29. Januar 2023 | Dom zu Greifswald

Predigt beim Semesterabschlussgottesdienst der Universität

29. Januar 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Matthäus 17, 1-9 – Motto „Moll und Dur“

Liebe Universitäts-, Semesterabschluss- und Greifswalder Domgemeinde!

Ach, hier ist gut sein! – So dachte ich´s schon die ganze Zeit, als ich die Orgel hörte und die ganze Atmosphäre hier fühlte, an diesem besonderen Ort, an dem ich zuletzt die Bachwoche in Moll und Dur genießen durfte. Und jetzt wieder: wunderschöne verschiedenst-baltische Musik zum Einatmen – dank dieses Chores, der ja selbst ein einziges Einatmen und Ausatmen von Menschen ist, die ihre Stimme erheben.
Wirklich: hier ist gut sein, mit den schönen Epiphaniasliedern wie das eben, das in vollem D-Dur zum Klingen bringt, wie das „Licht vom Licht die Finsternis durchbricht“. Lieder, die ungebrochen von unserer Hoffnung erzählen, die einst mit Christus, dem Licht der Welt, geboren wurde. Hoffnung, die immer wieder auf die Erde kommen will. Ungebrochen hinein in diese Welt mit ihrer Zerbrechlichkeit. Hinein in die Moll-Töne mancher Lebensmelodie, aber auch hinein in den scharfen Ton, der unsere Gesellschaft eine oft so aggressive sein lässt. Denn die Angst wächst und die Not auch. Und die rechten Scharfmacher der Nation nutzen das und schüren Fremdenhass und Rassismus. Nein, die Stimme der Hoffnung braucht einen sie tragenden Chor von Demokratinnen und Demokraten, der die Würde der Gebeutelten und Verzweifelten und Geflüchteten verteidigt. Einen Chor, der sich auf Dur und Moll versteht und in diesen Tagen aufrichtig erschüttert der Millionen Menschen gedenkt, die im Holocaust aufs Grausamste ermordet wurden.
Unseren Chor, liebe Geschwister, der im Angesicht der Opfer tapfer vom Frieden singt. Allemal inmitten eines barbarischen Angriffskrieges auf die Ukraine, dessen Bilder uns doch täglich den Atem rauben! Ein Krieg, in dem nicht allein tausende Menschen, auch russische Soldaten, sterben, sondern in dem die Menschlichkeit stirbt. In all dem ist sie doch so ersehnt, die Stimme der Hoffnung, die um den Schmerz weiß und um die Not der Menschen. Und die genau deshalb vom Licht singt, das die Finsternis durchbricht. Es ist eben eine Hoffnung, die sich der Welt aussetzt – und nicht deshalb da ist, weil alles gerade so gut ist, sondern die bleibt, weil so vieles gar nicht gut ist.
Deshalb – ist´s hier gut. Hier ist gut sein. Zum Aufatmen. Am siebten Tag, Sabbat, am Semesterschluss. Unterbrechung der Geschäftigkeit, vom business as usual. Mit einem Kirchenhimmel über uns und wirklich geistvoller Musik als Inspiration, also, sie, die in uns hineinsenkt und haucht, dass es einen höheren Sinn gibt – jenseits von Prüfungsergebnis, Erfolgsbilanz und Kontostand. Zweckvergessene, besondere Momente voller Ergriffenheit, Schönheit, Frieden.
Herr, hier ist gut sein – wir sind ja längst im Predigttext, liebe Geschwister. Petrus atmet auf. Den Gipfel zu erklimmen war harte Arbeit. Nun seufzt er vor lauter Glück. Soviel Schönheit sieht er. Unfassbar, diese Weite des Himmels. Die Klarheit. Das Blau. Und dann der Meister neben ihm, so wunderbar nahe wie nie. Er und Johannes und Jakobus staunen, wie hell es um Jesus ist. Die Kleider weiß wie das Licht. Sein Antlitz leuchtet wie die Sonne selbst. Verklärte, unerklärliche Klarheit ergreift sie, wie ein intuitives Schauen, eine Einsicht – jenseits von Erkenntnistheorie und messbaren Fakten.
Und dann auf einmal erscheinen Mose, der große Befreier, und Elia, der Prophet, mit dessen Wiederkunft das Gottesreich anbricht, so glaubte man. Zeugen der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Und Jesus nun in einer Reihe mit ihnen– und noch viel mehr: er strahlt das Segensleuchten Gottes ab. „Ja – hier: mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Auf ihn sollt ihr hören“ Ein Gipfelmoment, in dem alles zusammenkommt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Und in aller Ehrfurcht wissen die Jünger: was sie hier sehen, hören, fühlen, ahnen, diese Gottesbegegnung wird ihr Leben verändern. Niemals werden sie das vergessen! Dieses Glück. Die Leichtigkeit. Diese Nähe des Vaters im Himmel auf ihrer Erde. Petrus will niemals wieder weg von hier, und - ganz Pragmatiker - will er Hütten bauen. Festfügen, was doch so flüchtig ist. Wenn er das doch bloß alles festhalten könnte. Dieses Licht und die Gottesnähe inmitten dieser krisenverwundeten Welt. Tja, wohl nicht umsonst wählt Matthäus das griechische Wort für die Hütte, das zugleich Zelt bedeuten kann. Zelt, das nur eine kurze Weile bleibt.
Denn wir alle wissen es, ob im Glauben und im Hoffen und in der Liebe - Gipfelmomente fallen notorisch kurzlebig aus. Fragil auch. Leider. Umso wertvoller sind sie als Moment - weil sie einem unvergessliche Zuversicht ins Herz senken. Weil sie uns den Geist des Lebens und der Freude einatmen lassen. Und so der erschöpften Seele Kraft geben - von dem, was war, für das, was kommt.

Für mich ist diese Verklärungsgeschichte in den vergangenen Monaten ein Zukunftsbild geworden. Auch übrigens für unsere Kirche. Ich bin ja nicht allein im Sprengel Hamburg-Lübeck, sondern auch in der Nordkirche und deutschlandweit unterwegs, ja eigentlich seit 35 Jahren mit einem Strukturthema nach dem anderen befasst, alles, um der Zukunft den Prozess zu machen. Und ich gebe zu, liebe Geschwister, ich bin bisweilen erschöpft. Weil die Prozesse – bei aller Verantwortung, die Kirchenleitung und sowieso alle hier übernehmen und übernehmen müssen -  nach meinem Gefühl manchmal eher von der Quelle wegführen statt hin. Aber es hilft ja nichts: die absteigenden Zahlen und die Krise, die unsere Kirche schüttelt und noch mehr schütteln wird, ist ein tiefer Schmerz, dem sich die Kirche auch stellen muss. Wir sind eine Kirche mit Liebeskummer, sagte vor kurzem einer Ihrer Studierenden. Liebeskummer, weil sich die Geliebten abwenden, zum Teil ohne ein Wort, und dabei will die Kirche ihnen doch so nahe sein. Aber sie verstehen einander wohl nicht mehr, sprechen nicht die gleiche Sprache, treffen nicht den richtigen Ton füreinander. Dabei ist es doch gerade jetzt so wichtig, der Liebe und der Hoffnung einen Ton zu geben in dieser Gesellschaft!

Zurück zu unserer Geschichte. Natürlich werden die Jünger den Berg wieder hinuntersteigen. Zurück ins Tal, immerhin mit Jesus an ihrer Seite. Denn Christus ist nicht nur geborene Hoffnung, er setzt sich der Welt aus. Wir wissen, der Weg führt letzten Endes ans Kreuz. Vom Licht in den Todesschatten. Doch davor, direkt nachdem sie vom Berg gestiegen sind, schließt Matthäus eine mich besonders anrührende Geschichte an: Wie sich Jesus dem mondsüchtigen Jungen zuwendet. Der Junge fällt in seinem Leiden immer wieder in Feuer und Wasser, sein Gesicht ist schwer gezeichnet von all den Wunden. Vorsichtig berührt Jesus den Unberührbaren und heilt ihn. Und zeigt den immer wieder kleingläubigen Jüngern – uns? - was die Kraft des Glaubens vermag. Warum ich Euch das erzähle?
Für mich gehört dies beides zusammen in der Kirche, die ich träume: das klare leuchtende Angesicht oben auf dem Berg, das Kraft gibt und den weiten Blick, und zugleich die Hinwendung zum verzerrten, verstörten, verletzten Gesicht der Geschwächten im Tal. Mit dem Licht, das auch hell bleibt im Angesicht entsetzlicher Endlichkeit. Beides braucht es: Auf dem Berg die Gottesnähe, dass wir seine Liebe verinnerlichen, ja, einatmen, und unten im Tal die Liebe ausatmen, den Atem des Lebens hinbringen zu denen, denen gerade die Puste ausgeht.
Für mich ist es die Frage für unser Christsein, unseren Glauben und unseren Auftrag in der Welt: Wie gelingt es, dass wir eine Kirche sind oder bleiben, die einatmet und ausatmet? Die nicht erstickt, weil sie entweder das eine oder das andere nicht mehr kann? Wie kommen wir zu Inspiration und Herzensweite und tragen deshalb im Tal kraftvoll – und vielleicht anders als bisher - Gottes Liebe in die verwundete Existenz? Denn wir sollen und müssen doch damit nicht hinterm Berg halten, was uns trägt und tröstet, liebe Geschwister!
Allzumal wir doch alle in einer Gesellschaft leben mit einem verwundeten Gesicht. Und wir wissen: Sie ist im Wandel. Wie die Kirche. Und viele sind erschöpft, immer mehr im Moll als im Dur des Lebens. Sie kämpfen um Energie und kapitulieren vor Arbeitsbergen. Und – so erlebe ich es gerade bei jungen Menschen – sie sehnen sich nach dem Licht vom Berg. Nach Kraft und Segen und Hoffnung, die nicht aufgibt. Nach einem Himmel, es muss nicht der siebte sein, der die Erde berührt.

Vor kurzem traf ich einen bekannten Metereologen und Klimaforscher. Der wusste viel Kluges zu sagen über das Klima – auch zwischen uns – und über den Himmel und sein Blau. Auf die Frage, wo denn nun genau der Himmel beginnen würde, antwortet er: Metereologisch direkt zu deinen Füßen. Wunderbar, sage ich, das heißt ja: wir sind, stehen und gehen die ganze Zeit unseres Lebens mitten im Himmel. Durchschreiten ihn, jeden Tag. Und Gott ist ja dann nicht weit weg, der Vater im Himmel, sondern geht direkt neben uns, ist ganz nah, christusnah, da reichen ja allemal Himmelszelte. Was für ein Hoffnungsbild! Damit ist´s doch gut sein, nein, mehr noch: damit lässt es sich gut gehen, liebe Geschwister, hinein in die Semesterferien, manch´ Theoball und in unser Leben in Dur und Moll. Bleibt behütet – und bleibt sehnsüchtig nach dem Blau des Himmels und seinem Licht darin. Amen

Datum
29.01.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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