31. März 2024 | St. Petri-Dom zu Schleswig

Predigt im Gottesdienst am Ostersonnntag

02. April 2024 von Nora Steen

Erlauben wir Gott, uns unsere Lasten zu nehmen. Unser Kreuz mitzutragen.

Gnade sei mit euch und Friede von dem der war, der da ist und der da kommt.

Hanna singt. Hannas Lied ist der heutige Predigttext für den Ostersonntag. Aber dazu kommen wir später. Denn vor dem Singen steht die leise Geschichte eines Leidens, das der Kreuzweg eines einzelnen Lebens ist.

Hanna ist eine Frau, die vor über 2000 Jahren lebte. Aber an ihrer Geschichte ist nichts Gestriges. Hannas Unglück ist nicht sichtbar gewesen. Weil sie vieles hatte, aber das, wonach sich ihr Herz verzehrte, schenkte Gott ihr nicht. Ein Kind. Alltage voller Gottesleere.

Die Frauen neben ihr bekamen Kinder über Kinder. Und sie stand daneben. Ertrug still. Die Blicke der Frauen, die sie verächtlich ansahen. Eine kinderlose Frau. Damals, im Israel vor über 2000 Jahren, noch mehr Stigma als heute. Und auch heute noch Grund für soziale Isolation. Hanna ertrug still, dass ihre Liebe ortlos bleiben musste. Weinte vor Gott. Jahr um Jahr. Aß nichts vor Traurigkeit, lesen wir. Und ihr Mann konnte nichts tun, um ihre Trauer zu lindern.

Und dann, dann passiert es doch. Sie wird schwanger. Wider Erwarten und als sie schon all ihre Hoffnung begraben und Gott ihr Leben vor die Füße geworfen hatte. Gott schenkt ihr ein Kind. Einen Sohn. Samuel.

Hannas Unglück ist nicht sichtbar gewesen, so wie viele Leiden in dieser Welt nicht sichtbar sind.

Es gibt in unserer Welt viele Leiden, die still sind und unsichtbar. Wir sehen Menschen das Kreuz nicht an, das sie mit sich tragen. Krankheiten, Schicksalsschläge, Gewalt. Lebensgepäck, das uns nicht sichtbar auf den Rücken geschnallt ist. Ein Kreuz, das

Natürlich denke ich in diesen Wochen dabei vor allem an die vielen Menschen, die in unserer evangelischen Kirche in den letzten Jahrzehnten nicht sicher waren. Die Übergriffen von Männern ausgesetzt waren, die häufig ihr Idol waren. Der Pastor, der Jugendmitarbeiter, der Diakon. Die meisten haben über diese schrecklichen Erlebnisse nicht gesprochen. Jahre, Jahrzehntelang. Es war ihnen peinlich, dass da geschehen ist, was nicht geschehen darf. Vielleicht waren sie ja doch selber schuld? Sie hatten Angst vor Beschuldigungen, vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft, die sie doch häufig so sehr brauchten. Jetzt, seit der Veröffentlichung der Studie vor einigen Wochen, wagen sich Menschen mit ihrer Geschichte nach draußen. Sie zeigen ihr Kreuz, das sie schon so lange mit sich tragen. Das ist gut.

Es ist gut, wenn die Geschichten erzählt werden, die uns zu denen machen, die wir sind. Es ist gut, wenn es für Leid und Unrecht Worte gibt, die gehört werden. Auch, wenn das viel früher hätte geschehen müssen.

Heute, am Ostersonntag, kommen wir von Karfreitag her. Ohne Karfreitag, ohne die Todesstille der unsichtbar Leidenden, kann es nicht Ostern werden. In diesem Jahr für uns in der evangelischen Kirche gilt das besonders.

Es gilt aber auch: Wir können uns das Strahlen des Ostermorgens nur zusagen lassen. Wir können es nicht herstellen. Ostern ist kein Patentrezept für eine heilere Welt. Wir können es nicht für uns vereinnahmen. Wir können uns das Licht der Auferstehung nur schenken lassen.

Wir können uns nur schenken lassen, dass das Grab leer ist. Dass die Schuld, die wir mit uns tragen, uns nicht zu Boden drückt. Der, der tot war, lebt. Der, dessen Leiden so an die Existenz gingen, dass er an allem und sogar an Gott selbst gezweifelt hat, ist von den Toten auferstanden.

Ostern ist das sperrigste christliche Fest – vielleicht neben Pfingsten. Es ist nicht leicht zu verstehen, was es mit der Auferstehung auf sich hat.

Hannas Geschichte kann uns helfen zu verstehen, was Auferstehung sein kann. Nicht nur damals, auch heute.

Hanna war lange still. Hat ihre Trauer mit sich selbst und mit Gott ausgemacht. Doch dann ist das Wunder geschehen. Ein Wunder wider die Vernunft. Und Hanna fängt an zu singen. Ihre Welt hat sich auf den Kopf gestellt. Was früher galt, ist nicht mehr. Alles neu. Nicht ungebrochen, aber der jahrelange Schmerz ist auf dem Weg zur Heilung.

Ich lese Hannas Lied: Unseren Predigtext aus dem 1. Buch Samuel im 2. Kapitel:

1Und Hanna betete und sprach:

 Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn,
mein Horn ist erhöht in dem Herrn.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
2Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
3Lasst euer großes Rühmen und Trotzen,
freches Reden gehe nicht aus eurem Munde;
denn der Herr ist ein Gott, der es merkt,
und von ihm werden Taten gewogen.
4Der Bogen der Starken ist zerbrochen,
und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
5Die da satt waren, müssen um Brot dienen,
und die Hunger litten, hungert nicht mehr.
Die Unfruchtbare hat sieben geboren,
und die viele Kinder hatte, welkt dahin.
6Der Herr tötet und macht lebendig,
führt ins Totenreich und wieder herauf.
7Der Herr macht arm und macht reich;
er erniedrigt und erhöht.
8Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setze unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse.

Hanna singt. Und sie bleibt mit ihren Träumen und ihrer Hoffnungskraft mitnichten im kleinen privaten Kosmos. Das Geschenk des Sohnes öffnet ihren Horizont für eine viel größere Perspektive. Macht sie zu einer Verfechterin für soziale Gerechtigkeit.

Macht sie zu einer Vordenkerin einer Welt, in der nicht diejenigen ganz unten stehen, die durch welche Umstände auch immer ihrer Lebensgrundlagen beraubt worden sind. Gottes neue Weltordnung ist Ordnung der Barmherzigkeit. Hanna drückt damit die Hoffnung aus, dass Gott in die dunkelsten Ecken des Daseins Licht bringt.

Hanna zeigt uns heute, am Ostersonntag, dass es möglich ist, über das hinauszudenken, was wir für die Wirklichkeit halten.

Ich bin davon überzeugt: Genau diese Hoffnungskraft, diesen Mut, brauchen wir heute. Und er ist berechtigt. Trotz der dunklen Bilder aus der Ukraine – dem blutigsten und entsetzlichsten Krieg seit 1945. Trotz der so hoffnungslos verfahrenen Situation im Nahen Osten – keine Annäherung zwischen Israel und Palästina und noch immer sind so viele Geiseln verschleppt, noch immer leidet die Zivilbevölkerung in Gaza jeden Tag aufs Schlimmste.

Trotz alledem gibt es Hoffnung. Weil es Menschen gibt, die die Welt nicht einfach dem Abgrund preisgeben wollen. Menschen, wie die deutsche Philosophin Carolin Emcke. Sie sagte vor einigen Tagen in einem Interview:

„Wir müssen uns wieder darin üben, utopisch zu denken. Wir haben es verlernt, in politischen und sozialen Sehnsüchten zu denken. Wir müssen üben, uns wieder das vorzustellen, was es noch nicht gibt; was wir noch gestalten können. Wir müssen in Handlungsmöglichkeiten denken. Es braucht Fantasie.“

Ostern heißt: Wir erlauben uns, utopisch zu denken. Wir trauen Gott zu, die Welt und uns selbst zu verwandeln. Auch, wenn die Realität dagegen zu sprechen scheint.

Hanna hat nicht mehr daran geglaubt, aber Gott hat sie überrascht.

Lassen wir uns überraschen. Heute, am Ostermorgen. Erlauben wir Gott, uns anzuschauen. Erlauben wir Gott zu sehen, was wir brauchen. In unserem Schmerz, in unserer Trauer.

Erlauben wir Gott, uns unsere Lasten zu nehmen. Unser Kreuz mitzutragen.

Hannas Glaube war groß. Und sie singt ihre Freude heraus. Und ich wünsche mir, dass ihr Lied zu einem Befreiungslied auch für die wird, die schon viel zu lange still im Verborgenen ihr Kreuz getragen haben. Die sich nicht getraut haben auszusprechen, wer ihnen Gewalt angetan hat, wer die Grenzen ihrer Integrität nicht respektiert hat.

Ich wünsche mir, dass wir mit Hanna singen können. Dass wir dem Traum von einer Welt, in der alle ins Recht gesetzt sind, eine Chance geben. Dass wir uns nicht abfinden mit dem Status Quo. Denn genau das ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen: Hoffnungstrotzig weiter und weiter daran glauben, dass es gut und besser werden kann. Weil das Licht der Auferstehung leuchtet. Heute und alle Zeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne. In Christus Jesus.

 Amen.

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