Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 40 anlässlich des Generalkonventes der PEK von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Greifswald
26. Mai 2010
Liebe Schwestern und Brüder!
„Wie kommen Erwachsene zum Glauben?“ – Der Weg eines jeden Menschen zum Glauben ist ein ganz spezieller, jeder Weg ist ein Sonderweg. Gott führt Menschen zum Glauben, aber je auf seine Weise. Für uns, als die berufenen Dienerinnen und Diener am Wort, kommt es darauf an, den Wink Gottes zu begreifen, wo er unsere Hilfe braucht, damit wir anderen zum Glauben helfen können.
Ich kann Ihnen nur ein Beispiel erzählen, die Geschichte des Finanzministers aus Äthiopien, oder besser, wie uns die Exegeten lehren, aus dem Sudan, denn das, was in der Bibel Äthiopien heißt, ist das, was wir heute Sudan nennen. Wie jede Lebensgeschichte etwas Einzigartiges ist, so ist auch diese Geschichte, die wir eben als Lesung gehört haben, unwiederholbar. Gott fühlt sich in die Lebensgeschichte eines jeden Menschen ein, um in dieser Lebensgeschichte die Menschen zu sich zu führen. Hier, in dem Abschnitt aus der Apostelgeschichte ist es die Bekehrungsgeschichte eines Menschen aus der High Society, eines Ministers eben. Schauen wir genauer hin, ist sie nicht nur die anschauliche Geschichte für den Kindergottesdienst, sondern diese Geschichte hat eine Tiefenperspektive.
Er hatte etwas erreicht in seinem Leben, aber dafür hatte er auch bezahlen müssen. Er war der Finanzminister der Kandake, der Königin aus dem Sudan geworden. Wer bei ihr etwas werden wollte, musste seine Zeugungsfähigkeit opfern. Die Traditionen schrieben es vor, damit nur kein Untergebener sich in der falschen Weise der Königin nähern konnte. Wer hoch hinaus wollte, musste vorher einen harten Schnitt erleiden. Aber alles, so dachte sich der Minister, kann man im Leben nicht auf einmal haben.
Die Sudanesen waren damals schon geprägt von einem Urheberglauben. Sie wussten: Von nichts kommt nichts. Das, was ist, muss einen ewigen Urheber haben. So waren sie gut vorbereitet auf den Glauben an den biblischen Schöpfergott. So gab es wohl auch nicht wenige, die sich von den Leuten auf der Nilinsel Elephantine und in anderen jüdischen Kolonien, die lebhaft einluden zum jüdischen Glauben, anstecken ließen. Der Glaube an den jüdischen Gott war für sie faszinierend. Ein Gott, der nicht nur die Welt erschaffen hatte, sondern der auch noch zu seinen Menschen redete. Durch Einzelne, begonnen mit den Erzvätern und Erzmüttern, wie Abraham und Sarah, über Mose bis hin zu den Propheten schenkte dieser Gott seinen Menschen Orientierung. Darüber wollte der Finanzminister mehr wissen. Er hörte vom Zentrum des jüdischen Glaubens, von Jerusalem und seinem Heiligen Tempel und bekam mit, wie jüdische Menschen und Gottesfürchtige wie er sich auf den weiten Weg nach Jerusalem machten, um dort einmal eines der gro-ßen Feste des Judentums mitzufeiern.
Der Weg nach Jerusalem war weit. 3.000 km musste der Finanzminister zurücklegen. Das war schon eine große Entfernung, aber ließ sich in seinem Fall noch etwas abmildernd bewerkstelligen, weil er dazu den kleinen Dienstwagen, den Reisewagen, benutzen durfte. Und doch war ein so weiter Weg in der damaligen Zeit eine große Mühe.
Dann war er im Tempel gewesen. Es war schon bewegend zu sehen, wie die Menschenmassen dort zusammenkamen, um Gott zu feiern. Die heilige Musik, die Gebete und die Lieder nahmen Gefühle auf, die der Mann aus Afrika kannte. Aber was ihn am meisten anrührte, war der eigentliche Tempelgottesdienst, bei dem täglich Opfer gebracht wurden. Auf einem Altar konnten Menschen durch die Priester Gott Opfer bringen. Dadurch wurden die Brüche im Leben erträglicher. Wer versagt hatte und Schuld auf sich geladen, konnte hoffen, dass Gott ihm wegen seines Opfers diese Schuld vergeben würde. Der Finanzminister wollte Gott gern lieben, aber er spürte diesen großen Abstand zwischen sich und Gott. Er wagte Gott kaum anzusprechen, kaum das, was ihn wirklich bewegte, Gott zu sagen. Einerseits spürte er, dass manches, was er in Ausübung seines hohen Amtes getan hatte, wohl Gott nicht gefallen würde. Andererseits hatte er den Eindruck, dass er so, wie er war, auch nur noch ein halber Mensch war. Flink und geschickt war er im Umgang mit Geld, aber in der Achtung der Menschen doch nur eine halbe Portion. Konnte das Opfer auf dem Tempelaltar diesen Abstand zwischen Mensch und Gott verringern? Konnte man dadurch auch wieder mehr Selbstachtung gewinnen? Vielleicht war es so, auf jeden Fall war es aber nichts für ihn. Denn da standen ja im Tempelhof diese Schilder, die ihm ein Weitergehen unmöglich machten: „Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des Herrn kommen.“ (5.Mose 23, 2)
Und so fuhr er schon angerührt, aber auch traurig wieder nach Hause. Als Andenken hatte er sich eine Schriftrolle gekauft. Der Verkäufer hatte einen Blick für seine Kunden. Er hatte den Eunuchen angeschaut und irgendwie gespürt, was dem Afrikaner fehlte. Er hatte gesagt: „Nimm diese. Sie wird dir gefallen!“ Es war eine Schriftrolle mit den Worten des 2. Jesaja. Nun saß er in seinem Reisewagen und las und der Mann hatte Recht gehabt. Das, was er las, erfreute den Finanzminister aus Äthiopien. Er empfand Wärme und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Als er in Jesaja 56, 3 lesen dufte: „Und der Fremde, der sich dem Herrn zugewandt hat, soll nicht sagen: Der Herr wird mich getrennt halten von seinem Volk. Und der Verschnittene soll nicht sagen: Siehe, ich bin ein dürrer Baum. Denn so spricht der Herr: Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohl gefällt, und an meinem Bund festhalten, denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter.“
Gab es also doch noch eine Hoffnungsperspektive für ihn, den Eunuchen? Dann gab es ja noch eine Art von Glauben, die selbst in Jerusalem noch nicht realisiert war. Konnte es eine Erfüllung des Lebens geben, die besser war „als Söhne und Töchter“ in einer Kultur, in der Nachkommenschaft das höchste Gut war?
Und er liest weiter. Und er liest laut – denn so las man damals, wenn man verstehen wollte. Und er liest immer wieder die Schriftrolle, die er in Jerusalem erstanden hatte. Und er liest in dieser Schriftrolle beim 2. Jesaja auch etwas von einem Gottesknecht, der Gott ganz treu war – und von Treue wusste unser Finanzminister auch etwas – der erniedrigt wurde – und von Erniedrigung wusste der Afrikaner sehr viel – und den Gott als sein Werkzeug benutzt hat. Er liest, wie dieser Gottesknecht stellvertretend für andere Schuld übernimmt, damit die Vielen das Leben haben. Und als er bei ihm liest: „Der Gottesknecht wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen über ihn berichten können, denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen.“, da spricht ihn plötzlich jemand an. Besser, er hört eine Stimme. Woher kam diese Stimme, denn er saß doch alleine in seinem Wagen, vielleicht mit einem Knecht. Und die Stimme fragt ihn: „Verstehst du denn, was du da liest?“ Und er sieht, wie diese Stimme zu einem Mann gehört, der neben dem Wagen herging und seinem lauten Lesen zugehört hatte. „Verstehst du denn, was du da liest?“
Nur am Rande notiert: Damit ein Mensch zum Glauben kommen kann, muss Gott manchmal unglaubliche Arrangements treffen. In der Tat hatte Gott sich allerhand einfallen lassen, um dem Missionar Philippus genau an diese Stelle zu kriegen. Eigentlich kam Philippus aus der Diakonie, hatte aber schon in Samaria evangelisiert. Nur durch den Wink eines Engels Gottes hatte er sich auf die Straße von Jerusalem nach Gaza begeben. Die, die weiter wollten nach Ägypten, mussten hier durch. Wahrscheinlich hatte er sich seinerseits an dieser Stelle schon gefragt: „Bin ich hier richtig?“ Ein Missionar muss doch dort hin, wo auch Menschen sind. Diese Straße aber war Einöde. War das wirklich eine Fü-gung Gottes gewesen, die ihn hatte hier hinkommen lassen? Wir hören ja in dieser Geschichte in den wenigen Sätzen nur das, was Ereignis geworden ist. Vorausgesetzt wird der weite Weg, den Philippus zu Fuß gegangen ist. Die Unsicherheit, die ihn gequält haben mag, ob der Dienst, den er hier tut, wirklich sinnvoll ist. Von diesen Fragen der Verkündiger des Wortes Gottes steht nichts in der Bibel. Aber natürlich sind sie auch Menschen und haben sich genau diese Fragen gestellt. Aber im Nachhinein, wenn das Unwahrscheinliche eingetreten ist, wenn sogar in der Wüsteneinöde ein Gottsucher vorbei gekommen ist und man ihm ein Wegbegleiter sein konnte auf dem Weg zu Gott, dann lösten sich diese Fragen nach dem Ort des Dienstes in Nichts auf.
Dabei war die Frage, die Philippus dem für ihn unbekannten Finanzminister in den Wagen hineingerufen hatte, ganz schön frech. Aber das war seine Geistesgegenwart gewesen, dass der Geist Gottes ihm diese Frage auch eingab. Denn das war ja gerade das Problem, dass dieser gebildete Mensch nun las, hoffte und suchte, aber nicht genau wusste, ob er auch verstand. Und so antwortet der Finanzminister ebenso schlagfertig: “Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“ Und dann bittet er unseren Philippus aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
Heute fahren die Wagen zu schnell. Die Leute lesen auch nicht mehr laut. Und die wenigsten lesen beim Autofahren. Und das ist auch gut so. Aber doch gibt es unter uns nicht wenige Gottsucher. Zumindestens gibt es viele, die von sich sagen: „Ich bin ein gelernter DDR-Bürger und habe all die Sachen über den Glauben nicht gelernt.“ Darum ist es eine gute Idee, wenn heute im Rahmen der Initiative: „Erwachsen glauben“ die EKD anregt, dass zukünftig in jeder Gemeinde Glaubenskurse durchgeführt werden sollen. Unter den Gleichgültigen und den Verächtern der Religion gibt es nicht wenige, denen einfach bisher die Gelegenheit gefehlt hat, sich auf eine ihnen zugängliche Weise mit den Inhalten des christlichen Glaubens auseinanderzusetzen. Und es ist ein interessantes Ergebnis der Studie, mit der wir uns gleich beschäftigen wollen, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen sich durch Glaubenskurse ansprechen lässt. Ist es aber für jeden erreichbar, einen Glaubenskurs mitzumachen, eine Grundunterweisung im christlichen Glauben zu bekommen? Ich glaube, es ist richtig, wenn wir viel Mühe darauf verwenden, bald in jeder Gemeinde in jedem Jahr mindestens einmal einen Glaubenskurs anzubieten. Die Gottsucher und die Glaubensinteressierten sind unter uns. Unsere vornehmste Aufgabe sollte sein, Gott zu bitten, sie uns zu zeigen und uns zu helfen, ihr Geheimnis zu verstehen.
Das Geheimnis des Finanzministers war seine Kastration. Manchmal konnte er sich selbst im Spiegel nicht anschauen. Hätte er nicht doch lieber ein anderes Leben gelebt? Darum war ihm dieses Bibelwort so wichtig. Da war von einem Erniedrigten die Rede, dessen Leben wegen der Erniedrigung Sinn empfangen hatte. War es denn wirklich möglich, dass aus der Negation etwas Positives hervorging? Von wem redete der Prophet, wer ist dieser Gottesknecht? Redete der Prophet von sich selber oder von jemand anderem? Aber wieso waren in seiner Rede auch Züge, die der Afrikaner bei sich selbst wiederfand? Überstiegdas Schicksal des Gottesknechtes nicht alles, was sich in der Biographie eines einzigen Menschen ereignen konnte?
Philippus wusste, das war die ihm von Gott geschenkte Gelegenheit. Solche Situationen sind selten. Und er nutzte sie. Philippus predigte die gute Botschaft, wie unser Leben wertvoll wert, weil ein anderer, Jesus, es wieder wertvoll macht. Er erzählt, wie Jesus sich mit unserer Tiefe gemein gemacht hat, damit wir in seine Höhe kommen. Er lädt ein zu einem Glauben, in dem das Ungeheure geschieht und die persönliche Lebensgeschichte mit der Geschichte Jesu zusammengewoben wird und in der am Ende Jesus sein Leben in den Glaubenden weiterlebt. Und er hat wohl auch berichtet, dass der Einstieg in ein solches Leben die Taufe ist, denn sonst wäre die Rückfrage des Afrikaners kaum zu erklären: „Was hindert es, dass ich mich taufen lasse?“ Der Afrikaner hat das Bedürfnis zu diesem Jesus zu gehören. Denn er hat verstanden, nirgendwo auf dieser Welt kann ich Gott so nah kommen, als wenn ich auf Jesus schaue und sein Leben, Sterben und Auferstehen betrachte und dadurch mein Leben verwandelt wird. In der seinsorientierten Sprache der Alten wird Jesus deswegen Gottes Sohn genannt. Das meint: Wer Jesus sieht, sieht Gott. Und umgekehrt: Wer Gott kennenlernen will, der muss auf Jesus sehen. Darum ist der spätere Eintrag im Text der Apostelgeschichte sachgemäß, in dem Philippus sagt: „Wenn du mit ganzem Herzen glaubst, kannst du getauft werden“, und der Afrikaner antwortet: „Ich glaube, dass Jesus Gottes Sohn ist.“
Die Taufe findet dann draußen statt – weil da gerade ein Fluss ist. Gegen einen solchen Taufevent ist nichts einzuwenden, wenn der Inhalt stimmt. Stimmung darf gerne dazu kommen, sie darf nur nicht an die Stelle der Inhalte treten. Wer Ideen hat, die die Kostbarkeit der Taufe erfahrbar machen, sollte sie umsetzen. Wir müssen die Taufe zu etwas machen, worüber man spricht. Wer keine Vorstellung von der Taufe hat, wird auch nicht getauft werden wollen. Der afrikanische Finanzminister hat sich immer gewünscht, dass sein Leben wieder kostbar sein möge. Als er verstanden hatte, dieser Weg führt über die Taufe, da wollte er nur noch dies eine – getauft werden.
Damit ist die Geschichte so gut wie zu Ende. Auf Philippus warten an anderer Stelle weitere Aufgaben. Der Afrikaner ist mit Freude erfüllt. Er zieht nun seine Straße fröhlich. Und wir? Wir berufenen Dienerinnen und Diener am Wort – verbi divini minister – haben gesehen, wie es ist, wenn Erwachsene zum Glauben kommen, jedesmal wieder anders. Und doch ist da eine Grundstruktur. Eine Aufgeschlossenheit für das Wort muss geweckt werden. Im richtigen Moment braucht es einen Glaubenskurs. Dieser muss die persönliche Lebensgeschichte mit der Geschichte Jesu Christi verweben. Wenn dies gelingt, wächst der Wunsch, mit der Taufe der Verbundenheit mit Christus sinnenhaft Ausdruck zu verleihen. Wer getauft ist, zieht seine Straße fröhlich, hoffentlich auch wir, die wir von Gott auf die Spur gesetzt sind, anderen auf ihrem Weg zu Gott die Spur zu weisen. Amen.