MÖNKEBÜLL, 9. MAI 2010

Predigt anlässlich der Entwidmung der Kapelle Mönkebüll

10. Mai 2010 von Gothart Magaard

Liebe Schwestern und Brüder, 
"Ein Tourist durfte eine Nacht in einem Kloster verbringen. Er war erstaunt über die spartanische Einrichtung der Zellen und fragt am nächsten Morgen die Mönche: "Sagt mal, wo habt ihr eigentlich eure Möbel?" Schlagfertig fragen die Mönche zurück: "Ja, wo haben Sie denn Ihre?" "Ich?", erwidert der Tourist verblüfft - "Ich bin doch nur auf der Durchreise hier." - "Eben", gaben die Mönche lächelnd zurück: "Das sind wir doch auch nur."

Liebe Gemeinde,
Eben. Wir sind alle hier auf der Durchreise. Immer, jeden Tag. Natürlich, wir bewohnen Häuser, richten uns schön ein, suchen Heimat. Aber jedes Zuhause bleibt ein Zuhause auf Zeit. Nicht nur, weil Mobilität heute erzwungen wird oder weil junge Menschen gerne neue Horizonte entdecken, sondern weil unser Leben Anfang und Ende hat. Deshalb ist jedes bewohnte Haus eine Zwischenstation, Rastplatz. Immer gab es ein Vorher, und es wird immer auch ein Danach geben.

So wandern wir durch Räume und Zeiten. Kein Haus hält uns ewig fest, ist abschließend, absolut, endgültig. Aus dem Gesangbuch kennen wir den Vers: „Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.“

Heute nehmen wir Abschied von dieser Kapelle. Wir feiern einen letzten Gottesdienst. Es soll ein stiller, friedlicher Abschied von diesem Gotteshaus sein. Und wir alle sind mit gemischten Gefühlen hier, ob als Glieder der Gemeinde, als Mitglieder des Kirchenvorstands oder als Bürger dieses Ortes Mönkebüll: Manche erinnern sich an wichtige Andachten und Gottesdienste in diesem Haus und sind traurig, andere haben vielleicht Schuldgefühle, andere wieder haben sich vielleicht nie heimisch gefühlt.

Zwar ist die reformatorische Theologie ist sehr klar: Auch eine Kirche oder Kapelle ist eine profane Immobilie. Einziger Unterschied: auf Zeit wird diese Immobilie einem bestimmten Zweck gewidmet, soll der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament und der Sammlung der Gemeinde dienen. Zugleich haben auch wir Protestanten entdeckt, wie stark bestimmte Räume auf uns wirken: Sie lassen uns zur Ruhe kommen, sie bieten Raum für Trauer und Klage, sie laden ein zum Lob Gottes und zum Gebet …

Diese Kapelle wurde lange auch durch die geistliche Gemeindeerneuerung genutzt. Sie sollte zuletzt Menschen auf der Durchreise einladen, als eine Auto- und Radfahrerkapelle auf dem Weg gen Norden, als eine Oase der Besinnung. Wie nötig das war, zeigt ein Zitat aus dem Tagebuch eines Besuchers, der im Mai 2007 der Kapelle einen Besuch abstattete.

"Kapelle liegt versteckt ca. 80m Luftlinie neben der B 5. Eindruck: Verwunschen, Dornröschenschlaf, vergessen. Leicht vandalisiert, wie auch die Umgebung. Grundstück und Kapelle wirken vergessen und verstaubt. Kranke Bäume, wenig Blüten im Garten, verrosteter Fahrradständer, "Betreten auf eigene Gefahr" an der Pforte. Innenausstattung konventionell, 60er Jahre, keine besonderen Höhepunkte. Improvisierte Stelltafel am Eingang, Hinweis auf Toiletten in den benachbarten Tankstellen. Gemeinde schwankt zwischen Abriss und Erhaltung.“

1964 hatte man die Kapelle gebaut: Auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders, auch die Steuerquellen sprudelten, das Wort "Kirchenaustritt" war selbst in Hamburg ein Fremdwort. Das Kapellenbauprogramm begleitete den Wideraufbau nach all den Zerstörungen der Kriegsjahre.
Wie sehr hat sich das Bild seitdem gewandelt. Hartz IV statt Vollbeschäftigung, Wirtschafts-, Finanz- und Umweltkrisen und die Steuer- und Kirchensteuerschätzung sieht auch nicht gut aus.
„Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.“ Wir sind nur auf der Durchreise hier. Abschied und Neubeginn ist der Stoff, aus dem unser Leben gemacht ist. Ende und Anfang greifen ständig ineinander, Aufbruch wächst nur im Abbruch. Scheiden tut weh, aber Scheiden muss sein, wenn ein neues Stück Leben beginnen soll.

Wie kann ein Abschied gelingen? Vier Dinge scheinen mir nötig.

1. Abschied nehmen heißt – zurückblicken auf das, was gewesen ist, auch wenn es harte Seelenarbeit bedeutet.

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder hatten zu manchen Träumen geführt: der Traum vom ewigen Wohlstand und grenzenlosen Wachstum, der Traum von einer mächtigen Kirche, die das Leben der Gesellschaft prägt und nahe bei den Menschen ist. Entsprechend wollte man präsent sein. Überall. Flächendeckend. Es wurden jedes Jahr mehr: Neue Kirchen, neue Kapellen, neue Gemeindehäuser.
Heute erkennen wir: Das ist ein großes, ein zu großes Erbe für uns. Wir haben nicht die Kraft, auf Dauer zu erhalten, was an Gebäuden auf uns gekommen ist, geschweige denn sie alle mit Leben zu füllen.
Deshalb sind wir vor die Aufgabe gestellt, auch den Rückbau zu gestalten.
Dieses Eingeständnis ist bitter. Unsere Seele braucht Zeit, um das zu verdauen. Ich habe davon gehört, dass diese Gemeinde lange schwankte zwischen Abriss oder Erhaltung der Kapelle. Klar: Wer gibt denn gerne freiwillig ein Haus her, das den Namen „Jesus siegt!“ trägt? Das tut weh.
Es braucht dann Mut, eine quälende Hängepartie zu beenden. Mut, den Schlussstrich zu ziehen.. Nur Klarheit befreit, und dazu gehört auch das klare Eingeständnis: es geht so nicht mehr weiter.

2. Abschied nehmen heißt auch aufräumen, Dinge ordnen, ins Reine kommen mit sich, seinem Inneren und den Menschen.

Draußen auf dem Grundstück ist das Aufräumen im Gange. Auch drinnen, in unseren Köpfen und Herzen, müssen wir Dinge klären und uns von vertrauten Vorstellungen trennen. Und wir spüren: Die lange Epoche des stark christlich geprägten Europa neigt sich dem Ende entgegen. Kirche und Gesellschaft, aber auch Religionsgemeinschaften und Gesellschaften in ganz Europa sind auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Seine Konturen sind noch unklar. Welche Gestalt wird es gewinnen, welches Gesicht tragen? Wir haben die Aufgabe, diesen Wandel zu gestalten. Wir wissen, dass die Kirche im Laufe der Geschichte immer wieder in Gefahr stand, die äußeren Erfolge und das äußere Wachstum als Beweis dafür zu nehmen, dass Gott auf ihrer Seite steht. Mit dem Kleiner-werden und Weniger-werden tun wir uns naturgemäß schwer --- auch wenn wir wissen können, dass wir damit – biblisch gesehen – den Verheißungen Gottes wieder näher kommen. Wie hörte doch Paulus den Herrn sprechen: „Lass Dir an meiner Gnade genügen. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

3. Abschied nehmen heißt weiter: Offen und ehrlich die Dinge benennen, sich nichts vormachen. Keine Scheinwelt hinter sich zurücklassen.

Niemand kann auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Kein Privatmann, kein Betrieb, keine Kirchengemeinde. Man kann den Euro nur ein Mal ausgeben, und wer ohne Ende Schulden macht wie unser Staat, der verschleiert die Lage und bürdet nur der Nachwelt Lasten auf. Verantwortliches Handeln sieht anders aus. Nüchtern die Lage analysieren. Die Not erkennen und offen benennen. Und dann als treue Haushalter das tun, was zu tun ist: konsolidieren und die Kräfte konzentrieren, um anderes besser machen zu können. .

4. Abschied nehmen heißt – weitergehen. Dazu müssen wir das Alte wirklich loslassen. Den Mut haben, entschlossen den Schlussstrich zu ziehen. Alles, was wir festhalten, hält auch uns fest. Wer weniger besitzt, wird weniger besessen. Nur wenn wir loslassen, können wir uns auf das Neue frei zu bewegen. Können seine Chancen und Möglichkeiten unbefangen ergreifen.

Ein Kirchturm mag das Wahrzeichen von Dorf oder Stadt sein – er war und ist aber nicht das Wahrzeichen einer christlichen Gemeinde. Ihr vornehmstes Wahrzeichen, an dem sie erkannt wird, war und ist das Evangelium. Ihr ganzes Leben und Wesen steht im Wort Gottes, sagt Martin Luther, dadurch allein „wird sie empfangen, gebildet, genährt, geboren, erzogen, geweidet, gekleidet, geziert, gestärkt, gewappnet und erhalten“.

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Das ist das, was bleibt. Das Eigentliche, das Wesentliche. Darauf lasst uns hören, daran lasst uns festhalten, darauf lasst uns vertrauen.
Ich liebe diese Stelle aus den Abschiedsreden, die zum Evangelium heute gehört.
Christus bereitet die Seinen auf den kommenden Abschied vor und er lehrt sie das rechte Beten.
„Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen“, sagt er. Ja, so ist es, so wird es kommen. Nicht der Triumph, das „Jesus siegt!“ steht am Ende – nein, stattdessen zunächst das Schand-Kreuz auf Golgatha, Folter und Dornenkrone und der Spott der Umstehenden: „Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen.“ Aber das Evangelium bleibt dabei nicht stehen. Es geht weiter, bleibt nicht stecken in Klage und Tränen.
„Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden“, heißt es weiter, und dann benutzt Christus diesen wunderbaren Vergleich und verknüpft den Trennungsschmerz mit den Schmerzen einer neuen Geburt: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, das ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“ Wunderbare Worte sind das, sozusagen Evangelium pur, Trost, Stärkung, Hoffnung.

Und dieses Evangelium fragt uns:
Warum siehst Du nur Ende, wo doch Anfang ist? Warum nur Tod, wo Geburt sich schon ankündigt, warum nicht den Aufbruch im Abbruch? Öffne die Augen Deines inneren Menschen, sieh hin und bete dafür, dass sich der Schmerz des Abschieds enthüllt und ganz unmerklich hinüber fließt in den Geburtsschmerz des neuen Menschen und der neuen Schöpfung. Das sind Erfahrungen unter einer Geburt: „Eine Frau hat Schmerzen, wenn ihre Stunde gekommen ist. Wenn sie aber geboren hat, denkt sie nicht mehr daran um der Freude willen, das ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ Nimm das getrost als Fingerzeig. Einen mächtigen Triumphator – den wirst Du nicht zu Gesicht bekommen. Seine einzige Krone ist die Dornenkrone. Aber du wirst anderes sehen, wirst ihn neu und wieder sehen mit dem inneren Auge. Du wirst die Wahrheit seines Weges einsehen und wirst verstehen, was das heißt: Lass Dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Liebe Gemeinde,
wir sind auf der Durchreise hier. Wir nehmen still Abschied von dieser Kapelle und orientieren uns zur St. Laurentiuskirche in Langenhorn. Mitnehmen werden wir das Eigentliche, das Wesentliche. Das Wahrzeichen der Kirche, das Evangelium, dieses große Versprechen Gottes, zart und leise, und doch wahr und stark: „Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“ Das ist Gottes Verheißung, dass er immer wieder Menschen beruft, das Evangelium zu verkünden durch Wort und Tat, dass Menschen getröstet werden, dass wir Orientierung bekommen für unser Leben und unsere Arbeit. Und dass der Heilige Geist, Gottes Atem, unser erneuert und belebt. „Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.“ Amen

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