Gottes Segen für das Haus Europas?

Predigt im Ökumenischen Gottesdienst in der Marienkirche zu Chojna (Königsberg/ Neumark) 30. August 2008

30. August 2008 von Hans-Jürgen Abromeit

„Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“ (Psalm 127, 1 – 2) Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde aus Polen und Deutschen!

Man schickt sich an, ein gemeinsames Haus Europa zu bauen und sagt, dazu sei es notwendig, Europa eine Seele zu geben (Jacques Delors, langjähriger Präsident der Europäischen Kommission). Aber kann man etwas „eine Seele geben“? Hat nicht alles wirkliche Leben eine Seele oder ist es nicht ansonsten tot, künstlich konstruiert oder eben nicht lebendig? Entweder hat man eine Seele oder nicht. Eine Seele machen kann man jedenfalls nicht. Aber kann eine beinahe gestorbene Seele wiederbelebt werden? Kann man sie von außen neu einfügen?

Wie ist denn Europa geworden? Wie war das Verhältnis von Deutschen und Polen? Bei diesen Fragen wird unser Jahrtausende altes Bibelwort ganz aktuell: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“1 Diese alte Weisheit bringt zum Ausdruck: Das Wesentliche kann man nicht machen! Dabei kennen wir sie doch auch: Die Unternehmer in der Hochkonjunktur, die ihre Pläne verwirklichen und nur nach ihrem Profit sehen; den Handwerker, der sich vor lauter Arbeit nicht retten kann und dabei sein eigenes Ruhebedürfnis vergisst; die Frau Jedermann, die vorsorgt und sich versichert, weil sie meint, so das Risiko aus dem Leben auszusparen; den überarbeiteten Zeitgenossen, der sich von früh bis spät keine Pause und keine ruhige Mahlzeit, ja sogar nicht einmal mehr genug Schlaf gönnt; die junge Frau, die so vieles vor hat, weil sie so gute Ideen im Kopf hat und dabei den Zeitpunkt verpasst, an dem sie ihre Kinder kriegen könnte.

Der Psalm nennt solches Verhalten dreimal „umsonst“. Umsonst bauen sie so das Haus! Umsonst sichern sie sich und ihre Stadt! Umsonst stehen sie früh auf und kommen erst spät zum Essen! Umsonst, alles vergeblich! Wer nicht mit Gott rechnet, verpasst das Wesentliche. Alles ist vergeblich, wenn Gott selbst nicht baut, wenn er nicht wacht, wenn Gott nicht gibt.

Natürlich will der Psalmbeter dadurch nicht Schlendrian und Faulheit fördern. Die Bibel weiß dagegen treffende Wort zu finden: „Durch Faulheit sinken die Balken, und durch lässige Hände tropft es im Haus.“ (Prediger 10, 18). „Der Faule stirbt über seinen Wünschen; denn seine Hände wollen nichts tun“ (Sprüche 21, 25). Ja, die alttestamentlichen Weisen machen sich lustig über den, der morgens nicht aus den Federn kommt: „Ein Fauler dreht sich im Bett, wie die Tür in der Angel“. (Sprüche 26, 14). - Nein, der Psalm will nicht die Faulheit preisen, sondern er will uns an die tatsächlichen Kräfteverhältnisse in dieser Welt erinnern. Nicht wir sind die Herren, sondern Gott. Haben wir das nicht schon wieder vergessen? Weil auch wir in dieser Gefahr stehen, ruft uns der Psalmbeter das dreimalige „umsonst!“ entgegen. Es kommt darauf an, mit Gott zu rechnen. Entscheidend ist, mit ihm in Verbindung zu treten, mit ihm zu reden und auf sein Wort zu hören.

Wir haben es doch hier in Chojna vor Augen, wohin das führt, wenn Menschen ihr Haus ohne Gott bauen wollen. Noch heute, mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, sehen wir deutlich seine Spuren in dieser Stadt. Sicher, wer sich umschaut, sieht, was alles wieder geschaffen worden ist. Aber es ist auch eine lange Zeit vergangen und es bleibt auch noch viel zu tun. Eine unheimliche Zerstörung hat in der Mitte des letzten Jahrhunderts in diesem schrecklichen Krieg in kürzester Zeit Raum gegriffen. Dann wurden Menschen entwurzelt und ein fast völliger Bevölkerungsaustausch in dieser Stadt hat stattgefunden. Warum war dieses alles geschehen?

Weil Deutschland 1939 Polen und ganz Europa mit Krieg überzogen hat, weil die damals in Deutschland Herrschenden, Gott vergessen haben, und weil sie Gott vom Thron gestoßen haben und sich selbst zum Übermenschen, zum neuen Gott erklärt haben. Damit haben sie ganz vergessen, wer Herr im Haus ist. Und auf wessen Führen und Leiten alles ankommt.

Unser Psalm sagt dagegen ganz eindeutig und klar: Wer so lebt, der lebt umsonst! Wer Gott nicht dazwischenreden lassen will, dem wird Gott gegen seinen Willen dazwischen reden. Umsonst ist alles, wobei wir Gott ausschalten. Für uns selbst wird es dann zum Fluch und nicht zum Segen. Für unsere Mitmenschen ist es eher zum Schaden, als zum Nutzen. Für Gott und sein Reich bleibt es wertlos. Wertbeständig ist nur, was Gott in unserem Leben zu Wege bringt. Und beide, Nationalsozialisten und Kommunisten, meinten, ohne Gott auskommen zu können. Das war ihr Fehler.

Dabei ist Europa einmal entstanden, weil unsere Völker Jesus Christus begegnet sind. Europa ist ohne das Christentum und ohne den Glauben an Gott als Herrn der Geschichte nicht denkbar. Das gilt für Deutschland genauso gut wie für Polen. Unsere Länder sind entscheidend durch das Christentum geprägt. Ohne diese christliche Vergangenheit gäbe es heute Europa nicht.

Als der vielleicht wichtigste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts, Dietrich Bonhoeffer, im Jahr 1940 angesichts der unglaublichen Gewalt, mit der Adolf Hitler und seine Gefolgsleute Europa überzogen hat, darüber nachgedacht hat, welche geistige Macht den damaligen Siegeslauf des Nihilismus aufhalten könnte, mobilisierte er alle im christlichen Glauben ruhenden Widerstandskräfte gegen diese zerstörerische Ideologie. Angesichts aller Unterschiede und Trennungen im Europa des 20. Jahrhunderts sah Bonhoeffer in Jesus Christus die Einheit Europas begründet und den Grund für die größere Gemeinsamkeit zwischen den vermeintlich feindlichen Ländern unseres Kontinents. „Jesus hat das Abendland zu einer geschichtlichen Einheit gemacht.“2

Polen und Deutsche haben hier in Mitteleuropa immer miteinander gelebt. Es hat manche Spannungen, ja sogar Kriege gegeben. Aber Jahrhunderte lang haben sie in einer ethnischen und religiösen Vielfalt gelebt, noch nicht einmal aufgeteilt in sauber abgegrenzte Staatsgebilde. Das 20. Jahrhundert hat dann versucht, ethnisch reine Siedlungsgebiete in eigenen Staaten zusammenzufassen. Dabei wissen wir, wir brauchen die Vielfalt, brauchen die Ergänzung, brauchen die Unterschiedlichkeit der Kulturen, Traditionen und Sprachen. Nur so bildet sich der unbegrenzte Reichtum Gottes in seinen Geschöpfen, den Menschen ab. Völkische und ideologische Monokulturen können in einem solchen, bunt gemischten Europa gar nicht bestehen. Wenn Europa sich seiner Herkunft von Jesus Christus bewusst bleibt und bei aller Vielfalt nicht vergisst, wer der Herr im Haus Europas ist, nämlich Gott, dann wird Europa eine Zukunft haben. Die, die ihre Identität nicht aus Christus beziehen, ich denke an jüdische, muslimische oder auch atheistische Menschen, haben auch in diesem Europa ihren Platz. Sie halten, wie ebenfalls Dietrich Bonhoeffer in einer Wendung einmal gesagt hat, „die Christusfrage offen“. Wir müssen ihnen gegenüber immer wieder gemeinsam formulieren, was das Christsein ausmacht und worin die Gabe liegt, die Gott uns mit Jesus Christus gegeben hat. Auch wenn Europa seine Identität durch Christus gewinnt, ist dort viel Platz für Gäste und Hausgenossen.

Man kann Europa keine Seele geben, aber Europa kann sich daran erinnern, worin sein Ursprung und sein innerer Zusammenhang liegt. Er liegt in Jesus Christus. Es ist dieser Jesus Christus, der für seine Menschen, auch für Polen und Deutsche, gestorben ist, und so nach einer schlimmen Geschichte der Verletzungen und des Wundenschlagens einen neuen Anfang ermöglicht hat. Wir können diesen Gottesdienst miteinander feiern, weil 1965 die polnischen katholischen Bischöfe an die deutschen katholischen Bischöfe einen Brief geschrieben haben, der damals mit den Worten endete: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Im gleichen Jahr stellte eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland fest, dass Ausgleich und Verständigung Ziel politischen Denkens und Handelns sein müsste, wenn Frieden verwirklicht werden soll. Aufgabe der Politiker sei es, diesen Ausgleich zu schaffen. Nur so könne das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn, eben auch zu Polen, neu bestimmt werden. Wenn der Herr das Haus baut, dann schreiben Versöhnung und Ausgleich Geschichte.

Der Wiederaufbau der Marienkirche hier in Chojna ist ein Europa-Projekt. Hier bauen Menschen aus Deutschland und Polen, Evangelische und Katholiken, ein Gotteshaus. Baut darum auch schon der Herr dieses Haus? Nein, nur wenn wir auf Gottes Wort hören, unsere Pläne von Gottes Willen bestimmen lassen und immer wieder seine Weisung suchen, dann „baut der Herr das Haus“. Mit Gott wird das Misstrauen zwischen uns weichen und wir werden spüren, dass das, worum wir uns sorgen, Gott uns über Nacht schenken wird: Frieden, gute Nachbarschaft, Sicherheit. Wenn wir miteinander Gott suchen, dann wird Europa auch seine Seele finden. Amen.

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

 

1 Das Folgende unter Aufnahme von Gedanken und Formulierungen meines verehrten Lehrers Hans Walter Wolff, Glückwunsch für Kinderreiche. Predigt über Psalm 127, in: Ders., Alttestamentliche Predigten mit hermeneutischen Erwägungen, Neukirchen 1956, 87-98.
2 D. Bonhoeffer, Ethik, hg. v. E. Bethge, München 8. Auflage 1975, 98.

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