ST. PETRI-DOM ZU SCHLESWIG

Predigt im Ordinationsgottesdienst über Lk 17, 7-10

20. Februar 2011 von Gerhard Ulrich

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen! Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! I „Och, da nich für!“ Ich vermute, Sie alle haben diesen Satz schon gehört, diesen so schön norddeutsch geprägten Bescheidenheits-Satz, bei dem ich – merkwürdig genug – immer auch das Gegenteil mithöre: Bitte gern, Sie glauben gar nicht, wie viel Lob meine Seele vertragen kann. Kann ich wirklich so sagen: Och, da nich für! Sie wissen ja, ich bin ein unnützer Knecht!“

Welch eine merkwürdige Haltung ist das bloß, oder? Stellen Sie sich vor, Sie stehen nach dem Gottesdienst in Ihrer Gemeinde an der Tür, Menschen bedanken sich bei Ihnen für Ihre Predigt oder für den ganzen Gottesdienst – und Sie sagen: „Da nich für!“ Ist das nicht eine Geringschätzung des Dankenden? Und dürfen wir unser Licht unter den Scheffel stellen derart?
II
Der für den heutigen Sonntag Septuagesimä vorgeschlagene Predigttext steht bei Lukas im 17. Kapitel:Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?
So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Da springt er mir einmal wieder entgegen – Jesus, der Provokateur! Schroff und pointiert redend zu seinen Jüngern und auch zu uns hier. Auch zu Ihnen, liebe Ordinandinnen und Ordinanden, die Sie heute, wenn schon nicht zu Knechten und Mägden der Nordelbischen Kirche, so aber doch zu Dienerinnen und Dienern des Wortes Gottes werden sollen.
Aber: So stellen Sie sich das doch eigentlich nicht vor, denke ich, als „unnütze Knechte“ den Weg zu starten. Und überhaupt: Jetzt, nach all den Examina, Assessments usw.: Da wollen wir nicht flugs in das nächste Verhältnis purer Abhängigkeit geraten. Jetzt wollen wir befreit loslegen, durchstarten. Früchte ernten des Lernens und Studierens, raus aus der verordneten Regression. Endlich beweisen, was wir ausrichten können. Endlich gestalten!
Und dazu gehört, dass wir gehört werden, dass wir Rückmeldung erhalten und auch Anerkennung. Ohne das geht es nicht! Wir wollen natürlich nützlich sein – von Nutzen nämlich, wenn wir gesandt sind in die Städte und Dörfer der Norddeutschen Tiefebene, um dort dem Wort Gottes zu dienen durch Verkündigung in Predigt, Seelsorge und Unterricht.
Knechte, Sklaven, sind allgegenwärtig im Palästina zu Jesu Zeiten – ohne sie würde das Leben nicht funktionieren und die Wirtschaft schon gar nicht. Die sozialen Verhältnisse sind klar: wenige oben – viele unten. Die Elite hat sich eingerichtet in ihrer Parallelgesellschaft, fernab der Lebenswelt der vielen anderen, die zu gehorchen haben. Isoliert von der Masse derer, die im Dunkel stehen und die man folglich nicht sieht und nicht sehen will. Lukas redet vom Verhältnis zwischen Herr und Knecht – einem Verhältnis vollkommener Abhängigkeit und Angewiesenheit. Und viel zu selten konnten und können Abhängige davon ausgehen, dass die Herren ihre Abhängigen alimentieren, ihre Leistungen wertschätzen und anerkennen. Vergeblich sucht man hier bei Lukas wenigstens den Anflug einer kritischen Haltung gegen diese Form der Dienstbeziehung, gegen diese die Freiheit ignorierende Weise des Umgangs.Jesus, der Prediger der Armen, scheint hier die Sklavenmoral einer bedingungslosen Unterordnung gar nicht in Frage stellen zu wollen – wie kann das sein, da wir doch von ihm auch ganz andere Provokationen gehört haben – etwa diese: Es wird kein Reicher ins Himmelreich kommen – genauso wenig wie ein Kamel durch ein Nadelöhr passt…
III
Zu wem also redet Jesus? Im unmittelbaren Zusammenhang richtet sich das Wort an die Apostel, an die Jünger – und dennoch: Ich meine, Jesus deckt zugleich eine menschliche Grundhaltung auf, die damals wie auch heute oftmals begegnet. Eine menschliche Grundhaltung, die – leider, leider! – wohl auch in mir selbst steckt – und vielleicht ja auch in der einen oder dem anderen von Ihnen hier?
Ich meine die Haltung von „Frömmlern“, die gewiss viel für Gott tun und sich alle Mühe geben, den Gehorsam gegen Gottes Anordnungen und Gebote richtig ernst zu nehmen. Und die dann daraus – oft ja ganz subtil und unbewusst – ein business, ein Handelsgeschäft mit Gott machen. Sie leiten aus ihrem „frömmlerischen“ Tun Erwartungen und Ansprüche ab, die sie nun auch Gott gegenüber in die Waagschale werfen: Wie ich Dir, Gott, so Du mir, Gott! ...Ohne Fleiß kein Preis, so heißt es, nicht wahr? Also hat ja wohl auch zu gelten: Viel Fleiß – viel Preis! 
Sie rechnen und vergleichen also sorgfältig, was ihnen denn so zusteht, und zwar möglichst etwas Anderes und Besseres als den anderen, die nicht so leistungsstark sind im Kampf um die besten Plätze bei Gott. Wie auch in der Gesellschaft. Ganz so, liebe Schwestern und Brüder, wie wir es eben im Evangelium gehört haben – in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Sie hoffen – schließlich haben wir ja echt Einsatz gezeigt – auf Lohn und Auszeichnung. Sie sind gleichsam bis in ihr Innerstes hinein vergiftet vom Ungeist des Kapitalismus. Ihre kleine Krämerseele kann es nicht fassen, dass Glaube, Frömmigkeit und Gehorsam gegen Gottes Gebot gerade keine Ansprüche begründen können, weil Gott eben keine kleine Krämerseele ist. 
Dieser menschlichen Grundhaltung gegenüber, diesen „frömmlerischen“ Krämerseelen gegenüber ist Jesu Provokation geradezu befreiend: Das Bekenntnis: „Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ hebelt den fatalen Kreislauf des Leistungs- und Verdienstdenkens aus; es ist ein Befreiungswort ersten Ranges, weil es frei spricht von der selbstzerstörerischen Frage: Ist das eigentlich genug, was ich tue? Es richtet eine Abwehr auf gegen den Nutzbarkeits- und Nützlichkeitswahn, dem wir allzu schnell, auch bei uns in der Kirche, unterliegen! Reicht es eigentlich, wenn ich im Pfarramt meine 70-Stundenwoche abreiße? Oder: Reicht es eigentlich, wenn ich bei einer 50 % Pfarrstelle eben nur 35 Stunden pro Woche arbeite? Ist das denn genug? Ist nicht die Hälfte von Unendlich eigentlich auch unendlich…
IV
„Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ – liebe Schwestern und Brüder, ich möchte dieses Bekenntnis lebensdienlich nachsprechen können, ohne neurotischen, krank machenden Unterton. Wir wissen, auch dieses Bibelwort hat herhalten müssen für die religiöse Sanktionierung ganz menschlicher, besser: unmenschlicher Ausbeutungsstrukturen. Bibelworte als Schlagworte benutzt, können wirken wie Schlagbäume: Sie markieren eine Grenze, sie legen Menschen fest auf die eine oder die andere Seite, sie teilen ein in das Land der Guten und das Land der Bösen, in das Land der Herrschenden und in das Land der Dienenden. 
So soll es aber bei uns nicht sein! Und so soll es auch nicht sein, wenn ich Sie heute ordiniere für den – hoffentlich! – lebenslänglichen Dienst als Pastorin oder Pastor in unserer Kirche. Und also will ich Ihnen Mut machen, auf dem vor Ihnen liegenden Weg als Pastorin oder Pastor immer ganz schlicht und einfach das zu tun, was Ihnen vor die Füße fällt an Aufgaben und Zumutungen. Mehr und anderes ist nicht angesagt!
Jesus benutzt das Bild vom unnützen Knecht, um auf ein anderes Verhältnis zu verweisen, auf das zu Gott nämlich, der Herr ist über alle und alles. Sie werden zwar in ein Dienstverhältnis zur Nordelbischen Kirche übernommen, aber in Wahrheit, in der Tiefe ausgelotet, ist es Gott selbst, der Sie ruft, der Sie fordert, der Sie brauchen will als Dienerinnen und Diener seines Wortes und seiner Verheißung. Ihm sind Sie ergeben. Und damit: Sie sollen frei sein von anderen Knechtschaften. Es geht Jesus nicht darum, dass Sie sagen: „Och, da nich für“. Solche Bescheidenheit den Menschen gegenüber ist nicht gefordert. Ihm geht es darum, dass diejenigen, die ihm nachfolgen, dies nicht tun, weil sie dafür gelobt werden wollen. Oder weil sie herrschen wollen als Bewahrerin und Bewahrer der Geheimnisse Gottes. Für Martin Luther gehören Freiheit und Bindung zusammen: Der Christenmensch ist ein freier Herr und niemand untertan – der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan – so formuliert er klassisch klar. Und darum, Luther weiter: Nicht die guten Früchte machen den guten Baum, sondern der gute Baum trägt gute Früchte!
Wenn der Dank oder die Anerkennung zum Motor werden unseres Dienstes, dann steht die Freiheit nämlich auf dem Spiel. Dann werden Sie und werden wir zu Spielbällen der vielfältigen Erwartungen in den Gemeinden: Immer erreichbar sollen Sie sein und immer unterwegs bei den Menschen; nicht so viel Verwaltungsarbeit sollen Sie tun, aber für einen ausgeglichenen Haushalt sollen Sie sorgen; schön fromm sollen Sie sein, aber bitte weltlich; klar sollen Sie reden, aber sich bloß nicht einmischen in öffentliche Angelegenheiten.
Darum: Wenn wir danken für Ihren Dienst, den Sie heute beginnen, dann danken wir Gott, dass er Sie ruft und sendet, stärken will und zurüsten, frei machen will für Ihren Gottes - Dienst.Mir fällt dabei ein auch der letzte Satz, der von Martin Luther auf dem Sterbebett überliefert ist am Ende eines ja nun doch nicht langweiligen Lebens zwischen Kloster und Käthe, zwischen Kanzel und Kindern, zwischen Gott und Teufel: „Wir sind Bettler – das ist wahr.“ Auch das ein wunderbarer Satz, der aushebelt den fatalen Kreislauf von Leistung und Belohnung.
Weder ich noch Sie müssen und sollen die Kirche retten, weder ich noch Sie sind Herrschaften, von denen auch in unserem Bildwort die Rede ist. Weder ich noch sie sollen sich ausbrennen lassen von allzu-menschlichen Allmachts-Phantasien in uns. Es hängt wirklich nicht alles ab von mir oder von Ihnen. Ab hängt alles von Christus selbst! Martin Luther hat diese allein richtige und heilsame Verhältnisbestimmung einmal so ausgedrückt: Wir sollen Gott Gott sein lassen! Und wir sollen Mensch sein wollen – und also nicht Gott sein wollen! 
Bleiben Sie also auf dem hohen Niveau, das Ihnen nach jahrelangen Mühen bescheinigt worden ist: Examinierte und heute ordinierte Pastorinnen und Pastoren, also nicht bessere oder andere Menschen als andere in der Kirche, Sie sind eben nicht geweihte Leute. Aber doch eben – minister – also wörtlich: Dienerinnen und Diener – im Amt der Verkündigung des Evangeliums. Und davon, liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie sich von nichts und niemandem etwas abmakeln: Das ist und bleibt ihr Auftrag, das ist tatsächlich das, was Sie alle zu tun schuldig sind. Sie sind den Gemeinden und allen Ihnen anvertrauten Menschen tatsächlich schuldig die Predigt des Evangeliums. Sie sind dafür da, dass sie aufblättern und ausbreiten die heilige neue Zeitung – wie M. Luther das Evangelium genannt hat. Und diese heilige neue Zeitung sollen sie sich selbst und den Menschen vor die Augen halten. Und ich weiß wohl: Es kann Zeiten im Beruf der Pastorin und des Pastors geben, da hat man das Gefühl, statt dieser Zeitung vor allem Haushaltspläne, Baupläne oder Friedhofs-Belegungspläne in der Hand zu halten – oder Arbeitsverträge von Mitarbeitenden, oder auch das Blatt mit der eigenen Gehaltsabrechnung… Ja, alles das kann es geben und gewiss ist das alles zur rechten Zeit und im rechten Maße auch richtig und Teil des Berufs. Aber: Halten Sie die Balance! Bleiben Sie also in Ihrer work-balance treu dem einen, das Sie zu tun schuldig sind: Bleiben Sie unnütze Knechte und Mägde des Evangeliums und tun Sie das, was Sie ihm zu tun schuldig sind!
Amen.

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