Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis
16. Juli 2023
Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Römer 6, 3-8
(Kanzelgruß)
Tod und Sterben, dazu auch noch der Leib der Sünde – oje, liebe Gemeinde, die Worte von Paulus, die er an die Gemeinde in Rom richtete und die uns heute erreichen, sind nicht gerade leichte Kost. Und passen irgendwie so gar nicht in diesen Geburtstags-Sommer mit riesig-roter Geschenkschleife, Domtheater, Shantychor und Erdbeerbowle. Siehe, wir leben! Das ist doch viel eher Botschaft der vergangenen Geburtstagswochen! Alles, was wir zu diesem Fest gehört und gesehen und gesungen haben, spricht von einer bewegten 850-jährigen Geschichte, von immer wieder neuen Aufbrüchen, ja Auferstehungen aus Ruinen, und von der Zuversicht, dass Kirche einen festen Stand hat als Ort des Segens und der Menschlichkeit. Nein, nach Tod und Sterben, sündigem Leib steht mir heute nicht der Sinn. Warum in aller Welt soll ich mich und euch damit belasten? Und dann fragt Paulus auch noch: Ja, wisst ihr denn nicht, dass ihr dieses schwere Gepäck seit eurer Taufe mit euch herumschleppt?
Nein, lieber Paulus, dass wir uns mit unserer Taufe den Tod Christi an den Hals geholt hätten - das gehört nicht zum Grundwissen unseres Glaubens. Und ich bin etwa in Taufgesprächen äußerst zurückhaltend, das auszusprechen. Habe ich es doch mit Eltern zu tun, die heilfroh über das Leben ihres Kindes sind, und die alles tun, damit es unbeschwert ins Leben hineinwachsen und sich entfalten kann. Mütter und Väter, die berührt sind von dem Wunder dieses kostbaren Lebens mit so sagenhaft kleinen Händen und den unabgelaufenen Füßen. Und die – etwa mit der Taufe – Gottes Schutz und Segen auch für sich brauchen. Weil das Leben so zerbrechlich und zart ist, und die Verantwortung so übergroß. Nein, da ausgerechnet soll ich ihnen mit dem Tod kommen und vom Sündenleib ihres Kindes reden? Zumal es dafür keinerlei theologische Rechtfertigung gibt. Denn Jesus, mit dem die Taufe dich und mich verbindet, spricht doch ganz anders von ihr. Jesus verbindet die Taufe mit einer Zusage: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ So also läuft das bei uns mit der Taufe, lieber Paulus!
Das war bei uns nicht anders, würde Paulus dann antworten. Aber unsere Täuflinge waren keine kleinen Kinder, die man natürlich als das größte Geschenk des Himmels ehrfurchtsvoll in Händen hält. Hoffend, dass Jesus bei ihnen bleibt bis an der Welt Ende. Wir hingegen, die wir damals getauft wurden, sagt Paulus, hatten schon mehr als genug hinter uns. Wir wussten, wie sehr menschliches Leben vom Tod beherrscht ist. Wir sahen so viele Säuglinge sterben, erlebten Seuchen und Krankheiten, denen wir ohnmächtig ausgeliefert waren. Allgegenwärtig auch war die brutale, römische Besatzungsmacht, die kurzen Prozess machte mit Menschen, die aufbegehrten. Von Missernten und Naturkatastrophen gar nicht zu reden. Und wenn ich dabei vom Leib der Sünde rede, dann meine ich unser Leben, das daran kaputtging, das es dem Terror des Todes nicht entkam und alle Frömmigkeit nichts half – da mochtest du dich anstrengen, wie du wolltest. Gott blieb in weiter Ferne, war offenbar nur im Jenseits erreichbar.
Das nun wiederum, lieber Paulus, kann ich gut greifen. In diesen, unseren Tagen, fast 2000 Jahre später, deren Sommer so überschattet ist von Krieg und Flucht, Krisen und Unsicherheit. Den Terror des Todes – viele erleben den just in diesem Moment. An viel zu vielen Orten der Welt. Gewissenlosen Despoten ausgeliefert wie in Belarus, in der Ukraine, Äthiopien, in Syrien, immer noch! Das ist ja kaum auszuhalten, sagen viele. Dass man das Friedensgebet zwar inbrünstig spricht, zugleich aber an dem Hass verzweifelt, der einfach nicht zu bannen ist.
Verstehe, würde Paulus wohl antworten. Aber das genau hat sich doch mit Christus verändert. Die Not und der Tod und die Verhaftung durch den Hass. Denn Jesus hat der Todeswelt die Stirn geboten! Er entkam dem Tod auch nicht, konnte aber von ihm nicht festgehalten werden. Er wurde von Gott auferweckt zum Leben. Und so genau sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. Genauso habe ich es im Römerbrief geschrieben! Leben, das uns gerade nicht ins Jenseits vertröstet, sondern hier und jetzt unser Leben umzudrehen vermag. Stelle dir das so vor: Wir werden mit der Taufe gewissermaßen von Jesus mitgenommen in seinen Tod hinein, von dem aus wir dann aber auf ein freies, aufgewecktes Leben zugehen. Ja, geradezu ertränkt werden soll der alte Mensch, so wie Johannes Jesus getauft hat und zwar ganz und gar, mit Haut und Haar, in den Jordan hineingetaucht!
Ach übrigens, Paulus, weißt du, was dein später geborener Freund Martin Luther dazu gesagt hat? „Der alte Adam in uns soll ersäuft werden. Nimm dich aber in Acht, das Aas kann schwimmen!“ Wunderbar, Humor tauft die Seele frei. Denn dies zu glauben, dass die Taufe wirklich etwas mit dir macht, dass sie dich innerlich prägt und trägt und wider manch Schein hoffen lässt, das zu erinnern ist heute der Sinn. Zu erinnern, dass getauft zu sein, eine Art Gütesiegel Gottes ist – unabwaschbar: Geliebt. Gewünscht. Wunderbar gemacht. Punkt. Kein Zweifel. Nicht mehr Tod, Sterben, Sünde, Gottesferne. Das alles gibt es, aber es möge uns nicht beherrschen. Deshalb gefällt mir dein Bild des von Grund auf umgedrehten Lebens so gut, lieber Paulus. Bei jedem Kirchgang übrigens inszenieren wir dies. Aus der Enge, den Zwängen und dem Lärm des Alltags dort draußen nimmt die Weite und Stille dieses wunderbaren Domes uns auf. Draußen leben und arbeiten wir vom Morgen auf den Abend zu, hier bewegen wir uns vom Abend, vom Westen zum Altarraum im Osten, zum Sonnenaufgang hin. Draußen führen oft die Lautstarken das kritische, ja bisweilen vernichtende Wort, dieser Raum hier weiß um die Melodie Gottes und die versöhnende Kraft des Kreuzes. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes bekennen und erkennen wir Fehler und Schuld und werden freigesprochen. Hier teilen wir gemeinsam mit den Kindern das Brot und werden für das Leben draußen gesegnet.
Und getauft. Kinder und manchmal auch Erwachsene. Und geht es euch nicht auch so, liebe Geschwister? Wenn das Wasser den Kopf berührt, ist mir immer, als berühre Gott selbst sein Kind. Ein so feierlicher Moment, wie ein heiliges Beginnen, bei dem sich eine fast zärtliche Stille auf die Gemeinde legt. So, als würde die Welt kurz den Atem anhalten. Es möge uns erinnern – immer wenn uns Krisen schütteln und Widersprüche zu zerreißen drohen, dass es Einen gibt, der uns inmitten der tobenden Welt im Innersten zusammenhält. Wir sind in seinen Tod zum Leben getauft – das in aller Konsequenz zu hören, heißt genau auch dies: Berührbar zu bleiben, wenn Leben zerstört wird und Menschen angefeindet, niedergetrampelt, angezählt werden. Dagegen – mit Christus – sollen wir aufstehen. Nicht so tun, als wäre nichts – und einfach sitzenbleiben. Das ist der alte Adam! Denk dran: das Aas kann schwimmen. ...
Dass mit der Taufe ein Leben auf einmal in ein neues Licht eintaucht – das ist mir begegnet. Ganz real, bei der vergangenen Nacht der Kirchen. St. Moment, ihr wisst, die so genannte „Ritualagentur“ in Hamburg, hatte auf Alsterschiffe eingeladen, um sich taufen, segnen, trauen zu lassen. Ich traue meinen Augen nicht, als ich ankomme. Überall glückliche, frisch getraute Paare, die einen zwei Tage verheiratet, die anderen 36, ja 52 Jahre. Kinder, auch viele Jugendliche, umschwirren die taufenden Pastoren. Aber auch Ältere. Wie die etwa 70-Jährige neben mir. Sie wollte endlich ins Reine kommen, erzählt sie mir. Seit 50 Jahren schon sei sie in der Kirchengemeinde aktiv, arbeite als Ehrenamtliche bei der Tafel – und irgendwie hat sie sich nie richtig zugehörig gefühlt. Weil eben: Nicht getauft. Wusste auch niemand. Und dann ist sie einfach spontan los. Hierher. Und steht nun überglücklich vor mir als Frischgetaufte. Wenig später sehe ich sie fernab von den Feiernden sinnierend am Ufer stehen, in stiller Freude. Endlich angekommen am rettenden Ufer, so kam es mir vor. Auferstanden, aufgeweckt zu neuem Leben, Geburtstag mit Geschenkschleife der besonderen Art…
Viele suchen das. Sehnsüchtig. Entgegen aller Abgesänge auf Kirche: Die Menschen suchen Segen fürs Leben, mehr denn je. Es ist diese Sehnsucht danach, dass mein Leben, selbst wenn andere es nicht tun, so doch von einem Höheren an-erkannt wird. Achtung erfährt. Wie viele Menschen sind in unserer Gesellschaft „unsichtbar“, ducken sich weg, weil sie scheinbar nicht „reinpassen“ – Menschen ohne Obdach und viel Armut und ohne Heimat, Menschen, die in besonderen Lebensgemeinschaften leben, Menschen, die orientierungslos den Stern der Weisen suchen. Unsere Rituale (und gerade die Taufe) tragen eine sagenhaft große Kraft in sich, solch Sehnsüchte zu sehen und Ängste zu binden – gerade diese Angst, nicht gesehen und anerkannt zu sein.
Ich bin getauft. Und: Ja, ich glaube, Paulus. Ich glaube, dass wir leben werden. Daran sollten wir uns viel öfter erinnern – gerade jetzt in einer Zeit, in der so viele Menschen in Ängsten festsitzen, ja fast in einem sich steigernden Kleinmut, der sich in unserem Land bisweilen wie Mehltau auf die Seelen legt. Nein, glauben, dass wir leben werden. Jetzt. Denn wir sind doch längst eingetaucht in den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er gebe uns Aussicht und ein weites Herz und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen