21. Juni 2025 | Christkirche Rendsburg

Predigt im Gottesdienst zum Christopher Street Day

21. Juni 2025 von Nora Steen

Dtn 5,8

Frieden und Liebe mit euch allen!
Liebe mit dir!

Hast du dich heute schon im Spiegel angeschaut?
Vielleicht heute Morgen beim Zähneputzen, kurz vor dem Weggehen, zum Stadtsee oder hierher.

Wen hast du gesehen? Worauf hast du geachtet?
Auf deine Narbe am Kinn, die dich immer ärgert; auf die Grübchen und Falten, die dir zeigen, dass dein Körper schon eine Menge Leben in sich trägt?

Magst du die Person, die dir im Spiegel entgegenschaut? Kannst du selber sehen, wie schön du bist?
Wie schaust du auf die Menschen um dich herum und was siehst du? Was denkst du über sie, unweigerlich?

Über den Bäcker, der bald seine Bäckerei schließen muss, weil niemand seinen Job übernehmen will.
Über die Frau, die die Diagnose „Leben“ bekommen hat.
Über das Kind, das sein Krokodil braucht, weil es sich im Dunkeln fürchtet.

Welche Bilder mögen wir von uns selber und welche machen wir uns von anderen?
Wen stecken wir in Schubladen, nur weil irgendwas anders ist?
Wen beurteilen wir aufgrund von Zuschreibungen?

New York am Abend des 28. Juni im Jahr 1969.
Eine – wie damals sehr übliche – Razzia in einem Schwulenlokal namens Stonewall Inn. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizei und denen in der Kneipe. Das war der Anstoß zu einer breiten Solidarisierung in der New Yorker LGBTQ-Szene.

Die Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1969 gilt als Startpunkt dessen, was sich seitdem weltweit als Befreiungsbewegung weiter durchgesetzt hat. Auch für den Monat Juni als Pride Month, hier in Deutschland eher bekannt als CSD, Christopher Street Day.

Die Frage dahinter war damals:
Wen stecken wir in Schubladen, nur weil uns irgendwas nicht gefällt?
Wen beurteilen und stigmatisieren wir aufgrund von Zuschreibungen?

Diese Fragen standen damals im Raum und sie stehen es bis heute.
Weil es uns arg schwer fällt, dass wir uns kein Bild machen von anderen. Weil wir kaum darin geübt sind, NICHT über andere zu urteilen, sie zu kategorisieren, bestimmte Bilder von ihnen zu haben.

Dagegen, dieses uralte biblische Wort, eins von 10. Kein Verbot, sondern eine Anleitung für verantwortliches Leben:

„Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Von nichts und niemandem.
Uralt sind diese Weisungen, die das Leben miteinander regeln sollen. Forscher rechnen, dass sie im 10. – 7. Jh. v.Chr. entstanden sind.
Zwischen 2700 – 3000 Jahre alt.

"Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“ Dtn 5,8

Nicht ohne Grund ist das gleich das zweite Gebot. Nach der Weisung, keine anderen Götter neben dem einen Gott zu haben.

Schon damals war klar: Mach dir kein Bild. Von nichts, was lebt. Weil alles Gottes Geschöpf ist. Und damit: Heilig. Mach dir kein Bild! Weder von Menschen noch von Gott.

Keine Bilder voneinander machen. Keine Festschreibung. Keine Stigmatisierung aufgrund irgendwelcher Merkmale, seien sie äußerlich oder innerlich.

Geht das? Kriegen wir das hin, wir Menschen?
Können wir ohne solche Zuschreibungen, ohne andere in bestimmte Kisten zu packen, überhaupt leben?
Scannen wir nicht immer unsere Umgebung ab und ordnen ein, ordnen zu, sortieren aus?

Ich behaupte: Wir sind darin nicht gut.
Du sollst dir kein Bildnis machen.
Schwer.

Und trotzdem. Anders geht es nicht, wenn wir uns wirklich als Gemeinschaft verstehen, in der Vielfalt und Verschiedenheit keine Makel, sondern im Gegenteil Gütezeichen sind.

Heißt aber auch: Wir müssen dran bleiben. Immer.
Und immer wieder eigene Bilder hinterfragen. Die wir uns von anderen machen, von Gott – und, auch, von uns selbst.
Und uns üben, uns immer weniger Bilder zu machen.
Besonders von denen nicht, die wir nicht verstehen. Aus welchem Grund auch immer.

Gerade jetzt in diesen Zeiten ist das keine Luxusübung, sondern für viele Menschen in unserem Land lebenswichtig.

Denn wir wissen: Die Situation spitzt sich zu.
Menschen haben Angst, ihre Liebe zu leben.
Ihr Leben so zu führen, wie es ihr Herz ihnen sagt.

In der queeren Community geht die Angst um, dass sich eine queerfeindliche Politik, wie wir sie in den USA beobachten können, auch in Deutschland fortsetzt. Und das nicht ohne Grund:
Im Jahr 2023 meldete das Bundeskriminalamt einen Anstieg von 50% von Straftaten gegenüber dem Vorjahr. Tendenz weiter steigend.

Das dürfen wir nicht hinnehmen, liebe Menschen, dass hier die Würde mit Füßen getreten wird. Dass Regenbogenfahnen verbrannt werden. Auch hier in Schleswig-Holstein.

Denn: Es geht hier nicht um ein bisschen Regenbogen. So schön er auch ist.
Es geht um Menschlichkeit. Es geht um Würde. Es geht um Freiheit. Und um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Es ist daher nicht neutral, sich gegen das Aufhängen der Regenbogenflagge zu entscheiden. Weil sie eben für all das weht.
Und es ist Aufgabe unserer Demokratie auf allen Ebenen, für ALLE die Geltung grundlegender Menschenrechte in unserer Gesellschaft einzufordern.
Und dafür stehen wir auch als evangelische Kirche ein. Ohne Kompromisse.

Hast du dich heute schon im Spiegel angeschaut? Vielleicht heute Morgen beim Zähneputzen, kurz vor dem Weggehen, zum Stadtsee. Später: hierher in die Christkirche.

Wen hast du gesehen, da im Spiegel? Worauf hast du geachtet?
Auf deinen geschwungenen Mund, deine verschmitzten Augen?
Hast du dich gefeiert, weil du schön bist, so, wie Gott dich geschaffen hast?

Wer ist dir heute schon begegnet. Beim Bäcker, auf der Straße, vorhin am Stadtsee? In welche Augen hast du geschaut, wem hast du zugelächelt, wen würdest du gern näher kennenlernen?
Mit welchen Bildern bist du heute unterwegs und wie wäre es, sie alle mal loszulassen?

Und allen, die dir heute noch begegnen, einfach als Mensch zu begegnen.
Ohne Schubladen. Ohne Vorurteile. Ohne Wertung und vor allem: Abwertung.

Denn wir alle.
Wir ALLE.
Von Gott unendlich geliebt.
Grenzenlos schön.
Und genau gut so, wie Mensch eben ist.

Amen

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