14. Mai 2023 | St. Petri zu Lübeck

Predigt bei dem Festgottesdienst zu 60++ Jahren Frauenwerk Lübeck-Lauenburg

14. Mai 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Judit 16,13

Liebe Frauenwerksfestgemeinde,

„Sing!“ sagt Dolores zu der kleinen, schüchternen Novizin, die vor ihr steht. Um sie herum jede Menge Ordens- und Chorschwestern, man könnte auch sagen: eine Frauengruppe der diversesten Art, die endlich einmal schön singen will. Nicht im Sopran, zwei Oktaven zu hoch bis zum Kirchturm. Nicht im Bass, immer daneben. Nein, endlich einmal so, dass nicht alle beim ersten Ton schmerzhaft das Gesicht verziehen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich, liebe Schwestern hier in St. Petri, sind nicht Sie gemeint! Aber vielleicht haben es einige schon erkannt, ich bin im Film Sister Act.

„Sing!“ sagt Dolores, die alles andere als eine Nonne ist. Aber sie ist Sängerin und vieles mehr. Vor allem herzlich. Klug. Kirchenfern. „Sing!“ sagt Dolores nochmals und fügt hinzu: Stell dir vor, dass ich ganz hinten am anderen Ende des Raumes stehe, und da reden Leute, und sie lachen und klirren mit den Gläsern und einige rufen: „Bedienung!“ – Und du willst mich dennoch mit deinem Gesang erreichen. Ich werde hinten stehen und dir ganz genau zuhören – und nun sing!

Dann singt die zarte Novizin. Und singt. Die Stimme wird immer voller, groß wie ihre Augen. Sensationell, was aus dieser kleinen Person an Stimme herauskommt. Die anderen halten den Atem an und bestaunen die Wandlung, die sich vor ihren Ohren vollzieht. Und ja, sie lässt jetzt alles raus, was bisher im strengen Habit verschlossen war. All die Ängste, nicht zu genügen und diese übergroße Sehnsucht danach, endlich etwas Sinnvolles für andere zu tun. Damit die Welt sich ändert. Dass sie fairer wird und wunderbar.

Stark, fair, wunderbar! Auch die Frauenwerkscombo 60++ aus Lü-Lau weiß genau von dieser Erfahrung zu singen, wie Musik die Kraft der Verwandlung in sich trägt. Nicht umsonst spielt heute und hier die Musik. Weil die Frauenwerksbeirätinnen aller Zeiten so wie die Chorschwestern im Film etwas „los machen“, meint: die Lebendigkeit des Glaubens aus den beklemmenden Anteilen der Tradition lösen wollen. Damit aus der völlig desolaten Chor-Kakophonie – wie wir sie ja zunehmend in unserer Gesellschaft hören – eine durch und durch vitale, stimmkräftige und sozial engagierte Gemeinschaft wird, so wie im Film. Damit – stark, fair, wunderbar – mit neuen Tönen alte Zöpfe abgeschnitten werden. Damit Fassaden bröckeln, innere und äußere Mauern ins Wanken geraten, sich öffnen für die Welt mit ihren Schönheiten und ihrem Schmerz.

>Was für eine Kraft der Verwandlung liegt in der Musik und im Singen! So wie sie bei der Novizin ihr ganz eigenes Novum hervorbringt. Als nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder Kultur, Musik, Chorgesang möglich wurden, da haben wir ja ganz Ähnliches erlebt. Da entstand neue Lebensfreude, kostbare Momente von Unbeschwertheit, Nähe und Gemeinschaft, Friedlichkeit. So wichtig doch gerade in dieser krisenhaften Zeit mit ihrem ohrenbetäubenden Kriegsgeschrei, diesen Ton der Freude und Mitmenschlichkeit zu setzen und in sich aufzunehmen! Mit jedem Atemzug. Gemeinsam. So wie hier. Wo ja die Musik spielt. Was für ein passendes Motto, liebe Geschwister, liebe Beirätinnen, heißt doch die Zeitansage darin: Singen ist wie eine einzige Friedensdemonstration.

Denn Singen schafft Zusammengehörigkeit, international. Eine Verbindung in uns und unter uns. Verbindung, die die Seele erreicht. Und aufrichtet. Denn wer singt, kann nicht in sich verkrümmt bleiben. Dann kann man nicht atmen, ganz schlicht. Wer singt, kann auch nicht mehr die Lippen zusammenpressen und die Mundwinkel unten lassen. Geht einfach nicht. Wer singt, lebt wissenschaftlich erwiesen auch ob der frei gesetzten Hormone deutlich gesünder. Hat stärkere Immunkräfte und eine bessere Verdauung. Ist überhaupt so ganz und gar besser dran. Und deshalb: Wer singt, ist sozial unerhört verträglich, merken wir ja heute. Singen stiftet an zum Zusammen-Spiel sowohl unter denen, die singen, als auch mit denen, die hören. Ein Friedensspiel.

„Ich will singen meinem Gott ein neues Lied. Groß bist du, Gott, und herrlich wunderbar in deiner Stärke.“ So singt es uns heute Judit. Die starke, vielgemalte biblische Heldin Judit, der sogar genau im Übergang vom Alten zum Neuen Testament, in den Apokryphen, ein eigenes Buch gewidmet ist. Sie muss eine faszinierende Frau gewesen sein. Selbstbewusst, aufreizend schön, gottesfürchtig, mutig. Eine Frau allerdings, die es so nie gegeben hat. Gleich im ersten Vers des Buches wird die antike Leserin ernüchtert, dass es sich um eine kunstvoll gestaltete Geschichte aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus handelt, nicht aber um eine wahre historische Begebenheit.

Judit – zu stark, zu schön, zu wunderbar, um wahr zu sein? Schade eigentlich. Weil in ihr so viel Wirklichkeit, auch unsere Wirklichkeit zu finden ist. Denn es war eine Zeit massiver und spöttischer Gottesskepsis; die griechischen Philosophen standen weit höher im Kurs als der jüdische Gottesglaube. Und Judit, als kinderlose Witwe damals am Rand der Gesellschaft, ringt darum: Wie behält man den eigenen Glauben, wie bekennt man ihn glaubwürdig, wenn man unter Menschen lebt, die diesem Glauben distanziert bis feindlich gegenüberstehen?

Und – Holofernes, der Feldhauptmann des Königs Nebukadnezar mit seiner Eroberungswut erscheint schon am Horizont – auf wessen Hilfe kann man hoffen, wem vertrauen? Darum geht‘s in der Geschichte. Wer hat die wahre Macht, Gott oder König Nebukadnezar? Das Drama nimmt seinen Lauf – mit Sex and Crime und allem Drum und Dran.

Judit, die wortmächtige Gottesvertreterin, betritt nämlich unverfroren das feindliche Lager. Und – klar – Holofernes verguckt sich sofort in sie. Bei einem Festgelage dann kommt es zum Showdown. Als Holofernes spät in der Nacht auf die Erfüllung seiner liebestollen Phantasien hofft, enthauptet Judit ihn kurzerhand mit seinem eigenen Schwert. Zack. Dumm gelaufen. Am nächsten Tag können die Israeliten das kopflose Heer leicht in die Flucht schlagen. Und Judit wird als Heldin des Glaubens gefeiert.

Nun mag man andere Methoden bevorzugen, um Kriegsgewalt abzuwenden. Auch übrigens die Gewalt Judit gegenüber. Dennoch – die Quintessenz ist: Durch Mut und Geistesgegenwart einer Einzelnen wird die Vernichtung eines ganzen Volkes verhindert. Eine Mutter Courage, die ihre Kraft aus Gottvertrauen schöpft. Auch weil sie singen kann. Und deshalb loben kann und danken. Eine Haltung hat. Eine aufrechte, ja königliche Haltung geradezu. „Der Herr ist ein Gott, der die Kriege zerschlägt“, singt sie. „Ich will ihm singen ein neues Lied.“

Ein Lied, das Kraft gibt, für das Leben zu kämpfen. Gegen die Unterwerfung. Von einer Mutter Courage an ihrem – Achtung Überleitung! – Muttertag der besonderen Art ... Mir liegt gerade heute daran, zu erinnern, dass der Ursprung des Muttertages viel mit Judit zu tun hat. Weil der tatsächlich hochpolitisch war und der amerikanischen und englischen Frauenbewegung entstammt. 1865 begann es mit Mothers-Day-Meetings, an denen auf Einladung der Methodistinnen Mütter über aktuelle Themen der Gesellschaft diskutierten. In Fortsetzung dieser Idee startete Julia Ward Howe 1870 in England eine Mütter-Friedenstag-Initiative mit dem Ziel, keinen ihrer Söhne mehr den Kriegen zu opfern.

Es hatte also dieser Blick der Frauen immer etwas damit zu tun, das Leben zu schützen. Mit Courage und – widerständig und hartnäckig – fortan die Stimme zu heben und zu kritisieren, warum den Frauen damals kein Wahlrecht zustand, um solch kriegerische Politik zu unterbinden. Oder, die Zeiten hatten ihre Themen, warum kein eigenes Konto, keine Selbstbestimmung erlaubt war. Oder das Recht auf gleichen Lohn. Gerechte Sprache. Die Liste ist auch heute noch lang.

Nicht klein beigeben, sondern die Stimme erheben, liebe Schwestern, und den Erschöpften dieser Tage das Lied der Gnade entgegensingen. Der Zukunft mit guter Hoffnung den Prozess machen. Das ist das Juditlied der heutigen Zeit. Zeigt Haltung, königliche Haltung, die getragen ist von bodenständiger Barmherzigkeit, singt es.

Habt den Mut, das Lied des Friedens zu singen. Gerade jetzt. Für all die Verstörten und Verängstigten unserer Tage. Es braucht jetzt diesen klaren Ton von den religiös Musikalischen. Von denen, die nicht unbedingt bibelfest sind, aber dennoch ganz genau darum wissen, dass es im tosenden Weltkonzert darum geht, den Ton der Mitmenschlichkeit durchzutragen.

Und ich schaue auf Sie und euch, die 60++-Schwestern im Frauenwerk, die ihr seit 1961 auf unterschiedlichste Weise alles tut, um eben diesem Ton eure Stimme zu geben, so vielseitig und divers und zugleich aufeinander eingestimmt, stark und kräftig im Fortissimo, fair im Miteinander und wunderstill in der Kunst der Pause.

Danke dafür. Danke euch, die ihr Orte und Zeiten schafft, um Kraft zu schöpfen und Melodien zu finden, die in die Welt getragen werden wollen. Um Herzen zum Hören und Seelen in Schwingung zu bringen.

Herzlichen Dank auch Ihnen, den neuen Beirätinnen, die nun in der nächsten Legislatur ihre Kraft einbringen werden, mit Herz und Hand, Mut und Unmut. Und hoffentlich mit Freude, die Zukunft zu gestalten, die – klar – ihre Herausforderungen hat.

Bei all dem bleibt wichtig, dass ihr singt! Von der Hoffnung, die in euch ist. Denn ich bin überzeugt: in unserer Gesellschaft stehen immer noch viele Menschen, die auf genau diesen, die auf unseren Ton warten. Die erreichbar sind, obwohl es so viele andere Geräusche gibt, obwohl da so viele Leute sind, die laut reden und lachen und Gott einen guten Mann sein lassen, die mit den Gläsern klirren und „Bedienung!“ rufen. Erheben wir unsere Stimmen, dass wir auch sie erreichen. Mit Flöten und Trompeten, Alt, älter, Bass und besser. Wir haben so viel Ermutigendes, Kraftvolles und Tröstendes zu Gehör zu bringen. Wir können mit Judit ein Lied davon singen, wie Gott Menschen in ihrer Not aufrichtet. Und wie sein Segen die Welt zu verwandeln vermag.

Damit Friede werde, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
14.05.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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