8. Juni 2024 | Vicelinkirche zu Pronstorf

Predigt im Festgottesdienst der Schleswig-Holsteinischen Genossenschaft des Johanniterordens am Rittertag

13. Juni 2024 von Nora Steen

Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. (Epheser 2, 17-18)

Liebe Gemeinde,  

es sind stürmische Zeiten. Nicht nur für uns als Gesellschaft, auch für uns als Kirche. Das bringen Studien immer wieder zu Tage. Sie stellen fest: die Religiosität in Deutschland nimmt von Generation zu Generation ab. In der Bevölkerung dominieren inzwischen säkulare Einstellungen, d.h. Menschen, für die Religion keine Bedeutung mehr hat. Innerhalb dieser Gruppe wächst die Anzahl der Menschen mit einer „säkular-geschlossenen“ Einstellung. Für diese Menschen ist Religion etwas kulturell-fremdes, überholtes, das nicht nur keine Relevanz hat, sondern sogar abzulehnen ist.

Die Studie stellt Anfragen an das Herz von Kirche. Sie fragt nicht nur nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kirche, sondern diagnostiziert „eine Krise des religiösen Glaubens, der religiösen Praxis, des religiösen Erfahrens und der religiösen Kommunikation“[1]. Das, was wir gerne für unser „Kerngeschäft“ halten, ist für viele Menschen bedeutungslos.

In diesen Zeiten lese ich den heutigen Predigttext (Predigttext für kommenden Sonntag) aus dem Epheserbrief:

17Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.

19So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.  Epheser 2, 17-22

Ein Text über die Kirche. Die Kirche als ein Bau, der organisch wächst, ineinandergefügt zu einem heiligen Tempel. Das hat auf den ersten Blick wenig mit unserer Realität zu tun. Denn statt einer wachsenden, erleben wir eine schrumpfende Kirche. Kann ein solcher Text Orientierung bieten?

Der Epheserbrief reagiert auf konkrete Konfliktlagen, die in den frühen Gemeinden entstanden.  Während das Evangelium sich in Kleinasien verbreitet, entstehen Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Gemeinden. Der Brief wendet sich an die, die fern sind. Das waren Heidenchristen, die in zunehmender Zahl zu den Judenchristen in den frühen Gemeinden in Kleinasien hinzukamen. Zwischen den Nahen und den Fernen entstehen Konflikte. Zwischen denen, die vermeintlich schon immer dazugehören, und denen, die neu dazustoßen.

Die Konfliktsituation ist eine andere als unsere heute, aber sie trägt ähnliche Grundzüge: es geht um die grundsätzliche Frage, was das Wesen von kirchlicher Gemeinschaft ist und wie dieses zum Ausdruck kommt.

In dieser Situation sendet der Epheserbrief eine klare Botschaft: Er erinnert an die Einheit der Gemeinschaft, die im Versöhnungshandeln Christi begründet ist. Durch Christus ist den Nahen und den Fernen, den Heiden und den Juden Frieden verkündigt und der Zugang zum Vater möglich worden.

Dieses Versöhnungshandeln konstituiert eine neue Realität: trennende Kategorien wie nah und fern sind aufgehoben. Aus Menschen, die nur kurz zu Besuch kommen, werden Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Hausgenossen. Gekommen, um zu bleiben.

Diese neue Gemeinschaft sprengt alle weltlichen Sozialisationsmuster. Ganz ähnlich bringt es der Galaterbrief auf den Punkt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,28)

Diese neue Gemeinschaft ist eine Gabe, die unter der eschatologischen Verheißung steht. Es ist die Gemeinschaft mit Gott durch Christus und die Gemeinschaft untereinander, die Christus als Frieden verkündigt. Und zu der der Bau hinwächst – in einer endzeitlichen Perspektive.

Und gleichzeitig macht der Epheserbrief deutlich, dass diese Gemeinschaft auch eine Aufgabe ist: alle sind Mitbewohnerinnen und Mitbewohner – alle sind verantwortlich, an diesem Bau mitzuwirken und ihn zu gestalten, sodass der Friede Gottes durch diesen Bau verkündigt wird. In den nächsten Kapiteln des Epheserbriefes wird das als diakonisches Handeln ausbuchstabiert: „Lebt in der Liebe“, heißt es da (Eph 5, 2), „lebt als Kinder des Lichts“ (Eph 5, 8) und das heißt: seid gütig und gerecht.

Der Epheserbrief entwickelt ein inklusives Kirchenverständnis. Es bindet die spirituelle Gemeinschaft in Christus und die ethische Gemeinschaft zusammen: beides geht nicht ohne einander und beides ist begründet durch Christus als Eckstein. Das Wachstum der Kirche ist daher kein quantitatives Merkmal. Es ist eine qualitative Aussage, die erwartet, dass der Grund von Kirche, Jesus Christus als ihr Eckstein, in all ihren Handlungsvollzügen zum Ausdruck kommt: in der Verkündigung und im ethisch-diakonischen Dienst.

Ein ähnliches Kirchenverständnis findet sich auch bei Martin Luther – entgegen der oft verbreiteten Annahme, die reformatorische Theologie stelle die geglaubte und die wirkliche Kirche einander gegenüber. Er spricht von der Kirche als Solidargemeinschaft, begründet durch das Sakrament des Abendmahls:

Wie in einer Stadt allen Bürgern der Name dieser Stadt gemeinsam ist, ihre Ehre, Freiheit, Handel, Gebräuche, Sitten, Hilfen, Beistand, Schutz und dergleichen, so auch umgekehrt alle Gefahren, Feuer, Wasser, Feinde, Sterben, Schäden, Tribute und dergleichen. Denn wer mitgenießen will, der muss auch mitbezahlen und Liebe mit Liebe entgelten.

Man findet viele Leute, die gerne mitgenießen, aber nicht mitentgelten wollen. Das heißt, sie hören gerne, dass in diesem Sakrament ihnen Hilfe, Gemeinschaft und Beistand aller Heiligen zugesagt und gegeben wird. Aber sie wollen nicht wiederum auch Gemeinschaft halten, wollen nicht dem Armen helfen, die Sünder dulden, für die Elenden sorgen, mit den Leidenden mitleiden, für die andern bitten, wollen auch nicht der Wahrheit beistehen, der Kirche und aller Christen Besserung mit Leib, Gut und Ehre suchen ... Das sind eigennützige Menschen, denen dieses Sakrament nichts nutzt.

Ebenso wie der Bürger unerträglich ist, der von der Gemeinde Hilfe, Schutz und Freiheit erwartet und der doch wiederum für die Gemeinde nichts tun und ihr nicht dienen will. Nein, wir müssen der andern Übel wieder unsere Übel sein lassen, wenn wir wollen, dass Christus und seine Heiligen unser Übel ihr Übel sein lassen sollen. Dann wird die Gemeinschaft vollkommen und geschieht dem Sakrament genug. Denn wo die Liebe nicht täglich wächst und den Menschen so verwandelt, daß er mit einem jeden Gemeinschaft hat, da ist dieses Sakraments Frucht und Bedeutung nicht.

(Luther, Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen Leichnams Christi und von den Bruderschaften (1519))

In stürmischen Zeiten hilft diese Erinnerung: Kirche und Diakonie sind eine Solidargemeinschaft. Gegründet durch Christus, den Eckstein, der Frieden verheißt. Gebaut zu einem Bau, in dem wir alle Mitbürgerinnen und Mitbürger sind. Verantwortlich und zur Liebe berufen.

Das löst noch nicht die Frage, wie wir mit schwindenden Mitgliederzahlen umgehen. Aber es bindet uns zurück an das Wesen von Kirche, das damals wie heute gilt – vor allen Fragen über Strukturen und die Gestalt von Institutionen. Denn wenn wir den Frieden Gottes in Wort und im ethischen Dienst am Nächsten verkündigen, wird die Frage des „Wie“ zweitrangig. Das Bild der Kirche als organischen Bau eröffnet die Freiheit, alte Wege zu verlassen und neue Gestalten zu suchen, die in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft Menschen ansprechen.

In diesem Sinn sind auch Sie als Johanniterorden ein wesentlicher Teil unserer christlichen Gemeinschaft. Mitbewohner, Mitbürger. Lassen Sie uns gemeinsam an unserem Fundament festhalten, denn der Eckstein ist durch Christus gesetzt. Lassen Sie uns gemeinsam die drei Säulen unserer christlichen Gemeinschaft, das Hören auf das Wort, das Feiern der Sakramente und das Tun des Gerechten zusammenhalten und damit dem Frieden dienen. Denn Frieden brauchen wir so nötig in unserem Land, in unserer Welt.

Danke, dass Sie als Johanniter so viel dazu beitragen, dass Menschen Recht widerfährt. Christus stärke Sie für Ihr Tun.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

[1] KMU 6, S. 38.

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