RENDSBURG, 24. SEPTEMBER 2010

Predigt im Synodengottesdienst in der Rendsburger St. Marienkirche

06. Oktober 2010 von Gothart Magaard

Liebe Schwestern und Brüder,
„Für eine gerechtere Welt“ – unter diesem Motto fand vor einer Woche in Plön der 2. Politische Kirchentag statt. Neben Gottesdiensten und Bibelarbeiten wurden Workshops zu verschiedenen Themen angeboten: z.B. „Wachsende Armut in einem reichen Land“ oder „Malta – Flüchtlinge in der Sackgasse! Sterben und Leiden an den EU-Außengrenzen“ oder: „Es ist genug für alle da! Klimawandel, Ernährungssicherheit und Recht auf Nahrung“. Diskutiert wurde auch über die Frage, warum die Milleniumsziele, die unter dem Dach der Vereinten Nationen vor 10 Jahren formuliert wurden, überwiegend weit verfehlt werden z.B. die Halbierung des Bevölkerungsanteils, der hungern muss, wird deutlich verfehlt werden und die Anzahl der hungernden Menschen weltweit ist eher gestiegen . Manchmal ist der Blick auf diese Realitäten kaum auszuhalten und natürlich stellt sich angesichts der Globalisierung auch die Frage schuldhafter Verstrickungen unsererseits. Umso mehr bin froh über diesen Kirchentag und das Zusammenspiel von Kirchenkreis, Diensten und Werken und zahlreichen gesellschaftlichen Gruppierungen, weil wir kirchlich wie gesellschaftlich solche Orte brauchen, die an diesen Themen dranbleiben.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ – Das ist ein schöner, starker Vers. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die Liebe treibt die Furcht aus, und sie schenkt beides: Kraft im Innersten und Besonnenheit im Handeln.

Ein Wörtchen habe ich eben unterschlagen. Der Vers beginnt mit einem "Denn", weist zurück auf bereits Gesagtes. Das macht neugierig auf den Kontext. Paulus beginnt seinen Brief an Timotheus so: „Ich erinnere mich an den ‚ungefärbten Glauben’ in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike". Ein persönlicher Ton prägt diese Zeilen und sie sind nicht nur bedeutsam, weil hier die Rolle der Frauen in der frühen Kirche ausdrücklich erwähnt wird, sondern auch weil eben diese Kirche auf ihr Grundgeschehen zurückgeführt wird: die Überlieferung des Glaubens von einer Generation zur anderen. Die Kirche ist eben keine metaphysische Wesenheit - ohne Geschichte und keinem Wandel unterworfen. Nein, Geschichten und Geschichte sind ihre Basis - die Bewegung des Weitergebens und Weitersagens des Gotteswortes - zwischen Alten und Jungen, auch Großvätern, Vätern und Kindern, um auch diese Linie nicht zu verschweigen. Wir haben uns angewöhnt, etwas technokratisch von Kirche als Organisation, von ihren Ebenen usw. zu sprechen. Der Gedanke der Bewegung in diesem Sinn kommt dabei häufig zu kurz. Aber in der Bibel ist die Kirche Bewegung, ist - in Analogie zum alten Volk Israel - das neue, wandernde Gottesvolk. Eine Gemeinschaft von Menschen, die unterwegs ist durch Zeit und Raum. Da gibt es kleine und große, junge und alte, hohe und niedrige, es gibt solche, die schneller vorangehen und andere, die eher zurückbleiben als Fußkranke oder bremsen. Es gibt verschiedene Generationen mit unterschiedlichen Erfahrungen, es gibt den ständigen Umbruch, die ständige Erneuerung. Genauso verhält es sich mit der Gemeinschaft der Kirche: Sie ist kein vom Himmel gefallenes Bollwerk im und gegen den Strom der Zeit - sie ist ein Volk, eine geschichtliche Gemeinschaft, die jeden Tag und jede Minute altert und sich gleichzeitig verjüngt, die jeden Tag – wie es Luther gesagt – au der Taufe kriecht und täglich neu geboren werden muss, befreit aus der Sünde und vom Bösen.

Ich lese weiter im Brief an Timotheus: „Aus diesem Grunde erinnere ich dich daran, dass du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist“. Der Brief ist das Vermächtnis des Paulus. Das gibt er dem Jüngeren, der in seine Fußtapfen treten wird, mit auf den Weg: „dass du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist“. Im Griechischen steht für „erwecken“ etwa: anfachen, beleben, etwas anfeuern.
Ein zentrales Bild: Die Gabe Gottes – vielleicht liegt sie brach und verkümmert oder wir haben sie aus dem Blick verloren. Aber sie ist da, auch wenn nur noch als Glut. Sie gilt es anzufachen und zu beleben. An Timotheus erkenne ich: Manchmal ist diese Erinnerung, dieser Anstoß von außen wichtig. „Ich erinnere dich“ – und dies ist ein zentrales Element dessen, was wir geistliche Leitung nennen. Und an Timotheus wird mir auch klar: auch Amtsträger bedürfen dieser Vergewisserung und Stärkung! Und im weiteren Sinn sind auch Sie als Synodale Amtsträger. Erinnern wir uns also gegenseitig daran.
„Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Kann es ein besseres Bild für die Kirche Jesu Christi geben, als dieses: eine Gemeinschaft von Menschen, in der die Talente und Gottesgaben nicht versteckt werden, verkümmern, im Dunkel verbleichen - sondern in der sie belebt werden, angefeuert werden, angefacht und dann Licht und Wärme verbreiten im ganzen Haus?

Zu den Gaben, die angefacht werden, gehört auch die Gabe, Verfehlungen beim Namen zu nennen und Schuld einzugestehen, so schmerzhaft auch immer das ist. Das gilt für Verstrickungen in den großen Zusammenhängen durch unseren Lebensstil.
Das gilt aber auch im eigenen Haus und für unser Verhalten. Es braucht viel Kraft, es braucht Furchtlosigkeit, sich selbst ins Gesicht zu sehen und diesem Anblick standzuhalten. Wir wissen wie schwer es trifft: „Du bist der Mann!“ oder „Du bist die Frau!“. Aber wir stehen dazu. Wir sind bereit, einzukehren in das, was wahr ist. Denn wahr ist auch: Gottes Nein zu Unrecht, Unaufrichtigkeit und Unterdrückung ist umschlossen von seinem Ja zu jedem Menschen. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

J.G.Herder sah in der Besonnenheit als der Fähigkeit zur Besinnung, die Wurzel seiner Humanität: denn sie setzt den Abstand, diese winzige und doch so entscheidende Distanz zwischen dem Reiz und der Reaktion, deren besinnungslose Automatik das Triebleben regiert. Sie schafft damit einen Freiraum des Stellungnehmens, in dem „Ja“ oder „Nein“, in dem Willen, Vernunft und Sprache, die Freiheit der Zustimmung oder Ablehnung überhaupt erst möglich werden. Bei Paulus liegt der Ton eben auf dieser Gottesgabe der "Besonnenheit" - unserer Fähigkeit, Abstand zu nehmen, Distanz zu wahren und Grenzen einzuhalten.

Und dann fährt er fort, „Darum“, und schärft es dem Nachfahren ein: „Darum“, weil Du diese Gottesgaben hast – „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn“
. Ja, Scham empfinden, sich schämen, vor Scham die Augen niederschlagen – dafür gibt es viele Gründe. Keinen Grund zur Scham bietet das Evangelium. Das Wort Gottes. Die gute Botschaft. „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn.“

Alles Leben und alle Substanz der Kirche besteht im Wort Gottes. Die Sache selbst, die Verkündigung des Evangeliums, das Zeugnis von unsrem Herrn, stiftet Sinn, Überzeugung und damit Kirche. Die Kirche wird nicht durch menschliche Aktivität gebaut und gemacht – sie ist eine Überzeugungsgemeinschaft, die sich nicht selbst macht und die nicht wir stiften, sondern die gestiftet wird, wo Gottes Wort gehört wird und Glauben weckt. Das Evangelium, so wird Luther nicht müde zu betonen, ist vor Brot und Wein und Taufe das „einzige, allergewisseste und vornehmlichste Wahrzeichen der Kirche“, dadurch wird sie, Zitat, „empfangen, gebildet, genährt, geboren, erzogen, geweidet, gekleidet, geziert, gestärkt, gewappnet, erhalten.“ Die Identität und Kontinuität des Volkes Gottes hängt am Evangelium, und zwar, wie Luther mit genialer Intuition immer wieder betont, nicht am geschriebenen, sondern am „mündlichen Evangelium“.

Menschen interessieren sich für Menschen, und alle Marketing- und PR-Strategen stimmen überein, dass das wirksamste Massenmedium immer noch die unmittelbare Mund-zu-Mund-Propaganda ist – wirksamer als alle technischen Medien. Die Weitergabe von Sinn braucht personalisierte Sozialbeziehungen, sagen die Sozialwissenschaftler. Sie braucht den Wärmestrom von Beziehung, Kontakt, Begegnung, Echtheit, Liebe. Das ist der Nährboden und das Saatbeet, auf dem durch das „mündliche Evangelium“ widerstandsfähige Einstellungen und Überzeugungen „empfangen, gebildet, genährt, geboren, erzogen, geweidet, gekleidet, geziert, gestärkt, gewappnet, erhalten“ werden, um noch einmal an Luther zu erinnern. „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn und leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.“

Ich kehre noch einmal Zurück zu der Großmutter Lois und der Mutter Eunike, mit der alles anfing. Zurück zu der Kirche als dem wandernden Gottesvolk. Wer einen Weg geht, lässt alte Halt- und Rastplätze immer wieder hinter sich und geht in neue Landschaften und Horizonte hinein. Der Weg führt durch tiefe Täler und über hohe Gipfel und manchmal auch durch Wüsten hindurch, wo sich dann die Erinnerungen an die Fleischtöpfe Ägyptens melden. Dennoch dürfen wir ihn getrost gehen.

Auf meinem Weg bin ich in den 70er Jahren stark in Taizé in Frankreich geprägt worden. Zwei Sätze sind mir bleibend wichtig: 1. Der auferstandene Christus kommt, um im Inneren des Menschen ein Fest lebendig werden zu lassen. Und der 2. Er macht uns bereit dafür zu kämpfen, dass der Mensch nicht mehr Opfer des Menschen wird. Vielleicht haben Sie auch solche wichtigen Sätze, die Sie über lange Zeit begleiten und leiten in Ihrem Glauben und Handeln. Deshalb sind diese Ort so wichtig, an denen wir uns austauschen über das, was uns trägt, und über unsere Verantwortung in dieser Zeit und Welt: ob beim Kirchentag, in der Gemeinde oder Familie oder auch in der Synode, dieser besonderen Weggemeinschaft. „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Amen.

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