Predigt in der Christvesper 2011 über Jesaja 9, 1-6
24. Dezember 2011
Liebe Gemeinde, heute, am Tag der Geburt Jesu Christi, feiern wir, dass der Frieden schon mitten unter uns angebrochen ist. Eine Welt, die immer noch zum Krieg rüstet, oder sich nur nach materiellen Gütern sehnt, ist eine überlebte Welt. Gott als Vater der Zukunft wird zu seiner Zeit sein Friedensreich vollenden.
Weihnachten ist der Anbruch des Friedens. Mit der Geburt Jesu Christi im Stall zu Bethlehem hat ein Friedensreich begonnen, das kein Ende haben wird. Wie die Engel es auf dem Feld gesungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lukas 2, 14).
Martin Luther hat gerade im Hinblick auf die Weihnachtsgeschichte darauf hingewiesen, dass wir als Christenmenschen in zwei Reichen, sozusagen in zwei Sphären leben. Wir leben einerseits im Reich dieser Welt mit all seinen Gesetzmäßigkeiten, Bedingungen und Üblichkeiten, die dazu gehören, und andererseits im Reich Christi, in dem nur Jesus Christus das Sagen hat. Also haben Christenmenschen so etwas wie eine doppelte Staatsbürgerschaft. Wir sind Bürger des Reiches dieser Welt und Bürger des Reiches Christi. Was im politischen Leben der Gegenwart eher die Ausnahme ist, ist im Glaubensleben eines Christenmenschen der Normalfall, zwei Staatsangehörigkeiten. Wir sind Bürger des Reiches dieser Welt und damit allem unterworfen, was in dieser Welt gilt, und Bürger des Reiches Christi und damit ihm allein verpflichtet. Beide Reiche sind sehr sorgfältig voneinander zu unterscheiden und doch aufeinander bezogen. Auch in der uns gerade vorgelesenen Weihnachtsgeschichte wird dies deutlich. Lukas erzählt, wie auch Jesus Christus als ein Kind dieser Welt, als Bürger des römischen Reiches, dem der römische Kaisers Augustus vorstand, geboren wurde. Aber zugleich ist Jesus der, bei dessen Geburt sich sogar die Engel des Himmels zu Wort melden.
Martin Luther sagt dazu: „Und diese Himmelsfürsten (Engel) wenden die Augen nicht auf die Welt, sondern sehen auf diesen König, der im Stall geboren ist und in der Krippe liegt. Darin zeigen sie an, dass dieser König ein solch Königreich habe, darin nicht der Kaiser Augustus noch Herodes zu regieren hat, sondern darüber Gott selbst König und Herr ist und darin eitel Engel und heilige Menschen sind.“¹ Mit dem Reich der Welt und dem Reich Christi kommen zwei Dimensionen des Lebens in den Blick, die sehr viele Menschen als solche spüren, aber vielleicht nicht auf den Begriff bringen können. Ich vermute, dass auch nicht wenige heute Abend hier sind, weil sie eine Sehnsucht haben danach, dass da mehr ist als Essen und Trinken, Geld und Banken und Eurokrise, Aufstände und Krieg. Ja, in dieser Welt herrschen Menschen. Aber es gibt auch ein unsichtbares Reich und dort herrscht ein anderer. In dem zitierten Engelsgesang kommen übrigens beide Dimensionen wunderbar zum Ausdruck: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“. In der einen Dimension, der Gottes, soll Gott die Ehre gegeben werden. In der anderen, der irdischen Dimension, verheißen die Engel umfassenden Frieden.
Man versteht die Engelsbotschaft nur recht, wenn man sie im Zusammenhang der alttestamentlichen Verheißungen vom „Friedensfürsten“ (Jesaja 9, 6) stellt. Verheißen ist mit dem Kommen des Retters der Anbruch eines Weltfriedensreiches ohne Ende. Dieses Friedensreich stützt sich auf die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit. Es ist die Aufrichtung eines universalen Friedens (Schalom), der Heil, Wohlergehen, Ganzsein umfasst und von keinem Übel oder Krieg gestört ist. Genau das ist die faszinierende Weihnachtsbotschaft.
Wir hören eine Geschichte, die als Geschichte des Reiches dieser Welt erscheint. Da ist eine junge Familie in Unruhe. Die junge Frau, mit ihren 13, 14 Jahren fasst noch ein Mädchen, Maria, ist schwanger und sie behauptet, noch nie mit einem Mann geschlafen zu haben, sondern vom Heiligen Geist dieses Kind empfangen zu haben. Ihr anvertrauter Ehemann, Josef, von Beruf Schreiner, hält zu ihr, obwohl er aufgrund dieser unwahrscheinlichen Geschichte auch verunsichert ist. Dazu kommt nun noch als ein unglücklich erscheinender Zufall die staatliche Verordnung, zum Zwecke einer Volkszählung sich nach Bethlehem, in den Wohnort ihrer Vorfahren begeben zu müssen. Die junge Familie kämpft sich durch bis Bethlehem, findet dort aber zu allem Übel kein Quartier, nur einen Stall. Wie vielfach auch sonst in Bethlehem belegt, scheint dieser Stall über einer Höhle errichtet worden zu sein. Dieser Stall bietet ihnen Obdach. Hier wird dann auch das Kind geboren. Ein kleiner, gesunder Junge erscheint vor unserem Auge in dieser unwirtlichen Umgebung. Dieser Gegensatz zwischen zerbrechlichen Lebensumständen und dem jungen, beglückenden Leben ist etwas ganz Besonderes.
Diese Szene mit der rührenden Geburt in einem Stall und dem verletzlichen Kind ist der Ursprung eines Menschheitsfriedensreiches. Weihnachten verbindet das Persönliche und Private mit dem Öffentlichen und Politischen. Die heile, aber angefochtene Familie steht im Zusammenhang mit den großen Menschheitssehnsüchten nach Recht, Gerechtigkeit und Frieden. Das Kleine hängt mit dem Großen zusammen: „Alles muss klein beginnen. Lass etwas Zeit verrinnen. Es muss nur Kraft gewinnen, und endlich ist es groß“ (Gerhard Schöne). Der Frieden im Kleinen und der im Großen hängen zusammen. Liebe Gemeinde, so wie wir miteinander im Nahbereich leben, so strahlt es auch aus in die Welt der großen Politik. Und die große Politik setzt auch ihrerseits Bedingungen, die helfen können, dass das Leben in der Familie gelingt oder erschwert wird.
Ja, die Engel hatten gesungen, vom „Frieden auf Erden“. Hier zeigt sich die Beziehung des Reichs Christi auf das Reich der Welt. Die Welt aus sich heraus bringt keinen Frieden hervor. Sie ist eine Welt, wie wir es in Jesajatext gehört haben, in der Menschen „im Finstern wandeln“, die – wörtlich übersetzt – „im Schattenlande wohnen“. Und doch geht über ihnen ein Licht auf, „scheint es hell“ (Jesaja 9, 1). Das Reich Christi bleibt nicht immer einfach parallel zum Reich dieser Welt, sondern dringt in diese Welt hinein, macht sie hell, macht in ihr das Leben erträglich. Aber Christus kommt aus der anderen Welt, ist allein von Gott autorisiert. Deswegen sind auch die Namen, die dem verheißenen Kind als zukünftigen Herrscher als so genannte Thronnamen gegeben werden, überwiegend Namen, mit denen man allein Gott selbst bezeichnen kann. Er ist der „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater“. Nur Gott selbst kann große gewaltige Taten so planen, dass sein Ratschluss als Wunderrat bezeichnen werden kann. Er selber ist der mit göttlicher Macht ausgestattete Held. Und wer allein als Gott sollte als ewig Bleibender und regierender Vater, so zu sagen als “Vater der Zukunft“ bezeichnet werden?
Lediglich der vierte Thronname, die Bezeichnung des neu geborenen Kindes als „Fürst des Friedens“, weist auf die Aufgabe eines irdischen Königs hin. Er hat für das Wohlergehen seines Landes zu sorgen. Die alten Israeliten würden in ihrer Sprache vom Aufrichten des Schalom, vom Aufrichten des Friedens sprechen. Jahrhunderte vor Christi Geburt hat also bereits der alttestamentliche Prophet von einem gesprochen, in dem göttliche Eigenschaften und menschliche Aufgaben eines Herrschers zusammenfallen. Keiner der Könige Israels hat dann dieses Regierungsprogramm, das mit den Thronnamen umrissen worden ist, erfüllen können. Erst mit der Geburt Jesu unter äußerlich armseligen Umständen beginnt das große Friedensprogramm, das Gott durch seine Propheten lange vorhergesagt hat, Wirklichkeit zu werden.
Nach diesem Beginn müsste die Kirche eigentlich die größte Friedens- und Gerechtigkeitsbewegung aller Zeiten sein. Leider ist sie es nicht immer gewesen. Heute aber erkennen wir immer deutlicher: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Und ohne Gerechtigkeit ist das ganze Leben beschädigt. Es wird keinen Frieden ohne Durchsetzung des Rechts und der Verwirklichung der Gerechtigkeit geben. Die Friedensbotschaft der Engel trifft zusammen mit der Friedenssehnsucht und dem Freiheitsstreben der Menschen. Die „Arabellion“ der Völker Nordafrikas und Vorderasiens wie das Aufbegehren der Menschen in Russland hat es gezeigt. Nicht die Unterdrückung und die Gewaltherrschaft werden ewig bleiben. Sie entsprechen nicht dem Willen Gottes. Gott will ein Leben in Frieden und Selbstbestimmung für alle Menschen.
Aber in der Herstellung irdischen Friedens geht das Wirken dieses in der Krippe geborenen großen Herrschers nicht auf. Der Zimmermannssohn wird zu einem Königskind ganz anderer Art. Die Symbole, die für ihn stehen, sind nicht Symbole weltlicher Macht, sondern die Krippe und später das Kreuz. Dieser Herrscher verzichtet auf Prachtentfaltung. Er nimmt sich selbst zurück. Er gibt sich selbst hin für seine Menschen und erbarmt sich aller.
Dazu sagt noch einmal Martin Luther: „Diesen Unterschied soll man gut merken: Des weltlichen Regiments Endziel ist zeitlicher Friede; der christlichen Kirche Endziel ist nicht Friede und Gemächlichkeit auf Erden, nicht schöne Häuser, Reichtum, Gewalt und Ehre, sondern ewiger Friede. Die Obrigkeit sorgt nicht dafür, wie ich selig sterbe und ewig lebe, kann mir auch wider den Tod nicht helfen, sondern sie muss selbst auch dran, wenn ich sterbe, mir schließlich folgen; der Tod kommt über sie ebenso wie über den ärmsten Bettler. … Aber wenn dies zeitliche Leben aufhört, fängt der christlichen Kirche Regiment erst an.“²
Das Kind in der Krippe wurde geboren, Christus ist in die Welt gekommen, damit wir für unser Leben schon jetzt Orientierung finden hin auf zeitlichen Frieden. Aber darüber hinaus will er uns zu einem ewigen Frieden führen, der uns Leben und ewige Seligkeit schenkt. Wenn Menschen uns verlassen, wenn unsere Kräfte nachlassen und wenn wir einmal aus diesem Leben scheiden müssen, dürfen wir im Glauben an dieses Kind in der Krippe ein Leben im Paradies erwarten. Gott hat verheißen, uns durch seinen Sohn Jesus Christus in den Himmel zu führen. Jeder Mensch hat für sich die Wahl. Will er sich mit diesem Leben begnügen, oder will er im Vertrauen auf Jesus Christus auf ein zukünftiges Leben warten, das uns auch schon heute Gelassenheit und Zuversicht schenken kann.
Es gilt schon jetzt aus Kräften der Ewigkeit Gottes zu leben, denn eine Welt, die Krieg führt, gegen ein fremdes oder das eigene Volk, in der die Banken nicht eine Hilfe zum Florieren der Wirtschaft, sondern Ursache ihrer Krise sind, ist keine Welt, die Gottes Friedensreich entspricht, das auf der Basis von Recht und Gerechtigkeit aufgebaut wird. Initiiert wird es durch Jesus Christus, dem, der in der Krippe geboren wurde und am Kreuz für uns starb. Mit seiner Geburt hat das Friedensreich schon begonnen. Noch ist es verletzlich und zerstörbar. Aber in Ewigkeit wird es vollendet werden. Weihnachten ist der Beginn dieser neuen Zeit. Amen.
¹Predigt Martin Luthers über Jesaja 9, 1-6 und Lukas 2, 1-14 am 1. Weihnachtstag, zitiert nach Martin Luther, Predigten, hg. v. Kurt Aland (Studienausgabe Lutherdeutsch 8), Göttingen 2002, 46.
²A.a.O. 45.