Predigt bei der ökumenischen St. Ansgar-Vesper
03. Februar 2010
Liebe Schwestern und Brüder! I Es ist da „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller.“ – Dieser eine kurze und gewichtige Satz steht vorn auf den Gottesdienstordnungen für diese festliche St. Ansgar-Vesper.
Und eben, als wir einzogen, erinnerte ich mich wieder an die erste St. Ansgar-Vesper, die ich hier mitgefeiert habe vor vielen Jahren: schon damals war ich berührt und erfüllt von der Fülle der Farben, die hier festlich einziehen: Gott zur Ehre! Die Farben des Glaubens changieren in den Farben des Regenbogens, des Zeichens des Bundes Gottes mit seinen Geschöpfen und seiner Schöpfung! Es ist die Vielfalt, in der sich der Glaube feiernd zeigt, die seinen Reichtum ausmacht. Und es ist die Vielfalt, die die Grundlage ist für die Einheit im Glauben. Erfüllt ist das Herz davon, dass das geht, dass wir hier miteinander feiern. Ich erinnere an einen großartigen Text in der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Dort wird im Zweiten Buch der Chronik beschrieben die Einweihung des Tempels in Jerusalem – ein großartiges Fest mit Pauken und Trompeten und mit der Herrlichkeit des Herrn die Fülle. Es heißt dort, dass alle unterschiedlichen Stimmen und Töne und Klänge miteinander sich so vereinigten als sei es eine Stimme, die da lobt und dankt Gott, dem Herrn. Und die Wolke der Herrlichkeit erfüllte den ganzen Raum so, dass gar die Priester nicht zu ihrem Dienst hinzutreten konnten. (II Chronikbuch, Kapitel 5)
II
„Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller“. Dieser eine kurze Satz zeigt an, um was es geht – und was zugleich auf dem Spiel steht. Es geht immer wieder um das eine Grundbekenntnis der weltweiten Christenheit, das der Apostel Paulus im Epheserbrief formuliert. Es geht um unser gemeinsames Fundament, auf dem die eine heilige apostolische Kirche weltweit steht. Das ist der Fels, auf dem das Kirchen-Haus zu bauen ist, damit es fest steht. Und darum, liebe Schwestern und Brüder sind wir heute hier. Weil wir diese Fundament-Sätze der Christenheit immer wieder neu wiederholen und in unser Leben ziehen müssen: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller“. Das Grundlegende, das Fundamentale, das Selbstverständliche, es versteht sich eben keineswegs immer von selbst. Im Gegenteil: Wie oft braucht gerade das Selbstverständliche die Einübung und die Pflege, damit es tatsächlich im alltäglichen Getümmel des Lebens da ist, präsent ist, vor unser aller Augen ist. Lasst uns also pflegen das Selbstverständliche und lasst uns also feiern gemeinsam das Geheimnis „Gott“, lasst uns also ihm dienen. Das ist unser aller Amt – und sonst nichts!IIISo jedenfalls verstehe ich das Erbe des Heiligen Ansgar, dieses Benediktiner-Mönchs, der ab 832 als erster Bischof des neu errichteten Bistums Hamburg sich aufmachte das Evangelium zu verkündigen im Norden. Weil dieser Ansgar sich zeitlebens gekümmert hat um die Pflege des Fundaments, weil sein Herz brannte für das Ein und Alles des christlichen Glaubens, darum zog er durch die Lande und breite aus das Wort Gottes. Und darum wurde er zum „Apostel des Nordens“ – unermüdlich dabei, das Selbstverständliche zu tun und es verständlich zu machen, denen, die zuvor noch nichts gehört hatten von der Wahrheit des christlichen Glaubens. Und es ist großartig und Gott zu danken, dass die vielen christlichen Kirchen in dieser Stadt sich immer noch und immer wieder bewegen lassen von diesem Ansgar-Amt: weitergeben, was wir empfangen haben!
IV
Da haben wir eben gehört als Evangeliumslesung das Gebet Jesu, wie es der Evangelist Johannes aufgeschrieben hat. Jesus – so heißt es da – hob seine Augen auf zum Himmel, und betete für seine Jünger. Diese kleine Bewegung des bittenden Christus, dieses Aufheben der Augen zum Himmel, das ist es, was mir, liebe Schwestern und Brüder diesen kleinen Text schon so lieb macht. Auf dieser kleinen Bewegung liegt genau so viel Segen wie auf den Worten, die dann folgen. Oder besser: Die Wahrheit und der Trost, die liegen in den Worten, die Jesus zu Gott hin fürbittend spricht, haben ihren Grund in dieser Bewegung hin zum Himmel. Da streckt sich einer – in vorbildlicher Weise – zu Gott hin aus! Da erwartet einer – in vorbildlicher Weise – etwas Gutes von Gott, dem Vater im Himmel. Da hebt einer – in vorbildlicher Weise – die Augen auf zum Himmel und bringt sich selbst in die Haltung des Bittenden. In die Haltung dessen, der eben nicht alles aus sich selbst heraus kann. Sondern in die Haltung dessen, der sich selbst als hilfsbedürftig versteht und der es wagt, sich selbst als der Hilfe bedürftig vor die anderen Menschen hinzustellen. Ja, gewiss, Jesus Christus, der eine Herr! Aber eben – auf eine sehr besondere Weise: stark und mächtig und vorbildlich in seiner Geste der Hilfsbedürftigkeit; stark und mächtig und vorbildlich in seiner Geste der Schwäche. Jesus Christus – der Herr – gerade in der Haltung der Demut, mit leeren Händen vor Gott stehend – voller Zuversicht, dass Gott selbst sie füllen wird mit seinem Segen. Ja, voller Zuversicht, dass Gott die leeren Hände Jesu auch füllen wird mit dem Geschenk der Einheit der Kinder Gottes.
V
„Ich bitte für die, die an mich glauben werden, damit sie alle eins seien – wie du, Vater, in mir bist und ich in dir.“ Glauben, liebe Schwestern und Brüder, heißt in Christus sein und bleiben, heißt mit ihm selbst untrennbar verbunden sein, zu vertrauen auf seine unverbrüchliche Treue und Nähe. Und darin ist gelegt der Grund für unsere Einheit auch miteinander als Brüder und Schwestern im Glauben. Und zugleich gilt: Das, was vor Gott und in unserem gemeinsamen Bekenntnis wahr und wirklich ist, das soll und muss für uns selbst immer wieder neu wahr und wirklich werden. Und es wird wahr und wirklich nicht in erster Linie dadurch, dass es als unser gemeinsames Bekenntnis aufgeschrieben steht und Platz in unserem Kopf hat. Sondern, in erster Line wird es für uns wahr und wirklich dadurch, dass wir selbst die Einheit leben und die Ökumene aktiv gestalten. Ökumene, gelebte Einheit, ereignet sich immer dann, wenn sie aktuell bekannt wird und wenn sie gelebt wird im geschwisterlichen Miteinander von Christenmenschen. Wenn wir miteinander bezeugen das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat.Mit den Worten meiner Tradition kann ich es auch so sagen: In der Confessio Augustana von 1530, lese ich den mir lieben Artikel, der da heißt: „Es wird gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss und bleiben wird...“ (CA, Art. 7). Gott selbst ist der Garant dieser Bekenntnissätze und er selbst wird sorgen für seine Kirche und immer wieder Wehen lassen den Heiligen Geist, wo er es und wann er es will. Aber zugleich und damit verbunden ist entscheidend, dass dieses Bekenntnis immer wieder neu sich ereignet und Wirklichkeit wird dadurch, dass ich selbst es mir zu eigen mache, dass ich selbst es mir zu einer Wahrheit mache, die mich trägt und der ich mich verpflichtet fühle in meinem Tun. Also: Ich bekenne ... darum geht es!
Und es geht um Toleranz. Duldung heißt das, steht im Lexikon. Den anderen dulden, aushalten. Klar. „Wir sind tolerant“. Das klingt oft nach Selbstgerechtigkeit, Selbstgenügsamkeit. Natürlich geht es auch um Grenzen, die jeder von uns hat und braucht; geht es um die Wahrheit, die wir erkannt haben und bekennen. Aber es gibt noch eine andere Seite der Toleranz: sie ist eine Haltung, die rechnet mit der Ergänzungsbedürftigkeit, rechnet mit der eigenen Unfertigkeit; sie rechnet damit, dass in dem Anderen, dem Fremden, die eigene notwendige Ergänzung zu finden sein könnte. Solche Toleranz rechnet damit, dass Gottes Spielräume allemal größer sind als meine Möglichkeiten zu denken und zu handeln. Für mich ist dabei immer wieder neu wichtig, dass wir teilen und erzählen einander die Erlebnisse, die wir in uns tragen von gelebten ökumenischen Begegnungen. Wir sind auch als ökumenische Christenmenschen verstrickt in Geschichten, verstrickt in Geschichten gelingender oder auch mühsamer Ökumene. Ökumenische Gespräche, Dialoge mit den Konfessionen und Religionen sind für mich eine Quelle der Vergewisserung meines Glaubens und auch meines Bekenntnisses. Ich denke an die Begegnungen in der Diozöse Ely in England, unseren Partnern der Anglikanischen Kirche. Wie sehr wissen wir, dass wir einander brauchen mit unseren unterschiedlichen Geschichten, der unterschiedlichen Geschichte auch – um zu lernen immer neu, wie wir uns an Gott wenden können. Wir sind doch als Leib Christi angewiesen auf die anderen Glieder, auf ihre ganz besondere Funktion am Leib, auf ihre Muskeln oder Nerven. Und es ist ein Geschenk, dass die geschwisterlichen Gespräche über alle konfessionellen Grenzen hinweg uns nicht nur mit dem bekannt gemacht haben, was nach wie vor trennt und schmerzlich zwischen uns steht. Es ist ein Geschenk, dass wir Schritte tun können, um Trennendes zu überwinden und Gemeinsames stark zu machen, dass wir Ängste verlieren vor dem Anderen. Ich denke an meinen Besuch beim Lutherischen Weltbund in Genf. Da ist nicht nur der Streit um die Ordination der Frauen ins priesterliche Amt – den gibt es auch. Da ist vor allem die gemeinsame Verantwortung für das Zeugnis in der Welt und die gemeinsame Verantwortung für die Schwachen und Elenden, für Frieden und die Schöpfung Gottes. Ich denke an meine Freunde aus den katholischen Diözesen, Universitäten und Priesterseminaren, mit denen ich seit mehr als zwanzig Jahren an der Pflege und Entwicklung der Predigt und der Liturgie arbeite im geschwisterlichen, respektvollen Miteinander. Wir können gar nicht mehr ohne einander, beten füreinander, teilen miteinander. Wir teilen miteinander auch die Sorge um das Trennende – natürlich. Wir sind uneins im Blick auf unser Verständnis von der Kirche und von dem Amt der Kirche und wir sind uneins über die Eucharistie. Aber wir erkennen darin nicht nur das Trennende, sondern kennen sehr wohl auch darin die gemeinsame Wurzel, den einen Herrn, den einen Glauben. „Die Kirche der Zukunft ist eine ökumenische Kirche oder sie ist überhaupt nicht Kirche“, hat einst der evangelische Theologe Ernst Lange gesagt. Und so ist es richtig, so sehe ich das auch und so haben wir Kirche zu leben hier und in der Welt.
„Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller.“ – Ein paar Kapitel vorher beschreibt Paulus, wie Christus seine Gemeinde baut. Er fängt damit an, dass er die Zäune abreißt, die dazwischen sind, die Zäune der Feindschaft nämlich. „Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“ Das ist ein wunderbares Bild der in Christus geschaffenen, in der Verkündigung des Evangeliums gelebten Einheit der Verschiedenen. Auf dem Grund der Apostel gebaut mit dem Eckstein Jesus Christus. Und da werden wir eingefügt, wir Verschiedenen, „ineinander gefügt“, sagt Paulus, nicht einfach aneinander gelegt, das hält nicht lange. Ein solches Bauen, ein solches Ineinanderfügen sind wir schuldig uns selbst und der Welt: dass wir ein Beispiel geben zur Überwindung der Trennung und des Hasses, des Misstrauens und der Gewalt. Diese Welt sehnt sich danach, dass wir Zäune abreißen und ablegen alle Furcht vor der Vielfalt und dem Fremden – das ist nicht nur wichtig für die Einheit der Kirche, das ist wichtig für den Frieden der Welt!
VI
Liebe Schwestern und Brüder, darum lasst uns festhalten an der Hoffnung, die in uns ist! Lasst uns festhalten und teilhaben an der Vision unseres Herrn Jesus Christus, der selbst weiter einstehen wird für dieses Ziel, das vor uns liegt: Dass wir alle eins seien in Christus, der unser Friede ist! Amen.