27. November 2022 | Stiftung Schloss Neuhardenberg

Predigt anlässlich des 200. Todestages von Karl August Fürst von Hardenberg

06. Dezember 2022

Predigt zu Matthäus 21,1-11 von Bischöfin Kirsten Fehrs

Liebe Gemeinde zu Neuhardenberg!
„Macht hoch, nein: macht auf die Tür!“ Ich bin sicher, Karl August Fürst von Hardenberg würde es gefallen, dass wir heute, kurz nach seinem 200. Todestag, von offenen Türen singen, von Weite, von Aufbruch.
Es ist mir eine Ehre, bei diesem Gedenken und mehr noch: Reformjubiläum und allemal an diesem so historischen wie schönen Ort dabei zu sein und Sie außerdem vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland grüßen zu dürfen.
Überhaupt, dass dieses Jubiläum auf den Anfang der Adventszeit fällt – das passt doch, oder? Neu-anfang war angesagt damals, Anfang des 19. Jahrhunderts. Und zwar genau so ein Neuanfang, wie ihn die Adventszeit erzählt: mit kleinen Lichtern. Mit zaghafter Hoffnung. Noch. Die Hoffnung wollte neu in ihrer Kraft entdeckt werden, jedenfalls aus preußisch-staatsmännischer Sicht. Denn der Frie-den von Tilsit hatte zwar den Krieg beendet – aber auch alle preußischen Großmachtambitionen. Europa wurde von Frankreich und Russland – ausgerechnet Russland! – dominiert.
Heute mag sich das als Geschichtsbuchwissen leicht erzählen, und gerade Ihnen muss ich dies nicht referieren. Jedoch: Damals muss es eine furchtbare Katastrophe gewesen sein. Nicht nur ein Macht-, sondern vor allem ein Identitätsverlust, der alles in Frage stellte. Napoleon hatte Preußens Gloria den Garaus gemacht. Esel statt Schlachtross, das war die adventliche Ansage, und es brann-te noch nicht einmal die erste Kerze – wenn Sie mir erlauben, noch ein wenig im Bild zu bleiben.
„Macht auf die Tür!“ Reformfreudigkeit war der Impuls von Karl von Hardenberg, der dann im Auftrag von Friedrich Wilhelm III. Preußen sozusagen neu erfand. Mit Bauernbefreiung und Schulreform, mit ersten Ansätzen zu Demokratie und Selbstbestimmung. Mit Gleichberechtigung der Juden – ja, man musste die erst einführen. Immer noch unfassbar! All das fing damals an. Auch wenn aus heutiger Perspektive manches noch sehr preußisch wirken mag: Das Neue brach sich Bahn, unaufhaltsam. Räume wurden weiter. Neues Denken wurde möglich nach dem Zusammenbruch, und damit auch neue Freiheit. Freiheit für Städte und Freiheit für den Einzelnen. Der Geist der Aufklärung suchte seinen Weg. Von Hardenberg dazu: „Man schreite mutig fort und räume jedes Hindernis weg mit mächtiger Hand.“ So in seiner Rigaer Denkschrift von 1807.
„Macht auf die Tür!“, wenn es nicht weitergeht, wenn Machtansprüche sich totgelaufen haben, wenn alte Strategien nicht mehr zum Erfolg führen. Wenn das ganze bisherige Leben nicht mehr funktio-niert: Los, öffnet euch für neue Gedankenräume! Denn Not lehrt ja nicht nur Beten; Not lehrt auch neu nachdenken. Das höre ich den so schön stattlich-preußisch aussehenden Reformierer sagen. Und damit trifft er zielgenau ins postmoderne Herz.
Denn dass es in unserem Land, ja, weltweit so nicht weitergeht, das wissen wir alle. Krise legt sich über Krise mit dieser allseits so tiefgreifenden Corona-Erschöpfung, die gerade bei der jungen Gene-ration noch lange nicht vorbei ist.
All die Ängste, ausgelöst durch den Krieg und Inflation und Energiekrise. Und mit der Frage, wann und wo der Klimawandel umschlägt, in begrenztere oder weniger begrenzte Klimakatastrophen. Es kann so nicht weitergehen; wir wissen das, und es legt sich schwer auf die Seelen der Menschen – und auf die Seele unseres Landes. Das Vertrauen in die Politik schwindet, und viele wissen schon jetzt nicht weiter, gerade die, die schon lange nur ganz knapp klar kommen. Bei den Ausgabestellen der Tafeln höre ich erschütternde Geschichten.
Und wer Augen und Ohren offenhält, sieht schon jetzt: Gesellschaftlich wird es so nicht lange wei-tergehen können. Manche warnen gar vor einem Wutwinter mit um sich greifenden Protesten; wir erleben sie ja schon. Proteste, die die schon vorhandenen Spaltungen und Risse im Gefüge unserer Gesellschaft noch vertiefen. Wut, die zunimmt und die Demokratie wund macht. Ja, es mehren sich wieder jene, die Mauern errichten und Herzen verschließen. Als würden Ausgrenzung und Abschot-tung uns vor den Katastrophen der Welt bewahren können. Viel Angst ist da in diesem Land, die Türen schließt und Tore verbarrikadiert.
Karl von Hardenberg, und das ist an diesem Ersten Advent 2022 geradezu tröstlich zu erinnern, ist den anderen Weg gegangen, den mutigen Weg. Er war so frei, hat emanzipatorische Dynamik ge-wagt, und damit ja auch Machtverlust riskiert und die – vermeintlich sichere! – preußische Ordnung aufs Spiel gesetzt. Die alte Welt ganz neu denken – ich weiß nicht, ob Hardenberg das selbst so gesagt hätte.
Aber aus heutiger Sicht würde ich ihm das gern in den Mund legen. Weil es einfach dran ist, kraftvoll und entschieden den Gegenakzent gegen die Angst zu setzen. Und das ist nicht zuvorderst der Mut, sondern die Freiheit! Wir sind so frei, Altes zu riskieren – und der Zukunft Horizonte abzugewinnen. Mit Zukunfts-Lebensdurst!
Das genau meint Advent: mehr erwarten. In dem Provinz-Propheten Jesus dort auf dem Esel schon den König der künftigen Welt sehen. In den kleinen Wundern und den zaghaften Anfängen schon Gottes Frieden erkennen. Gegen die Untergangsstimmung an die Fülle des Lebens glauben. Da kommt noch was. Das ist die kraftvolle Adventshoffnung, die sich Licht um Licht in die Krisen mischt. Eine Hoffnung, die ja nicht deshalb da ist, weil alles so gut geht. Sondern die bleibt, wenn es über-haupt nicht mehr geht.
Genau das war es, was vor den Toren Jerusalems gezündet hat: Dieser Jesus auf dem Esel stand für all die fast schon vergessenen Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen mit ihren Palmzwei-gen. Er hat in ihnen aufgeweckt, was sie kaum noch zu hoffen gewagt haben: Zuversicht! Erwartung! Freiheit! Ein Ende von Fremdbestimmung und Gewaltherrschaft stand im Raum. Würde dem kleinen Volk, Brot den Verarmten und Wärme denen, die an Leib oder Seele erfrieren. Plötzlich hat er wieder gelebt in ihnen, dieser alte Traum von Frieden und Gerechtigkeit, und sie wurden lebendig und laut: Hosianna! singen sie in ihrem Überschwang. Weite Herzen machen sich Luft – und die Stadttore öffnen sich. Es ist die Hoffnung in Person, die da einzieht in Jerusalem.
Liebe Geschwister, überall, wohin ich komme, ob beim Dialog Kirche und Wirtschaft oder in den schon wieder überfüllten Flüchtlingsunterkünften, sehnen sich die Menschen nach einer Hoffnung, die trägt. „Wir werden irre ohne Zuversicht“, sagte jüngst ein Politiker zu mir. Sie ist die Ressource unserer Religion. Nämlich genau die Zuversicht, die den Krisen ins Gesicht blickt und ihnen ein energisches Trotzdem entgegen singt. Zuversicht, die sich nicht lähmen lässt, sondern Chancen sucht und ergreift. Die neu anfängt, wo das Ende den Ton bestimmen will. Ärmlich, wie auf einem Esel, ohne Glanz und Glamour, trägt diese Hoffnung die ganze Kraft einer Vision in sich, die die Welt zu einem besseren Ort machen will. Und die darum weiß: Wenn wir jemals aufhören, den Frieden zu denken, hat er keine Chance!
An Hardenbergs Todestag spüren wir also, wie viel von dem lebt, was ihm etwas bedeutet hat. Alle-mal hier in den Weiten dieses wunderschönen Schlosses Neuhardenberg, das Geschenk des Kö-nigs an ihn. „Gratia regis“ – so steht es über dem Tor, durch das nun aktuell wir hier einziehen. Als Suchende, Singende, Diskutanten und Zweiflerinnen, als junge Künstler, Kulturliebende und kluge Wissenschaftlerinnen. Hier ist Raum!
Raum für Philosophie und Theologie, für Kunst aller Couleur, einschließlich gewitzter Likörellen des neuen Hamburger Ehrenbürgers Udo Lindenberg. Dies alles dank einer Stiftung, die Großartiges geleistet und diesen Ort zu einem lebendigen, innovativen Kulturzentrum macht, seit 20 Jahren schon. Denn nichts anderes als Räume öffnen will doch Kultur. Mit hochkarätigen Konzerten und Lesungen, mit Kino und Kulinarik, mit Ausstellungen und Theater. Räume öffnen, in denen Men-schen aus dem Krisenmodus herauskommen können, zu sich finden, Quellen neu entdecken, das Leben anders sehen und hören und fühlen als vorher. Eine einzige Hope-Music-Academy sozusa-gen. Und eine echte Investition in das Leben – logisch, dass die Sparkassen mit ihrem Gemeinwohl-Engagement ganz vorne dabei sind, wenn es darum geht, einen solchen echten Schatz der Werte zu erhalten und zu heben.
Denn das ist ja unsere gemeinsame Aufgabe: den Frieden dieses Friedenskönigs von Jerusalem im Herzen zu tragen, wenn wenig später der Karfreitag kommt. Schönwetterhoffnungen haben wir ge-nug. Doch was trägt, wenn es hart auf hart kommt? Wenn Vertrauen und Zusammenhalt auf dem Spiel stehen? Wenn es gar gefährlich wird? Was trägt, wenn Bomben fallen, wenn Wohnungen kalt werden und das Geld fürs Brot wirklich nicht mehr reicht? Mit welcher Kraft halten wir stand? Mit welcher Zuversicht bleiben wir bei denen, die es nicht mehr aushalten?
Wir brauchen einander. Und wir spüren mehr denn je, wie sehr es auf die innere Haltung ankommt, wenn die äußeren Ordnungen unsicher werden. Dann sind wir auf uns geworfen. Auf uns Menschen mit unserer Menschlichkeit, unserer Herzenswärme, mit unserer Kraft, Liebe und Besonnenheit – und unseren hoffentlich offenen Türen. So wahr uns Gott helfe.
Und so nehme ich mit ins schöne Hamburg, von diesem Ort und diesem wahrlich stolzen Jubiläum und dem Leben von Karl August Fürst von Hardenberg: Wenn alles vorbei zu sein scheint, dann fängt die Zuversicht erst an. Dann öffnet sich das Tor und der Friedenskönig zieht ein. Auf einem Esel. Klein vielleicht und machtlos. Aber unaufhaltsam. Amen.

Datum
06.12.2022
Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien in Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Berno Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Versöhnungskirchengemeinde Schwerin-Lankow

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite