22. April 2023 | St. Trinitatis zu Hamburg-Altona

Predigt bei der Ordination im Sprengel Hamburg und Lübeck

22. April 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Johannes 10,11-16

Liebe Festgemeinde, und heute besonders liebe Ordinandinnen und Ordinanden,

so, bevor es jetzt wirklich und wahrhaftig losgeht, müssen Sie erst einmal ein hörendes Herz schenken. Also genauer: meine Predigt anhören … Das ist so bei Ordinationen, ich gebe mir Mühe, bestimmt. Gut dabei, dass, bei all den Lateinliebhaberinnen hier, praedicare gerade nicht von praedicere, vorsagen, kommt. Gar von oben herab. Durch ein Machtwort. Da bin ich ehrlich gestanden auch talentfrei.

Sondern ganz anders: praedicare heißt ausrufen und loben. Ist also eine Äußerung – ganz geradeaus. Eine eigene Sprache für das, was einen innerlich berührt, bewegt, was einen glauben lässt und nicht selten auch zweifeln. Und was die Hörbereitschaft der anderen braucht. Also: Praedicare ist immer ein auf Kommunikation angelegtes Geschehen.

Für dieses Ausrufen, den Ruf gehört zu haben, also berufen zu sein, das hat uns beschäftigt. Wunderbar diese Geschichte von Ihnen, lieber Herr Wieczorek – der Sie dem Rat Ihres Pastors in Afrika gefolgt sind und solange alles getan haben, um nicht Pastor zu werden. „Wenn du dann den Ruf immer noch hörst, dann mach‘s.“ hat er gesagt. Und Sie haben ihn gehört, den Ruf.

Wie Sie alle, glaube ich, auf je eigene und total unterschiedliche Weise: Es hat Sie etwas herausgerufen aus dem anderen Leben, aus dem Physik- und Biophysikstudium, aus dem engagierten und abgefundenen Diakoninnen-Dasein. Aus der Angst in die Freiheit, aus dem Hunger ins Glück und aus der Entdeckungsreise in die Liebe. Und für Sie alle hier war es weniger ein Aha-Moment, so wie dieser tiefe Herzenswunsch mit 14 Jahren: Ich werde Pastorin.

Nein, für Sie alle war es auch ein innerer Prozess, ein Weg mit Windungen, Fügungen, inneren Veränderungen. Und eben mit so manchem Ruf, der die Sehnsucht und den Mut provoziert, also herausgerufen hat, es lieber mit der Theologie zu probieren, statt mit Meeresbiologie und Latein.

Tu, was du bist – alles andere wird sich fügen, liebe Frau Karera-Hirth. Das ist so ein Ruf. Von Eltern, Pastorinnen, Professores, Vikariatsanleitern, Mitvikarinnen. Denn die meisten von Ihnen sind intensive Vikariats- und Studienjahre miteinander unterwegs. Eine aufeinander herzlich bezogene Gemeinschaft, die sich getragen, getröstet, mag sein irritiert und auch gefordert hat.

Und genau darin liegt der Segen im praedicare: Wenn tatsächlich kommuniziert, also geteilt wird. Das Wort und das Brot. Wenn Gottes Wort nicht allein geredet, sondern auch gehört und verinnerlicht wird. Wenn es zu tun hat mit dem, was ich als Mensch erlebe in dieser Welt, die ist, wie sie ist. Und eben dieses Wort Gottes lebensnah und friedensleis in Sprachen zu fassen, die die Menschen erreichen, Gottes Wort zu loben, hinzusingen, zu erringen, zu instagrammen, herauszulieben – dazu sind Sie berufen. In der Gemeinschaft Jesu Christi. Der von sich sagt: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben […]“ Und ich habe noch andere Schafe, sagt er, die sind nicht aus diesem Stall; doch auch sie werden meine Stimme hören – und niemand wird auch nur eines aus meiner Hand reißen.

Der gute Hirte – was für eine Verheißung. So viel Liebe! Zu so vielen Schafen, gerade ja nicht alle aus einem Stall, sondern fremde wie heimische, divers ohne Ende – und nicht eines soll verloren gehen! Da schwingt Geborgenheit mit und Zugehörigkeit. Dieses im tiefsten Sinne „gesehen sein“. Nicht gegängelt, sondern geschützt. Auch im tiefen Tal bleibt die verheißungsvolle Aussicht auf Leben. Denn dir soll, dir wird nichts mangeln … Sondern „Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang.“

Diese empfindsamen Hirtenworte vom 23. Psalm werden immer wieder Menschen ins Herz treffen. Denn nichts ist so lebensbedrohlich und lebensnah zugleich wie die Erfahrung vom tiefen Tal. Von Trennung und Verlust. Von Herzenshärte und Heimatlosigkeit. Von Gewalt und von seelischem Unfrieden – auch mit sich selbst.

Deshalb praedicare! Wir alle sind berufen, das Erbarmen herauszurufen. In diese Welt hinein, die so verunsichert ist durch die Gewalt. Über ein Jahr schauen wir doch erschüttert in die Ukraine. Mit verzweifelter Wut auch, auf einen Diktator, der skrupellos Hunderttausende diesem brutalen Krieg opfert. Ein Krieg, der zwei Völker zerstört.

Wer, wenn nicht wir sollten uns gerade machen? Wer, wenn nicht wir sollten der Trauer den Trost entgegenhalten und der gnadenlosen Vernichtung unsere Friedenssehnsucht? Das Erbarmen herausrufen als Sympathisantinnen des Lebens und der Mitmenschlichkeit, das ist unser Amt. Praedicare das Erbarmen – konkret und real. Nicht umsonst heißt der morgige zweite Sonntag nach Ostern „Misericordias“ – Barmherzigkeit.

Denn Ostern geht ja weiter, liebe Geschwister, es ist ein immerwährendes Herausrufen der Liebe, die lebendig sein und also gehört werden will. Deshalb ist sie ja so wichtig im Evangelium: die Stimme, das Sprechen, der Klang vom Hirten. Denn das Gehör reagiert viel emotionaler und unmittelbarer auf Gefühle als unsere Augen. Wir konnten schon Geräusche und Klänge vernehmen, als wir noch im Mutterleib waren. Das Gehör ist eher nach innen gerichtet, die Augen nach außen. Und so wird das Herz am direktesten von Tönen erreicht – durch das Locken, Liebkosen, durch Staccati, Summen und Musizieren.

Diese Zwischentöne kann ein guter Hirte. Er befiehlt nicht. Spricht kein Machtwort. Schon gar nicht von oben herab. Sondern er sucht den rechten Klang in dieser Zeit, um uns zu leiten zur Barmherzigkeit. Schenk uns, Gott, ein hörendes Herz. Uns, den Schafen ...

Viele, die mich kennen, wissen: Ich habe zu diesem Schafbild immer schon ein gebrochenes Verhältnis. Denn wir Dithmarscherinnen kennen unsere Schafe! Und mit Verlaub: Emanzipation geht anders. Wer ist schon gern so ein treudoofes Schaf, das willenlos dem Hirten respektive der Pastorin hinterher trottet? (Auch wenn man bei so liebevollen Hirtinnen und Hirten wie Ihnen durchaus eine Ausnahme machen würde …)

Meine schafsnahe Entwicklung von Kind an hat mir zudem die nüchterne Erkenntnis gebracht: Schafe lassen sich überhaupt nicht leiten und führen. Vielmehr sind sie schreckhaft und stur. Scheu-gierig. Bisweilen laufen sie einem weißen Auto hinterher, wenn sie meinen, das sei ein attraktiver Artgenosse. Und wer einmal einem Schäfer zugesehen hat, der weiß: Mit Druck geht da gar nichts. Es ist weder der Hirtenstab noch der Hütehund, mit dem er die Herde erreicht. Es ist tatsächlich zuallererst die vertraute Stimme.

Ein guter Hirte weiß, dass er seine Schafe nur in klarer Stimme rufen kann, nicht über sie bestimmen. Das Bild vom guten Hirten ist alles andere als ein Herrschaftsbild. Es ist ein Bild vertrauensvoller Beziehung, die Freiheit atmet. Eine Beziehung, „wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater“,sagt dazu der Predigttext.

Nehmt das in euch auf, liebe Geschwister. In aller Freiheit! Denn deshalb macht der Hirte vor allem eines: Er weidet die Schafe. Heißt: Er gibt einen Schutzraum, in dem sie unbehelligt leben können. Der Hirte führt also nicht, er folgt den Schafen. Vorzugsweise den gefährdeten, den eigenwilligen, den sturen, den seitlich umgeknickten, dass sie ja nicht verloren gehen. Und droht Gefahr, Chaos und tiefes Tal – dann hebt er die Stimme. Lockt mit Klang. Schwingt das Wort und nicht das Zepter.

Was uns das heute sagt, an einem so besonderen Tag wie Ihrem? Erstens: Diese Gemeinschaft zu pflegen wie einen Schutzraum, in dem keiner verloren geht. Und zugleich als Freiraum, der die Differenz liebt. Die Diversität. Beides zusammenzuhalten ist das Hirtenspiel.

Zweitens: Hebt eure Stimme. Sprache kann einen Schutzraum bilden. Predigtsprache übrigens auch. Für all die Menschen, denen feierlich zumute ist oder die vor Trauer zergehen, aber keine Worte mehr dafür finden. Für all die, die sich nach Lust sehnen und nach einem grünen Sommer für die Seele und danach, dass Lasten vom Herzen fallen. Für all sie kann das geäußerte, herausgerufene Gotteslob ein neuer Anfang sein, das Leben zu lieben. Ja, es kann überhaupt wieder etwas von der Liebe gehört werden, weil sie wagt Wort zu werden.

Das ist auch das, was sich unsere Kirche von Ihnen wünscht und Sie von sich selbst, glaube ich auch: dass die klare Stimme nicht pastoraler Singsang wird, sondern dass Sie das Evangelium in Ihrer Sprache auslegen, aus Ihrem Alltag heraus. Mit Haltung, Handlung, in vielfältiger Sprache gilt es, das Herz der Menschen ins Hören zu bringen.

Und also: Geht mit dem Segen dessen, der euch liebt! Geht – alle – und traut euch, von ihm zu reden, dass die Stimme der Liebe im tobenden Weltkonzert Kraft bekommt. So, genau so, bewahre der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
22.04.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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