Predigt über II. Korinther 1, 18-22
19. Dezember 2011
Liebe Gemeinde! I „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ – Diesen Adventsruf hat der Chor vorhin mit der Motette zu dem 24. Psalm gesungen. Und wir alle sicherlich haben den dazu gehörigen Choral auch in diesen Adventswochen schon auf den Lippen gehabt: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Es kommt der Herr der Herrlichkeit!“ – Mit diesem Kommen Gottes, des Heilands, des „Trösters früh und spat“ ist der Grund gelegt für die Freude, auf die wir zugehen, die schon anklingt im Advent: „Freuet euch allewege und abermals sage ich euch: Freuet euch! Der Herr ist nahe.“
Diesem Ausdruck der Vorfreude entspricht unsere Umgebung, wie sie ausgeschmückt wird auf Weihnachten hin, wie helles Licht das Dunkle der Jahreszeit aufbricht: Es werde Licht! – Wie am Anfang allen Lebens soll neu werden die Welt! Und sie hat es nötig, diese Welt, da ist wenig Grund zur Freude, aus dem Lot geraten scheint sie angesichts der Kriege und des Mordens; angesichts der Krisen und Einbrüche, Ungerechtigkeit und Hunger; angesichts immer neuer Katastrophen in der Folge der Ausbeutung des Klimas.
Ursprünglich ist die Adventszeit nicht einfach eine plötzlich helle Zeit, sondern eine, in der bewusst erlebt und ausgehalten wird das Dunkle; in der bewusst ins Auge gefasst wird das Ende. Fastenzeit. Zeit der Buße, Zeit der Orientierung und Umkehr: Violett die Farbe deshalb, Farbe des Leidens, der Passion Christi. In der Erwartung und Gewissheit, dass diese Welt mit allem Leben auf das Ende zutreibt, wenn Gott nicht eingreift, wächst die Sehnsucht nach dem Retter und Erlöser: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“ So haben wir eben gesungen. In diesen Worten vereinen sich Schmerz über die unerlöste Welt, Klage über erfahrenes Leid und Dunkelheit zu einem Hilferuf, der sich an den richtet, der das A und das O, der Anfang und das Ende ist. Ein Ende muss kommen, damit Neues wachsen kann! Ein machtvolles Ende, das nichts lässt, wie es war. Und das den Himmel öffnet, um uns aus der Bedrängnis der Welt herauszureißen.
In Bedrängnis steckt auch der, von dem die Briefe an die Gemeinde in Korinth kommen: Der Apostel Paulus selbst ist in Bedrängnis geraten, weil er einen zuvor lange angekündigten Besuch in den Gemeinden verschieben musste. Und nun zweifelt man an seiner Zuverlässigkeit. Und an der Zuverlässigkeit seiner Verkündigung.
Und Paulus ist in Bedrängnis geraten, weil das, was er als die befreiende Botschaft von Jesus als dem Retter und Heiland dort und an anderen Orten all´ die Jahre verkündigt hatte, die Menschen zuerst in Bedrängnis und Unruhe gebracht hatte. Die befreiende Botschaft von Jesus Christus hat Kopfschütteln und Ablehnung provoziert – denn quer zu allem, was bis dahin bekannt war und geglaubt wurde, steht das Wort, das Fleisch geworden war in Christus! Auf den Kopf gestellt wurde ja die altbekannte Ordnung der Welt, nach der immer alles so bleiben soll und muss, wie es schon immer war.
Aber, liebe Gemeinde, hatte nicht schon Maria mit ihrem Lobgesang die subversive Botschaft des Evangeliums unter die Leute gebracht? Hatte sie doch – wie zuvor die Prophetin Hanna im Alten Testament – laut gesungen von der Revolution Gottes: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen … und er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen…die Hungrigen macht er satt, und die Reichen lässt er leer ausgehen?! Ja, dieses Gerücht von Gottes großer Liebe zu den Kleinen, das war immer weiter gesungen und erzählt worden durch die Zeiten hindurch – auch von Paulus. Er versteht sich, so sagt er es den Korinthern, als „Gehilfe ihrer Freude“. Denn der Herr ist ein anderer. Das war immer auch auf Ablehnung gestoßen und hatte in Bedrängnis statt in Freiheit geführt jene, die danach zu leben versuchten. Daher also sieht nun der Apostel sich herausgefordert, die Wahrheit der Guten Botschaft in kräftigen Worten zu verteidigen. Ich lese noch einmal aus dem 1. Kapitel des II. Briefes an die Korinther:
„Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist.
Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm.
Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“
Nicht gerade ein klassisches Advents-Wort. Nicht die erwartete Verheißung, dass Gott wiederkommt und das Unterste zu oberst kehrt; dass Licht das Dunkel aufreißt. Statt dessen viel nüchterner: das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist in Christus, ist keine weiche, wohlgefällige Rede, in die jeder hinein- oder aus der jeder herauslesen kann, was gerade passt. Das ist ein klares Wort, das die Geister scheidet – die Geister der Welt und der Macht von den Geistern der Liebe und des Friedens und der Gerechtigkeit.
Das verstört, das Wort, es bedrängt. Es gibt sich nicht zufrieden mit halbherzigem Bekennen, es will erhellen, verändern, umstürzen. Es will Herzen wenden und regieren: damit wirklich neu wird die Welt.
In Christus ist Gottes Ja, wo die Welt verneint: Ja zu den Schwachen und Elenden, Nein zu den Selbstgerechten; Ja zu den Fremden und Nein zu Hass und Terror gegen alles, was fremd ist. Das „Amen“, das wir sprechen als Antwort auf Gottes Ja, ist das Einstimmen in den Lobgesang, es gibt Gott Recht, der die Friedfertigen selig spricht und der an die Seite der Armen tritt und mit ihnen geht.
Unser Amen sagt Ja zu dieser Form der Bedrängnis des Gewohnten und Belastenden. Das ist eine adventliche Sehnsucht: dass Klarheit herrscht und Verlässlichkeit; dass Menschen stehen zu ihren Fehlern und nicht herumdrucksen und nur zugeben, was ohnehin auf der Hand liegt. Weil Gott Ja sagt zu den Sünderinnen und Sündern, sind wir frei, zu unserer Schuld zu stehen – ohne Angst, verstoßen oder verlassen zu werden! Weil er Ja sagt zu der Welt, müssen wir die Augen nicht verschließen vor der Realität der Welt!
II
Wir leben ja in einer Welt, in der für immer mehr Menschen das Gefühl, alles triebe dem Ende, dem Chaos, der Katastrohe entgegen, keineswegs eine kranke Vision ist, sondern reales Lebensgefühl. Auf was und auf wen ist denn eigentlich noch Verlass – so fragen sich viele Menschen angesichts skrupelloser Politiker und zockender Finanzjongleure; angesichts von Rettungsschirmen und Finanzkrisen; angesichts mancher Blindheit auf dem rechten Auge; angesichts der Klimakatastrophe, deren Folgen alle kennen und sehen und spüren – und für die niemand wirklich Verantwortung übernimmt.
Darum ist der Advents-Ruf der Maria, der Mutter Jesu, auch der Ruf aller, die sich nach Erlösung sehnen und nach Rettung. In diesem Ruf wird laut der Schrei der Leidenden dieser Welt. Der Hungernden, der Wohnungslosen und Heimatlosen, der Kriegsopfer und der Fliehenden, der Missbrauchten. Es ist der Ruf derer, die um Gerechtigkeit kämpfen gegen mörderische Diktatoren oder Militärs, in deren Händen die Herrschaft in die Katastrophe führt, in Blut gebadet ist. Und darum und dafür beschwört der Apostel Paulus das Ja Gottes in Christus, insistiert darauf, dass alle Gottesverheißungen in Jesus Christus sich erfüllen – in ihm wahr und wirklich sind. Der Advents-Ruf ist ein Ruf nach Vorwärts – damit wir nicht nachlassen das zu tun, was nötig ist, um Not zu wenden. Denn Gottes Ja zu uns ist Zuspruch und Anspruch zugleich: er, der Ja sagt, der uns will, will uns brauchen für seine Welt!
III
Liebe Gemeinde! In Christus kommt das Ja, dessen die Welt so bedürftig ist, weil aus ihr selbst heraus Heilung und Heil nicht kommen kann. Heil und Heilung müssen kommen von etwas „Außerirdischem“ – Heil und Heilung müssen kommen von einem, das außerhalb der Welt zu Hause ist bei Gott. Heil und Heilung aber werden kommen von dem, der nicht außerhalb bleibt, sondern der sich von Gott senden lässt hinein in die ganz irdische Wirklichkeit. Der herunter kommt, den Himmel verlässt und irdisch wird. Ein Heil, das im Einfachen liegt, in einem Kind. Das Kind in der Krippe also – Jesus, der Christus allein ist der wahre „Herr über die Könige auf Erden“. Damit sind die Machtverhältnisse – heilsam! – geklärt, ein für allemal.
„Ihr lieben Christen, freut euch nun“ haben wir gesungen – denn es wendet sich die Geschichte, Trost wird angesagt für Schmerz und Sehnsucht: Weine nicht! Verzweifle nicht! Gib nicht auf!
„…es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.“ So spricht der Prophet Jesaja in Gottes Namen. „Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude…Saget den verzagten Herzen: seid getrost und fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott…! Das ist die Verheißung, die uns im Advent Gottes begegnet. Er wird umwandeln die Trostlosigkeit und ein Ende machen mit Not und Elend. Er selbst will aufrichten die Gekrümmten. Zurückkehren werden die, die auf der Flucht sind, Heimat finden werden sie. Nicht wird es bleiben, wie es ist.
Der eine, in dem alle Gottesverheißungen von Gerechtigkeit und Frieden da sind und lebendig da sind – er ist es, der uns den Zugang zum Geheimnis Gottes vermittelt mit seinem zurechtweisenden und erinnernden Wort. Der uns aufrichten hilft aus der Verstockung, den Blick wenden hilft auf Neues hin: Fürchtet euch nicht! – so fangen Rettungsgeschichten an. Der, der da kommt wie ein „süßer Bräutigam“ wird uns lehren zu lesen in Gottes Geheimnissen so, dass diese Welt mit allem Elend und aller Klage zu einem Zuhause werden kann für unser Leben in Schmerz und Sehnsucht, in Hoffnung und Erfüllung. Ja, der, der da im Advent neu uns entgegenkommt, ist der, der schon immer da war: Es hat überwunden die Welt die süße Wurzel Jesse, die Wurzel Davids. Der, der da kommt, kommt in sein Eigentum. Und was bleibt also zu tun für uns Adventschristen? Nun, wir können es so machen, wie die Freunde der Musik: Anfangen mit dem Staunen – und singend uns einfach nur wundern und freuen auf den „süßen Bräutigam“ – von dem uns der Chor gleich mehr erzählen wird mit Herzen, Mund und Händen. Amen.