24. März 2024 - Palmsonntag | St. Petrikirche zu Kopenhagen

Predigt anlässlich des 449. Gemeindegeburtstag der St. Petrikirche zu Kopenhagen

26. März 2024 von Nora Steen

Liebe Festgemeinde in St. Petri,

Ihr feiert heute Geburtstag. 449. Jahre. Was für eine beeindruckende Zahl! Ich freue mich, dass ich heute bei euch sein darf. Dass wir zusammen diese besondere Fest feiern.

Heute, am Palmsonntag. Und ich möchte euch einladen, mit hineinzugehen in diese Erzählung, die wir vorhin schon als Lesung gehört haben und die in der wunderbaren Kantate auf ganz ähnlich Art ebenso anklingt.

Das ist ja ein ärmliches Bild. Ein König auf einem jungen Esel. Nicht nur ärmlich, erbärmlich fast. Ein König, der sich ausliefert. Der Staub der Straße ist sein Festgewandt. Das Klackern der Hufe auf dem trockenen Boden ist seine Fanfare.

Die Jünger werden sich geschämt haben. Zuerst. Sie verstanden nicht, heißt es im Evangelium, das wir eben gehört haben. Wieso macht sich der, an den sie so sehr glauben, für den sie alles aufgegeben haben, so klein? Wieso zieht er auf einem schmächtigen Esel nach Jerusalem ein? Jämmerlich.

Aber die anderen Menschen, die da sind, die verstehen. Sie haben mehr begriffen. Sie waren nämlich dabei, als Jesus den Lazarus von den Toten wieder auferweckt hatte. Sie hatten mit eigenen Augen gesehen, woran niemand geglaubt hatte, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, weil es die Gesetze dieser Welt durchbricht. Lazarus. Einer, der tot ist, ist nicht tot. Er lebt.

Ein ärmliches Bild. Ein König, der bei denen auf der Straße ist. Bei den Elenden. Bei denen, bei denen alle menschliche Hoffnung verloren ist. Ein König der Unsichtbaren und mundtot gemachten.

Und trotzdem ahnen und fühlen die, die da am Straßenrand stehen: Er ist es wirklich! Der König der dieser Welt. Eine Majestät, deren Würde sich nicht an äußeren Insignien der Macht erweist, sondern am Handeln. Eine Umkehrung der Verhältnisse. So, wie wir es eben auch in der Kantate gehört haben. Was hilft des Purpurs Majestät? Antwort: Nichts. Sie hilft nichts. Weil alles vergeht. Weil wir am Ende nur eins sind: Menschen. Egal, wie weit wir auf der Karriereleiter geklettert sind, egal, wie viel materieller Besitz uns zu eigen ist. Menschen sind wir. Mit unserer dünnen Haut, mit unseren Brüchen und Narben, die unser Leben zu dem machen, was es ist.

Heute, am Palmsonntag, wird unmissverständlich deutlich: Der Gott, der sich in Jesus von Nazareth der Welt gleich gemacht hat, ist ohne dieses radikale Bekenntnis zur Welt und damit zu uns, wie wir eben sind, nicht Gott.

Es ist häufig missverständlich, von „unten“ und „oben“ zu sprechen. Dennoch ist heute klar: Gott spricht nicht vom Himmel zu uns. Schwebt nicht als majestätische Gestalt ein. Ein Gott, der unbeeindruckt von unserer schwachen Menschlichkeit jenseits allen thront, hat nichts mit dem Gott zu tun, von dem in den Evangelien erzählt wird.

Gott nimmt den staubigen Weg in die Stadt hinein. Vorbei an ärmlichen Hütten, an Alten, an Kranken, an Kindern. Er lässt sich berühren von ihrem Leid. Von unserem. Vom Elend, das in unseren Herzen und Häusern wohnt. Es geht ihm immer und in allem um den Blick von unten.

In den Worten der Kantate: „Mein Purpur ist sein rotes Blut“, die fremd in unseren Ohren klingen, steckt genau das drin – unser Festfarbe ist keine Farbe dieser Welt. Unser Schmuck ist seit dem Wirken Jesu ganz anderer Art. Durchtränkt vom Leben und Leiden Jesu Christi, das uns selbst befreit zu einem realistischen Blick auf diese Welt.

Die Herausforderung – seit dem Wirken Jesu bis heute – ist ja: wie können wir das leben. Wie kann diese glasklare Erzählung von dem König, der auf dem Esel nach Jerusalem einzieht, in Einklang gebracht werden mit den kirchlichen Machtdemonstrationen der vergangenen Jahrhunderte und auch noch heute. Mit den Bildern kostbar in Purpur gekleideter Kardinäle, nicht nur im Petersdom, sondern allzu oft auch hier bei uns. Wie oft nehme ich eine große Distanz wahr – zwischen den so genannten Geistlichen und den anderen, den Laien, die auch ja genauso Kirche sind, wie wir mit Luther sagen. Kein Unterschied. Eigentlich. Aber. Stimmt das? Sind wir da ehrlich mit uns selbst?

Wie kann es in Einklang damit gebracht werden, dass die Kirche – sowohl in Dänemark als auch in Deutschland – noch viel Geld hat?

Gemeinsam mit den dänischen Bischöfinnen und Bischöfen im dänisch-deutschen Grenzland in Nord- und Südschleswig, dort, wo ich arbeite, haben wir das oft zum Thema. Wie verändert sich kirchliches Wirken in der Öffentlichkeit. Welche Bedeutung hat die Kirche im Sozialraum. Welche Autorität wird Vertreterinnen und Vertretern der Kirche noch zugestanden. Und welche steht uns zu, wenn wir von Christus her kommen?

Diese Fragen haben wir uns nicht nur zu stellen, weil sie Gott uns aufträgt. Wir haben sie uns auch zu stellen, weil Menschen sie stellen. Umfragen in Deutschland zum Thema Vertrauen zeigen: Die Kirchen stehen schon lange nicht mehr oben auf der Skala. Ebenso wie Parteien.

Viel genauer als noch vor einigen Jahren wird geschaut und zugehört: Entspricht das, was wir predigen, auch unserm Handeln? Sind wir überzeugend, nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat?

Deshalb wird genau hingeschaut. Momentan in Deutschland besonders darauf, wie wir auf die Ergebnisse der Studie reagieren, die den sexuellen Missbrauch in der ev. Kirche von der Nachkriegszeit bis heute untersucht hat. Erschreckende Berichte, die mich persönlich bis ins Mark erschüttern. Nicken wir es nur ab? Ist die Betroffenheit echt? Sind wir wirklich bereit, unsere Haltung und unsere Strukturen radikal nicht nur zu überdenken, sondern auch zu ändern?

Es geht im Kern um ein Hinterfragen der eigenen Haltung. Aus welcher Perspektive schaue ich auf die Welt – von oben oder von unten – und lasse ich Leid und Elend wirklich an mich heran?

Das schlichte Leinentuch des Königs ist staubig. Der König macht auf diesem jungen Esel keine gute Figur. Besser wäre es gewesen, er wäre zu Fuß gegangen, könnten die Presseprofis denken. Er hätte sein Kreuz strecken machen können, den Kopf gerade. Erhobenen Hauptes wäre der König nach Jerusalem gegangen. Seine Jünger wären stolz gewesen.

Aber so war es nicht. So sollte es nicht sein. Er schwankt und wackelt auf diesem dürren Esel in die Stadt. Kommunikationsstrategen wiegen bedenklich ihre Köpfe. Das hätte man vermeiden können. Müssen. Das wäre nicht nötig gewesen, so ein erbärmlicher Anblick. Aber die Menschen jubeln. Hosianna, der König kommt! Sie brauchen keine Marketingstrategie, die auf Hochglanz poliert ist. Sie sehen, dass es genauso sein muss, wie es ist.

Heute, beim Blick auf diese uralte Erzählung vom Einzug Jesu nach Jerusalem, hören wir ganz deutlich, was uns gut zu Gesicht stehen würde, in der Nachfolge Jesu. Bis heute. Mehr noch: Gerade heute.

Eine Kirche, die sich verletzlich zeigt und die trotz ihrer langen Geschichte und Tradition nicht in Selbstgenügsamkeit verharrt. Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertreter, die nicht den Staub der Schuld von sich abschütteln und zum Tagesgeschäft übergehen, sondern die sich mitten hineinbegeben in die Realität unseres Lebens. Die nichts abstreiten, um besser davon zu kommen. Die sich darauf einlassen, auf den Staub der Straße. Und auch darauf, eine unvorteilhafte Figur zu machen, weil alles andere eine Farce und reine Fassade wäre.

So eine Kirche ist es, mit der dieser seltsame König auf dem Esel möglicherweise etwas anfangen könnte. Eine Kirche, die bereit ist, alles auf den Prüfstand zu stellen, was über Jahrzehnte und Jahrhunderte getragen hat. Eine Kirche, die sich anfragen lässt und die weiß, dass sie Schuld auf sich geladen hat.

Das Interessante ist ja: Die Menschen dort am Straßenrand interessieren sich nicht für die klassischen Insignien der Macht. Ein auf Hochglanz getuntes Event mit strahlendem König hätte sie nicht beeindruckt. Es ist ihnen egal. Was zählt: Sie haben GESEHEN, wie wirkmächtig er ist, als er Lazarus vom Tod auferweckte. Sie haben erlebt, dass seine Geistkraft größer ist als unsere menschliche Vernunft.

Damit sind sie denen sehr nah, die heute mit großer Aufmerksamkeit auf das Handeln der Kirchen schauen. Auch diese lassen sich nicht blenden von Glanz und Gloria. Sie schauen auf die Taten. Und ich sage: Sie haben Recht. Sie müssen und dürfen auf unsere Taten schauen.

Menschen dürfen erwarten, dass wir ablegen, was hochmütig oder machthungrig ist. Sie dürfen erwarten, dass wir auf das kostbare Purpurgewand verzichten und den Esel nehmen. Dass wir uns nicht zu schade sind für den Staub der Straße. Denn unser Purpur ist das Leben und Leiden Christi.

Ihr feiert heute Geburtstag. Eine Gelegenheit für Rückblick und Ausblick. Bestandsaufnahme am Palmsonntag. Wer sind wir – hier in Kopenhagen. Und wer wollen wir sein. Auf welchen Weg wird uns Christus führen? Welche Straßen gibt es zu beschreiten und auf welche Weise?

Die Elenden sollen essen,
daß sie satt werden,
und die nach dem Herrn fragen,
werden ihn preisen.
Euer Herz soll ewiglich leben. (Bach-Kantate „Die Elenden sollen essen“ BWV 75)

Amen

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