Predigt im Studienseminar der VELKD in Pullach über Lukas 16, 1-9
15. November 2011
Liebe Schwestern und Brüder! I Nach der hohen Weisheit des Kirchenjahres und auch der Perikopenordnung wird es nun ernst gegen Ende des Kirchenjahres: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ – so lautet das biblische Leitwort für diese Woche aus dem 2. Korintherbrief. Dazu das große Gleichnis vom Weltgereicht aus Matthäus 25. Da können einen schon sehr ambivalente Gefühle überfallen: Angst und Hoffnung; die bange Frage: Bin ich´s Herr, der Bock da hinten in der Reihe zur Linken? Oder aber auch das unerschütterliche Selbstvertrauen: Ich bin´s ganz sicher nicht – aber natürlich der da hinten, dieser geldgierige, geizige Bock.… Und nun Jesus, wie er sich in einer langen Rede, wie sie der Evangelist Lukas zusammengefügt hat, um Kopf und Kragen redet; Jesus dieser Provokateur und Spielverderber bürgerlichen Tugendterrors. Ich lese aus der Rede Jesu an die Zöller und Sünder, aber auch an die Jünger den Abschnitt am Anfang von Kapitel 16 des Lukasevangeliums:
Text aus Lukas 16, 1-9
II
Wie soll ich das verstehen? „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte“?
Wohin will mich dieses Wort nun leiten?
Beim Hören kommen mir die gleichen Gefühle, wie sie mich beschleichen, wenn der Börsenexperte des ZDF, Franz Zink, vor den „heute“-Nachrichten die Börse erklärt: der Markt ist faszinierend undurchschaubar, seine Dynamik folgt eigenen Gesetzen. Und die Liturgie dieser Sendung sagt: es wird alles gut, wir sind klug genug, denn siehe: die Bilanz steht, die Kurve steigt – trotz aller Zusammenbrüche.
Bleiben wir auf der Bildseite des Gleichnisses: Da kam er wohl ziemlich überraschend, der Kassensturz, nach den Gerüchten um den Verwalter, er habe fremden Besitz verschleudert. Und der Verwalter musste sich etwas einfallen lassen – Börsensturz und kein Rettungsschirm in Sicht! Hektische Gipfeldiplomatie – nichts dergleichen. Also ein paar kleine Finanztricks, vielleicht etwas drastischer angesichts der prekären Lage. „Ich bin doch nicht blöd!“ Ich muss doch da irgendwie heile rauskommen – abrutschen in´s „Prekariat“, das auf keinen Fall! Für die Landwirtschaft bin ich nicht geeignet. Wer weiß, vielleicht komme ich ja durch bei dem reichen Pfeffersack – nur so ein paar kleine Tricks ganz nach der bekannten Finanzmarktregel: Das Geld ist nicht einfach weg – das haben jetzt nur andere! Ein paar Leute übers Ohr hauen, anstiften zur Unterschlagung – und auf ewig werden sie mir zu Willen sein: alles ist käuflich! Und wer kann es denn wissen: Vielleicht tauchen da später ja plötzlich wieder 56 Milliarden auf in den Bilanzen, es soll ja so manches vorkommen auf dieser Erde… Wär doch gelacht, könnte man den Reichen nicht mit den eigenen Waffen schlagen!
Also – nichts für ungut und fröhlich gegaunert. Und das Zocken hat Erfolg – ganz offensichtlich: „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter Ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts“. Ja, wie passt das alles zusammen mit dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus – nur wenige Verse später in der Jesusrede des Lukas? Kurz, ein Vorbild kann der Verwalter nicht sein!
Ist das nicht die Klugheit, die diese Welt bedroht immer wieder in der Geschichte? Die Klugheit derer, die sich selbst zu Göttern aufschwingen. Die Klugheit der Diktatoren und Kriegsherren – die die Welt in Trauer stürzen, weil sie über Leichen gehen für den eigenen Wahn. Heute am Volkstrauertag gehen die Gedanken an den Mahnmalen dieser Republik zu den Opfern jener Klugheit. Es gab die entsetzliche „Klugheit“ des Naziregimes, die Millionen Menschen ihr Leben gekostet hat.
Das ist die Klugheit eines Ghadaffi, der sein eigenes Volk in Gefangenschaft nahm. Die Befreiung von ihm kostete Tausende das Leben. Das ist die Klugheit im Iran, wo die große Bombe gebaut zu werden scheint und Angst und Schrecken verbreitet nur die Idee daran schon.
Das ist die Klugheit der Finanzmanager, die den Markt heilig sprechen und die Spaltung zwischen Arm und Reich verschärfen. Das ist die Klugheit der Spekulanten, die mit Lebensmitteln an Börsen spekulieren, so dass Menschen verhungern; die dafür sorgen, dass in armen Ländern riesige Flächen bebaut werden mit Energiepflanzen für unsere Autos – Flächen, die den Hungernden fehlen. So habe ich es vor wenigen Monaten etwa in Tansania gesehen.
Das ist die Klugheit, die sich selbst nicht vergisst. Die Klugheit, die andere missbraucht. Ja, es gilt in unserer Gesellschaft als klug, um der eigenen Vorteile willen alle Rücksicht fahren zu lassen – man ist ja nicht blöd! Ob solcher Klugheit wird die Gier zur einzig angemessenen Lebenshaltung. Das ist die Klugheit des Marktes, die hilft, dass der Starke gewinnt, Leistung voransteht und auf Kosten der Kleinen Große groß werden und bleiben lässt.
Das ist eine Irre – Leitung:
• Weil sie Abhängige missbraucht
• Weil sie die eigene Stellung missbraucht
• Weil sie Anvertrautes verrät
• Weil sie auf Unrecht baut
• Weil sie abhängig macht die Schwachen.
III
Natürlich: der ungerechte Verwalter handelt schon irgendwie „klug“ innerhalb des geschlossenen Systems im Geldkreislauf. Er kennt die Gebote seiner Welt. Aber: Handelt er auch „gut“? Und was passiert, wenn da plötzlich etwas passiert, wenn das geschlossene System aufgebrochen wird – versprengt durch die Dynamik des Lichts, das da einfällt vom Ende der Welt her. Wenn ansteht der Tag des Gerichts, wenn der kairos kommt und der Augenblick der Entscheidung. Und wenn dann da plötzlich nach ganz anderen Maßstäben gerechnet und Recht gesprochen wird als nach den so liebgewonnenen Regeln, die zugrunde liegen den ach so schönen Bilanzkurven, die uns immer suggeriert haben, dass es aufwärts geht.
Was Jesus hier tut, ist wohl so etwas, was die Psychotherapie eine „paradoxe Intervention“ nennt; eine überraschende Konfrontation und Zuspitzung mit dem Gegenteil des Angestrebten. Eine Verfremdung in den Ohren der Hörerinnen und Hörer, auch in den Ohren derer, die ihm gar nicht wohl gesonnen sind. Ein Spiegelhalter für die Realität der Welt.
Gegen die Klugheit des Marktes, der Welt setzt Jesus auf die andere Klugheit, die göttliche Vernunft, die das Schwache stark macht, die mit Fehlern rechnet, die barmherzig aufrichtet und an die Seite der Armen tritt.
Auch ein Modell der Leitung, der geistlichen Führung, denke ich. Denn das Ziel ist ja das erschreckende Aufwachen, die Mobilisierung zur Umkehr, zur Abkehr von dem System des Leids und der Käuflichkeit. Ziel ist die Systemklugheit für die ganz anderen Gebote, für die ganz andere Verheißung Gottes.
Dann – so meine ich – kann sie mich aus dem Gleichnis heraus geradezu anspringen, die eine Frage, die lautet: „Wer will ich sein, da ich der, der ich bin, nicht werde bleiben können?“ Das ist ja die eigentlich bedrohliche Lage, in der sich der Verwalter befindet und der er sich dann irgendwie zu stellen hat: Da kommt plötzlich und unerwartet der, dem er Rechenschaft schuldig ist. Da steht er plötzlich und unerwartet mitten drin im Wohnzimmer seines Verwalter-Hauses: Der Richterstuhl – und da sitzt auch noch einer drauf, ein alter Bekannter, der Chef!
Also jetzt die Frage, da es mich Kopf und Kragen kosten kann: „Wer will ich sein, da ich der, der ich bin, nicht bleiben kann?“
Und wenn wir nun – so trainiert – heraus springen aus dem Gleichnis, und uns selbst stellen auf den Platz, auf dem wir nun einmal stehen hier und heute. Stehen aber – mit Blick auf das herannahende Gericht Gottes am Ende der Zeit. Wenn da also noch jemand ganz anderes sitzen wird auf dem Richterstuhl als der Chef des Gleichnisses? Was mache ich dann? Dann, wenn ich der, der ich bin, nicht bleiben kann? Dann gilt es – so verstehe ich Jesus jedenfalls jetzt, nicht alles auf eine Karte zu setzen, aber alles auf den, der da sitzt auf dem Richterstuhl. Also alles zu setzten auf Jesus Christus – den einzigen Trost im Leben und im Sterben.
Da – wird es sich dann vollziehen, was Martin Luther so wunderbar beschrieben hat als „fröhliche Wirtschaft“: Dann wird „der reiche, edle, fromme Bräutigam Christus zur Ehe nehmen das arme, verachtete, böse Hürlein – und er wird sie von allem Übel entledigen und zieren mit allen Gütern“ (Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520)
IV
Natürlich geht es um Rettung. Es geht um Leben. Es geht um Heil. Und es geht um Klugheit des Lebens, Klugheit des Herzens, Klugheit des Glaubens. Vorbereitet sein auf den, der kommt, die Welt zu richten: nicht zu Lasten der anderen. Denn der da kommt, kommt um die Lasten zu tragen.
Aber es geht um Entscheidung: niemand kann Gott und dem Mammon zugleich dienen, sagt Jesus wenig später. Es geht um Nachfolge dessen, der sagt: siehe, ich bin bei dir, wenn offenbar werden wird alles: die Schuld der Welt und die Verheißung der Rettung, des neuen Lebens.
In dieser Gewissheit können wir denn auch gut Freund sein mit den klugen Mammon-Leuten, ihnen unsere Klugheit anbieten. Ihnen widersprechen, wie Freunde es tun; ihr Spiel nicht mitspielen – um ihres eigenen und der Welt Heils willen, um ihrer und unserer Umkehr willen.
Nein, der Verwalter muss nicht Sorge haben, heimatlos zu werden, betteln zu müssen. Nach der Vernunft der Liebe wird er Heimat finden, aufgenommen sein. Und haben, was er braucht – nicht ergaunert, sondern: geschenkt!
Jesu Aufforderung, sich Freunde zu machen mit dem Mammon, ist keine Aufforderung zu Verrat und Unrecht. Der Mammon wird vergehen. Die Welt des Lichtes aber nicht. Also seid denen nahe mit eurer Klugheit. Und reduziert nicht den Menschen auf seine Taten. Seid zugewandt – so werden sie euch aufnehmen, umkehren, Verantwortung übernehmen: klug werden.
Das wäre doch geistliches Leiten: als die Klugen, die vorbereitet sind auf das Kommen Gottes in dieser Welt Botinnen und Boten zu sein seines Wortes, das er uns in dem Mund legt.
Also: Gegen alle nur zu verständlichen ambivalenten Gefühle gilt es grenzenloses Vertrauen zu setzen auf die ganz und gar eindeutige Zusage Christi an die Seinen: „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen“. (Lukas 18,42)
Amen.