Predigt zu Markus 1, 32 – 39 anlässlich des 10jährigen Jubiläums des Niederdeutschen Bibelzentrums in Barth
30. Oktober 2011
Kaum hatte ich vor 10 Jahren meinen Dienst als Bischof der Pommerschen Evangelischen Kirche angetreten, da durfte ich schon das Barther Bibelzentrum mit eröffnen. Es war der Reformationstag 2001 und eben eine meiner ersten offiziellen Amtshandlungen als Bischof. Natürlich wollte ich nichts falsch machen. Ich hatte meine Ansprache vorbereitet und wurde von meinem Fahrer abgeholt.
Wir waren in der Zeit, aber nicht unbedingt zu früh. Wir mussten uns schon beeilen, dass wir bei strömendem Regenwetter und Windstärke 7 rechtzeitig nach Barth kamen. Kaum war ich hier angelangt, stellte ich fest, dass ich mein Bischofskreuz vergessen hatte. Die erste offizielle Einweihung – und ich konnte sie nur ohne Bischofskreuz vollziehen.
Heute wissen war, die Einweihung geschah zwar ohne Kreuz, aber trotzdem mit Gottes Segen. Ich freue ich mich, mit Ihnen das zehnjährige Jubiläum des Niederdeutschen Bibelzentrums Barth feiern zu dürfen. Was war das für eine stürmische Entwicklung. Das Bibelzentrum war gerade zwei Jahre alt, da machte sein Trägerverein, die Evangelische Hauptbibelgesellschaft, Konkurs und die weitere Existenz des Bibelzentrums stand auf der Kippe. Plötzlich war die Pommersche Kirche gefordert, die allerdings auch nicht gerade viele finanzielle Möglichkeiten hat. Schnell bildeten wir die Pommersche Bibelgesellschaft, holten viele Engagierte mit ins Boot und schon konnte es weitergehen. Das Bibelzentrum ist zu einem besonderen Kleinod der touristischen, der Bildungs- und der kirchlichen Landschaft in Vorpommern geworden. Dafür dürfen wir dankbar sein. Dass es sich so entwickelt hat, ist nur zu erklären aus einem Zusammenwirken des Landes MecklenburgVorpommern, der Stadt Barth, der Pommerschen Evangelischen Kirche und vieler, vieler Einzelpersonen, denen es ein Anliegen gewesen ist, die Botschaft der Bibel in unserer Region bekannt zu machen.
Das ist auch sehr nötig. Umfragen zeigen, für mehr als ein Drittel der Bevölkerung (36 %) bedeutet die Bibel in Ostdeutschland gar nichts. (In Westdeutschland ist es nur ein Fünftel der Bevölkerung, das diese Einstellung teilt.) Und man weiß weithin überhaupt nicht, worum es in der Bibel geht. Wenn Johannes Pilgrim aus der Arbeit im Bibelzentrum erzählt, dann wundert man sich schon nicht mehr darüber, dass die Mehrzahl der Schüler, die das Bibelzentrum besuchen, so gut wie nichts von der Bibel und der in ihr erzählten Geschichte der Offenbarung Gottes weiß. Dass aber auch nicht wenige Lehrer im Gespräch mit Johannes Pilgrim bekannt haben, dass sie bisher noch nie in ihrem Leben eine Bibel in der Hand gehabt haben, zeigt die besondere Situation, in der wir leben. Dabei ist ja deutlich: Wer in die Bibel hineinschaut, lernt nicht nur etwas über die Ursprünge des christlichen Glaubens, sondern auch etwas über die Ursprünge unserer Kultur.
Jetzt werfen wir einen exemplarischen Blick in die Bibel. Der für heute vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Kapitel des Markusevangeliums. Er führt uns zurück an die Quelle, aus der der christliche Glaube entspringt. Er gibt uns einen Einblick in einen Tag aus dem Leben Jesu. Nun beginnt aber im Judentum der Tag mit dem Abend, nicht wie bei uns, mit dem Morgen. Der fromme Jude darf sich erst einmal über einen freien Abend freuen und ihn genießen, sich durch den Schlaf der Nacht erquicken lassen und geht dann an seine Arbeit. Die Grundeinstellung bei uns eifrigen Europäern ist ja ganz anders. Erst müssen wir arbeiten, dann haben wir uns das Ausruhen verdient. Schon in dieser anderen Le-2benseinstellung, der wir in der Bibel begegnen, zeigt sich etwas vom Vorrang der Gnade vor den Werken. Das ist eine Erinnerung, die gut zum Tag vor dem Reformationstag passt. So setzt der für heute vorgeschlagene Abschnitt mit dem Abend ein.
Ich lese Markus 1, die Verse 32 bis 39:
32 Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.
33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und triebviele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.
35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.
36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.
37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.
38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.
Liebe Gemeinde,
so manches Mal habe ich dort gestanden, wo diese Ereignisse, von denen wir gerade gehört haben, sich zugetragen haben. Ich liebe dieses Fleckchen Erde und sehe es vor mir: Kapernaum, ein malerisches kleines Fischerstädtchen am Ufer des Sees Genezareth im Norden des Landes Israel. Drei Jahre lang lebte und wirkte Jesus an diesem Ort. Er wohnte im Haus des Fischers Petrus. Petrus stand sich wohl ganz gut. Er hatte –die Archäologen haben die Überbleibsel wieder ausgegraben – ein etwas größeres Haus, in der eine ganze Sippe Platz finden konnte. Petrus hatte dieses Haus benutzen dürfen, weil er in diese Familie, der es gehörte, eingeheiratet hatte. Es war das Haus seiner Schwiegermutter. Hier hat Jesus Geister ausgetrieben (1). Hier hat er die Stille gesucht (2). Hier hat Jesus gepredigt (3).
1
Und so steht diese orientalische Nachtszene vor meinen Augen: Die Sonne war gerade untergegangen, der Sabbat vorbei, man durfte wieder mehr als die absolut notwendige Arbeit verrichten. Da brachten sie Kranke und von anderen Mächten besessene Menschen zu Jesus. Die Dunkelheit bricht schnell herein in Palästina. Eine Fackel auf den Stufen oder eine Öllampe im Hauseingang helfen, damit man den Weg findet. Aber nach der Predigt Jesu am Morgen in der Synagoge war nun die ganze Stadt in Aufruhr. Dass nach Einbruch der Dunkelheit so viel los ist, ist bis heute sehr ungewöhnlich im Orient. Aber an diesem Abend versammelte man sich vor der Tür des Hauses des Petrus. Man wollte sehen, wie Jesus den Kranken half und wie er den besessenen Menschen Linderung verschaffte. Und wirklich – Jesus heilte und trieb böse Geister aus.
Na, werden nun manche von Ihnen denken, diese Geschichte scheint ja nun wirklich in die orientalische Finsternis zu gehören. In Pommern wenigstens haben wir für die Krankheiten Ärzte und Dämonen tauchen heute zum Glück nur in Horrorfilmen auf. Oder glauben Sie an Dämonen?
Ich hoffe nicht! Denn an Dämonen, an böse Geister soll man nicht glauben. Glauben, Vertrauen sollen wir nur Gott. Aber rechnen sollte man schon mit der Mächtigkeit des Bösen. 3So lässt schon Shakespeare Hamlet sagen: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt.“
Ich kann Ihnen ja auch einige dieser bösen Geister einmal vorstellen. Eine der schlimmsten ist der Dämon „immer mehr….“. Die Menschen, die von ihm besessen sind, die möchten „immer mehr“. Da nutzt man alle zur Verfügung stehende Energie, um immer mehr Geld zur Verfügung zu haben, auch wenn die Wege dazu manchmal krumme Touren einschließen. Man strebt nach immer mehr Ansehen, auch wenn es vielleicht nur vorgetäuscht wird. (So wie der Marathonläufer, von dem gerade in der Zeitung zu lesen war, dass er dabei erwischt wurde, wie er einen Teil der Etappe mit der Straßenbahn zurückgelegt hat.) Manch einer meint, in unserer übersexualisierten Gesellschaft, immer mehr Sex brächte eine Steigerung des Lebens – sei es auch mal mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann als mit dem Partner, mit dem man verheiratet ist. Man möchte immer mehr erleben und wenn die realen Lebenserweiterungsmöglichkeiten nicht mehr ausreichen, dann folgt der Griff zur Flasche oder auch zur Droge. Es gibt fast nichts von all den guten Dingen, die Gott der Herr geschaffen hat, die nicht durch eine Übersteigerung, die durch ein Immermehr dämonisiert werden können. Ja, das ist ein schrecklicher Dämon, dieser Dämon „immer mehr“. Er ist einem Jeden von uns auf den Fersen.
Und dabei gibt es auch noch ganz andere Geister, die wir nicht beherrschen. Besonders schlimm ist noch der böse Geist des Unfriedens. Er stiftet Streit zwischen Eheleuten, Familien, Nachbarn, Freunden und Völkern. Er richtet ganze Kirchengemeinden zugrunde. Er ist darauf aus, die ganze Welt zu zerstören. Dieser Geist des Unfriedens macht Menschen krank.
Darum ist es so notwendig, dass wir Kranke und Besessene zu Jesus Christus bringen. Jesus kann befreien vom Geist des „immer mehr“ und von dem Dämon des Unfriedens. Und wenn es uns selbst unmöglich scheint, aus der Spirale des „immer mehr“ auszusteigen, wenn wir meinen nur noch Getriebene zu sein, Jesus kann uns davon befreien. Und er kann Frieden schenken, wo die Welt keinen Frieden findet.
Da ist auch mein Gebet für uns Christen, dass wir zuerst zu Jesus Christus gehen und uns von ihm den Geist des Streites und den Geist des Unfriedens austreiben lassen. Der christliche Glaube wirkt ja deswegen heute oft so wenig überzeugend, weil diejenigen, die ihn vertreten, untereinander so uneins sind. Wer sich aber von Jesus den Geist des Friedens hat schenken lassen, wird weder in der Familie noch auf der Straße noch in der Gemeinde mit Gewalt oder den falschen Mitteln für den Frieden eintreten.
2
Vielleicht fragen Sie: Warum geht von Jesus eine solche Macht des Friedens aus? Wie kommt der Geist des Friedens in ihn hinein? Auch drauf gibt uns unser Predigttext eine Antwort: Nachdem Jesus sich einen langen Abend lang mit den Menschen befasst hat, die sich Hilfe von ihm versprachen, und nachdem er wohl auch etwas Schlaf gefunden hatte, stand er am Morgen noch vor Tagesanbruch auf und ging an einen einsamen Ort, um dort zu beten. Einen möglichen Rückzugsort, nicht weit von Kapernaum entfernt, etwas erhöht über dem See Genezareth, habe ich bei den Reisen ins Land der Bibel, die ich mit Gruppen durchgeführt habe, den Teilnehmenden gezeigt. Hier zieht sich Jesus zurück. Hier geht er in die Stille. Die beste Stunde am Tag gehört Gott: Der Morgen. Von Martin Luther ist überliefert, dass er gerade dann, wenn er an einem Tag besonders viel zu tun hatte, sagte: „Heute muss ich besonders viel beten.“ Wer Dämonen austreiben und Gebundene befreien will, der muss zuerst stille werden. In der Stille füllt uns Gott. Wo Gott wohnt, da kann kein Dämon mehr hausen.
Wir alle wissen, dass wir als Menschen nur existieren können, wenn wir einatmen und ausatmen. Mit dem Einatmen ziehen wir frischen Sauerstoff in uns hinein und beim Ausatmen geben wir Kohlendioxyd ab. Auch der geistliche Mensch muss einatmen und ausatmen. So ist das Gebet so etwas wie das Atemholen der Seele. Wer diesen inneren Frieden in der Begegnung mit Jesus Christus, in der Stille, nicht findet, der hat es auch schwerer, äußeren Frieden in dieser Welt zu halten. Eine Andacht mit dem Ehepartner oder in der Familie ist so ein Atemholen der Seele. Das Bibellesen ist ein sich durchfluten lassen von dem guten Geist Gottes. Das Wort Gottes, wie wir es in der Bibel lesen können, oder wie wir es in der Predigt hören, füllt uns mit einem anderen Geist. Der Dämon des „immer mehr“ wird ersetzt durch den Geist, es sich genügen zu lassen, und der Dämon des Unfriedens wird vertrieben durch den guten Geist des Friedens. Der christliche Glaube nimmt uns hinein in eine Kommunikation mit Gott. Wir reden mit Gott und Gott redet mit uns.
3
Jesus war deswegen früher aufgestanden als die anderen, um diesem anderen Geist im Gebet und im Hören auf Gottes Wort zu begegnen. Doch am Morgen drängten sich dann wieder die Hilfesuchenden vor der Tür des Petrus. Da gibt es für Petrus nur eins. Hier muss geholfen werden. Und er eilt Jesus hinterher. Wo bleibt Jesus auch nur so lange? Natürlich hat man Verständnis dafür, dass ein so Vielbeschäftigter einmal Kraft schöpfen muss. Aber dann soll er auch wieder die Ärmel aufkrempeln und zupacken. Als Petrus Jesus gefunden hat, platzt es aus ihm heraus: „Wo bleibst du denn so lange? Alle suchen dich!“
Jesus antwortet jetzt nicht etwa: „Du, ich musste auftanken. Jetzt wende ich mich wieder denen zu, die meine Hilfe suchen.“ – Nein! Jesus sagt: „Lasst uns anderswo hingehen, in die nächsten Städte, damit ich auch dort predige, denn dazu bin ich gekommen!“
Liebe Gemeinde,
zum Predigen ist Jesus gekommen, nicht um unsere Probleme zu lösen. Es ist wahr, Jesus kann gesund machen. Jesus kann uns helfen, in den großen und kleinen Problemen unseres Lebens. Aber letztlich ist er dafür nicht gekommen. Er ist gekommen, um zu predigen. Er ist gekommen, um die gute Botschaft von der Vergebung der Sünden zu proklamieren. Jesus ist gekommen, um die Herrschaft Gottes anzusagen, anzusagen, dass nichts mehr zwischen Gott und Mensch steht, dass Gott nun da ist, mitten unter uns.
Jesus teilt nicht diese Missionsmethode, die auf die Menschen zugeht und nach ihren Problemen fragt, und dann verspricht, diese Probleme alle zu lösen. Nein, Jesus löst nicht alle Probleme. Auch wenn manche Christen und manche Prediger das versprechen, das ist einfach nicht wahr. Manchmal hat man nach der Begegnung mit Jesus Christus vielleicht sogar neue Probleme. Aber Jesus macht etwas anderes. Er füllt uns mit einem anderen Geist. Das ist wahr. Daraus wächst dann die Befähigung, uns unseren Problemen selbst zuzuwenden.
Die Predigt Jesu treibt die bösen Geister aus. Weil uns durch die Predigt ein anderer Geist geschenkt wird, darum ist die Predigt so wichtig, darum ist das Hören auf Gottes Wort, die Bibel so wichtig. Und darum ist es auch so unglaublich notwendig, dass wir uns immer wieder unter die Predigt des Evangeliums stellen. Jesus schenkt den Geist des Sichgenü-gens, der nicht immer mehr will, der sich auch mit dem zufrieden gibt, was er hat, und anfängt, Gott zu danken für das, was er bereits alles geschenkt hat.
Jesus schenkt den Geist des Friedens, der den Geist des Unfriedens vertreibt, der den angefangenen Satz, der dem andern wehtun wollte, ersterben lässt. Jesus treibt diese bö-5sen Geister aus und beschenkt uns in der Stille und im Hören auf sein Wort mit seinem guten Geist.
Liebe Gemeinde,
das Bibelzentrum ist ein Ort, an dem Gottes Wort uns wichtig wird. Wir brauchen solche Orte, an denen wir an die Quelle des christlichen Glaubens und unserer Kultur zurück geführt werden. Unsere schnelllebige und Gott vergessene Zeit hat diese Erinnerung an Gott und sein Wort nötig. Darum sind wir dankbar, dass es das Bibelzentrum gibt.
Obwohl Jesus – wie wir sagen - der Sohn Gottes ist, obwohl er ganz auf die Seite Gottes gehört, brauchte auch er diese Rückbindung an Gottes Wort. Auch Jesus hört auf das, was Gott zu sagen hat. Er ist im Gebet mit dem Vater. Und das dürfen wir wissen: Wenn unser Gebet einmal ersterben sollte, wenn wir keine Worte mehr finden, weil wir geistlich ausgetrocknet sind oder weil wir das Beten nie gelernt haben, dann ist Jesus da und bittet für uns, dass unser Glaube nicht aufhört. Amen.