Predigt über Jesaja 29, 17 – 21
11. September 2011
Liebe Schwestern und Brüder! „Lobet den Herrn alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker! …“ So hat die Domkantorei eben gesungen, wunderbare Musik nach Psalm 117: Stimmt ein in den Gesang der Freude, preiset Gottes heiligen Namen, macht Gott groß und schön vor der Welt. Ein nötiger Appell, eine Heil bringende Herausforderung an einem Sonntag wie diesem! 10 Jahre nach Nine-Eleven, 10 Jahre nach den verheerenden Terrorangriffen vom 9. September 2001! Gerade, weil das scheinbar nicht passen will, sich nicht einpassen will in die Erinnerung des Schreckens. Da kommt es darauf an, den zu erinnern, der das Leben will, nicht den Tod! Nicht, um zu verdrängen die Bilder des Todes und des Terrors. Sondern um der Gewissheit Ausdruck zu geben, dass der Tod nicht das letzte Wort haben darf, nicht haben muss und nicht haben wird. Die qualmenden Twin Tower des World Trade Center in New York und der zerborstene Flügel des Pentagon in Washington – die Bilder des Schreckens sind wieder da, immer noch da. Ich denke hin zu den mehr als 3.000 Terroropfern von damals und zu ihren Angehörigen, die heute in New York am Ort des Schreckens zusammen gekommen sind, um der Toten zu gedenken - auch in einer Feierstunde zur Eröffnung des Denkmals National Memorial am „Ground Zero“: Er wird dort auf eine ganz andere Weise begangen werden, der „Tag des offenen Denkmals“, der ja auch bei uns heute in Deutschland gefeiert wird. All´ das, liebe Schwestern und Brüder, ist heute auch im Dom zu Schleswig Gegenwart. Auch die Erinnerung daran, dass all die Ungerechtigkeit in dieser globalisierten Welt, all der daraus wachsende Zorn und Hass nicht beseitigt sind, sondern ein Pulverfass bilden nach wie vor. Immer noch sind Bombe-Bastler am Werk, planen Menschen Tod Bringendes. Seit September 2001 sind Grundgewissheiten, ist Grundvertrauen erschüttert. Keine Phantasie hat ausgereicht, sich den Hass vorzustellen, der Menschen dazu bringt, Flugzeuge in Häuser zu lenken! Angst und Misstrauen drohen uns zu bestimmen, wenn wir nicht gegen den Strom der Lebensverachtung ansingen, anbeten, angehen, anglauben und handeln.
Die Erinnerung an die Hilflosigkeit ist wach, mit der wir Bilder der Zerstörung und des Terrors betrachten mussten – damals in New York und letztens in Norwegen.
Angesichts solcher Ereignisse waren und sind es für viele Menschen die alten Texte, die geholfen haben, Gefühle und Gedanken zu ordnen, zurück zu finden zu eigener Sprache!
Und darum singe ich das Dennoch und das Trotzdem des Glaubens: „Da pacem, Domine“ – Verleih´ uns Frieden, Herr“… Die Todespiloten von damals sollen nicht Recht behalten mit ihrem religiös verbrämten Missbrauch Gottes. Und auch nicht diejenigen sollen recht behalten, die im „Krieg gegen den Terror“ seitdem immer weiter verfangen sind in der tödlichen Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden! Es gibt keinen „Heiligen Krieg“! Um Gottes Willen gibt es ihn nicht! Nicht durch den Terror und auch nicht gegen ihn ist der Name Gottes zu gebrauchen. Was Gottes Wille ist, das lasse ich mir sagen vom Wort Gottes:
„Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen.
Und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein im Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten.
Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“
Ein Text, wie für den heutigen Tag geschrieben. Ja: das ersehne ich, dass die Verrückten Barbaren Verstand annehmen; dass die ewig Nörgelnden sich belehren lassen. Dass Gottes Wort die verstopften Ohren öffnet und die, die die Augen verschließen vor der Welt, ein Licht aufgehen sehen aus der Höhe: Licht des Lebens, Licht der Liebe.
Das ist die großartige Verheißung: Das finstere Tal soll sich verwandeln in eine grüne Aue, die Wüste soll werden zu fruchtbarem Land; ein Land, darin fließen Milch und Hönig für alle und ein Land, darin fließen Frieden und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach! Ich lerne neu von dem Propheten:
Gott hat einen Anfang gemacht – er kann auch ein Ende machen. Gott hat einen guten Anfang gemacht – er kann auch ein Ende machen dem Bösen. Er wird stürzen die Tyrannen und er wird schleifen ihre Statuen; er wird den Spöttern das Maul stopfen und die Unheilstifter werden verjagt werden aus ihren Palästen – diese Vision einer friedlichen Revolution Gottes ist es, die seit biblischen Urzeiten die Menschen beten und kämpfen lässt für Frieden und Freiheit und Gerechtigkeit. Diese Sehnsucht ist es auch, die Völker in Afrika aufstehen lassen gegen die Tyrannen für ein besseres, gerechteres Leben.
Und ich halte das zusammen mit der gehörten Erzählung von der Heilung des Taubstummen aus dem Evangelium nach Markus: Einer, der taub und stumm ist, wird zu Jesus gebracht. Das Gerücht von dem, der dem Elend ein Ende machen kann, hatte sich ausgebreitet. Jesus nimmt den Kampf auf mit den verstopften Ohren und mit der verkrampften Zunge: „Hefata! – Tu dich auf!“
Das Ende des Elends ist auch hier ein neuer Anfang!
Liebe Schwestern und Brüder, die Heilung, die Wandlung und Neuausrichtung der Menschen geschieht nicht von selbst, nur von innen heraus oder gar körperlos. Von Jesus wird erwartet, dass er dem Taubstummen die Hände auflege – er tut nicht nur das, sondern er nutzt auch noch seine Finger und seinen Speichel. Er legt Hand an, damit Leben neu werden kann.
„Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch“: Gott will uns brauchen. Es kommt immer wieder auch auf uns an! Dass wir glauben daran, dass es mehr als alles gibt, mehr, als unsere Augen sehen. Dass wir uns nicht zufrieden geben mit verstopften Ohren und verschlossenen Augen, mit der Hoffnungslosigkeit. Dass wir aufstehen, weil unser Herr aufgestanden ist gegen die lebensfeindlichen Mächte. Dass wir den Frieden suchen, Frieden mit Gott. Und uns bewegen lassen: Friede mit Gott macht nicht ruhig, sondern unruhig; „Friede mit Gott führt in den Unfrieden mit der Welt!“, sagt der Theologe Jürgen Moltmann. Christenmenschen wissen: nichts muss bleiben wie es ist!
Darum: „Da pacem, Domine“ – Verleih´ uns Frieden, Herr“…
Dieser Frieden wächst aus der Erinnerung, braucht den wachen Geist, der wahrnimmt die Welt und ihre Geschichte. Und die Geschichte Gottes in ihr.
Darum den Tag des Offenen Denkmals, darum sind Orte so wichtig, die erinnern an die Geschichte, die wach halten unser Gedächtnis. Die Gedenkstätten des Holocaust sind solche Orte der mahnenden Erinnerung: Bergen-Belsen, Ladelund erinnern bei uns in Norddeutschland an die Greuel des Nazideutschland. Das Jüdische Museum in Rendsburg ist ein Ort der not-wendigen Erinnerung. Diese und viele andere Orte sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses, das nicht schwach werden darf. Denn nur in der Erinnerung können wir auch die Umkehr beschreiben, den Frieden, der so bitter nötig und immer noch nicht für alle Menschen Realität ist. Nur, wenn wir uns vergewissern, woher wir kommen, können wir auch beschreiben und suchen, wohin wir denn gehen können. Und damit das nicht ziellos geschieht, gehören auch Häuser wie dieses zu den Orten, die uns sagen: denk mal, Mensch! Erinnere Dich! Seit Jahrtausenden fragen Menschen nach Gott, lassen sich von seinen Weisungen und Verheißungen leiten; lassen sich mit seinem Geist befeuern, der immer wieder alles neu machen kann, der Herzen und Sinne wenden und verändern kann.
Darum auch ist so ein Erinnerungstag wie dieser so wichtig. Dieser Tag, der vor zehn Jahren die Welt verändert hat, muss und kann zu einem Tag werden, an dem die Verheißung laut wird: Gott wird umkehren alles, was lebt und er wird neu machen die Welt und wird heilen. Damit endlich ein Ende haben kann, was wir haben erleben müssen damals und immer wieder.
Und das fängt nicht im Jenseits an, sondern jetzt und hier: Gott will uns brauchen, unsere Hände und Sinne, dass wir beseitigen, was die Menschen voneinander trennt, die Ungerechtigkeit, die zu unvorstellbarem Hass führt; die Tyrannei, die Menschen zu Äußerstem treibt; die Würdelosigkeit des Hungers, der uns alle zum Teilen ruft dessen, was wir zum Leben haben.
Wie Jesus Hand anlegt, um zu Heilen und Menschen neu ins Leben zu bringen, so braucht er unsere Hände, sie anzulegen für den Frieden. Und wir wissen: dazu reicht eben nicht militärische Macht und Gewalt. Saddam Hussein ist weg und Osama bin Laden spektakulär getötet. Aber Frieden ist noch nicht im Irak oder in Afghanistan, wo auch unsere Soldaten ihr Leben riskieren für Freiheit und Neuanfang. Und sie wissen am besten: sie allein schaffen nicht den ersehnten Frieden – dort nicht und nicht im Nahen Osten und auch nicht in Afrika.
Wir wissen, und Erinnerung führt vor Augen: Solange Menschen Hunger leiden und daran sterben; solange nicht alle Menschen teilhaben können an Bildung und unermesslichem Reichtum in dieser Welt, solange werden Scharfmacher und Fundamentalisten leichtes Spiel haben. Solange die Globalisierung nur für den einen Teil der Welt ein Segen sein mag, für den größten Teil aber bedrohlich ist, werden Menschen aufstehen und zu den Waffen greifen – ebenfalls global, wie wir wissen. Solange wir nicht begreifen, dass unsere Art zu leben hier auch Auswirkungen hat auf das Leben auf der anderen Seite der Erdkugel, solange Globalisierung nicht heißt: Teilen – solange wird nicht sein Friede auf der Welt
.„…die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen“. So kommt Gott selbst ins Spiel: sein Geist verbannt Irrtum, ent-geistert die, die immer genau wissen, was Recht ist. Und sein Wort belehrt die Unbelehrbaren! So, dass sie in die Spur Gottes kommen.
Diese Spur Gottes ist die Spur von Gottes Frieden und Gerechtigkeit für seine Erde. Und in Gottes Spur gehen heißt: die eigenen Füße richten auf den Weg des Friedens und dabei nicht müde werden auf der Suche nach dem, was Gottes Frieden dienen kann. Darum, liebe Schwestern und Brüder, ist es gut und richtig, dass dieser Gedenktag als Tag des offenen Denkmals auch ist ein Tag der offenen Kirchen, der offenen Moscheen, der offenen Synagogen. Gläubige aus verschiedenen Religionsgemeinschaften finden sich zusammen an vielen Orten, miteinander verbunden in Gebet und miteinander unterwegs auf der Suche nach hilfreichen Formen des Erinnerns für die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft. So wird es sein etwa heute Abend in Rendsburg in der Christkirche bei einer Interreligiösen Gedenkveranstaltung von Christen, Juden und Muslimen.
Dieser Tag des vielfältigen Erinnerns will uns ermutigen und in Gang setzen, das Werk der Versöhnung fortzusetzen, das Gott begonnen hat. Das Fremde also nicht auszugrenzen, sondern in ihm zu vermuten, was uns fehlen könnte. Die Kulturen nicht für unvereinbar zu halten, sondern für einen Reichtum, der uns geschenkt ist. Die Religionen nicht zu Kampfinstrumenten zu machen, sondern als Felder des Dialogs und des Respekts und der Hoffnung auf Überwindung zu stärken und zu nutzen!
Gehen in der Spur Gottes, das wollen wir und das sollen wir in der Mission Gottes: Für Gottes Frieden kämpfen – und also hoffen auf ihn und singen: „Da pacem, Domine“ – Verleih´ uns Frieden, Herr“…
Amen