BERLINER DOM

Predigt zu 1. Petrus 2, 21b-25

18. April 2010 von Gerhard Ulrich

Liebe Gemeinde! I Zwei Wochen nach dem Osterfest und seinen Jubelgesängen heute noch einmal das Bild vom Kreuz, der Weg des Leidens Jesu. Wir kommen her von Ostern – die Wende vom Tod zum Leben liegt hinter und zugleich vor uns. In diesen Wochen bildet sich diese Spannung ab: Terroranschlag in Moskau; Gewalt im Gaza-Streifen; Karfreitag dann Soldaten, die in unserem Auftrag in Afghanistan in den Krieg geraten sind, sterben – und mit ihnen Afghanische Soldaten –, in der vergangenen Woche wieder gefallene Soldaten: keine Friede breitet sich da aus, die Unsicherheit, das Misstrauen, die Angst wächst, sagen Soldaten, die da waren.

Nur zwei Tage nach Ostern stürzt die Maschine ab, mit der der Präsident und seine Frau und führende Menschen des Landes in den Tod stürzen: Entsetzen lässt den eben erst lauten Osterjubel jäh verstummen. Das Kreuz bringt sich und hält sich in Erinnerung: Jesu Fußzapfen gehen nicht am Kreuz und am Leid vorbei! Nur wer den Schmerz mit trägt des Kreuzes, des Todes, des Leidens; nur wer entsetzlich findet den Schmerz der Gefolterten, Gefallenen, der Missbrauchten, der Familien, die die Ihren in Kriegseinsätzen verlieren; wer sich nicht abtötet gegen das Entsetzen des Todes – nur der wird finden die Spur der Überwindung. Das zeigen die Ostergeschichten der Bibel: die Befreiungsgeschichte des Glaubens beginnt mit dem Entsetzen der Frauen am Ostermorgen, mit Furcht und großer Freude.
Wir brauchen die Verheißung unseres Glaubens gerade jetzt, dass nicht alles dem Tod überlassen bleibt, dass das Leben sich Bahn bricht durch alles Sterben hindurch: dass nicht alles bleiben muss, wie es war und ist. Wir sind denen die Osterbotschaft schuldig, die nicht wissen wohin mit ihrer Trauer, ihrer Angst, den Opfern von Missbrauch und Hass: den Aufstand des Lebens gegen alle Gewalt sind wir ihnen schuldig.

II
Die wunderbare Verwandlung vom Holz auf Jesu Schulter, das zum Baum des Lebens wurde – sie gilt es zu besingen und weiter zu erzählen. So wie es am heutigen Sonntag „misericordias domini“, die Barmherzigkeit Gottes, der wunderbare Psalm 23 beschreibt: Der Herr ist mein Hirte / mir wird nichts mangeln. Die Sorglosigkeit des Glaubens gründet in der Fürsorge des einen Hirten. Ihm sollen die Schafe sich anvertrauen.

Die Gemeinde der ersten Christinnen und Christen kennt ihren Hirten. Sie weiß, was wirklich nährt. Sie ist empfänglich geworden für den wahren Hirten und Bischof ihrer Seelen.
Und zugleich kennt sie die vielfältigen Anfechtungen, denen sie ausgesetzt sind, Verfolgungen, Spott und Hohn. Sie kennen nicht nur den festen Glauben, sondern auch immer wieder den Zweifel. „Weidet die Herde Gottes“, mahnt der Schreiber des Briefes, lasst sie nicht allein, überlasst sie nicht sich selbst. Zeigt ihnen den Weg des gelingenden Lebens! Und zwar tut es so, wie es Gott gefällt.Welch ein anspruchsvolles Leitungsbild wird hier gemalt! Wir wissen, wie leicht  aus Leitung Herrschaft, aus Führung Machtausübung werden kann!
Gerade in den letzten Monaten und Wochen erleben wir, wie Vorbilder stürzen, weil sie den Projektionen der Hoffnungen und Sehnsüchte nicht standhalten. Oder, schlimmer noch, weil sie ihre Vorbildfunktion missbrauchen für die eigenen Gelüste und Menschen, die sich ihnen abhängig gemacht haben, an Leib und Seele traumatisieren – gerade da, wo Vertrauen und Geborgenheit investiert und vermutet wird, in Familien, Schule und Kirchen. Neben dem Schaden, den missbrauchte Menschen ein Leben lang zu tragen haben, tritt der Schaden des Vertrauensverlustes vieler Hirtenmenschen, die nicht zu frischem Wasser geführt haben, sondern zu schmutzigem Wasser.

III
„Der Herr ist mein Hirte...“ – so singt es der 23. Psalm vollmundig und gewiss. So ist Gott: wie ein Hirte, der für seine Geschöpfe sorgt. „Mir wird nichts mangeln“. Gott hält bereit, was wir zum Leben brauchen: er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele. – So wird Gott seit Alters her erfahren, so wird er besungen. Dass jemand bei mir ist in der Finsternis, mir Essen und Trinken gibt und mir Heilsames tut trotz aller Anfechtung und Gefahr – das rührt an Urerfahrungen der Kindheit. So ist Gott – wie Vater und Mutter. So weidet, so leitet er!Ja, wir brauchen es, dass da einer ist, der den Weg kennt, der uns frei laufen lässt, aber nicht in unser Verderben. Ich sehne mich danach, dass da eine Kraft ist, die mit Güte und Barmherzigkeit mich führt, leitet und begleitet. 
Und wir wissen, was geschieht, wenn solche Führung ausbleibt, nicht mehr gekannt wird der gute Hirte: wie die Seelen der Menschen hungern und dürsten nach gutem, wegweisendem Wort und wie die Suche nach einem Hirten des Lebens in die Irre führen kann, auf Felder, die scheinbar fett sind und doch sich nicht als nahrhaft erweisen; wir wissen, wie viele Menschen aus finsteren Tälern nicht herauskommen, weil der nicht sichtbar ist, dem sich alles Leben verdankt.

IV
Ein guter Hirte erfüllt seinen Auftrag dann, wenn er verweist auf diesen einen Hirten, wenn er stets zurückführt zu ihm hin. Martin Luther beschreibt diese Aufgabe in bekannter Klarheit: „Darum ist weiden nichts anderes als das Evangelium predigen, dadurch die Seelen gespeist, fett und fruchtbar werden, dass sich die Schafe nähren am Evangelium und Gottes Wort.“

Ich denke an die Taufen eben im Gottesdienst. Getaufte leben davon, dass sie etwas erfahren von dem guten Hirten, dass sie spüren das frische Wasser der Liebe und der Barmherzigkeit; dass sie lernen, dass ihre Würde tatsächlich unantastbar ist, weil sie geschenkt ist von Gott, nicht erworben durch Leistung und Gut-Sein. Als Getaufte leben wir davon, dass einer für uns voran geht, zeigt, wo es langgehen kann mit uns, damit es gelingt und nicht in die Irre geht. Ich wünsche den Getauften Fußtapfen-Geher und –Zeiger. Und ich wünsche uns, dass wir in ihnen, die Jesus in unsere Mitte stellt, Vorbilder sehen: Fußtapfen Jesu in der kindlichen Klarheit, Offenheit, Freude und Schuldempfinden, Barmherzigkeit und Unerbittlichkeit in Fragen der Gerechtigkeit sehen.

V
„…Christus hat…ein Vorbild hinterlassen…“ – Dieser Hirte hat sein Leben in die Bresche geworfen für uns. Da war und ist einer, der für die Seinen einsteht, bis zur letzten Konsequenz. 
Auch das betonen wir mit der Taufe: wir leben nicht aus uns selbst. Wir leben, weil wir, anknüpfen dürfen an Erfahrungen; weil schon lange vor uns andere für etwas gekämpft haben, was ich scheinbar selbstverständlich genieße: Freiheit, Frieden; wir leben, weil wir aufbauen dürfen auf etwas, das andere geschaffen haben. Ich erinnere mich an meine Mutter, die, als ich durch die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium gefallen war, zur Schulleitung lief und für mich kämpfte – immer wieder tat sie das, Mutter Courage,  weil sie ganz und gar überzeugt war von dem, den sie liebte, ohne jeden Zweifel bereit, ihr ganzes schmales Gewicht zu riskieren – dem Jungen war das dann und wann peinlich. Aber ich bin unendlich dankbar dafür. Wir leben, weil wir Menschen begegnen, die bereit sind, für uns einzustehen.

VI
Der leidende Christus hat uns ein Vorbild hinterlassen, sagt der Petrusbrief. „…dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen“. In die Spur kommen dessen, der angefangen hat, aufzuhören damit, Gewalt auf Gewalt zu türmen, sondern: Wieder zusammenbringt – Eltern, Feinde, Völker.  Der Glaube folgt dem Kreuz Jesu, und er gibt sich nicht zufrieden mit der Gewalt. Seit Jesu Tod und Auferstehung gewinnt die Vision Kraft von einer Wirklichkeit jenseits aller Gewalt: die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Das Kreuz ist ein Gegenentwurf zum Terror, ein Gegenentwurf auch zu aller Kreuzzug-Politik. Jesus hat angefangen, aufzuhören damit, das ist sein Fußtapfen. Geht in der Spur dessen, der die Sünder besucht, der die Fremden aufnimmt; der anfängt, aufzuhören mit dem Wegsehen und Vertuschen von Gewalttaten an Menschen. Der uns hinsehen heißt auf die Opfer schlimmen Missbrauchs an Leib und Seele. Wer den Fußtapfen Jesu folgt, kann übrigens auch ohne Angst zu seiner Schuld stehen und erspart der Welt alle Lügerei und Verharmlosung, auch als Hirte, gerade als Hirte. Der Weg zum frischen Wasser führt nicht an der Buße vorbei zu Neuanfang, Befreiung und Umkehr zum Leben. Aber nur so führt der Weg für alle Opfer dieser Welt ins Leben zurück.

Und Jesus ist der, der die Friedenstifter selig preist – hier im Lande und überall sonst. Lasst euch versöhnen mit Gott: fangt an, aufzuhören mit der Gewalt, die auch unschuldige Zivilisten bedroht. Lasst uns nicht nachlassen, den Frieden vorzubereiten mit den Kindern in Schulen und Kindertagesstätten hier und überall in der Welt, damit sie den Krieg nicht mehr lernen und sehen die Fußtapfen Jesu.
Seht auf uns, haben mir Soldaten vor Ostern gesagt, die in Afghanistan und an anderen Orten im Einsatz waren und wieder sein werden: lasst uns nicht allein mit den Waffen, mit denen ihr uns da hinschickt! Definiert den Auftrag und redet nicht drum herum: wir sind hier im Krieg und der geht uns alle an. Und allein mit unseren Waffen schaffen wir den Frieden nicht. Seht auf unsere Angst und seht auf unsere Familien. Schafft Frieden, fangt an aufzuhören! Wir müssen, über alle Betroffenheit hinaus und durch alles Entsetzen hindurch immer wieder neu fragen, was dem Frieden dient und alles Handeln und Reden messen am Friedensgebot Jesu.
„…er wird vor euch hergehen…“, heißt es im Osterevangelium – der, der angefangen hat aufzuhören mit der Gewalt; der die Friedenstifter selig preist; der die Geknickten aufrichtet und die glimmenden Dochte neu entflammt; der die Schwachen besucht und die Kranken heilt; der Schuld vergibt. Du hast ihn nicht hinter dir, er ist nicht Vergangenheit – du hast ihn vor dir, er ist dir Zukunft. Damit du wissen kannst, wohin es geht mit dem Leben: damit du auf die Beine kommst gegen alle Gewalt und gegen den Hass in der Welt; damit du dich nicht zufrieden gibst mit dem, was war; damit du hinsiehst und den Mund auftust für die Schwachen und Elenden; damit du siehst die Ungerechtigkeit, den Graben zwischen Arm und Reich in diesem Land, in dieser Welt.

Jesus hat sich hingegeben für uns. Damit wir frei sind. Frei von der Macht der Sünde, von dem, was uns trennt von Gott. Wir dürfen Leben und uns des Lebens freuen. Und wissen: die Freiheit, zu der uns Jesus befreit, befreit uns dazu, Verantwortung zu übernehmen, nachzufolgen seinen Fußtapfen – freier Herr und niemandes Knecht; dienstbarer Knecht und jedermann untertan – so sagt es Martin Luther unübertroffen.
Nachfolgen den Fußtapfen Jesu nach Ostern: aufstehen gegen alle Gewalt und allen Missbrauch. Den Opfern Raum geben und den Tätern nicht gestatten, spurlos zu verschwinden. Aufstehen für Gerechtigkeit und Frieden. Aufstehen für das Leben der Schwachen und Elenden. 

Wir werden gleich miteinander das Abendmahl feiern – ein unübertroffenes Bild für die Herde Gottes, die sich sammelt in der Gemeinschaft des guten Hirten, die sich bei ihm holt, was zum Leben nötig ist. Die einander achtet, Barmherzigkeit übt, und, wo sie daran scheitert, Vergebung erfahren darf. Und sich stärkt für den Weg des Lebens in der Gewissheit, dass Gott, der gute Hirte unseres Lebens uns leitet: „Seht und schmeckt, wie freundlich der Herr ist“ Amen.

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