicht wir, die genau wissen, was gut ist für die Kirche unseres Herrn. Wir wissen es, weil er es weiß, der uns führt und leitet, und von dem wir uns immer wieder zu befragen, korrigieren zu lassen haben. Und bei dem aufgehoben ist Versuch und Irrtum gleichermaßen. „O, komm, du Geist der Wahrheit“ – so haben wir eben gesungen und so werden wir weiter bitten müssen im Namen Jesu Christi.
Es ist nicht Stolz, was ich empfinde am Ende der Wegstrecke. Aber wohl Dankbarkeit: ich bin dankbar für die Vielen, die ihre Zeit, ihre Gaben mitgebracht haben auf den Weg: Danke für die gemeinsame Zeit. Danke für die Begleitung und Stütze. Danke für Erste Hilfe und Verstehen. Danke für Gespräch und Strecken ohne Worte. Danke für Deinen Glauben. Danke für Führung und Leitung. Und Vergebung für Nichtverstehen und alles Versäumte. Und: Gott sei Dank, dass er Sie und Euch und uns zugerüstet hat und begeistert hat, gegeben von seinem Geist, der alles an ihn bindet und alle zusammenindet und hält. Der das Feuer am Lodern hält.
V
Aber der Text aus dem 4. Buch Mose geht ja noch weiter. Das Schönste kommt noch. Ich liebe diese beiden Figuren Eldat und Medad! Diese beiden gehören zu meinen Lieblingsfiguren aus der Bibel. Diese wunderbare Freiheit! Diese Naivität der Propheten, die gar nicht wissen, dass sie welche sind! Ich mag diese anarchistische Doppelstruktur: da sind zwei, die sich drücken wollen (kommt bei uns natürlich nicht vor). Und trotzdem geraten sie in Verzückung, geraten sie aus dem Häuschen – im Lager, da wo sie sich sicher fühlten vor jeder Anwerbung und Verantwortung, wo sie meinten: hier sieht uns keiner: weit weg vom Zentrum der geistlichen Leitung.
Aber: Der Geist Gottes lässt sich nicht einbinden in Strukturen und Modelle. Er findet, völlig unbeirrt, die er braucht für sein Reich! Wie wunderbar tröstlich das ist! Und natürlich gibt es einige, die damit nicht zurecht kommen, dass ganz außerhalb jeder Geschäftsordnung und Liturgie Leute aus der Verfassung fallen und sich begeistern lassen. Es wird natürlich sofort gemeldet: Eldat und Medat sind in Verzückung im Lager! „Wehre ihnen!“ – sagt Josua voller Sorge, dass solche Verzückung außer der Reihe stören könnte und vielleicht Mühe und Arbeit bereitet, weil keine Steuerungsgruppe der Welt einfangen kann, was Gott selbst sich sucht. Wir brauchen solche Leute, die sich ergreifen lassen außerhalb der von uns markierten Reihe! Wir brauchen den freien, anarchistischen Geist!
Ach was, sagt Mose. Lasst sie! Feuer und Flamme werden, die Gott sucht. Der Geist Gottes weht – wo und wann er will, sagt unser Bekenntnis. Auch außerhalb der Kirchenmauern weht er – das gilt!
Zwei Dinge, liebe Schwestern und Brüder, dazu: 1. Glaub nicht, dass du dich drücken kannst, wenn Gott dich brauchen will, verstecken nützt nichts. 2. Wenn auch unsere Wege sich trennen hier und heute: auch die, die nun anders weitergehen, müssen weiter damit rechnen, dass Gott sie erreicht und erfasst, begeistert und begabt und einreiht in die Schar derer, die seiner Verheißung den Weg bereiten.
Diese Weggemeinschaft ist wichtig. Aber sie ist nicht allein wichtig. Das Heil schafft Gott selbst, der sich sucht, wen er brauchen und zurüsten kann. Die Synode ist wichtig. Aber es gibt viele Weggemeinschaften, die Geist – begabt sind, die von uns (o Graus) völlig unkontrolliert und dennoch kreativ unterwegs sind, für Gott zu streiten und Gemeinde zu bauen. Das macht die Sache, wie wir wissen, nicht immer einfacher. Aber das gehört dazu: der Geist ist frei, der auf uns gelegt ist, mit dem wir begabt sind. Und niemand ist verloren, von dem wir nun uns verabschieden! Und niemand soll denken, er oder sie könne sich nun zur Ruhe setzen: Ihr werdet Verzückungen kennen lernen, ihr werdet gefunden, Prophetinnen und Propheten, weil Gott euch braucht – Synode hin oder her!
Denn auch das ist doch eine Zielmarke unseres gemeinsamen Weges: dass wir hoffen und beten wie Mose es tut: „Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn Propheten wären und der Herr seinen Geist über sie kommen ließe!“
Na, klar will Gott das! Und das ist es, was ich uns zurufe an der Weggabelung, bevor wir weitergehen und auseinander gehen: Gottes Geist bleibe auf uns und komme über alle, die wir treffen oder die uns treffen. Lasst uns verzückt und mutig unserer Wege gehen.
Wir gehen unter dem Segen Gottes, als Begeisterte des Herrn. Wir tun das in der Gewissheit: wir sind und bleiben unterwegs zu dem einen Ziel, das Gott verheißen hat: Frieden und Gerechtigkeit werden fließen wie ein nie versiegender Bach. Adieu, Ade: Geht mit Gott! Amen.